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AGY3NA: „Wenn ich einen Track geil finde, dann spiele ich ihn”

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Neue DJs gibt es wie Sand am Meer. AGY3NA sticht heraus. Vielleicht, weil der Wahl-Leipziger sich nicht wie viele andere über einen bestimmten Sound definiert. Eher führt AGY3NA verschiedene Stile zu einem neuen Ganzen zusammen. Dazu gehören Elemente aus House, Disco, Acid oder auch Hi-NRG. Die Spannung seiner Sets entsteht aus den Übergängen zwischen Genres und Subgenres, oft spielt er dabei beim Auflegen mit dem bewussten Kontrast von neuen und alten Tunes. Ganz besonders fasziniert den DJ, der bürgerlich Dennis Höpfel heißt, der magische Moment, in dem er zwei Platten das erste Mal zusammenmixt und etwas Unerwartetes, ganz und gar Neues entsteht.

GROOVE-Autor Vincent Frisch hat Dennis über Zoom in dessen Leipziger Wohnung erreicht. Im Gespräch fallen oft die Worte „Experiment” und „Forschen” – möglicherweise ein Hinweis auf seine Tätigkeit als Neurowissenschaftler, der er parallel zu seinem DJ-Dasein nachgeht.

Mit dem Auflegen hat Dennis vor etwa neun Jahren begonnen, am Anfang war er besonders im Pulsår, einem Verbund von Club und Festival in seiner Heimatstadt Nürnberg, aktiv. Lange hat er nach einem geeigneten DJ-Namen gesucht, bis er auf AGY3NA, eine leichte Abwandlung des Nachnamens seines ghanaischen Vaters, stieß. Wenn er auflegt, spielt Dennis digital und mit Platte. Denn wenn er kein Vinyl dabei hat, fühlt es sich für ihn an, als ob etwas fehlen würde, wie er im Gespräch betont. Platten aufzulegen, erzeuge einen besonderen Vibe, man gebe einen Teil der Kontrolle ab.

Hat lange nach seinem DJ-Namen gesucht: AGY3NA (Foto: Presse)

Wenn er seinen Sound beschreibt, fallen schnell die Worte „Funk” und „Groove”. Dennis gehe es um das Erleben von Groove, der sich in verschiedenen Genres findet. Beim Mixen agiert er oft intuitiv und ist sehr risikobereit: „Ich vertraue immer meinen eigenen Skills und will den Perfektionismus ablegen, den ich sonst habe.” Früher habe er sich lange auf einzelne Gigs vorbereitet, das mache er heute weniger. Auch packt er in seinen Plattenkoffer Vinyl, das er davor noch nie gespielt hat. Wie zwei Platten zusammenlaufen, will er erst beim Gig erleben. Aktuell beschäftigt sich AGY3NA mit Platten an der Schwelle von Disco zu House.


Schnelle Fragen:
Momentaner Lieblingstrack: The Mephisto Odyssey – „The Motive” (Pac Bell Mix)
Lieblingsclub: Berghain (Berlin), Garage Noord (Amsterdam), Phi Garden (Tel Aviv)
Lieblingsfestival: Nachti
Favorite BPM: 136
Schöne Auflegemomente 2023: B2B mit Ryan Elliott, B2B mit DJ Tennis


„Wenn man ausgehend von House anfängt, Musik zu entdecken, ist Disco die Schnittstelle, die eine andere Emotionalität auf die Tanzfläche bringen kann, weil sie mit Songstrukturen arbeitet”, erklärt Dennis. Im Gespräch kommen wir schnell zu seinen neuesten Entdeckungen, zu Stücken, die ihn gerade begeistern: The Disco Freaks – „Be Right There”, Happy Chappy – „Strawberry Bazaar”, The Communards – „Scat”, Kraftwerk – „Pocket Calculator (Mixx-It Remix)” oder Arkanoid – „I Know You”. Eine aktuelle Nummer ist auch dabei: Kino Moderno – „Acid Water” und, als sein All-Time-Favorit, Dee D. Jackson – „Automatic Lover”.

Disco als Leidenschaft

Disco ist für Dennis dabei keine neue Leidenschaft. Seit er auflegt, ist er im Discofieber. Die Musik hatte er zuvor auf Tanzflächen in Clubs seiner Heimat Nürnberg kennengelernt: „Damals lief sehr viel Tech-House, und wenn House lief, dann war der meist sehr dubby. Wenn ein Disco-Track kam, war dieser dynamischer, hatte mehr Lyrics und Ausdruck. Disco verbinde ich mit einem starken Freiheitsgefühl, ebenso historisch wie gegenwärtig auf der Tanzfläche.” Spannender als bei House findet Dennis auch die Vocal-Passagen und Songstrukturen – bei House wird schließlich mehr gesampelt. Disco sei für ihn ein Gefühl, das man am besten im Club erlebe. „Es ist Musik für diesen Ort. Das Gefühl, das auf der Tanzfläche erlebt wird, bezeichne ich gerne als Lingering-Disco-Spirit. Es ist das Gefühl von Disco, das leicht geweckt werden kann – auch weil es ein sehr naheliegendes Gefühl ist.”

Spielt er hingegen House, dann in all den verschiedenen Farben und Stimmungen, die das Genre ausdrücken kann: „Mit engen Bezeichnungen für Genres kann ich eher wenig anfangen. Wenn ich einen Track geil finde, dann spiele ich ihn.” Spricht man ihn darauf an, was er gerade musikalisch spannend findet, fällt ihm selbst auf, dass er momentan eher in der Vergangenheit forscht und dort neue Entdeckungen macht. Dennoch feiere er auch neue Produktionen von Cyan85 oder das letzte Album von DJ Fuckoff.

AGY3NA kann mit Genre-Bezeichnungen wenig anfangen (Foto: Presse)

Dennis legt ungefähr viermal im Monat auf, an einem Wochenende nimmt er sich komplett frei. Kürzlich hat er in New York gespielt, das sei definitiv ein Meilenstein gewesen, sagt er. Interessanterweise dreht sich unser Gespräch auch schnell um Panorama Bar und Berghain, wo Dennis seinen ersten Gig nach Corona hatte. Für ihn sei es eine große Ehre gewesen, nach all den Jahren, in denen er dort feierte. War er früher eher auf dem Berghain-Floor anzutreffen, fühlt er sich heute in der Panorama Bar wohl – auch als Künstler. Außerdem erinnert er sich, dass er zu Schulzeiten eine Facharbeit übers Berghain geschrieben hat: „Ich habe damals meinem Musiklehrer versprochen, dass ich ihn einlade, wenn ich eines Tages dort spiele. Das sollte ich mal machen.” Schließlich hat Dennis bis heute schon fünfmal dort gespielt.

Soundtechnisch fühlt sich Dennis sehr der neuen energetischen House-Interpretation verbunden, die Künstler:innen wie Job Jobse oder Sedef Adasï verfolgen. Denn nicht nur Techno ist in den vergangenen Jahren schneller geworden. Für Dennis ist dabei das Energetische Moment einer relativ hohen BPM-Zahl die richtige Plattform, um in verschiedenste Stilrichtungen gehen zu können: „Bei einer niedrigeren BPM habe ich das Gefühl, dass es schwieriger ist, Stimmungswechsel zu vollziehen, auch weil diese länger brauchen.” Das Ziel sei dabei nicht, einfach nur schnell zu spielen, um die Energie hochzuhalten. Oft habe er als Feedback bekommen, dass er Phasen gehabt hätte, die nicht so energetisch waren. Dass es wichtig ist, andere Farben zu zeigen.

Neues mit Altem verbinden

An Dennis’ Herrensauna-Set zum CSD 2021 hört man exemplarisch seine Vorliebe, neue Tracks mit alten zu verbinden: „Das hat für mich einen experimentellen Charakter. Ich weiß dann nicht richtig, wohin es geht. Das mag ich an Platten. Ich bin immer auf der Suche nach neuen Interaktionen, um etwas bislang Ungehörtes zu erschaffen.” Besonders hilft ihm dabei seine Kenntnis von Songstrukturen.

Früher habe sich Dennis auf jeden Raum, in dem er gespielt hat, individuell vorbereitet. Aufgrund der knappen Zeit gehe das nun nicht mehr. Sein Repertoire besteht heute aus einem festen Stamm und einzelnen Platten, die er noch nie zuvor ausprobiert hat. Er liebt es beim Auflegen, den Moment zu erleben, in dem Platten ohne jegliche Vorbereitung miteinander harmonieren. Als wir über seine DJ-Anfänge in Nürnberg sprechen, sagt Dennis, dass er lange kaum Crowd-Feedback bekommen habe und deshalb dachte, dass seine Art, aufzulegen, nicht funktioniere. Gerade diese Erfahrung sei aber für ihn wichtig gewesen: „Dadurch bin ich jetzt an dem Punkt, an dem ich machen kann, was ich will, und es sehr fühle.”

Auf der Suche nach dem Feedback (Foto: Presse)

Neben dem Auflegen geht Dennis unter der Woche einem Job in der Forschung nach, in der Klinik und Poliklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Leipziger Universitätsklinikum. Momentan beschäftigt er sich damit, inwiefern ein bestimmtes Blickbewegungsverhalten mit traumatischen Erfahrungen in der Kindheit zusammenhängt. Im Gespräch betont er, wie viel Spaß ihm diese Arbeit mache, und erzählt, dass er die Zeit im Zug zum Gig oft nutze, um seinem Day-Job nachzugehen. Seine Gig-Vorbereitung sei dann im Optimalfall schon abgeschlossen: „Nach dem Artist-Dinner noch ins Hotel zu flitzen, um Sachen vorzubereiten, kommt mir heute wie eine Sabotage meiner Skills vor. Als ob ich es erst durch eine Notfallvorbereitung schaffen würde, den Gig zu spielen. „Inzwischen habe ich festgestellt: wenn ich losgehe, sollte der Stick fertig sein”, lacht er.

„Ich habe mir mal geschworen, dass ich immer kurz stoppe, wenn ich in einer fremden Stadt an einem neuen Plattenladen vorbeilaufe.”

AGY3NA

Wenn Dennis neue Musik sucht, ist es für ihn besonders wichtig, sie aus verschiedenen Quellen zu beziehen, um eine gewisse Varianz zu haben. Beim Diggen habe er dann im Browser viele Tabs offen. „Wenn ich versuche, krasse Platten auf Discogs zu finden, setze ich mich hin und forsche.” Gleichzeitig betont er, dass einen Besuch im Plattenladen nichts toppen könne: „Ich habe mir mal geschworen, dass ich immer kurz stoppe, wenn ich in einer fremden Stadt an einem neuen Plattenladen vorbeilaufe. Dass ich nicht daran vorbeigehe, ohne wenigstens mal zu schauen.” So habe er dabei fast immer spannende Platten gefunden – oder welche, die einfach witzig sind. Als Beispiel erwähnt Dennis eine Tatort-Platte mit einem elektronischen Remix, die er mal auf einem Trödelmarkt gekauft hat. Viel Musik habe er auch über das Ausgehen kennengelernt. Clubs seien immer Orte gewesen, an denen er sich wohl gefühlt habe.

AGY3NA setzt sich implizit gegen Rassismus und aktiv für Gehörschutz ein (Foto: Presse)

Neben dem Auflegen produziert Dennis auch. Zwar sei das neben seinen Tätigkeiten als Neurowissenschaftler und DJ zeitlich nicht einfach, aber er probiere gerade aus, diese Tätigkeit stärker in seinen Alltag zu integrieren. Viel sei gerade im Skizzenmodus – bald komme aber ein Release. Gerade arbeitet er an einem Projekt mit Lennart Wiehe, das verschiedenen Künstler:innen als Plattform dienen soll. Geplant sei ein Release mit einem Track von AGY3NA, aber auch von anderen Künstler:innen.

AGY3NA als Aktivist

Zuletzt sprechen wir noch über Politik. Zwar ist Dennis eine POC und steht als solche in der Öffentlichkeit, er sei aber kein Aktivist in dem Sinn, dass er sich in Projekten engagiert, sondern implizit, nicht explizit tätig: „Ich sehe meinen Aktivismus vor allem in der Repräsentation, die ich schaffe”, erklärt er.

Er habe nie jemanden gesehen, der ihn repräsentiert. Deswegen habe er erst so spät mit dem Auflegen angefangen: „Ich habe auch nie ernsthaft darüber nachgedacht, Lehrer zu werden, weil ich keine schwarzen Lehrer kannte.” Dennis betont, dass BIPoCs in unserer Gesellschaft noch immer systemischer Benachteiligung ausgesetzt seien. Jeder Schritt sei schwerer. „Das fängt nicht erst mit dem Auflegen an, sondern geht bis in die Kindheit zurück. Rassismus war und ist immer gegenwärtig, oft nicht explizit. Manchmal aber schon.”

Der Höhepunkt an Absurdität sei gewesen, als bei einer Party eine Person auf ihn zugekommen sei und ihn gefragt habe, wie er denn dazu komme, dass er auflege. Schließlich, so die Person, sei er schwarz. Dennis merkt aber an, dass sich viel in der Szene getan hat und heute Diversität oftmals gewährleistet sei. Nachholbedarf gebe es aber immer noch. Da sei er aber, wie gesagt, impliziter Aktivist. Aktiver Aktivist ist er bei einem anderen Thema: Gehörschutz beim Auflegen und Feiern. Thematisiert hat das Dennis in einem gemeinsamen Podcast mit DJ Fuckoff: „Ich denke, dass darüber noch nicht genug gesprochen wird. Da würde ich mir noch mehr Awareness wünschen”, fügt er hinzu. 

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