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Fritz Kalkbrenner & Oliver Koletzki: „Die Vermutung, dass der Schmerz weniger wird”

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Mit Fritz Kalkbrenner und Oliver Koletzki treffen zwei Generationsgenossen aufeinander, deren Wesen unterschiedlicher nicht sein könnte. Und doch scheint es eine tiefere Verbindung zu geben. Seit gut zwei Jahrzehnten ist Oliver Koletzki mit seinem Pop-infizierten Clubsound fester Bestandteil der elektronischen Musikszene und mit seinem 2005 gegründeten Label Stil vor Talent auch als Talententdecker nicht mehr aus der Szene wegzudenken. Auch an dem Namen Fritz Kalkbrenner kommt man nicht vorbei. Mal melancholisch, mal euphorisch – als Sänger und Produzent schafft er eine ganz eigene musikalische Handschrift. Seine markante Stimme verleiht jedem Housetrack eine ausdrucksstarke Tiefe.

Beide haben mit der Zeit ihre eigenen Ansätze entwickelt, Hybride zwischen Clubmusik und Pop. Von beiden kann man in diesem Jahr viel Neues hören. Im Sommer ist Kalkbrenners neue Single „Waiting For The Sun” erschienen, mit der er bereits getourt ist. Und am 3. November wird Koletzkis neues Album Trip To Sanity veröffentlicht.

Alexis Waltz und Laura Baumgardt trafen die beiden Anfang Oktober – unter anderem, um herausfinden, was sie gemeinsam haben, was sie unterscheidet und was es mit ihrer gemeinsamen Arbeit auf sich hat. Kalkbrenner und Koletzki sprachen über ihre verschieden stark ausgeprägte Affinität zum Nachtleben und erklärten, welchen Einfluss Algorithmen auf ihre Arbeit haben und wie die letzten drei fordernden Jahre den Zugang zu ihrer Kreativität geprägt haben.

GROOVE: 2023 steht bei euch im Zeichen einer neuen Veröffentlichung. Du, Fritz, hast deine neue Single „Waiting For The Sun” veröffentlicht und bist mit ihr getourt. Oliver, dein neues Album Trip To Sanity erscheint am 3. November. Wie haben diese Veröffentlichungen euer Jahr geprägt?

Oliver Koletzki: Mich hat es extrem begleitet, weil das Album sehr arbeitsintensiv war. Es hat 18 Tracks. Ich wollte zum zehnten Album etwas Besonderes machen, nicht nur quantitativ, auch qualitativ. Ich habe es vor einem Jahr vorproduziert, hatte es auf Reisen dabei und habe viel in Südafrika daran gearbeitet. Anfang des Jahres war ich dann in Berlin im Tonstudio. Dort habe ich mit den Arrangements und dem Mixing angefangen.

Fritz Kalkbrenner: Was so ein Album mit sich bringt.

Kann deine Single als Teaser auf ein neues Album betrachtet werden, Fritz?

Kalkbrenner: Nein, ich verfolge da einen anderen Weg. Wie sinnvoll oder unsinnig ist es, heute noch ein Album zu machen? Und ist das abhängig vom betreffenden Künstler? Ich möchte jegliche Ausschließlichkeit vermeiden, aber aktuell fühlt es sich bei mir besser an, reine Singles zu machen, ohne auf etwas Größeres hinzuarbeiten. Das hat natürlich auch mit Algorithmen zu tun, die bedient werden möchten.

Du bist ja den entgegengesetzten Weg gegangen, Oliver.

Koletzki: Ich verstehe mich immer noch zu sehr als Künstler, als dass ich mich irgendwelchen Doktrinen von Instagram und Spotify unterwerfen würde. Ich habe etwas zu erzählen, und das kann ich nicht innerhalb von drei Minuten oder eines Liedes. Ich brauche eine Dramaturgie. Und dann mache ich das einfach. Wenn dann weniger Plays dabei rauskommen, ist mir das egal.

Es ist natürlich auch eine privilegierte Position, sich diesen Vorschriften nicht unterwerfen zu müssen.

Koletzki: Absolut. Das ist mein zehntes Album. Ich bin total privilegiert.

Wie und wo verortet ihr euch mit den Veröffentlichungen, was drücken sie aus? An welchem Punkt habt ihr euch wiedergefunden, als ihr die Musik gemacht habt?

Kalkbrenner: Zum Inhaltlichen kann ich sagen: Sobald man etwas veröffentlicht, verliert man die Deutungshoheit darüber. Was den Rest angeht: Ich habe die Nummer geschrieben, eingesungen und fertig produziert. Irgendwann ist der Sättigungsgrad erreicht – der pegelt sich bei ungefähr 93 Prozent ein. Man kommt nicht bei 100 Prozent an, aber man muss irgendwann loslassen. Wenn der Zeitpunkt erreicht ist, dann ist Zeit für einen Mixdown, und dann wird gemastert.

Koletzki: Das Album heißt Trip To Sanity, übersetzt „Reise zur Vernunft”. Das ist in Anlehnung an das Album Tabaluga oder die Reise zur Vernunft von Peter Maffay von 1983. Ich habe das als Jugendlicher gehört und bin dabei in einer Fantasiewelt aufgegangen. Die Reise zur Vernunft ist in meinem mittlerweile etwas höheren Alter auch ein Thema. Ich war ein wilder DJ, der so einiges mitgenommen hat in seinem Leben. Ich entwickle mich aber auch weiter, lebe inzwischen gesünder.

Ich habe auf einmal noch mehr Drogen genommen als vorher. Ich hatte auch Probleme, richtig kreativ zu sein.

Oliver Koletzki

Du bist auf E-Zigaretten umgestiegen.

Koletzki: (lacht) Ja, ich bin von Zigaretten auf E-Zigaretten umgestiegen. Der größte Schritt in meinem Leben. Spaß. Für mich ist diese gesamte Entwicklung, auch das zehnte Album, eine Reise zur Vernunft.

Kalkbrenner: Ich kann es nur immer wieder sagen: Du bist mein großes Vorbild.

Hat das auch etwas mit den letzten drei Jahren und der Corona-Pandemie zu tun? Spürt man das in eurer Musik?

Koletzki: Die Corona-Pandemie hat was mit mir gemacht. Sie hat mich in ein richtiges Loch geworfen. Ich habe auf einmal noch mehr Drogen genommen als vorher. Ich hatte auch Probleme, richtig kreativ zu sein. Ich war in Berlin eingesperrt, wie wir alle. Klar, wir haben auch Home-Partys gemacht, ich habe mich oft mit meinen Freunden getroffen. Ich habe aber auch viel auf dem Sofa gehangen und dämlich Fernsehen geguckt. Gleich danach kam der Ukraine-Krieg. Das sind Sachen, mit denen ich zu kämpfen hatte. Ich habe mich aber ganz gut rausgekämpft und dann reflektiert, dass die letzten beiden Jahre noch ungesünder als die DJ-Jahre waren. Ich wusste, ich muss irgendwas machen.

Und du, Fritz? 

Kalkbrenner: Ich habe die Zeit nicht in Berlin verbracht.

Wo?

Kalkbrenner: (lacht) Ich sage mal: woanders. Aber natürlich sind viele Strukturen, auf die man sich verlassen hatte, weggebrochen. Auch für mich war das ein großer Umbruch. Zu dem Zeitpunkt wusste man auch nicht, wie es weitergehen wird. Ich habe mich ganz in den Moment reingeworfen. Mir waren ja, wie allen anderen auch, die Hände gebunden. Ich habe mich schlichtweg auf das Musik machen konzentriert und dann abseitiges Zeug produziert, was gar nicht zielgerichtet war. Ganz viel Hip-Hop-Kram. Es ist auch noch ein Ambient-Album entstanden, das in der Schublade herumliegt.

Ich bin wirklich ein kleines Raverlein. Ich bin auch nicht nur zu Auftritten gefahren, um meinen Job zu machen. Ich bin auch da hingefahren, weil ich den ganzen Zirkus gelebt habe, weil ich es mag, Leute zu sehen, wie sie sich gehen lassen.

Oliver Koletzki

Du bist also auch ein Stück weit zu deinen Wurzeln zurückgekehrt.

Kalkbrenner: Überraschenderweise ja. Das wird aber niemals das Tageslicht sehen.

Warum veröffentlichst du das nicht? Es war ja die große Befreiung, dass man ohne Druck produzieren konnte.

Kalkbrenner: In der Zeit hat es seine Funktion erfüllt. Ob da eine Menschwerdung im Sinne einer Veröffentlichung notwendig ist – ich sag’ mal so: Der Schuh drückt gerade nicht.

Koletzki: Ich möchte nochmal was zu dem Auftrittsstopp sagen. Das hatte auch etwas Gutes bei mir. Zu dem Zeitpunkt habe ich zwölf Gigs im Monat gespielt – und das seit bereits zehn Jahren. Dann konnte man nicht mehr auftreten, und ich habe mich gefragt: „Ey, fuck, was machst du hier eigentlich?” Ich habe dann beschlossen, dass ich weniger auftreten und mir mehr Zeit für mich selbst nehmen werde, sobald die Pandemie vorbei ist.

Was ist aus der Zeit vor der Pandemie geblieben? 

Koletzki: Wenn man sich in diesem Hamsterrad bewegt, dann macht das auch Spaß. Ich war schon Raver, bevor ich ein bekannter Musiker wurde. Ich fahre schon seit Ende der Neunziger zur Fusion, dieses Jahr war meine zwanzigste. Ich bin wirklich ein kleines Raverlein. Ich bin auch nicht nur zu Auftritten gefahren, um meinen Job zu machen, sondern auch, weil ich den ganzen Zirkus gelebt habe. Weil ich es mag, Leute zu sehen, wie sie sich gehen lassen. Aber das geht nicht immer so weiter.

Wie gehst du an ein Set, wenn es nicht eines von zwölf, sondern vielleicht eines von zweien ist?

Koletzki: Ich bin da sehr krass. Wenn ich ein Set mache, muss das aus mindestens 50 Prozent unveröffentlichten Tracks bestehen. Ich höre jeden Freitag Promos und kaufe Tracks. Das ist mir nach wie vor wichtig. Das macht keinen Unterschied. Ich möchte, dass die Leute nur das neueste Zeug hören.

Hast du auch mehr Lampenfieber?

Koletzki: Früher war ich sehr aufgeregt. Man konnte mich zwei Stunden vor dem Gig gar nicht ansprechen. Die letzten Jahre ist das natürlich zurückgegangen, aber es ist immer noch da. Sonst würde es auch keinen Spaß machen.

Ich brauchte eine Weile, um mit dem, was ich auf der Bühne gemacht habe, zufrieden zu sein.

Fritz Kalkbrenner

Fritz, wie war dein Übergang zum Live-Act?

Kalkbrenner: Schleichend. Das erste Mal auf der Bühne war im Zusammenhang mit Zky, meinem Produktionsmentor vom House-Label Cabinet Records. Das war mit sehr vielen Zahnschmerzen verbunden. Ich hatte immer eine große Klappe und habe behauptet, dass ich das könnte. Das war zu dem Zeitpunkt noch gar nicht bewiesen. Ich musste genötigt werden, auf die Bühe zu gehen. Dann ging es irgendwie.

Irgendwas scheint dich aber daran gereizt zu haben. Du hast ja nicht aufgehört.

Kalkbrenner: Die Vermutung, dass der Schmerz weniger wird. Ich brauchte eine Weile, um mit dem, was ich auf der Bühne gemacht habe, zufrieden zu sein. Es war aber auch im Studio nicht anders als auf der Bühne. Ich war damals mit Zky und Daniel P. im Studio. Als es dann Zeit war für die Aufnahme, habe ich die beiden rausgebeten. Ich habe die Aufnahme im Studio selbst gestartet, bin in die Booth gegangen, habe es eingesungen und bin dann wieder zurückgegangen, um die Aufnahme zu stoppen. Das war mir einfach viel zu peinlich. Die beiden haben es aber kopfschüttelnd mitgemacht, und das Ergebnis war auch ganz passabel.

In früheren Stadien der Karriere hat man teilweise Berührungsängste aus irgendwelchen verklausulierten Gründen, die so nicht existent sind.

Fritz Kalkbrenner

Wie steht es eigentlich um eure gemeinsame Zusammenarbeit? Vielleicht zuallererst: Wie habt ihr euch überhaupt kennengelernt?

Kalkbrenner: Von 2010 bis 2016 habe ich auf dem Label Suol veröffentlicht. Dort gab es einen Studio- und Label-Komplex, in dem auch Oli ein Studio hatte. Man kannte sich einfach, und dann ist hier mal ein Remix, da mal ein Feature entstanden. Aus dieser Zeit kennen wir uns. Bei unserem jetzigen Track „Heart On Hold” ging alles sehr schnell. Ich war selbst im Studio, als das Instrumental von Oli reingekommen ist. Ich habe dann den Text geschrieben, und dann haben wir das Ganze auf die Beine gestellt.

Koletzki: Ich hatte Fritz schon immer auf dem Schirm. Bei jedem Album singen bei mir mehrere Vokalisten. Das ist Tradition. Besonders bei den letzten Alben habe ich gemerkt, dass ich tiefe Männerstimmen mag. Früher hätte ich mich nicht getraut, ihn zu fragen, weil ich dachte, dass das zu sehr Namedropping sei. Aber jetzt, zum zehnten Album, dachte ich, dass man das machen kann. Zwei Weggefährten, die einen Track zusammen machen – im Endeffekt fand ich es einfach süß.

Kalkbrenner: Und dann ist ja der Idealfall eingetreten, weil die Zusammenarbeit wie ein Ping-Pong-Spiel hin und her ging. Ich weiß aber, was du meinst, Oli. In früheren Stadien der Karriere hat man teilweise Berührungsängste aus irgendwelchen verklausulierten Gründen, die so nicht existent sind. Glücklicherweise kommt man irgendwann an einen Punkt, an dem man das ablegen kann und sich auf das Produkt konzentriert.

Oliver: (lacht) Produkt aka künstlerisches Werk.

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