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Die Platten der Woche mit DJ Autopay, DJ bwin, Priori & Al Wootton, Space Dimension Controller und Spekki Webu

DJ Autopay – Bumpers (T4T LUV NRG)

Ein sehr spezielles Kleinod von einer EP. Wichtigster Track ist sicherlich „More Femme, More Masc”, ein Vocal-dominiertes Garage-House-Stück mit queerer, nonbinärer Thematik, von Russell E. L. Butler während der Pandemie als Interpretation von sowohl Tracy Chapmans „Fast Car” als auch Nice & Smooths „Sometimes I Rhyme Slow” konzipiert. Heraus kommt freilich etwas sehr Eigenes, das schwer zu beschreiben ist. Am besten selbst anhören.

Die restlichen drei Instrumental-Tracks, „Trope 1” bis „Trop 3”, sind dann Hommagen an die Mitt-Neunziger-Hochzeit klassisch amerikanischer House-Musik. Und damit mithin perfekte DJ-Tools. Tim Lorenz

DJ bwin – Cell Phone (First Second Label)

DJ bwins „Cell Phone” ist ein so zutiefst hypnotischer wie minimalistischer Bass-Track, der sich in immer wiederkehrenden Wellen tief in die Gehörgänge fräst. Dabei bezieht er seine Magie ganz aus dem Zusammenspiel von angezerrtem Bass und sehr zurückgenommenem Percussion-Loop. Dazu ein paar unverständliche Stimmfetzen, fertig. ELLLs Voicemail-Remix glättet die Welle und ersetzt sie durch ein paar Ecken, Kanten und Abzweigungen. „Psycho” (der Tracktitel, der die Stimmung dieser EP am genauesten beschreibt) ist ein Traktor von einem Track, der holpernd über den ungepflügten Acker brummt. Bleibt als Abschlussstück „Frogger”, der Track, der sich wohl am ehesten in gewöhnliche Bass- und Dubstep-Strukturen einordnen lässt – ein Vocal-Chop-dominierter Halfstep-Track nämlich, der tief im Subfrequenz-Ozean fischt. Tim Lorenz

Priori & Al Wootton – FLAW EP (Trule)

Selten war der Titel eines Technotracks so suggestiv wie der des Openers dieser EP – „The Bell With The Wooden Tongue”. Yeah, genau so könnte sie klingen, die Glocke mit der hölzernen Zunge. Und es ist hier bewusst die Rede von Techno, denn kein anderes Genre wäre angebracht, auch wenn die drei Stücke mit geradem Beat unter der derzeit hippen 130-BPM-Grenze grooven. Entscheidend ist für Priori & Al Wootton aber nicht das Erfüllen von Fancyness, sondern ein klares Klangkonzept mit hohem Abstraktionsgrad, das für wunderbare Four-to-the-Floor-Beats sorgt, die gleichzeitig maschinell und lässig schlurfend auftreten. Mit darüber liegender Percussion, die trotz eindeutig synthetischer Generierung etwas Organisches – hier: nach subtropischem Regenwald Klingendes – hat. Nur der dritte Track fällt aus der Reihe: „Seclusion” führt zwar den Sound der EP zwar stringent weiter, groovt aber auf 166 drum’n’bass-typischen BPM spannungsgeladen, doch kontrolliert-energetisch und komplett unhysterisch der Dunkelheit entgegen. Mathias Schaffhäuser

Space Dimension Controller – Na Púcaí (Hypercolour)

Es liegt eine schwere Melancholie über diesen acht neuen Stücken von Space Dimension Controller, und doch fühlen sie sich ungemein leicht an. Mit seiner grellbunten, aber getragenen Klangsprache schafft Na Púcaí – benannt ist die EP nach übernatürlichen Wesen aus der irischen Mythologie – eine gewisse Ambivalenz, die mit dem Begriff „Retrofuturismus” nur ungenügend umschrieben wäre. Weder emulieren die hochglänzenden, bisweilen sogar gleißenden Synthesizer-Sounds einschlägige Achtziger-Ästhetiken, noch setzt Jack Hamill auf etablierte Rhythmen.

Selbst wenn sich die potenziell kürzer ausfallenden Tracks auf die Formeln bestimmter Genres – Detroiter Electro ist ein Haupteinfluss, Techno der späten Minimal-Ära ein weiterer – stützen, haben sie doch ihren ganz eigenen Antrieb. Zwischendurch lässt Hamill das rhythmische Grundgerüst seiner Musik sogar komplett zerfasern, versperrt sich sehr bewusst den Konventionen des Dancefloors. In Kombination mit den sphärischen Harmonien und elegischen Melodien ergibt das eine unbändige Spannung, die der Produzent immer wieder gekonnt neu inszeniert. Kristoffer Cornils

Spekki Webu – Kept In Reality (Seismic)

Schnell, und doch so langsam: die neue EP des Niederländers Spekki Webu experimentiert anregend mit diversen Tempi. „Die Veröffentlichung ist ein Spiegelbild meiner musikalischen Vergangenheit, kombiniert mit Fieldrecordings aus den letzten zwei Jahren. Mir schwebte eine Verbindung aus tieferen, abstrakteren Dancefloor-Tracks und experimentellem, rhythmischem Noise vor. Eine Mischung aus Tribe, Goa, Techno, Ambient und Drone”, verrät der Produzent aus dem west-niederländischen Städtchen Delft selbst zu seinem neuesten Release, das gleichzeitig den Start des Labels Seismic Rec. aus der tschechischen Stadt Hradec Králové markiert.

Vier Tunes, zwei schnell einpeitschende, zwei vertrackt schwebende. Alle unerbittlich, absorbierend, nach großem Soundsystem schreiend. Sie würden wunderbar in ein Set ihres Schöpfers passen, denn auch als DJ spannt Spekki Webu gern den Bogen von eiligem Trance und Techno zu abstraktem, den Flow überraschend unterbrechendem Industrial-Drone. Eine wundersam ausgefallene EP, aus der sich auch nach mehrmaligem Hören frische psychedelische Nuancen schälen. Michael Leuffen

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