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„Das Tier Im Dschungel”: Warten ohne Höhepunkt

Es wird gerne gewartet in der Kunst. Worauf? Genau darin liegt das existenzphilosophische Potenzial: der Mensch als Wesen, das wartet, anstatt zu leben, oder das lebt, um zu warten. So oder so, es ist kompliziert. In Samuel Becketts absurdem Theater warten sie auf Godot und werden täglich auf den nächsten Tag vertröstet. Beim frühromantischen Maler Caspar David Friedrich, von dessen Gemälde Mann und Frau in Betrachtung des Mondes sich Beckett inspirieren ließ, tun Mann und Frau, was der Titel verspricht: sie betrachten den Mond. Wartend worauf?

Auch der in Wien geborene und in Paris lebende Regisseur Patric Chiha erzählt in seiner Parabel Das Tier im Dschungel vom Warten und verhandelt ganz nebenbei ein Vierteljahrhundert Welt- und Clubgeschichte. Inspirieren ließ sich Chiha von der Kurzgeschichte The Beast in the Jungle des amerikanisch-britischen Schriftstellers Henry James aus dem Jahr 1959. Im Gegensatz zur Vorlage, die zu großen Teilen in einem Londoner Haus spielt, verlässt die filmische Neuinterpretation einen Pariser Club ohne Namen, wie es zu Beginn heißt, nur für wenige Augenblicke.

Eine geheimnisvolle Türsteherin (Béatrice Dalle) mit schwarzer Kutte entscheidet, wer hereindarf, und fungiert nebenbei als Erzählerin aus dem Off. Drinnen tobt im Jahr 1979 der karnevaleske Exzess. Aus den Boxen dröhnt Disco-Sound, während Paradiesvögel mit Federkopfschmuck oder Glockenhut den koksgeschwängerten Dancefloor bevölkern.

„Expressiv, lebensfroh, tanzwütig und geschmackvoll gestylt bis in die Haarspitzen”. (Foto: GRANDFILM)

Hier treffen sie sich wieder: John (einmal mehr toll: Tom Mercier) und May (fantastisch: Anaïs Demoustier). Die beiden sind wie Yin und Yang: er hünenhaft, wortkarg, tanzscheu und modisch, mit einem ollen roten Rollkragenpullover eher einfach gestrickt, sie expressiv, lebensfroh, tanzwütig und geschmackvoll gestylt bis in die Haarspitzen. Sie steckt ihm vor der Toilette zwei Francs zu, damit er den Toilettenmann Monsieur Pipi (Pedro Cabanas) bezahlen kann. Sie sagt, sie kenne ihn, er sei der Junge, der ihr bei einer Serenade vor Jahren sein Geheimnis verraten habe.

Der Club verändert sich

Und dieses Geheimnis ist es, das dieses unwahrscheinliche, aber in dieser Unwahrscheinlichkeit hinreißende Leinwandpaar auf Jahre zusammenschweißt. Worum es sich dabei konkret handelt, erfahren wir nicht. Nur so viel: John glaubt mit voller Überzeugung, dass ihn ein alles veränderndes Ereignis ereilen wird, etwas Großes, dem er sein Leben unterordnet. John wartet, und May, der einzige Mensch, der an sein Geheimnis glaubt, fortan mit ihm. Als sie ihren 25. Geburtstag im Club feiert, in der Nacht einer Mondfinsternis, vereinbaren sie, sich so lange jeden Samstag ebendort zu treffen, bis das Ereignis eintrifft.

Die Jahre vergehen, fließen ineinander in dem Club, in dem Zeit und Raum immer bedeutungsloser werden. Während am Rande Ereignisse wie der Wahlsieg des sozialistischen Staatspräsidenten François Mitterrand, der Tod des Countertenors Klaus Nomi, die grassierende AIDS-Welle, der Mauerfall oder die Terroranschläge von 11. September 2001, die teils über Röhrenfernseher flimmern, das Geschehen historisch verorten, verändert sich auch der Club.

Tanzen und tanzen und tanzen und tanzen. (Foto: Anna Falgueres)

Auf den queeren Discoglitter folgen New Wave und eine housige Party in Rot am Silvesterabend des Jahres 1985. Der Raum wird dunkler, zerschnitten durch Laserstrahlen. „Man muss tanzen, das kann einem niemand nehmen”, heißt es. In den Neunzigern scheppert Techno aus den Boxen, die Meute versammelt sich um den DJ, um die Jahrtausendwende sind die Gruppentänze der Discozeit endgültig eskapistischer Vereinzelung gewichen, während „Sonic Empire (Short mix)” von Members of Mayday dröhnt. Er habe, erzählt der Regisseur im Interview, während des Drehs viele Clubs in Berlin besucht und sich für einige Szenen von seinen Eindrücken im Berghain inspirieren lassen. Komponiert und arrangiert wurde die filmmusikalische Reise von Yelli Yelli, Renzo S und Miles.

Warten auf das Unbekannte

Das Tier im Dschungel spinnt eine Erzählung über 25 Jahre, von 1979 bis 2004. Alles ist in Veränderung begriffen, Freunde sterben, May trennt sich von ihrem langjährigen Partner, dem sie immer gesagt hat, dass das mit John nichts mit Liebe zu tun habe. Aber die beiden bleiben, wo sie sind, und folgen ihrer Besessenheit: Warten auf das ersehnte Unbekannte. Erst stehen sie noch auf der Tanzfläche, später sitzen die beiden auf dem Balkon, zwei dunkle Gestalten in einer dunklen Ecke, und beobachten die Tanzenden. Dort das Leben, hier der (vermeintliche) Stillstand und die (Un-)Möglichkeit, ein Liebespaar zu werden.

„Ich mag es, wenn das Leben wie ein Roman ist”, sagt May einmal. Der Satz steht Chihas Film gut, denn Das Tier im Dschungel erhebt die überhaupt nicht banale Banalität des Wartens mit den teils betont weichgezeichneten, traumhaften Bildern von Kamerafrau Céline Bozon zu einer filmischen Erzählung, in der die Leerstelle, der berühmte Elefant im Raum, zur Projektionsfläche wird: Vergeuden May und John ihr Leben? Ist das ihr tieferer Sinn oder ist es Unsinn?

Träumen gegen die Wirklichkeit. (Foto: Elsa Okazaki)

Einerseits steckt eine große Tragik in diesem Film. Zugleich hat diese Zweisamkeit aller Vernunft zum Trotz auch etwas Utopisches, steht sie doch für das Träumen gegen die Wirklichkeit. Davon, dass dem Club und der Musik ein utopisches Potenzial innewohnt, erzählte erst kürzlich auch Giacomo Abbruzzese in seinem kinematografischen Identitätendiskurs Disco Boy um einen Belarussen bei der französischen Fremdenlegion. Begleitet vom vibrierenden Soundtrack des französischen Techno-Musikers Pascal Arbez-Nicolas alias Vitalic gipfelt der Film in einer Szene im Club, in der ein gemeinsamer Tanz zur Metapher wird für hierarchiefreie, transkulturelle Begegnungen.

Das Tier im Dschungel macht uns mit seiner repetitiven, dramaturgisch ohne große Höhepunkte fließenden Struktur zu Wartenden und wirft uns auf uns selbst zurück. Warten wir auch auf das Tier, das uns aus den Socken haut, oder leben wir (schon)?

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