Das Thema Rammstein fungiert derzeit als Durchlauferhitzer der Gemüter. Zahlreiche Frauen werfen Frontmann Till Lindemann und inzwischen auch Keyboarder Flake sexuelle Gewalt vor. Inmitten dieser Vorwürfe tickert die nächste Schlagzeile durchs Empörium der sozialen Medien. Zwischen Geschrei und Pyroshows im Olympiastadion besuchte Till Lindemann den KitKat Club. Im Anschluss wird Kritik laut, ein Mailwechsel zwischen kritischer DJ und Club-Geschäftsführerin wird öffentlich, weitere DJs rufen zum Boykott auf.
So die Kurzform. In Langform entblättern sich aber pikante Details, wie beispielsweise die von DJ Iva Bodul veröffentlichte Email der Kitkat-Geschäftsführerin Kirsten Krüger, die um Verständnis bittet: „Muss alles doof gelaufen sein, […] Rammstein ist gerade ein schwieriges Thema […], Till Lindemann war ab und an in den letzten Jahren bei uns zu Besuch […], im Club ist niemals etwas geschehen, was fragwürdig war. Oft war auch seine Tochter dabei. […] Ja, schwierig.”
Die Geschäftsführerin tanzte derweil in Worten recht kontemporär um eine Positionierung herum.
In der Tat, schwierig. Nun möchte niemand einem Vater seinen frivolen Clubabend im Beisein seiner Tochter madig machen. Solange sich alles im gesetzlichen Rahmen zuträgt, bitte. Und abgesehen davon gibt es kaum einen Club, der besser zu einem Lustgreis auf hedonistischer Mission passen würde als das Kitkat, handelt es sich doch um die kultige sexpositive Tanzhalle, die zu einem großen Teil mitverantwortlich für die Popularität des kinky Ausgehens ist.
Selbst- und Fremdbild des Clubs scheinen zumindest bei Kirsten Krüger weit auseinanderzuklaffen. Nein, niemand will hier die Pionierleistung in puncto sexpositiver Ausgehstätte in Abrede stellen, die ist in der Nachwendehauptstadt kaum von der Hand zu weisen. Vielmehr geht es um jüngere Geschichte, denn schon einmal fand Krüger „alles schwierig.”
Nämlich als im zweiten Drittel der inzwischen gefühlt vergessenen Corona-Pandemie ein gewisser Captain Future im Kitkat auflegen sollte. Michael Bründel lief mit gelber Heldenmaske gern auf Querdenkerveranstaltungen rum, verharmloste die Shoah, äußerte sich sozialdarwinistisch. So weit, so niederträchtig. Die Geschäftsführerin tanzte derweil in Worten recht kontemporär um eine Positionierung herum, sagte, sie „kenne ihn begrenzt, also eigentlich gar nicht. Er war ab und an im Club und hat auch wenige Male aufgelegt”, und legte nach weiterer Empörung larmoyant nach: „entfreundet & prügelt euch gern. Ist nicht mein Thema.” So weit, so ausweichend.
Safe Spaces als Konzept sind brüchig, weil es nie absolute Sicherheit geben kann, aber der KitKatClub und auch andere sexpositive Spaces in Berlin stehen nicht erst seit gestern in der Kritik, weil sie sich diesem Thema zu wenig widmen.
Auch fragwürdige politische Haltungen sind im KitKat nicht ungewöhnlich. Der Veranstalter, der den Zukunftskapitän 2022 ins KitKat navigieren wollte, relativierte nicht nur dessen Fotos mit Neonazis und AFD-Mitgliedern. Er nahm nach der Kritik auch das KitKat in Schutz. Schließlich habe es der Club „nicht verdient, so behandelt zu werden.” Doch. Genau das hat der Club verdient.
Nicht wegen eines rüstigen Rockers, dessen Kunst und Person, Trennschärfe ungenau, Ausweis von völliger Geschmacksabwesenheit Hunderttausender weltweit sind. Nicht wegen eines Covid-Captains, auch nicht wegen fragwürdiger Nichtdistanzierung. Aber vielleicht wegen der Parallelität dieser Ereignisse mit dem Erleben der Nächte im Club, die Krügers Aussage „Im Club ist niemals etwas geschehen, was fragwürdig war” Lügen strafen und den Begriff des Safe Spaces torpedieren.
Es ist diese Mischung aus Türsteher-Mackertum, mangelnder Aufklärung und keinerlei Safeguarding, die teils völlige Abwesenheit von Anstand und Grenzen, die den Club zum Phantasialand von Solosalamistreichlern werden lässt. Übergriffiges Verhalten gehört sicherlich nicht zum Konzept, ist aber immer wieder Bestandteil und wird auch kaum geahndet – ein Opfer des ultimativen Selbstausdrucks bzw. ultimativ: der Freiheit?
Jedenfalls zeigen sich auch hier die eventuell Berlin-eigene Verschränkung von Kink- und Swingerszene und ihre Bruchlinie. Ein falsches Verständnis von Nahbarkeit und der Frage, wann und wo es angebracht ist, den eigenen Phallus ungefragt zu bearbeiten, trifft auf eine neuere, mit Regelwerk und Safeguarding stärker an der Utopie des Safe Spaces arbeitende Strömung. Safe Spaces als Konzept sind per se brüchig, weil es (leider) nie absolute Sicherheit geben kann, aber der KitKatClub und auch andere sexpositive Spaces in Berlin stehen nicht erst seit gestern in der Kritik, weil sie sich diesem Thema zu wenig widmen. Das Berghain brauchte 18 Jahre, um 2022 endlich ein Awarenesskonzept auf die Beine zu stellen. Veranstaltungen wie Klub Verboten haben dort zum Glück Druck gemacht und neue Standards gebracht.
Niemand soll hier Opfer von Abcancel-Kultur werden. Jeder Ort hat seine Berechtigung und seine Regeln, das KitKat erfreut sich nicht umsonst großer Beliebtheit, nur vielleicht insbesondere in Kreisen, denen gutes Benehmen schlicht egal ist. Oder eben bei Menschen, die ganz „zwanglos” mal auf Tuch- und Netzstrumpfhosenfühlung gehen wollen mit dem, was sie sich unter kinky Club Culture vorstellen. In diese potenziell anstandsbefreite Atmosphäre, gewissermaßen einen Laden von Arschlöchern für Arschlöcher, passt ein Till Lindemann als Stargast dann ganz prächtig. Und Clubgänger:innen wie DJs könnten anfangen, sich zu fragen, ob sie sich mit all dem gemein machen wollen.