Missy ist wahrscheinlich das herausragende feministische General-Interest-Magazin im deutschsprachigen Raum. Wo andere sich auf bestimmte Diskurse und Themen beschränken, gelingt es Missy, diverse Lager einzubinden und zwischen ihnen zu vermitteln. Für das zwölfköpfige Redaktionsteam sind weibliche und queere Emanzipation immer Ausgangspunkt, aber nie Selbstzweck. Immer geht es darum, auch andere politische Kämpfe, etwa in postkolonialen Konstellationen, mit zu thematisieren.
Die Nachricht, dass es mit dem Missy Magazine schon bald zu Ende sein könnte, war für viele ein Schock, und die Erleichterung groß, dass in wenigen Tagen mehr als 1500 Abos zur Rettung des Hefts abgeschlossen wurden. Wir wollten von Mitherausgeberin Sonja Eismann unter anderem wissen, wie es zu der Krise kam und wie die Zukunft von Missy nachhaltig gesichert werden kann.
Ihr konntet in kürzester Zeit 1500 Abonnent:innen gewinnen. Was löst diese Welle der Solidarität in dir aus?
Sonja Eismann: Ich bin sehr überwältigt von diesem Support, das ist großartig. Allerdings sind wir damit noch lange nicht über den Berg, damit kann nur die größte unmittelbare Finanzlücke überbrückt und ein Aus abgewendet werden. Am Montag geht es dann mit neuen Aspekten der Kampagne in die nächste Runde.
Wie geht es jetzt weiter?
Wir haben den ersten Schwung an Abos geschafft, die für uns jetzt in diesem Moment überlebenswichtig waren. Nun konzentrieren wir uns auf unser mittel- und langfristiges Ziel, Missy auf einen soliden finanziellen Boden zu stellen, mit allen uns verfügbaren Mitteln. Damit wollen wir einerseits unsere gestiegenen Ausgaben bezahlen, andererseits die weggefallenen Abonnent:innen, die sich das Abo wegen gestiegener Lebenshaltungskosten bzw. Inflation nicht mehr leisten können, ausgleichen. Neue Abos sind da nach wie vor die allerwichtigste Komponente, aber natürlich sind auch Anzeigenkund:innen oder Spenden willkommen.
Warum hat sich die Lage überhaupt so zugespitzt, dass ihr die Kampagne begonnen habt?
Wir waren selbst überrascht – zunächst davon, dass die Krisen der Gegenwart uns weniger als erwartet zu berühren schienen, weil wir dank einer treuen Leser:innenschaft und einem weiterhin großen Interesse an feministischen Themen gut weitermachen konnten. Und weil wir zu Beginn der Pandemie auch sofort gegengesteuert hatten. Dann kam der große Schock, als wir vor wenigen Tagen beim jährlichen Finanzcheck gemerkt haben, dass die Summe der uns ganz konkret betreffenden Krisen – neben Inflation und steigenden Papier- und Transportkosten musste unsere Druckerei Insolvenz anmelden und unser Aboservice hat dicht gemacht – ein riesiges Loch in unser Budget reißen wird, wenn wir nicht sofort handeln. Unsere Reserven waren fast komplett aufgebraucht. Ohne die 1500 Abos wären wir tatsächlich vor dem finanziellen Aus gestanden, dann wären unsere monatlichen Einnahmen deutlich geringer als unsere Ausgaben. Und wir haben natürlich, anders als große Verlage, keine solventen Kapitalgeber:innen im Rücken, die bei roten Zahlen Geld zuschießen können.
Wie hat sich die Beziehung zu euren Leser:innen in den letzten drei Jahren verändert?
Unsere Beziehung zu den Leser:innen war schon immer eine sehr enge, würde ich behaupten, weil uns allen feministische Solidarität wichtig ist und wir in einem ständigen Austausch stehen. Wir finden es großartig, von unseren Leser:innen lernen zu können, auf neue Themen hingewiesen zu werden oder auch mit wichtiger Kritik konfrontiert zu werden, wenn wir etwas nicht so gut hingekriegt haben. In den letzten Jahren ist der Austausch sicher noch einmal intensiver geworden, weil wir unsere Social-Media-Aktivitäten kontinuierlich ausgebaut haben und so der Kontakt noch einfacher geworden ist. Zudem gibt es in den nachwachsenden Generationen einen noch viel selbstverständlicheren Zugang zu feministischen Themen, was uns natürlich sehr freut.
Zur Zeit werden viele Magazine und Zeitschriften eingestellt. Auch Theater, Kinos und Clubs haben zu kämpfen. Wenn man sich eure Anzeigenkunden anschaut, sind neben Filmverleihern und Buchverlagen hauptsächlich Akteure mit staatlicher Förderung vertreten. Was ist eure Überlebensstrategie als unabhängiges Magazin?
Wir setzen in erster Linie auf Abos, weil es unser Ideal ist, dass ein Magazin von denen getragen wird, die es machen und lesen, und auf solidarische Anzeigenkund:innen, deren „Produkte” – wie du bereits sagst: Bücher, Filme, Theaterstücke et cetera – sowieso gut zu uns passen. Für große Kosmetik- oder Luxusbrands sind wir nicht relevant, weil sie bei uns nicht das Umfeld vorfinden, in dem sie ihre Waren gerne sehen wollen. Wir sind zu politisch und zu kritisch – und haben keine Massenauflage.
Euer Digitalabo ist teurer als das Printabo. Verglichen mit vielen andere Magazinen seid ihr im Print günstig, während viele andere ihre digitalen Inhalte kostenlos anbieten. Warum geht ihr den umgekehrten Weg?
Weil wir alle in die Idee von Printmagazinen verliebt sind – und weil wir von Leuten gelesen werden, die das genauso sehen. Natürlich konsumieren wir auch alle digitale Medien und sind Fans von vielen. Aber da wir einen starken Fokus auf eine prononcierte feministische Grafik-Ästhetik haben, ist es uns sehr wichtig, dass man Missy auch in der Hand halten, durchblättern und die vielen tollen Fotos und Illus in ihrer gedruckten Materialität bestaunen kann. Wir haben uns an einem bestimmten Punkt in unserer Geschichte dafür entschieden, die Mehrzahl der Artikel hinter eine Paywall zu setzen – aus finanziellen Gründen, aber auch aus Respekt vor der tollen Arbeit unserer Autor:innen, deren Storys wir nicht einfach verschenken wollen. Unser Print-Abo ist relativ billig, weil viele unserer Leser:innen in prekären finanziellen Situationen leben – wie wir selbst ja auch – und wir trotzdem diese Form der Teilhabe ermöglichen wollen. Feminismus ist immer noch ein Risikofaktor für relative Armut – die spendable feministische Millionärin, die großzügig unseren kompletten Verlag finanziert, haben wir nach all den Jahren leider immer noch nicht gefunden.
Hat euer Überlebenskampf als Magazin etwas mit dem Kampf gegen das Patriarchat zu tun? und wenn ja, was?
Jede Form von Feminismus ist ein Kampf gegen das Patriarchat. Also natürlich nur, wenn es ein Feminismus ist, der diesen Namen auch verdient. Daher sehen wir uns natürlich in diesem Kontext. Aber es ist ja auch ganz konkret so, dass die meisten Medien(konzerne) immer noch von Männern geleitet und daher auch durch deren männliche World View geprägt werden, mit allen unangenehmen Folgen, wie wir sie etwa bei den Springer-Medien gesehen haben. Wir wollen nicht nur durch unsere Themen, sondern auch durch unsere Struktur und unseren Umgang miteinander gegen diese Art von Journalismus antreten. Wir sind natürlich winzig klein im Vergleich zu patriarchal-kapitalistisch geprägten Medienriesen – aber das Feedback, das wir auf unsere Kampagne bekommen, ermutigt uns und ist jetzt schon gigantisch!