Das allgemeine Feedback zur Rave-The-Planet-Parade am 8. Juli war ambivalent. Während sich viele von der ausgelassenen Stimmung auf der Straße des 17. Juni in Berlin-Tiergarten mitreißen ließen, vermissten andere den Umzug durch Straßenzüge Charlottenburgs und DJs, die an der Siegessäule alle Floats synchron beschallten. Wir wollten wissen, wie die Macher:innen ihre Parade sehen und an was für einem Punkt sie jetzt stehen.
Gegenüber GROOVE äußerten sich Geschäftsführer Timm Zeiss, Sebastian Wischmann, Verantwortlicher für Umweltbildung, und Ellen Dosch-Roeingh, Creative Director & Head of PR, zur Gegenwart und Zukunft von Rave The Planet.
Im Ganzen ist das Team rund um Dr. Motte und Ellen Dosch-Roeingh sehr zufrieden mit dem Verlauf der Parade. „Sehr gut in Erinnerung bleiben mir die fast ausnahmslos strahlenden Gesichter der Teilnehmenden. Wir hatten ein wunderbar gemischtes und diverses Publikum”, erklärt Dosch-Roeingh am Telefon.
Hervorzuheben sei, dass die Parade sehr friedlich geblieben sei und es keine größeren Dramen gegeben habe. Trotz einiger Unfällen, Krankenhaustransporten und einem Vorfall am Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas sei das Ausmaß für einer Veranstaltung dieser Größenordnung im Rahmen.
Allerdings sollten Besucher:innen aufhören, auf Laternen zu klettern, sagt Dosch-Roeingh. Nicht nur bringen sie sich selbst in Gefahr, sondern auch Mitmenschen. Eine Frau habe sich bei solch einer Aktion schwer verletzt und befinde sich noch immer im Krankenhaus (Stand 12. Juli). Das „Promoten” dieser waghalsigen Aktionen über Social Media trage zudem nicht gerade zu einer Abschreckung bei.
Immer wieder wurde bedauert, dass die Demonstration nur auf dem 17. Juni stattfand und nicht wie im Vorjahr durch Charlottenburg führte. „Angeblich sind bei uns zu viele Leute, die Straßen Berlins könnten diese Massen nicht fassen”, gibt Dosch-Roeingh dazu die Haltung der Polizei wieder. Der CSD darf aber mit seinen 300.000 Besucher:innen durch die Stadt ziehen. „Dazu sagt die Polizei: Das Verhalten der Teilnehmer:innen beim CSD sei vollkommen anders als das unserer Besucher:innen. Jegliche Versuche unsererseits, eine Route durch die Stadt zu finden, wurden mit dieser Argumentation abgewehrt.”
Am Ende des Tages müsse es fair bleiben
Trotz gelungener Parade befindet sich die Rave The Planet gGmbH in einer schwierigen Lage. Bis zwei Tage vor dem Umzug stand sie auf dem Spiel, weil der Sanitätsdienst der Malteser nicht die erwartete Zusage gegeben hatte, wie diverse Medien in der vergangenen Woche meldeten.
„Alle Versuche, in der gebotenen Eile einen adäquaten Ersatz zu organisieren, schlugen fehl. Das war auch einem Boykottaufruf der Berliner Hilfsorganisationen zuzuschreiben”, hatte es in der Pressemitteilung vom 12. Juli geheißen. „Dafür haben wir diverse Beweise aus unterschiedlichen glaubwürdigen Quellen vorliegen”, unterstreicht Dosch-Roeingh.
Erst in letzter Minute konnte man mit dem privaten Sanitätsdienst MOL Medical einen Ersatz finden. Dieser konnte mit dem vorhandenen Budget für den Sanitätsdienst in Höhe von 40.000 Euro aber nicht bezahlt werden. „Die Malteser sind ein nichtkommerzieller Hilfsdienst, der mit vielen ehrenamtlichen Helfer:innen arbeitet”, erklärt Dosch-Roeingh weiter.
Das Kostenangebot vom Sanitätsdienst MOL war mit 150.700 Euro hingegen deutlich höher angesetzt. Eine Differenz, die für die Veranstalter:innen nur schwer zu stemmen war. Deshalb organisierten sie einen GoFundMe-Spendenaufruf, in dem sie um finanzielle Unterstützung zur Bezahlung des Sanitätsdienstes baten. Hier kamen bis zum 14. Juli bei circa 1800 Spenden 24.171 Euro zusammen. Zuvor waren über PayPal 53.296 Euro und über das RTP-Girokonto 15.491,86 Euro zusammengekommen, insgesamt also 91.510 Euro.
Leider blieb es auf der Kostenseite aber nicht bei den 150.700 Euro, fügt Dosch-Roeingh hinzu. Nach der Parade gab es von Seiten des Sanitätsdienst MOL Medical eine neu berechnete Kostenauflistung in Höhe von 212.382,57 Euro. Eine genaue Aufschlüsselung der Kosten wird im Zuge der Nachbereitung noch veröffentlicht, versichert Dosch-Roeingh. „Totale Transparenz ist uns wichtig.”
Die höheren Realkosten seien vor allem dem Umstand geschuldet, dass die Hilfeleistungen weit über Mitternacht hinausgingen, weil insbesondere in den späten Abendstunden die Auslastung des 17. Juni auf bis zu 100 Prozent zunahm. Hinzu kämen Übernachtungskosten in Höhe von 7.984,00 Euro, weil in Berlin zum Teil keine Mitarbeiter:innen zu finden waren. So ergibt sich eine Gesamtsumme von 220.366,57 Euro. Abzüglich der eingegangenen Spenden und dem vorgehaltenen Budget für den Sanitätsdienst ergibt sich eine Differenz in Höhe von 88.855,71 Euro.
Eine Finanzlücke, die geschlossen werden müsste, sollte Rave The Planet auch im Jahr 2024 stattfinden. Zudem hätten die Veranstalter:innen auch laufende Kosten für etwa drei Halbtagsangestellte. Es müsse also auch Geld für die Zukunft vorhanden sein, so Dosch-Roeingh.
Für einen finanziellen Ausgleich würde neben den Spenden auch der Verkauf von Soli-Shirts oder die Supporter Series, in der Rahmen Künstler:innen wie etwa 2raumwohnung die Einnahmen bestimmter Musikstücke spenden, nicht reichen. Auch stehen die Einnahmen aus dem Getränkeverkauf an der Paradestrecke nicht zur Verfügung, sie fließen an den Bezirk und dienen zur Deckung von dessen Kosten, etwa für die Polizei. RTP bekomme nur einen kleinen Anteil für das Aufstellen der Stände.
Neben der Finanzierung ist das zweite Sorgenkind der Parade der Müll. Nach der Parade hat die BSR 165 Tonnen Müll eingesammelt – 30 Tonnen mehr als im Vorjahr. Dabei ist der Müll, der im Tiergarten hinterlassen wurde, noch nicht mit eingerechnet. Für die Beseitigung dieses Mülls ist das Bezirksamt Mitte zuständig. Den haben laut Sebastian Wischmann, Verantwortlicher für Umweltbildung bei Rave The Planet, 63 ehrenamtliche Helfer:innen beseitigt. Das waren sogar 13 Helfer:innen mehr als im letzten Jahr. Aufgrund der starken Hitze hätte man am Sonntag allerdings frühzeitig aufgehört Müll zu sammeln. Auch die Bereitstellung von Essen und Getränken habe der Erschöpfung der fleißigen Helfer:innen nicht entgegenwirken können.
So seien am Sonntag Nachmittag im Park noch haufenweise Essensreste, Plastikbecher, Flaschen und Scherben zu finden gewesen, hieß es laut RBB aus dem Bezirksamt Mitte. Deshalb haben die von Wischmann angeführten Helfer:innen sich am Mittwoch nochmal zum Aufräumen im Tiergarten getroffen.
Allerdings sieht Wischmann die Verantwortung für den Müll nicht allein bei Rave The Planet.
„Die Müllproduktion und der Umgang mit diesem ist ein Problem für die Zivilgesellschaft”, fügt er hinzu. Man müsse auch ein Bewusstsein bei den Menschen dafür schaffen. „Wir wollen Teil der Lösung sein.” Dafür sei er auch in ständigem Austausch mit dem Grünflächenamt, der Berliner Stadtreinigung und den „Kehrenbürger:innen”.
Das Verbot von Glasflaschen und Einwegbechern habe offensichtlich nicht funktioniert. Das läge auch am unkontrollierbaren Straßenhandel. In Zukunft wolle man noch mehr mit Pfandsystemen arbeiten und so vielleicht Anreize schaffen. Das Aufstellen von mehr Containern und Abfallbehältern helfe jedenfalls kaum. Dennoch zieht Wischmann auch hier ein positives Fazit. „Die Flächen sind deutlich weniger eingesaut. Auch das Wildpinkeln hat erheblich abgenommen.”
In der Pressemeldung nach der Parade stand eine seltsame Formulierung. „Mit Blick auf ggf. erwartbare Differenzen des vorhandenen Budgets, der Spendenbeträge und des Gesamtaufwands gab es Einstandsankündigungen aus dem Kreise der Gesellschafter”, hieß es da. Das Wort Einstandsankündigung überrascht in diesem Zusammenhang. Mit einer Einstandsankündigung stellt sich normalerweise ein:e neue Mitarbeiter:in in einem Betrieb vor.
Timm Zeiss, Geschäftsführer von Rave The Planet, klärte im Telefongespräch auf. „Es ist so, dass wir uns im Gesellschafterkreis [meint den Kreis der Eigentümer:innen von Rave The Planet, d.Red.] absichern müssen. Damit wir keine Verbindlichkeiten eingehen, die wir später nicht bedienen können.”
Am Ende sei alles teurer geworden als angenommen. Einige Kosten mussten überschlagen werden, eine „Kalkulation unter Zeitdruck” also. Ursprünglich wäre ein Fehlbetrag von 20.000 Euro errechnet worden. Das wäre machbar gewesen. Aber selbst dann hätte das Geld irgendwo gefehlt, so Zeiss weiter.
Der Sanitätsdienst habe Rave The Planet zwar finanziell „reingerissen”, dessen Kosten seien aber „plausibel und nachvollziehbar kalkuliert”. Er hätte an der Parade kaum etwas verdient, auch weil die Firma viele Unteraufträge an andere Dienste verteilt hätte. Alle hätten einen super Job gemacht und „Unmenschliches geleistet”, zeigt sich Zeiss merklich beeindruckt. Aber am Ende des Tages müsse es fair bleiben. Dennoch ist unklar, wer auf den Kosten sitzenbleibt.
So sei die Zukunft noch ungewiss, aber dennoch sei Zeiss „heilfroh” über die Entscheidung gewesen, Rave The Planet stattfinden zu lassen. Schließlich wäre der Schaden noch viel größer geworden, wenn die Parade nicht stattgefunden hätte. „Jetzt wollen wir einen stabilen Sanierungsweg eingehen”, kündigt Zeiss selbstbewusst an. Was ihm dabei vorschwebt, ist an diesem Punkt allerdings noch nicht absehbar.