burger
burger
burger

African Acid Is The Future: Ein Refugium des Selbstausdrucks und des Vergnügens

Das Durchlüften Festival 2023 wird am Donnerstag, den 13. Juli, mit einer musikalischen Hommage an die Anfang des Jahres verstorbene „Königin der Mbira”, an Stella Chiweshe, eingeläutet. Die aus Simbabwe stammende Musikerin tourte seit den 1980er Jahren um die Welt und nahm mit ihrer Musik über sieben Alben auf. Mit der Mbira, einem traditionellen Zupfinstrument der Shona, das seit tausenden Jahren fast ausschließlich von Männern gespielt wird, avancierte sie zu einer international bekannten Botschafterin ihres Volkes.

Musikalisch Abschied nehmen an diesem Abend neben Chiweshes’ Tochter Virginia Mukwesha-Hetze unter anderem auch AWA Khiwe und die Band Merope. Den feierlichen Abschluss der Auftaktveranstaltung übernimmt das DJ-Duo Maryisonacid und Dauwd mit einem b2b-Set im Schlüterhof. Unter dem Namen African Acid Is The Future (AAITF) veranstaltet das Kollektiv rund um Maryama Luccioni zusammen mit Freund:innen eine beliebte Clubnacht und ein eigenes Label. Nicht nur in Berlin, sondern weit über die europäischen Grenzen hinweg erfreut sich die von Luccioni gegründete Partyreihe großer Beliebtheit.

Die Musik, deren Spektrum von diversen afrikanischen Stilen hin zu House und Techno reicht, ist kaum in Worte zu fassen. Ihre Funktion umso eindeutiger: Sie soll die Menschen zum Tanzen bringen. Die erste Veröffentlichung auf ihrem Label trägt den französischen Titel Ambiance I und basiert auf einem magischen Abend mit einer Live Performance mit Ogoya Nengo in der Loftus Hall in Berlin. Durch einen technischen Defekt allerdings gingen die Aufnahmen verloren. In gemütlicher Runde bei gutem Essen entstand 2021 schließlich im Nachgang die erste von bisher zwei veröffentlichten Platten.

Ambiance I ist eine Doppel-LP mit jeweils zwei Live Performances der kenianischen Dodo-Sängerin Ogoya Mengo & The Dodo Women’s Group sowie Stella Chiweshe. Auf der Rückseite befinden sich Remixe von Wolfonacid und Dauwd. Was zu Hause auf dem Plattenteller liegt, fügt sich genauso in ihre Live-Shows ein: eine musikalische Brücke zwischen den Ursprüngen von Musik und der heutigen elektronischen Sound. Wir haben mit Maryama Luccioni alias Maryisonacid über ihre musikalische Prägung, die einzigartige Atmosphäre von AAITF und die Traditionen, die in der Musik weiterleben.Ambiance I ist eine Doppel-LP mit jeweils zwei Live Performances der kenianischen Dodo-Sängerin Ogoya Mengo & The Dodo Women’s Group sowie Stella Chiweshe. Auf der Rückseite befinden sich Remixe von Wolfonacid und Dauwd. Was zu Hause auf dem Plattenteller liegt, fügt sich genauso in ihre Live-Shows ein: eine musikalische Brücke zwischen den Ursprüngen von Musik und der heutigen elektronischen Sound. Wir haben mit Maryama Luccioni alias Maryisonacid über ihre musikalische Prägung, die einzigartige Atmosphäre von AAITF und die Traditionen, die in der Musik weiterleben.

GROOVE: Die Geschichte von African Acid is the Future hat 2014 in der Punkbar Herz begonnen. Damals warst du noch Alleinunterhalterin und hast teilweise bis zu zwölf Stunden aufgelegt, bevor du Romain Azzaro ins Boot geholt hast. Woher kanntet ihr euch?

Marysonacid: Ja, das stimmt. Aber es war das unglaubliche Team von Freunden um mich herum, das aus einer bloßen Idee eine echte Familie gemacht hat, ohne die AAITF nicht da wäre, was es heute ist. Ich bin einer Reihe von Menschen dankbar, die dazugehören. Romain war auch beteiligt, aber er hatte bereits seine eigenen Projekte und sein eigenes Label. Dauwd ist ein hervorragender Partner und eine große Unterstützung, obwohl auch er sein eigenes Label und seine eigene Karriere verfolgt. Ich bin die Mutter von AAITF.

Man hat bei euch tatsächlich das Gefühl, ihr wollt einfach eine gute Zeit haben und mit eurem Publikum eine gute Party feiern. Bei so vielen unterschiedlichen Musikrichtungen ist es beeindruckend, dass eure Partys so gut besucht sind. Wie würdest du eure Zielgruppe beschreiben?

Ich glaube nicht, dass wir speziell auf jemanden oder etwas abzielen. Unsere Party ist nicht auf den Mainstream ausgerichtet, also suchen wir auch nicht die Aufmerksamkeit einer bestimmten Gruppe. Nichtsdestotrotz glaube ich, dass unsere Party unsere eigenen Ideale von Intimität und Zusammengehörigkeit widerspiegelt. Es war schon immer meine Vision, eine Atmosphäre zu schaffen, in der ich meine Gäste in meinem eigenen behaglichen und persönlichen Wohnzimmer willkommen heiße.

Maryisonacid (Foto: Iga Drobisz)

Wann habt ihr gemerkt, dass euer Konzept, so vielschichtig und offen zu sein, aufgeht?

Ich mag das Wort „Konzept” nicht, wenn es um die Beschreibung einer Party geht. Wenn wir jedoch „Konzept” durch „Stimmung” ersetzen, dann kann ich sagen, dass uns sofort klar war, um was es geht. Es schien, als ob Berlin sich nach etwas anderem sehnte, nach einer Party, die von einer etwas lebhafteren Energie durchdrungen war.

Eure Partys haben mit dieser musikalischen Offenheit ein gutes Alleinstellungsmerkmal. Und ihr seid vielleicht auch deswegen nie wirklich von Werbung für eure Veranstaltungen abhängig gewesen. Wieso gibt es so was nicht öfter?

Unser Schwerpunkt liegt nicht auf großen Acts oder bekannten Namen. Wir präsentieren vor allem Künstler aus Nischengenres oder solche, die weniger bekannt sind. Unsere Arbeit und Freude besteht darin, die Lücken in der Musik zu schließen. Zugegeben, das ist kommerziell nicht der sinnvollste Ansatz. Eine einfache Technoparty zu veranstalten, würde wahrscheinlich mehr Anklang finden, besonders in Berlin. Wir verzichten bewusst auf übermäßige Werbung, denn als die Party anfangs in Schwung kam, erkannte ich, dass sie schnell ihre Seele verlieren könnte. Für mich ist diese Party ein wertvolles Refugium der Selbstdarstellung und des Vergnügens.

Maryisonacid (Foto: Maryama Luccioni)

Wann habt ihr beschlossen, eine eigene Partyreihe zu machen? 

Das fühlte sich natürlich an. Ich hatte 2014 im Herz angefangen aufzulegen. Die Loftus Hall wurde 2015 ins Leben gerufen, und seither hat die Dynamik nie nachgelassen.

Über deinen Vater hast du kongolesischen Rumba, Free Jazz, R’n’B, Bossa Nova und Soul, aber auch Radiomusik kennengelernt. Und in deinen Jugendjahren hast du Hip-Hop, Rap und Grunge gehört. Später bist du in die alternative Szene mit New-Wave-Indie und experimenteller Musik eingestiegen. Was bedeuten diese einzelnen Musikrichtungen für dich persönlich? Was fasziniert dich an der elektronischen Musik?

Ich schätze mich glücklich, dass ich von klein auf mit guter Musik in Berührung gekommen bin, weiß aber auch, dass eine musikalische Ausbildung nicht immer eine Voraussetzung dafür ist, dass DJs oder Produzenten in ihrem Handwerk brillieren. Manche Menschen sind trotz minimaler formaler Ausbildung sehr erfolgreich. Ich persönlich führe meine Vorliebe für verschiedene Genres auf Erfahrungen in meiner Kindheit und Jugend zurück. Afrikanische Musik verbindet mich mit meinem Vater, meine Mutter feierte Rap und Hip-Hop. Meine Grunge-Jahre sind mit meiner Teenagerzeit und meiner Zeit auf Korsika mit meinen Skateboard-Freunden verbunden. Elektronische Musik und New Wave traten während meiner Zeit als junge Erwachsene in Paris und Berlin in mein Leben. Die elektronische Musik fasziniert mich durch ihre ausgeprägte Kultur, die sich weltweit in den Veranstaltungsorten durchgesetzt hat. Ich schätze ihre beiden Pole – die experimentelle Seite und den feierfreudigen Aspekt, der die Menschen auf den Tanzflächen und in den Clubs zusammenführt. Dennoch reizt mich nicht ausschließlich elektronische Musik. Ich finde zum Beispiel äthiopischen Jazz noch fesselnder.

Maryisonacid (Foto: Iga Drobisz)

In einem Interview hast du die Technokultur, als du sie in Berlin kennenlerntest, als ein wenig übertrieben und von ihren ursprünglichen Wurzeln losgelöst wahrgenommen, mit einem tragischen Mangel an Spaß und Humor. Wie siehst du die derzeitige Techno-Kultur?

(lacht) Es klingt ein bisschen hart, wenn man es aus dem Zusammenhang reißt. Ich wollte damit ausdrücken, dass ich in der Techno-Welt auf Menschen gestoßen bin, denen der Sinn für Humor fehlt und die in Bezug auf die Repräsentation der Wurzeln des Techno abgekoppelt scheinen. Für mich symbolisiert Techno Freiheit, Zusammengehörigkeit und Spaß, aber in der riesigen Maschinerie der Branche wird er zu etwas ganz anderem. Glücklicherweise habe ich in den letzten zwei Jahren eine Verbesserung der Inklusivität festgestellt, sogar bei meinen eigenen Bookings. Ich freue mich über diese positiven Veränderungen und hoffe, dass sie weiterhin in die richtige Richtung gehen. Dennoch beschäftige ich mich nicht ständig mit diesem Thema. Gelegentlich spiele ich Techno in meinen Sets. Ich bin eine DJ, die es liebt, Musik zu machen, und ich ziehe es vor, nicht in eine Schublade gesteckt zu werden.

Alle Künstlerinnen und Künstler beim Tribute sind nicht nur talentierte Musikerinnen und Musiker, sondern auch wichtige Bewahrer:innen von Traditionen nicht-westlicher Musik. Wie ist dein Verhältnis zu Traditionen im Allgemeinen?

Einige Traditionen verdienen es, gepflegt zu werden, während andere vergessen werden sollten, damit sich unsere Gesellschaft friedlich weiterentwickeln kann. Was die Musik betrifft, so schätze ich originäre Stammesgesänge und folkloristische Musik sehr, weil sie unser Erbe und unsere Verbindung zur Menschheit darstellen. Sie stellen eine zeitlose Verbindung zur Vergangenheit her und bleiben doch unvergänglich – das ist die wahre Schönheit dieser Musik. Die Geschichten vergangener Zeiten können helfen, die Gegenwart zu verstehen und die Zukunft zu leben.

GROOVE präsentiert: Durchlüften/ A Tribute to Stella Chiweshe

13. Juli 2023

Mit Konzerten von Virginia Mukwesha-Hetze mit Stefan Franke, Camille Bokhobza, & Fabiano Lima, Merope mit Shahzad Ismaily, AWA Khiwe (African Women Arise) und einem DJ Set von Maryisonacid & Dauwd (African Acid Is The Future).

Festival-Programm, Festival Playlist, Durchlüften – Open Air im Schlüterhof

In diesem Text

Weiterlesen

Features

Motherboard: Dezember 2024

Das letzte Motherboard des Jahres hebt mit luftwurzelwuchernden Sounds und Gemüts-Geräuschen die Restwärme im Leftfield an.

[REWIND2024]: So feiert die Post-Corona-Generation

Die Jungen feiern anders, sagen die Alten – aber stimmt das wirklich? Wir haben uns dort umgehört, wo man es lebt: in der Post-Corona-Generation.

[REWIND2024]: Ist das Ritual der Clubnacht noch zeitgemäß?

Hohe Preise, leere Taschen, mediokre Musik, politische Zerwürfnisse – wo steht die Clubkultur am Ende eines ernüchternden Jahres? Die GROOVE-Redaktion lässt das Jahr 2024 Revue passieren.