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Lighthouse 2023: Zauberformel aus Anspannung und Entspannung

Zehn Jahre Lighthouse bedeuten zehn Jahre Electronic Music On Vacation, eine Dekade lang kroatische Frühlingsfrische für diejenigen, die Bescheid wissen. Wie das Jubiläum lief und warum die Mischung aus Rave und Strandurlaub auch in diesem Jahr ganz ausgezeichnet funktionierte, lest ihr in unserer Review.

Von überbordenden Feierlichkeiten zum Zehnjährigen ist bei der Ankunft auf dem Gelände des Lighthouse noch keine Spur. Erst die Routine, dann das Vergnügen. Das rosa FRIENDS-Bändchen hält, man geht mit der Zeit, nicht Plastik, nicht Metall, sondern ein kleiner hölzerner Ring am Handgelenk. Nachdem die Volunteers auf dem staubigen Parkplatz mit Check-in ihre Arbeit verrichtet haben, geht’s aufs Gelände, zuerst mal in eine der diversen Unterkunftsmöglichkeiten: Bungalows, Hotels, Hotelbungalows.

Diese liegen über die Halbinsel Lanterna verstreut, ebenso wie die Vielzahl an kleinen Bühnen, gestandenen Floors und Pop-up-Venues, die übers verlängerte Wochenende hinweg von etwa 5000 Besucher:innen frequentiert werden. Dabei spielt der inszenatorische Charakter nochmal eine tragendere Rolle als bei anderen Festivals.

Wolframs Pizzaparty (Foto: Josha Lohrengel)
Ćevapčići auf Wolframs Pizzaparty. (Foto: Josha Lohrengel)

Während letztes Jahr als außerordentlicher Programmpunkt noch DJ Hell und DJ Gigola eine Schaumparty musikalisch untermalten, beschallten zum großen Geburtstag des österreichischen Boutique-Festivals DJ Heartstring und Felix da Houserat Wolframs Pizzaparty. Auch der Gastgeber ließ es sich nicht nehmen, neben dem Steinofen des Restaurants Lanterna Marina aufzulegen, während sich das Publikum an vom schwitzenden Personal im Akkord ausgegebenen Stücken der italienischen Köstlichkeit gütlich tat.

HVOB Lighthouse 2023 by Benedikt Ottmann
Gehören auf dem Lighthouse längst zum Inventar: HVOB. (Foto: Benedikt Ottmann)

Als große Blödelei versteht sich das Lighthouse aber keineswegs, eher als Festival mit humoristischem Hang zum Außergewöhnlichen und einer großen programmatischen Diversität, in der bewährte Eckpunkte und Neues kombiniert wurden. Zum Zehnten wuchs diese in nie dagewesene Breiten: Auf der Hauptbühne, die in diesem Jahr direkt vor dem Meer aufgebaut wurde, spielten die Inventar-Headliner:innen von HVOB.

Blockparty Lighthouse 2023 by Claudio Farkasch
Die Blockparty beschallte Oliver Koletzki, das Publikum kam in Scharen. (Foto: Claudio Farkasch)

Auf der Blockparty, einem Floor im Hof eines Hotels, zog Oliver Koletzki ebenjenes unverkennbare Publikum an, das auch nach all den Jahren den Weg zu ihm findet. Nachwuchs ist aber in Sicht: Mit einem ehrlichen alpenländischen „Koletzki, geil, oida” ließen zwei schätzungsweise Anfang 20-jährige Österreicher den Auftritt des Stil-vor-Talent-Gründers beim anschließenden Schlendern durch die Anlage Revue passieren. Zwei junge Damen im vermutlich selben Alter raunten sich exakt dasselbe – bis auf den Künstler:innennamen, natürlich – über HVOB zu.

I Am Hardstyle Austria (Foto Maximilian Fritz)
Eine etwas andere Gangart auf den Balkonen. (Foto Maximilian Fritz)

Tech-House und Techno-Pop bleiben auf dem Lighthouse über die gesamte Dauer aber Randphänomene, die tonangebende Musikrichtung ist trotz einer charmanten Flagge mit der Aufschrift I LOVE HARDSTYLE AUSTRIA auf einem Bungalow-Balkon House in all seinen Ausprägungen – was bei den durchgängig sommerlichen Temperaturen Sinn ergibt.

Victor Ogazon Lighthouse 2023 by Manuel Schuller
Victor und Ogazón auf dem Weg zu ihrem Set am ersten Festivalabend. (Foto: Manuel Schuller)

Am ersten Festivalabend mischen ihn Ogazón und Victor in ihrem geschmackssicheren b2b situativ mit Techno und zwingen dazu, schon zu Beginn des Festivals wichtige Körner zu verpulvern und bis in die Morgenstunden auszuharren. Wichtige Erkenntnis: Losouls „Open Door” ist einer der Tracks, die überall funktionieren, an kroatischen Stränden aber besonders gut. Byron Yeates schlägt im Autodrom, einer Autoscooter-Bühne, die es schon länger gibt als ihr Pendant auf den MELT, Freitagnacht progressive Töne an und Vlada zieht den nicht wenigen Übriggebliebenen auf dem Nature Playground, einer zum Floor umfunktionierten Paintballarena, am Sonntagmittag mit einem verqueren Set die letzte Energie aus den geschundenen Körpern. Tama Sumo und Lakuti aber sind es, die am Samstagmittag mit der Villa of GAZE den wohl ekstatischsten Floor des Festivals bespielen.

Nature Playground Lighthouse 2023 by Claudio Farkasch
Der Nature Playground, auf dem unter anderem Vlada reüssierte. (Foto: Claudio Farkasch)

Auf einer Art überdimensionierten, aufwendig dekorierten Gartenparty des Wiener Kollektivs tanzt sich das Publikum auf abschüssigem Terrain warm und mit zunehmender Zeit heiß. Hinter den beiden DJs, die im Anschluss an Jorkes & Paris Böhm übergeben, manövrieren sich knapp bekleidete Tänzer:innen auf einem Podest vor einem Spiegel durch körperlich anspruchsvolle Voguing-Choreografien. Der Gaze ist hier definitiv nicht der heteronormativ männliche, wie er auf vielen Festivals trotz Lippenbekenntnissen vonseiten der Veranstalter:innen noch immer vorherrscht. Der House, den die beiden Berghain-Residents mit einem Rotary-Mixer aneinanderfädeln, drängt sich passenderweise nicht auf, ist gleichzeitig aber deutlich mehr als schmückendes Beiwerk und hat eine organischere Note als etwa bei Yeates und Vlada.

Tama Sumo Lakuti Lighthouse 2023 by Claudio Farkasch
Tama Sumo und Lakuti bespielten die Villa of GAZE. Das Ergebnis: Ausgelassene Stimmung. (Foto: Claudio Farkasch)

Ein paar hundert Meter weiter bergab findet sich auch in diesem Jahr der Ruhepol des Lighthouse, musikalisch erneut vom Münchner Radio 80000 mitverantwortet. Der Hakuma Bay Club, benannt nach einer Getränkemarke, dient einem Teil des Publikums tagsüber und am frühen Abend als Basis, um sich für die lange Nacht in Stimmung zu bringen. Musik läuft auf dem Lighthouse nämlich rund um die Uhr, was Regeneration unverzichtbar macht. Der Strandabschnitt mit den malerischen Sonnenuntergängen, auch in diesem Jahr sorgfältig und laut beschallt, markiert die Schwelle zwischen den beiden Welten des Festivals: Urlaubsatmosphäre und Rave, Entspannung und Anspannung.

Villa of GAZE Lighthouse 2023 by Josha Lohrengel
Die Villa of GAZE in einem Bild. (Foto: Josha Lohrengel)

Und genau das ist wohl die Zauberformel, die das Lighthouse in den letzten zehn Jahren so fest in der europäischen Festivalszene verankert hat. Bei allen potenziellen Exzessen fühlt man sich auf der Halbinsel dennoch irgendwie geborgen und nicht zum Feiern genötigt. Man haut zwar hin und wieder kollektiv auf die Kacke, während man sich am nächsten Tag über einen Teller Ćevapčići hinweg wissend zugrinst, fühlt sich alles aber schon wieder halb so schlimm an. Urlaub eben, oder wie einige sagen: Eine Art österreichischer Springbreak mit hohen Produktionsstandards und sorgsam gebuchter, schlicht guter Musik, die aus allen Ecken tönt.

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