6SISS – BOTS (Micron Audio)
Techno wird gerne als eine Nachvertonung der Fließbänder in Detroit verstanden, analog dazu soll BOTS klingen wie Künstliche Intelligenz. Folglich werden in den Titeln der Tracks die Buzzwords der digitalen Revolution durchexerziert. Nicht nur dank dieser Parabel reiht sich die Platte wunderbar in den Sci-Fi-inspirierten Katalog des von DJ Stingray 313 betriebenen Labels ein. Der Veteran 6SISS webt die futuristischen Klangfetzen dicht ineinander und setzt Pausen im richtigen Moment, um der brachial übersteuerten Percussion noch mehr Wucht zu verleihen. Ob AI so klingt, sei dahingestellt. Übrigens waren die ersten musikalischen Auseinandersetzungen mit Fabrikarbeit kein Techno, sondern Arbeiterlieder. Womöglich singen hier also die Maschinen von Solidarität und Befreiung? Philipp Gschwendtner
DJ Boring – Beautiful Strangers EP (Running Back)
Von seinen Lo-Fi-House-Anfängen hat sich DJ Boring mittlerweile zwar ein ganzes Stück entfernt, im House-Mainstream ist er dennoch nicht angekommen – zum Glück. Davon Zeugnis legen die Stücke auf seiner Running-Back-Debüt-EP ab. Die Label-Promo nennt ihn einen progressiven Traditionalisten. Und da ist durchaus etwas dran.
So sind alle fünf Tracks dieser Veröffentlichung wehmütig weite Kompositionen, die aus dem prall gefüllten Horn der House-Geschichte schöpfen. Was sie aber ins Jetzt katapultiert, sind clevere Produktions- und Arrangements-Tricks, die den Staub aus der Rille blasen. Und auch der eine oder andere epische Breakdown, der an die Anfänge gemahnt, wenn auch nicht ganz so ausgefuchst wie beim alten Lo-Fi-Kumpanen Ross From Friends. Anyway, Spaß macht’s. Tim Lorenz
Ikawa – Ikawa I (Yuku)
Vinyl-only-Veröffentlichungen sind bei den derzeitigen Produktionsproblemen selten geworden. Trotzdem setzt das Prager Label YUKU bei seiner White-Label-Reihe weiterhin auf das physische Medium und gibt digitale Files nur an Käufer:innen der limitierten Sammler-Platten heraus. Ein Qualitätsstandard, dem der musikalische Inhalt erst mal gerecht werden muss. Nach seiner Split-EP mit Kliptown präsentiert Ikawa hier die selbstbetitelte erste eigene Platte, eine stimmige Mischung aus moderner Bassmusik und Jungle-Einflüssen.
Die A1 flattert leichtfüßig zwischen Halftime und 160 BPM, paart den Soul früher Sepalcure-Produktionen mit klassischen Breaks. Danach wird es düsterer und wonky, ein von Drums getragener Hip-Hop-Ausreißer mit Radio-Laufzeit. Leider mag die B1 trotz tighter Breaks und hochgepitchten Vocals kaum ins Rollen kommen, dafür ist der letzte Track mit seinem schwergewichtigen Bass-Fundament und prasselnden Samples im Footwork-Style wieder ein Garant für den Dancefloor. Leopold Hutter
Marcel Dettmann – Electric Drive (fabric Originals)
Der Kaltstart ist ein wesentliches Merkmal klassischer Techno-EPs. Nicht nur, weil die Musik immer auch als DJ-Tool funktionieren sollte, sondern weil sie ja gerade den endlosen Groove als wesentliches Formelement durchsetzt. In diesem Kontext sollte es keinen Unterschied machen, an welcher Stelle man einsteigt.
Derart beseelt brettert auch Marcel Dettmanns neue EP Electric Drive, erschienen auf fabric Originals, vom ersten bis zum letzten Moment durch. Mit Four-to-the-Floor-Doppelgeschütz aus Kick und Clap und einem rau-glühendem Synth-Riff ist der erwähnte Kaltstart im Titeltrack „Electric Drive” meisterhaft geglückt. „Mission” bleibt zunächst bei der Kick-Clap-Kombo und vertieft das Riff in Richtung Black Metal, was an Phase Fatale erinnert, wären da nicht auch hellere Zwischentöne. „No Return” kehrt zur subtilen Strenge des Techno zurück und fordert mit seiner ausgelassenen Hi-Hat zu Luftsprüngen auf. „Relink” schließt mit einer zerfallenden Gallertmasse und abermals: harten Drums. Genau so hart endet es. Vier dunkle Techno-DJ-Tools in einem Tempo, das heute beinahe entschleunigt wirkt. Moritz Hoffmann
Mesak – Katosiko Se (· n s y d e ·)
Tatu Metsätähti ist der große Unterschätzte der Electro-Szene. Katosiko Se ist seine erste eigenständiges Veröffentlichung auf dem Label · n s y d e · von Booker und GROOVE-Autor Richard Zepezauer. Über drei Eigenproduktionen und einen Remix hinweg interpretiert er seine eigenwillige Soundästhetik auf sehr verschiedene Arten aus.
„Katosi” erinnert über sparsam eingesetzten Kicks und James-Stinson-ähnlichem Hi-Hat-Gezuckel mit einer irrlichternden Sequenz und sonnigen Pads daran, dass Electro eine wunderbare Weichheit innewohnen kann, bringt zugleich aber frostige Weltall-Klänge mit ein. Ein emotionales Kippspiel, wie es im Rahmen des Genres nur wenigen dermaßen formvollendet gelingt. Poborsk tut mit dem Track das einzig Richtige und zerlegt ihn radikal zu einem wilden Braindancer.
Die weiteren Originale zeigen sich ähnlich unbekümmert im Dialog mit Genrekonventionen. „Post Sweat” gibt sich andeutungsreich, verspricht ständig den kommenden Exzess und liefert ihn doch nicht – wohl aber deep-housige Pads zum Reinlegen. „Narina” bietet mit gehetzten Grooves ein monochromes Kontrastprogramm an, das Mesaks Sound auf Rave bürstet. Im Gesamten ist das beeindruckend vielseitig und durchweg innovativ. Kristoffer Cornils