„Rain”, „Atmosphere”, „Mommy What’s A Record” – Kerri Chandler sorgte mit diversen Nummern dafür, dass Deep House zu einem der populärsten Genres der elektronischen Tanzmusik wurde. In East Orange, einer Stadt im US-Bundesstaat New Jersey, zeigte er schon früh seine Hochbegabung an den Decks, spielte anschließend in prägenden lokalen Clubs wie dem Zanzibar und zog in den Neunzigern schließlich aus, um auf dem kompletten Globus aufzulegen.
Die Kontakte, die er auf seinen Touren knüpfte, nutzte er für sein Album Spaces and Places, das im letzten Jahr erschien. Darauf finden sich 24 Tracks, die Chandler in verschiedenen Clubs rund um die Welt produzierte. Im Interview anlässlich dieses Mammutprojekts präsentiert er sich als sehr lebendiger Gesprächspartner. Man merkt: Dieser Mann bewegt sich seit Dekaden in der Szene, hat eine Karriere hinter sich, die voller Anekdoten steckt. Und die gilt es, seinem jüngeren Gegenüber verständlich zu machen.
Chandler summt enthusiastisch Tracks, die ihn beeinflussten, erklärt anschaulich, wie sich sein slicker House-Stil New Yorker respektive New Jerseyer Prägung herausbildete, und vermittelt ein gleichzeitig romantisches wie beklemmendes Bild von der hiesigen Szene in den Achtzigern und Neunzigern, stets gewitzt, immer demütig und niemals wortkarg.
GROOVE: Du hast dein Album in 24 verschiedenen Clubs aufgenommen. Wie kamst du darauf, es für Venues auf der ganzen Welt zu konzipieren?
Kerri Chandler: Das fing alles mit „The Shelter” von 1992 an. Merlin Bobb [US-amerikanischer DJ und Cousin von Tony Humphries, d.Red.] fragte mich nach einem Song für den gleichnamigen Club. Er wollte etwas Simples, nichts Kompliziertes, einen Dub oder so. Ich hatte damals die Idee, mein Gear in den Club zu bringen und es auf ihn einzustellen. Die Vocals habe ich so produziert, dass sie mal von links, mal von rechts kamen. Ich dachte mir dabei nicht viel, aber die Nummer wurde ziemlich groß. Leute sangen sie. Dann startete Freddy Sanon das Label Shelter Records und wollte den Track als erste Veröffentlichung. Ich lachte und meinte, wer denn schon einen Track über einen anderen Club in seinem Club hören will. Das leuchtete mir nicht ein. Aber in den ersten Jahren wurden um die 30.000 Exemplare verkauft. Von da an habe ich diese Herangehensweise weiter verfolgt.
Wie?
Soundsysteme waren immer mein Ding. Als ich das nötige Geld hatte, habe ich mir ein Studio eingerichtet, das aussah wie ein Club. Das ist heute noch so, auch wenn es inzwischen etwas leerer ist. Wirklich im Club produziert habe ich wieder, als ich unter Zeitdruck einen Remix für Kate Simko aufnehmen musste. Ich war damals gerade in München, und die Leute vom Bob Beaman [inzwischen geschlossener Club in München, d.Red.] ließen mich den Club nutzen, weil ich es in meinem Hotelzimmer einfach nicht fühlte. Kate Simko und ihr Management waren mit dem Ergebnis sehr zufrieden, und ich genoss es, wieder in einem Club zu produzieren, weil es einfacher von der Hand geht.
Auf dem ganzen Globus, wie es scheint.
Jeder Club, den wir gefragt haben, hat sich mächtig ins Zeug gelegt, damit ich das Album umsetzen konnte. So was hat noch niemand zuvor gemacht, die fanden das interessant!
Einer der Clubs auf dem Album ist das Watergate. Wieso hast du ihm mit „Sunrise” eine zügige House-Nummer mit Dub-Chords auf den Leib geschrieben?
Das Soundsystem oben ist sehr interessant: Die Subwoofer an der Wand, wie die Töne vom Glas reflektiert werden. Wenn ich dort spiele, geben sie mir einen Freifahrtschein. Ich kann machen, was ich will. Ich probiere dann rum und schaue, was dort funktioniert. Einmal hat mich dort Jerome Sydenham besucht – er zählt zu meinen verrückteren Freunden – und wir saßen den ganzen Tag da und haben herumgespielt. Da entstand dieser Track, der sich dort einfach gut anhört. Er half mir mit dem Arrangement, in der Nacht habe ich die Nummer dann gespielt, das lief super. Jedes Mal, wenn ich dort spiele, scheint irgendwann die Sonne durch die Fenster. Deswegen heißt der Track „Sunrise”. Ich wollte vertonen, wie es sich anfühlt, wenn ich dort um 9 oder 10 Uhr morgens abhaue.
Du hast das erste Mal mit 13 Jahren in einem Club aufgelegt. Wie kann man sich das vorstellen? Wie kamst du überhaupt rein?
Ich war damals, Anfang und Mitte der Achtziger, noch mit meinem Vater unterwegs, er legte auch auf und war vor allem Disco-DJ, meist im Zanzibar [ehemaliger Club in Newark]. Wenn ich früh in den Club kam, durfte ich mit rein. Es ging um 22 Uhr los, um 0 Uhr sollte ich aber gehen. Ich versuchte mich damals schon am Auflegen, das erzählte er seinen Freunden. An einem Wochenende stellten sie mich dann, weil ich noch so klein war, auf ein paar Kisten und gaben mir Platten. Ein paar davon kannte ich schon, weil ich sie bei meinem Vater gehört hatte. Und von ein paar wusste ich zumindest, wo die Breaks waren, weil ich die Gabe hatte, sie zu lesen.
Wie meinst du das?
Wenn du dir Platten anschaust, siehst du die Grooves anhand der Rillen. Und wo die Breaks sind. Heute ist das schwieriger, aber bei den damaligen Disco-Platten, besonders bei 12-Inches, funktioniert das gut. Ich sah mir die Dinger an, erkannte, wie lang sie dauerten, und fing einfach an, sie zu spielen. Niemand im Club konnte glauben, wie dieses Kind mit Platten jonglierte. Über die Platten, die ich kannte, wusste ich genau Bescheid. Außerdem lehrte mein Vater mir noch einen Trick. Er meinte: „Wenn du pitchst, während Drums oder Bass laufen, hört das niemand so leicht. Bei Strings oder Vocals, die länger dauern, musst du abwarten. Fokussiere dich zum Beispiel auf Drum-Breaks.” Ich wurde sehr gut darin, Platten auf eine Weise zu manipulieren, dass man nicht hören konnte, ob sie schneller oder langsamer werden. Außerdem lernte ich zu cutten. Ich wurde eigentlich ein Turntablist mit Disco-Platten. Trotzdem klang bei mir alles wie ein einziger langer Mastermix.
Mit 13?
Ja! Viele Erwachsene konnten das nicht. Die Hälfte dort spielte eine Platte und versaute dann den Übergang. Mixen war damals oft noch gar kein Ding. Und weil ich das machte, waren sie baff. Sie haben mich dann in kleine Anzüge gesteckt, mich auf Kisten gestellt, mir Platten gegeben und fanden das witzig. Ich wurde echt bekannt.
Und du warst dann weiterhin mit deinem Vater unterwegs?
Meistens zumindest. Manche Veranstaltungen waren anscheinend zu erwachsen für mich. Ich erinnere mich noch, dass ich einmal richtig sauer wurde. Den ganzen Tag hatte ich ihm dabei geholfen, das Soundsystem für den Club aufzubauen und die Nacht vorzubereiten, schlug Nägel in die Wand, weil ich Tontechnik und das ganze Drumherum liebe. An diesem Abend spielte Sharon Redd, und ich freute mich darauf, sie endlich zu erleben. Ihren Song „Can You Handle It” hörte ich damals rauf und runter. (Singt den Refrain) Kennst du den?
Leider nein.
Jedenfalls sollte sie um 2 Uhr morgens spielen, und bevor ihre Show anfing, kam meine Mutter, um mich abzuholen. Ich war so 14 oder 15 und meinte, dass ich nicht gehen kann, ohne sie gesehen zu haben. Ich habe dann versucht, mich im Club zu verstecken, bin immer wieder weggelaufen. Aber sie haben mich gefunden, und ich musste heimgehen. Ich war wütend und habe mich gefragt, wie ich diese Leute dazu bringe, mich ernst zu nehmen. Und ich fand es unfair, dass sie es nicht taten, nur weil ich zu jung war.
Wie hast du das hinbekommen?
Ich habe mich vor Publikum bewiesen: Als ich meine ersten Turntables bekam, einen zum ersten Weihnachten, den anderen zum nächsten, habe ich geübt wie ein Wahnsinniger. Jedes Mal, wenn ich aufwachte, habe ich zu ihnen rübergesehen, um sicher zu sein, dass sie noch da waren. Dann wurde Hip-Hop ein Ding, und ich wollte so cool sein wie Grandmaster Flash. Mixen konnte ich, aber ich wollte aus Platten wirklich was Neues erschaffen. Dann suchte der Club America [ehemaliger Nachtclub in Newark] einen neuen Resident, und ich wurde zum Vorspielen eingeladen. Da war ich so 15, 16. Sie hatten dort aber einen Rotary Mixer, den ich nicht gewohnt war, und andere Turntables. Ich musste mich umstellen und war total nervös. Dazu kam, dass ich nicht wusste, wer alles da sein würde. Viele Leute aus dem Zanzibar sahen sich das an, unter anderem mein Vater. Als ich fertig war, war ich mir sicher, dass ich es verkackt hatte. Plötzlich standen alle auf und applaudierten. Sie meinten, dass ich bisher der Beste gewesen sei – mit dieser Leistung! Ich dachte mir also: Na dann kann das lustig werden!
Sie haben mich dann in kleine Anzüge gesteckt, mich auf Kisten gestellt, mir Platten gegeben und fanden das witzig. Ich wurde echt bekannt.
Wie ging es weiter?
Ich fing an, dort als Resident zu arbeiten. Das bedeutete: Kommen, stempeln und dann tatsächlich arbeiten. Ich kontrollierte, ob die Booth sauber war, bevor jemand anders spielte, ob das Licht passte und solche Sachen. Was ich zuvor nicht wusste: Ich durfte während der Öffnungszeiten nicht auf dem Dancefloor sein, aufgrund meines Alters hätte ich sonst ein Problem bekommen. In die Booth durfte ich aber, die betrat ich durch eine Tür von außerhalb des Clubs. So verbrachte ich meine Wochenenden. Meine Freunde wollten ins Kino gehen oder Mädchen aufreißen, ich musste wegen meines Jobs als Resident oft absagen. Einmal brachte mir ein Kumpel durch eine Art Falltür Getränke hoch in die Booth. Wir dachten, wir würden damit davonkommen, aber das hat natürlich nicht funktioniert.
Was ist passiert?
Zufälligerweise kam mein Vater in den Club. Ich trank dort nie, dieses eine Mal aber schon. Meine Freundin war mit mir da oben, und wir hatten eben ein paar Drinks. Ich sah meinen Vater und meinte sofort zu ihr: „Schließ’ die Tür ab, schnell!” Ich stellte dann Platten drauf, sodass er sie aufdrücken musste. Er kam dann über die Seitentür rein, stand da in seinem Anzug und sah mich an. Ich habe versucht, die Situation zu ignorieren und einfach weiter aufgelegt. Er hat nichts gesagt, mich nur kurz umarmt und mich angeschaut. Am nächsten Tag hat er mich gefragt, ob ich eine gute Nacht hatte. Ich meinte: „Ja, alles gut.” Er: „Hast du getrunken?” Ich: „Nein, auf keinen Fall.” Er meinte dann nur, dass er mich genau gesehen hätte. (lacht)
Wie würdest du deinen Vater beschreiben?
Die Geschichte ist ein gutes Beispiel. Mein Vater war immer mein Vater, egal wie alt ich wurde. Er war schon eine Art Ibiza-DJ, bevor es die überhaupt gab.
Wie meinst du das?
Er feierte gerne, mehr, als ich es je tat. Er verschwand teilweise für Tage, wenn er auf Partys ging, auch mit Freunden von mir. Später hörte ich dann von ihnen, was sie angestellt hatten. Ich dachte mir dann, dass ich für so was noch zu jung bin.
Wie war das Nachtleben in Newark und New Jersey?
Eng verknüpft mit den Berger-Brüdern. Denen gehörten alle drei Clubs, in denen wir quasi aufwuchsen. Club America, Club 88 und das Zanzibar. Der war wahrscheinlich der Berühmteste.
„Ich wollte immer, dass das Publikum meine Gigs zufrieden verlässt, Freunden von der guten Nacht erzählt, die es hatte, und sie am besten die Woche drauf mitbringt. Für mich bedeutete Underground, dass sich so was rumspricht.”
Der Name kam mir auch bei der Recherche am häufigsten unter. Oft verbunden mit deinem und dem von Tony Humphries.
Tonys Partys im Zanzibar waren richtige Clubnächte. Jeder ging da hin und tanzte. Da war eine riesige Energie auf dem Dancefloor, Gospel-Leute, wirklich musikalische Menschen und richtige Tänzer. Da war nichts mit Anzug und Krawatte, es ging darum, mit dem Arsch zu wackeln und zu schwitzen. Im Club America gab es beides. Der Club hatte drei Stockwerke, das dritte bestand aber eigentlich nur aus der Booth. Das Soundsystem dort war super, ein Richard-Long-System, das man dort nun wirklich nicht erwartet hätte. Das unterste Stockwerk, wo der Dancefloor war, war praktisch ein einziger Subwoofer. Da hatten ungefähr 400 Leute Platz. Vom ersten Stockwerk konnte man runterschauen, dort standen die geschniegelten Anzugträger, die Frauen aufreißen oder einfach nur rumhängen wollten, überall waren Monitore mit Visuals. Das Licht im Club war unglaublich, im zweiten Stock war alles weiß. Auf dem Dancefloor hingegen ging es ab wie im Zanzibar.
„Ich habe mit dem Auflegen angefangen, weil ich Leuten gerne beim Tanzen zugesehen habe. Anfangs hatte ich ein bisschen Angst davor, aber ich habe richtige Adrenalinschübe bekommen, als ich merkte, dass mir die Leute etwas zurückgeben.”
Wie hat sich das vertragen?
Manche von den Leuten oben wurden irgendwann neugierig und sahen sich das unten mal an. Die standen dann da mit Anzug und Krawatte rum und haben nicht getanzt. Die anderen trugen Hip-Hop-Klamotten und drehten durch, während sie wie Zootiere begafft wurden. Die von oben hatten nichts Besseres zu tun, als den Floor zu verstopfen.
Ihr wolltet die da unten weghaben.
Deshalb habe ich mit Teulé „Drink On Me” produziert. Ich machte mit den Barleuten aus, dass sie Freigetränke ausschenken, so lange der Track lief. Ich spielte damals Reel to Reel, und „Drink On Me” war auf einer roten Kassette. Wenn sie sahen, dass ich sie nur in die Hand nahm, rannten die Anzugträger schon an die Bar. Man hörte wegen des Sylvester-Samples am Anfang auch, wenn der Track reinkam. Das half dem Floor ungemein, weil wieder Platz zum Tanzen war. Ich habe irgendwann noch einen viertelstündigen Edit gemacht, damit die Leute unten länger tanzen konnten, während oben Sex On The Beach geschlürft wurde.
Das klingt, als hättet ihr schon damals eine Art Underground-Kultur bewahren wollen. Bedeutet dir dieses Wort etwas? Was verstehst du darunter?
Ich habe mit dem Auflegen angefangen, weil ich Leuten gerne beim Tanzen zugesehen habe. Anfangs hatte ich ein bisschen Angst davor, aber ich habe richtige Adrenalinschübe bekommen, als ich merkte, dass mir die Leute etwas zurückgeben. Musik ist für mich eine Droge, sie macht süchtig. Alleine mit Menschen über sie zu reden und sich gegenseitig Tracks vorzuspielen, gemeinsam in einem Zimmer zu sitzen und sich Sachen zu zeigen, zu hören, wie Platten beim Auflegen funktionieren – das macht einfach Spaß. Ich wollte immer, dass das Publikum meine Gigs zufrieden verlässt, Freunden von der guten Nacht erzählt, die es hatte, und sie am besten die Woche drauf mitbringt. Für mich bedeutete Underground, dass sich so was rumspricht. Dass man sich kannte und trotzdem neue Bekanntschaften machte – ob aus derselben Stadt oder einem anderen Land.
Wie klang das für dich musikalisch?
So wie die Sachen, die Movin’ Records im Sortiment hatte. Der Laden hatte das Zeug, was Tony Humphries spielte, oft schon am nächsten Tag im Regal. Anfangs hieß er Movin’ Skates, irgendwann kam Musik dazu. Wir skateten damals gern, also waren wir oft vor Ort. Irgendwann hörte ich dort „Is It In” von Jimmy Bo Horne. Der Song ist dafür verantwortlich, dass ich noch heute diese Art von Musik mache. Ich hatte noch nie eine solche Bassline gehört. Das hat mich zu diesen ganzen Dub-Sachen angespornt. Mich hat bei Disco und Funk nämlich vor allem interessiert, was zwischen den Refrains passiert ist. Als ich die Platte endlich gefunden hatte, machte ich den Break in der Mitte wahrscheinlich so um die zehn Minuten lang und packte ihn auf ein Tape. Das wurde eine Hymne im Club America. So fing ich unwissentlich an, Deep House zu produzieren.
Ich habe gelesen, dass du als Heranwachsender auch dachtest, dass House mal das dominierende Musikgenre in den Staaten werden würde – nicht Hip-Hop.
Ich hoffte das zumindest. Viele Leute steckten da viel Geld rein, auch Major Labels. Egal was, David Morales remixte alles und machte daraus Underground-artige Musik. Für Mariah Carey oder sonst wen. House verfing aber nicht so wie Hip-Hop. Als der und Pop und so Zeug größer wurden, musste man beides spielen, und am besten gut. Sonst hattest du ein Problem, und zwar ein richtiges. Du wurdest verprügelt oder dir wurde dein Equipment abgenommen. Es wurde alles viel kompetitiver. Auf Kellerpartys gab es Battles, ich habe einmal oder so verloren und mir dann geschworen, dass das nie wieder passieren würde.
Nicht nur kompetitiver, sondern auch gewaltbereiter.
Ich erinnere mich noch an ein Vorkommnis, das ich nie vergessen werde. Wir battleten uns mit einer Crew im zweiten Stock einer Art Warehouse-Location. Sie auf der einen, wir auf der anderen Seite des Raumes mit unserem Equipment. Das ging hin und her, wir haben sie aber ziemlich deutlich an die Wand gespielt. Das hat sie sauer gemacht. Sie haben dann ihr Zeug zusammengeräumt und sind abgedampft, wir haben weiter Party gemacht. Etwa 20 Minuten später kam ein Haufen Leute mit Sturmhauben rein und hat alles kaputtgemacht, was er finden konnte. Sie traten auf den Plattenspielern rum und verursachten das reinste Chaos. Die Leute waren damals einfach sehr schlechte Verlierer, es wurde regelmäßig richtig schlimm.
„Wenn ich Hip-Hop spielte, wusste bis auf meine engen Freunde niemand, dass ich auch House spiele. Wenn ich wo House spielte, war dort wiederum niemand von meinen Hip-Hop-Leuten.”
Das klingt nach sehr viel Testosteron. Wie ging dieses Publikum mit House um?
Ich habe ja schon von den Kellerpartys gesprochen. Das waren oft Studentenpartys, viele davon in den Projects. Die haben dort niemanden gestört, die Leute wurden in den Keller gelassen, und dann wurde aufgelegt. Ein Freund von mir hat auf so einer Fete mal House gespielt, und die Leute sind ausgeflippt. Einer nahm die Platte, während sie noch lief, und hat sie weggeworfen. Er verlangte Hip-Hop. Manche Typen waren sehr aggressiv, es sind viele krasse Sachen passiert.
Was denn noch?
Ein anderer Kumpel hat mal eine Party bei sich veranstaltet, während seine Familie im Urlaub war. Das war wie in den Filmen. Die Party lief, das Wohnzimmer füllte sich, dann war eine Gruppe von Typen angepisst, weil sie nicht reingelassen wurden. Das war die schlechtestmögliche Entscheidung. Die haben dieses Haus übel zugerichtet. Sie warfen Ziegelsteine durch die Fenster, haben Teile des Hauses sogar angezündet. Nur weil sie nicht reindurften. Ich dachte mir: Nicht schon wieder. (lacht)
So etwas war also normal?
In East Orange [Stadt in New Jersey, in der Kerri Chandler aufwuchs] schon.
Wie hast du dich als DJ durch diese Szene manövriert?
Ich habe aufgelegt. Wenn ich Hip-Hop spielte, wusste bis auf meine engen Freunde niemand, dass ich auch House spiele. Wenn ich wo House spielte, war dort wiederum niemand von meinen Hip-Hop-Leuten.
Du hast ein Doppelleben geführt.
Ja! Das war sehr interessant.
Anfang der Neunziger wurdest du erstmals in Europa gebucht. Wie hast du die Szene dort wahrgenommen?
Mein erster Gig war im Ministry of Sound. Das war wie die Paradise Garage, nur eben woanders. Mein Auftritt lief so gut, dass sie mich wieder und wieder einluden. Tony [Humphries] und CJ Mackintosh waren dort Residents. Ich war dort viel unterwegs. Kurz darauf spielte ich in Italien, wo es auch super lief. Ich wollte gar nicht mehr nach Hause.
Erinnerst du dich noch an deinen ersten Auftritt in Deutschland?
Schwierig, ich hatte dort so viele gute Abende. Einer meiner Lieblingsclubs war aber mit Sicherheit das Depot [Club in Tübingen, geöffnet von 1995 bis 2006]. Der Promoter, der mich dort hinbuchte, hieß Jürgen. Das war eine Fabrikhalle mitten im Nirgendwo mit fantastischer Atmosphäre. Ich war damals in meinen Zwanzigern, so viele Sinneseindrücke!
Heute spielst du in Berlin normalerweise im Watergate. Wie kommt’s?
Anfangs spielte ich noch öfter in der Panorama Bar, wenn ich in Berlin war. Irgendwann hatte ich dort aber kein gutes Gefühl mehr. Daraufhin habe ich mich mit dem Watergate unterhalten. Dort hat es mir sehr gefallen und ich bin zu einer Art Resident geworden. Mit Leuten wie La Fleur verstand ich mich richtig gut.
Wieso hattest du in der Panorama Bar kein gutes Gefühl mehr?
Das ist schwer zu erklären. Das Watergate fühlte sich einfach mehr nach einem Zuhause an. Ich verstand mich auch mit dem Club besser, spürte mehr Freiheit. Die gibt’s sicher auch in der Panorama Bar. Ich musste mich dort nie verstellen, aber im Watergate hatte ich weniger Druck. Ich bin es auch nicht gewohnt, dass Drogen so verbreitet sind. Und das Sexuelle: Ich habe auf vielen queeren Veranstaltungen, zum Beispiel der Queer Nation in New York, gespielt, habe also keine Berührungsängste. Aber was da drin geschieht, ist ein anderes Level. Das lenkt mich von dem ab, was ich musikalisch machen will. Ich dachte mir damals oft, ob das vor mir gerade wirklich passiert. (lacht) Panorama Bar und Watergate unterscheiden sich für mich wie Tag und Nacht.