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Kunsthalle Mannheim: Interview zu zeitgenössischen Ausstellungen 2023

In der Kunsthalle Mannheim ist seit dem 7. April die Ausstellung 1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik zu sehen. Bis zum 8. Oktober 2023 widmet sich die Schau einem „multiperspektivischen Ansatz” zur Klimakrise. Die Ausstellung kooperiert mit der Bundesgartenschau, die 2023 in Mannheim stattfindet.

Zwei weitere Ausstellungen, die sich mit den Themen Körper und Konsum beschäftigen, sind ab Herbst geplant. Im September beginnt die Ausstellung der schwedischen Hector-Preisträgerin Anna Uddenberg. Ab November präsentiert die KuMa die Künstlerinnen Anneliese Hager, Nan Hoover und Maria Lassnig, die zu Lebzeiten im Schatten ihrer männlichen Kollegen standen.

Im Interview erklärt das Kurationsduo, bestehend aus Inge Herold und Johan Holten, warum sich eine Auseinandersetzung mit den Ausstellungen lohnt, wie die diese konzipiert sind und welches Verhältnis Kunst zu Gesellschaft hat.

GROOVE: Herr Holten, im Jahr 2020 haben Sie die Kunsthalle Mannheim mit der Ausstellung Umbruch übernommen. In welche Richtung sind Sie seither aufgebrochen? 

Johan Holten: Unsere jüngsten Krisen haben verdeutlicht, wie schnell uns radikale Umbrüche erschüttern können. Daher schien es drängender denn je, das Ausstellungsprojekt Umbruch zu realisieren. Auf der anderen Seite wollte ich mit meiner ersten Sonderausstellung als Kunsthallen-Direktor auch den inhaltlichen Umbruch erfahrbar machen.

„Kunst braucht den Dialog mit der Gesellschaft”, sagten Sie. Wie findet dieser Dialog aktuell in Mannheim statt?

Johan Holten: Gerade während der Pandemie konnten wir mit umfangreichen digitalen Angeboten eine überregional beachtete Vorreiterrolle einnehmen. Darüber hinaus treten wir in unterschiedlichen Vermittlungsformaten immer wieder in den Dialog mit der Gesellschaft. Beispielsweise entwickelten wir zur Ausstellung 1,5 Grad ein „Grünes Zimmer”, das dazu einlädt, über die sozialen, ökonomischen und kulturellen Zusammenhänge der Klimakrise nachzudenken und zu diskutieren.

Das Kurator:innen-Team: Stellv. Direktorin Dr. Inge Herold und Direktor Johan Holten (Foto: Kunsthalle Mannheim)

Frau Herold, Sie arbeiten seit über 30 Jahren für die Kunsthalle. Die ehemalige Direktorin hat das Haus als „introvertiertes Museum” bezeichnet. Wie hat sich der angesprochene Dialog über die Jahre verändert?

Inge Herold: Die Kunsthalle Mannheim ist ein „Museum in Bewegung” im Konzept einer „Stadt in der Stadt” – engagiert und mitreißend, innovativ und weltoffen. Mit einem in den Gründungsjahren formulierten innovativen Bildungsprogramm unter dem Motto „Kunst für alle” und mit programmatischen Ausstellungen internationaler Ausrichtung prägt sie die deutsche und internationale Museumsszene. Der Dialog mit der Gesellschaft ist einem Wandel unterworfen, wie die Gesellschaft an sich, wie aber auch das Gebäude, die Sammlungsgegenstände, die Forschungsarbeit, das Ausstellen in einer Gesellschaft sich verändern.

Sie gestalten als stellvertretende Leiterin das Ausstellungsjahr 2023 mit. Es wird um Körper, Klimakrise und Konsum gehen – Themen, die uns tagtäglich berühren. Wieso sollte man dafür Ihrer Meinung nach eine Ausstellung besuchen?

Inge Herold: Mit 1,5 Grad wollen wir zeigen, dass der Klimawandel uns nicht nur alle betrifft und etwas angeht, sondern dezidiert offenlegen, wie diese Krise auf alle Lebensbereiche Einfluss nimmt. Durch unterschiedliche künstlerische Verfahren und Herangehensweisen an Themenkomplexe, die in der Ausstellung verhandelt werden, wird der Blick auf Teilaspekte gelenkt, die dazu einladen sollen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.

Welche Fragen kann die Kunsthalle Mannheim zum Einfluss der Klimakrise stellen?

Inge Herold und Johan Holten: Als Kurator:innen einer Ausstellung über die Verflechtungen von Leben, Kosmos und Technik im Zeitalter der dramatischen Klimaveränderungen möchten wir weder behaupten, zu wissen, wie oder ob diese Krise zu lösen wäre, noch aus einer gesicherten Position heraus unserem Publikum eine spezifische Lesart aufzeigen. Vielmehr sollen sich teils widersprüchliche und historisch höchst unterschiedliche Positionen zu einem kaleidoskopartigen Bild zusammenfügen, das Reflexion, Nachdenklichkeit, Ideen und differenzierte Meinungen hervorruft.

Die Arbeiten von Anna Uddenberg zeigen unter anderem Cyborg-artige Frauenkörper in Sexposen. Was lässt sich davon mitnehmen?

Johan Holten: Anna Uddenberg wandelte ihre figürlichen Kompositionen in den vergangenen Jahren, doch präsentiert sie mit ihrer künstlerischen Arbeit eine anspruchsvolle und polarisierende Sicht auf Körperlichkeit, Geschlecht, Gender und Warenästhetik. Dabei untersucht die Künstlerin, wie Körperkultur, Spiritualität und Selbstinszenierung durch neue Technologien miteinander verflochten sind. In der Kunsthalle Mannheim sind zehn Skulpturen zu sehen, von denen fünf speziell für die Ausstellung geschaffen werden. In ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Medium Skulptur entwickelt Uddenberg ihre eigene Formsprache mittels des 3D-Druckverfahrens weiter und schafft eine eindringliche Komposition, die eine aufregende Ausstellungsarchitektur zu einer Einheit macht.

Anna Uddenberg, Cozy Stabilization Unit, 2017 © Mit Erlaubnis der Künstlerin; Kraupa–Tuskany Zeidler, Berlin

Frau Herold, Sie stellen zum Jahresende Werke dreier Künstlerinnen aus, die nicht mehr am Leben sind: Anneliese Hager, Nan Hoover und Maria Lassnig. Was beeindruckt Sie an diesem Trio?

Inge Herold: Anneliese Hager schuf poetisch abstrakte Fotogramme. Nan Hoover, eine Pionierin der Videokunst, begann als Malerin. Wir zeigen erstmals ihre knalligen Werke aus den späten Sechzigern, eine sensationelle Entdeckung. Maria Lassnig wollen wir mit ihren Selbstporträts vorstellen, in denen sie immer wieder nicht nur Persönliches verhandelte, sondern ebenso humorvoll wie drastisch Gesellschaftspolitisches kommentierte. Auch sie war eine Pionierin in Sachen Film, besonders Trickfilm. Alle drei Künstlerinnen standen im Übrigen im Schatten des Aufstiegs männlicher Künstler in den Fünfzigern und Sechzigern.

Maria Lassnig, Selbstporträt mit Stab, 1971 © Maria Lassnig Stiftung / VG Bild-Kunst 2023

Frau Herold und Herr Holten, lassen Sie mich abschließend fragen: Wie verändern sich Kunstwerke in der Zeit?

Inge Herold und Johan Holten: Zum einen durch kunst- und kulturwissenschaftliche Forschung und zum anderen durch den Filter unserer sich stetig wandelnden gesellschaftlichen Werte und Normen. Ein Kunstwerk kann sich durch äußere oder innere Einflüsse und Einwirkungen in seiner Form verändern, doch wandelt sich der Blick, verändern sich auch Ausdruck und Bedeutung. Was wir heute als aufregende Avantgarde einer Zeit in der Vergangenheit begreifen, stieß zum Entstehungszeitpunkt oft auf allgemeine Ablehnung.

Noch mehr Informationen zur Austellung 1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik findet ihr hier.

1,5 Grad. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik: 7. April bis 8. Oktober

Hector-Preis: Anna Uddenberg: 29. September bis 7. April

Hager, Hoover, Lassnig. Drei Künstlerinnen im Fokus: 10. November bis 11. Februar

Hauskarte: 12 Euro (10 Euro ermäßigt)

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