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Die Platten der Woche mit DIN, Doctor Jeep, Ela Minus & DJ Python, ItaloJohnson und windowseeker

DIN – Melon Ball (DIN) [Reissue]

Zum zweiten Mal schon gibt es ein Reissue von Melon Ball. DIN war in den Neunzigern ein Soloprojekt des Kanadiers Jean-Claude Cutz, der ansonsten im EBM-Trio Digital Poodle aktiv war.

„Melon Ball” ist ein gutes Argument dafür, warum junge Leute sich dieser Tage in ihren Produktionen wieder von Trance inspirieren lassen. Wobei der Track einerseits Trance-artig pulsierende Synthesizerflächen ineinander verwebt, andererseits eine grundsolide Acid-Figur integriert, die, zusammen mit den aufgeräumt nach vorn drückenden Beats, stark in Detroit-Manier pulsiert, was für Bodenhaftung bei der Ekstase sorgt. Die in zweifacher Ausführung vorliegenden „Water Sports” überzeugen, vor allem in der Miami-Version, mit einer Mischung aus unbeschwerter Euphorie und martialisch prügelndem Beat. Noch mehr Geprügel mit brachialem EBM-Funk und überdrehten Synthesizern dann im programmatisch benannten „Tower Skull”. Kommt aber alles nicht an den Titeltrack ran. Tim Caspar Boehme

DIN – Melon Ball (DIN) Reissue

Doctor Jeep – Push The Body (TraTraTrax) 

Drei Tracks, drei Remixe der drei Tracks, die Drei ist die magische Nummer des Doctor Jeep. Um mit den Bearbeitungen zu beginnen: Sam Binga legt auf Grundlage von „Rolla Dex” einen Turbo-Mix an, dem er genau diesen Titel als Versprechen mitgibt. Bei angegebenen 80, also gefühlten 160 Beats in der Minute rasen tribalistische Klatschbeats über die Himmelsautobahn, die hier ein bisschen klingt wie das allgemeine Verkehrswesen im Sci-Fi-Blockbuster Das fünfte Element. Auch Hodge darf ran, und er wagt sich an „Resodanz”, dessen Baile-Funk-Mathematiken er glatt poliert. Aquarians Fassung von „Push The Body” glänzt detroitern, wenn sich in Mikroschleifen spulende Keys überschlagen, bevor der Breakbeat reinkommt und die Percussion ergänzt.

Andre Lindra, die Person hinter dem Doctor-Pseudonym und brasilianisch-amerikanischer Produzent, legt sein Titelstück zunächst in einer Dubstep-Façon an. Die hin- und herschwankenden Schlagzeug- und stetig greifenden Bässe verwandeln sich jedoch in einen Four-to-the-Floor-Beat und entwickeln eine Hypnose auf Rollen. Lindras Original von „Rolla Dex” fährt ein vor sich hinmurmelndes Keyboard-Muster auf, das sich behaupten muss gegen allerlei entgegenkommende Clonks, Blurbs und Bleeps. „Resodanz” schließlich mutet an wie eine Erinnerung an vergangene Nächte im Basskeller. Alles fließt mächtig und langsam dahin, die träumerisch singende Bassline, die Beats aus dem Off, die Handclaps. Einlullendes Teil am Ende einer großen EP. Christoph Braun

Ela Minus and DJ Python – ♡ – Ricardo Villalobos Remixes (Smugglers Way)

Die letztjährige Veröffentlichung der kolumbianischen Sängerin und Produzentin Ela Minus und des New Yorkers DJ Python wurde von keinem Geringeren als Ricardo Villalobos geremixet. Die Zwei-Track-12-Inch auf dem Domino-Sublabel Smugglers Way enthält den Villalobos-Version von „Kiss U” und die verkürzte Vinyl-12-Inch-Version des 40-minütigen Remixes von „Abril Lluvias Mil”, der bereits digital erschienen ist.

Während Villalobos mit „Kiss U” dirty-oldschoolig, aber trotzdem im altbekannten Berlin-Minimal-Shuffle-Jack seine eigene Musikgeschichte bereist, drischt „Abril Lluvias Mil” auf seltsam ungewohnte DFA-, fast schon Proto-Techno-artige Weise mit metallisch-oszillierenden Sechzehntel-Cowbells gut psychedelisch nach vorne. Und auch das endlose Hinauszögern des perfect beat über den oberen Frequenzbereich erinnert an manche Nullerjahre-Dancefloorhits von Carl Craig. Allerdings arbeiten im Gegensatz zu diesen Nummern verhallte Synths weit hinten im Raum unter der gefazeten Originalstimme in Richtung Deep House. Ein hinkender Dreiklang-Basslauf, der Sägezahn-artig wächst, und die unglaublich dreckige, starke, bösartig treibende Watschen-Clap halten alles zusammen und weisen so der Tanzfläche den Weg zum Climax-Loop. Mirko Hecktor

ItaloJohnson – ITJ16 (ItaloJohnson)

Auch nach sechzehn Veröffentlichungen bleibt sich ItaloJohnson, das klandestine Dance-Music-Trio aus Berlin, treu. Drei auf den Punkt produzierte Tracks im gehobenen 130er-BPM-Bereich, so simpel wie packend. Dabei sind die Stücke, bei aller Unkompliziertheit, dann doch zu abwechslungsreich, um als bloße Tools durchzugehen – andererseits aber auch zu musterhaft, um als „Songs” gelten zu können. Diese Ambivalenz beherrschen die Drei schon ziemlich gut.

Wie auch die Ambivalenz des Genres, operieren die Tracks doch genau auf der schmalen Schneide zwischen Techno und House. Gekonnt variieren und kombinieren sie altbekannte Pattern-Strukturen und Klangfarben, verschieben und verschränken Konventionen, ohne auf der einen oder anderen Seite in Klischee-Abgründe abzustürzen. Und am Ende kommen sie – wegen und nicht trotz aller Smartness – bei etwas sehr Einfachem an: hocheffektiven Dancefloor-Bomben nämlich. Und das war wohl auch Ziel und Absicht. Tim Lorenz

windowseeker – Spiral 2 Success (Transatlantic)

Als windowseeker im Dezember 2021 sein Debütalbum Silicate Squeak veröffentlichte, hörte man auf ihm Spuren von Jungle und Bass Music, genauso wie jazzy Anleihen von IDM und immer wieder den propulsiven Drive von Goa-Trance. Eine wilde Mischung, doch funktionierte dieser Stilmix im LP-Format fürs Home-Listening durchaus gut.

Die neueste EP auf Transatlantic bringt wieder ähnliche Einflüsse mit, fokussiert sich dabei aber auf langatmige Dancefloor-Kracher. „Aspire+” groovt zwar auf stolzen 150 BPM, lässt aber dennoch Platz für eine gefühlte Million kleiner Details. Glitchy Sounds füllen den Raum mit Leben, und trotz vieler Elemente regiert die ätherische Stimmung von Liquid-D’n’B, die über 15 Minuten ihre Geschichte ausbreiten darf. Die Flip „Play With Me” ist fast genauso lang und setzt das Konzept etwas geradliniger, mit mehr Druck und weniger spielerischen Ausschweifungen um. Leopold Hutter

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