Binary Digit – Xrns Trax (WeMe)
Erneut zollt der französische Produzent Binary Digit seinem Vorbild Aphex Twin Tribut. Und warum auch nicht, ist der Output des Electronica-Gottvaters – mal abgesehen von seinem Schwall an Soundcloud-Uploads vor ein paar Jahren – doch nicht unbedingt der größte. Dabei gibt es im Grunde doch niemals genug Braindance im Leben.
So beginnt die EP mit einem Stück außerirdischer Melancholie, zart gegeneinander verstimmten Melodien, die gleichermaßen ergreifen wie verzücken. Im nächsten Track wird die Gemütslage dann umgepolt: Wo eben noch Schwermut schwelgte, ist es nun Hochgeschwindigkeits-Gute-Laune, die mit rasenden Acid-Lines beglückt. Happiness mit durchaus psychotischem Anstrich. Was gleichermaßen für die folgende wilde 303-Jagd gilt. „Acid King Charles Spaniel” heißt sie. Und der durchgeknallte Titel transportiert die überkandidelte Stimmung des Tracks perfekt. Das Abschlussstück „P5HD-165TEKmix2” greift auf die wehmütigen Akkordfolgen des Eröffnungstracks und vereint sie mit dem rasenden Acid-Geblubber der vorherigen Tunes zu episch breitwandiger Glückseligkeit. Braindance forever! Tim Lorenz
Kin Teal – Piqued EP (Tropopause)
Rückblickend sind wir alle gscheiter – hätten wir Piqued von Kin Teal nicht gehört, wir wären nie auf die Idee gekommen, uns diesen supertollen Subwoofer bei Media Markt zu gönnen. Wir hätten das Ding nicht in den vierten Altbaustock geschleppt und uns dabei nie den Rücken verrissen. Vermutlich hätten wir nicht einmal geflucht, als wir uns an den Kupferkabeln geschnitten haben, uns niemals gefreut, weil die Basskiste zum ersten Mal geatmet hat, oder gelacht, nachdem die Nachbarn die Cops gecallet haben. All das wäre nie passiert, hätten wir nicht diesen ungarischen Producer und seine Mukke entdeckt.
Zum Glück hat uns der mighty YouTube-Algo mit diesem Release auf Tropopause beschenkt. Kin Teal schmirgelt auf Piqued mit drei Tracks das Vordach von Four Tet. Er Kalimba-klimpert auf einem Fuß hüpfend dem Frühlingsbeginn entgegen und pumpt Budapester Bässe, für die man den Subwoofer sicherheitshalber ans Notstromaggregat hängt. Wäre Topdown Dialectic ein Mensch und keine Maschine, er würde solche Beats bauen. Dass wir das nur rückblickend sagen können, haben wir vorausschauend ja schon erwähnt. Christoph Benkeser
Mad Honey – Setback / Time Is On Our Side (Space Grapes)
Man muss sich Mad Honey als Producer-Band vorstellen. Die beiden Tracks ihrer zweiten Maxi grooven derart organisch zwischen Disco, Funk und Jazz, dass entsprechend konditionierte Ohren sich sofort an den Anfang der Achtzigerjahre zurückgebeamt vorkommen.
„Setback” klingt wie 1982 oder 1983 aufgenommen und in den Tonbandarchiven von Patrick Adams oder Leroy Burgess entdeckt: Cowbells, Pianodrive, Synthiestrings, Clavinet-Sounds, Soul-Vocals in einem perfekten Sieben-Minuten-Arrangement. Kaum kürzer und auch nicht weniger gelungen die B-Seite des klassischen Two-Trackers, wobei der Midtempo-Tune „Time Is On Our Side” einen Tick mehr britischen Electrofunk inhaliert zu haben scheint. Auch die vierte Veröffentlichung des jungen Labels von Bobby van Putten und Danilo Plessow alias MCDE überzeugt ohne jegliche Abstriche. Harry Schmidt
Sha Ru – Match My Sway (Woozy)
Das Duo Sha Ru sieht sich im Kontext moderner Protestmusik mit starkem Bezug auf den Ukraine-Krieg, daher kommen Vocals in seiner Musik eine besondere Bedeutung zu. Masha Koblyakova drückt ihren Protest allerdings nicht durch wütende Schrei-Attacken aus, sondern durch eine zurückhaltende Spoken-Word-Performance, die sich als zusammenhängender Flow durch alle drei Originale zieht. Musikalisch steht Dubstep-beeinflusste Bass Music im Zentrum, die ebenfalls nicht das bekannte Spektrum der Heftigkeit in Sachen Subbass und Wobble-Wahnsinn ausreizt, sondern, analog zur Stimme, eine gewisse Aufregungs-Grenze nicht überschreitet.
Ob dem Understatement oder Ernüchterung zugrunde liegt, lässt sich auch wegen Unkenntnis der verwendeten Sprache nicht beurteilen. Aber das Resultat des Zusammenspiels beider Komponenten ist wirkungsvoll, und der abschließende Remix von Walton mit seinen stotternden Kicks und Hi-Hats bildet einen clubbigen und angemessenen Abschluss. Mathias Schaffhäuser
The Black Dog – Music For Dead Airports (Dust Science)
Brianos Enos Definition entsprechend war Ambient eine Musik, die „gleichermaßen ignorierbar wie interessant” ist. Tatsächlich hatte Eno sein Album Music For Airports 1978 als Hintergrundmusik für Flughafenterminals konzipiert. Das, was The Black Dog 2010 als Musik für echte Flughäfen verkauften, ist am Ende aber bloß ein Album zwischen Ambient und Dub Techno. So richtig gut gealtert ist es nicht.
Deutlich interessanter ist die neue EP Music For Dead Airports, die den Re-Issue des Albums flankiert. Der Titel der Platte bezieht sich auf die beiden Flughäfen Sheffields, die heute beide nicht mehr in Betrieb sind. Angeblich entstanden die vier Tracks in den inzwischen funktionslosen Gebäuden des 2022 geschlossenen Doncaster Sheffield Airports und auf dem einstigen Vorfeld des schon lange nicht mehr bestehenden Sheffield City Airports. Diese Eindrücke haben The Black Dog in eine Musik übersetzt, die Verlorenheit, Verfall und Schönheit ausstrahlt. Holger Klein