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Motherboard: Dezember 2022

Das Interesse an okkulten Ritualen und dunklen Tribalsounds ist aus Dark Ambient und Industrial nicht wegzudenken. In den Abkömmlingen elektronischer Clubmusik ist es dagegen seltener. Der letzte (auch kommerziell) große Wurf in der Hinsicht waren die Duo-Projekte Pendle Coven und Demdike Stare des Modern-Love-Machers Miles Whittaker, der seine Faszination für die Yorkshirer Hexenkulte am Pendle Hill außerhalb von Manchester in Techno und Sample-Electronica übersetzt hat (die Vinylausgaben werden noch immer zu Mondpreisen gehandelt). Das französische Duo Dagerlöff and Galner besetzt mit Häxan (L’Histoire Inconnue du Disque, 25. November) also nicht nur eine – leicht verstaubte, aber doch durchaus schwer vermisste – musikalische und inhaltliche Nische, es erweckt etwas zum Leben, das den Unsicherheiten und Ängsten dieser Zeit perfekt entspricht, obwohl die Ikonologie frühmodern und die Metaphorik archaisch bleibt- Es handelt sich bei Häxan nämlich um einen neuen vollsynthetischen Soundtrack zu Benjamin Christensens Doku/Fiction-Filmklassiker Die Hexe von 1922. Eine hochspannende Soundcollage, die ohne Samples auskommt.

Nach exakt 100 Jahren also kein sehr großer Zufall, dass es beinahe zeitgleich eine zweite Neuvertonung des Films gibt, ebenfalls auf einem französischen Label, ebenfalls von einem Duo. Häxan (Cyclic Law, 16. Dezember) von Vortex, dem Dark-Ambient-Projekt des deutschen Filmprofessors Marcus Stiglegger und dem Sänger Christoph D. Ihre Arbeit ist etwas traditioneller an rituellen Tribal-Sounds, Dark Folk und Black Metal orientiert, aber nicht weniger intensiv im Ergebnis.

Als sich im Sommer zwei der aktuell interessantesten Labels am leiseren Ende von Drone und Ambient – das Berliner Vaagner/VAKNAR und Muzan Editions aus Osaka – zusammentaten, um eine gemeinsame Japan-Tournee zu bespielen, war fast klar, dass das nicht folgenlos bleiben würde. Erste Synergien sind bereits im Vaagner’schen Herbst/Winter-Kassettenbündel zu erkennen. Und Besseres hätte kaum passieren können. Yolabmi etwa, einer der aktuell produktivsten und inspiriertesten japanischen Sound Artists, hat bereits auf beiden Labels veröffentlicht, aber mit For Wind Poetry (VAKNAR, 18. November), dem dritten Teil seiner maritimen, von der See und ihren Bewohnern inspirierten Tape-Serie mit Schneckenhaus-Cover, tatsächlich die bislang stimmigste Demonstration seines Könnens abgeliefert. Mikroskopische, konkrete Sound-Events aus Field Recordings, Synthetik und Akustik, die einen fragilen elektroakustischen Soundscape aufspannen, der in aller Kleinteiligkeit Weite suggeriert, jede Menge Licht und Platz lässt in Reflektionen schillernder Wellenbewegungen, Wind über Wasser.

Der japanische Elektroakustiker und Ambient Thug Shuta Hiraki arbeitet durchaus verwandt. Allerdings schmuggeln sich in seine meist langformatigen Soundscapes öfter mal orchestrale Samples aus Klassik und Pop, die unvermittelt auftauchen und wieder verschwinden oder, in sanft-rhythmische Wellenbewegungen versetzt, eher vom Dub kommen als von Musique-Concrète-artigen Collage-Ansätzen. Ebendieses Verständnis von Dub gibt A Wanderer (VAKNAR, 20. November) eine besondere und eigenartig nostalgische Qualität. Das nicht weniger exquisite Vaagner-Tape-Debüt Loka:Immanence – 空白-世界のうちの, 再生として (VAKNAR, 20. November) des Tokioter Produzenten und bildenden Künstlers Yuto Ohashi, der seine Tracktitel gerne mit deutschen Begriffen schmückt, bleibt am nächsten an klassischem Ambient, die spezifisch japanische Handschrift der Environmental Music ist dennoch unverkennbar.

Bei den Muzan Editions war man selbstredend ebenfalls nicht müde und hat zum Winter ein nicht weniger erfreuliches Kassettenbündel gepackt. Mit dem kosmischen Stuttgarter Krautmodularisten Günter Schlienz etwa, der auf Current (Muzan Editions, 18. November) einen Überblick über seine 25-jährige Praxis mit den analogen Kabelstöpselmaschinen Marke Eigenbau gibt. Von Field Recordings unterfüttert schließt sich hier ein Kreis zum japanischen Synthesizer-Minimalismus der Achtziger.

Noch deutlicher ist die japanische Environmental Music bei Nakayama Munetoshi als Hintergrund und Voraussetzung allen Arbeitens unmittelbar. Auf Court (Muzan Editions, 18. November) allerdings auf eine Weise modern und gen Zukunft gewandt, die New Age in den Achtzigern nie sein konnte, und experimentell gedacht und gemacht, wie es selbst die Kankyō Ongaku nur selten sein wollte. Hin und wieder mischen sich noch metafunktionale Beats in den Mix zu einem kleinteilig spannenden Hör-Flow.

Der Australier Marcus Miller alias OVRSCN schließlich hat sein Album modernen Textur-Ambients (hier würde man es wohl Pop Ambient nennen) teilweise bei Muzan in Osaka aufgenommen. Auf The Dirac Sea (Muzan Editions, 18. November) bedeutet Ambient daher Flächensounds, die einmal Samples, Synthesizer oder akustische Instrumente gewesen sein könnten, sich aber zur (Un-)Kenntlichkeit prozessiert zu einem überbordenden Fluss zusammenfinden, zu einem großen Strahlen und Gleißen an brillanter Oberfläche.

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