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Mein Plattenschrank: Lawrence

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Lawrence in seiner Berliner Wohnung (Foto: Celeste Lea Dittberner)

Lawrence ist eine der Schlüsselfiguren der deutschen Techno-Szene der letzten 25 Jahre. Mit seinem Partner Carsten Jost und ihrem Label Dial ist es ihnen wie niemand anderem gelungen, Clubsounds mit Zusammenhängen jenseits der Musik zusammenzudenken, mit bildender Kunst, mit Mode, mit linker Politik.

Lawrence und sein Label sind durch und durch Clubmusik. Dennoch zieht sich eine Verhaltenheit und Nachdenklichkeit durch Sets und Releases, die man normalerweise nicht mit Rave und Feiern verbindet. In unserem Plattenschrank gibt er einen Einblick in die Musik, die ihn zu diesem besonderen Ton inspiriert hat.

So breit gefächert seine Interessen für die verschiedenen künstlerischen und sozialen Zusammenhänge sind, so tiefgreifend ist auch Lawrences Passion für verborgene und genreübergreifende musikalische Schätze. Dabei kommt es nicht selten vor, dass er seine Inspiration in den Alben findet, die im Regal des Plattenladens um die Ecke oft einstauben.

Vor Kurzem erschien Lawrences neues Album Earthshine unter seinem Pseudonym Sten auf Sushitech. Die Idee, das Sten-Projekt wieder aufblühen zu lassen, hatte ein Freund des Labels. Es kam Lawrence während der Pandemie recht gelegen. Das Dreifach-Album ist eine Synthese aus alten und neuen Produktionen – ein Zusammenspiel von Vergangenheit und Gegenwart.

In seinem lichtdurchfluteten Wohnzimmer – inmitten einer saftig grünen Zimmerpflanzen-Kollektion – berichtet Lawrence GROOVE-Autorin Celeste Lea Dittberner von sechs Platten, die in seiner Sammlung nicht fehlen dürfen. Erwähnte verborgene Schätze werden von zwei Platten aus den späten Achtzigern und frühen neunzigern gerahmt, die er unter anderem im prägenden Hamburger Club Front verbracht hat. Diese Nächte haben einen wesentlichen Teil dazu beigetragen, seine Liebe zu House zu entfachen, mit der Lawrence den ersten und den letzten Akt dieses Plattenschranks bestreitet.


Jungle Wonz – Time Marches On (Trax, 1987) 

Die Platte habe ich tatsächlich 1989 im Front zum ersten Mal gehört. Wie eigentlich fast alle Platten, die da gespielt wurden, war es für mich irgendwie unvorstellbare Musik, weil ich damals gar nicht verstanden habe, wie das produziert wurde und was dahintersteckt. Und ich empfand die Vocals damals als Teenager als super philosophisch und total wichtig. Ich wusste gar nicht, dass Marshall Jefferson und sein Kollege Harry Dennis gar nicht viel älter waren als ich. Das hat so eine unglaubliche Magie ausgelöst, und es gab ja dann auch in vielen House-Musikstücken diese Idee von „House Music is here to stay forever”, was man natürlich ganz unterschiedlich deuten kann. Damals war für mich klar: Das ist Musik, die mich mein Leben lang begleiten wird, was ich jetzt natürlich einerseits etwas naiv finde, aber andererseits stimmt es ja auch. (lacht) Ich habe die Platte das letzte Mal 2019 gespielt. Manchmal passt das einfach total: Wieder dieser berauschenden Moment. 

Was bedeutet die Platte für dich?

Einerseits erinnert sie mich, dadurch dass ich sehr schnell unglaublich begeistert und fasziniert von House Musik war, an meine Anfänge als DJ. Andererseits habe ich durch sie schnell gelernt, woher die Musik kommt. In dem Fall eben aus Chicago. Und was es für Clubs dort gibt, dass eine Subkultur war und man damals das Gefühl hatte, dass man zumindest als hörender Mensch daran Teil hat. Und eben auch die queere und schwule Kultur in Hamburg, die mich wahnsinnig geprägt hat. Es war ein Mysterium, wie so eine Party in Chicago wohl ist.

Squarepusher – Budakhan Mindphone (Warp, 1999)

Die Platte ist für mich wichtig, weil ich in den Neunzigern immer ganz viel andere Musik gehört habe. Ich war kein Purist, der nur in House-Clubs gegangen ist, so wie viele später nur noch in Techno-Clubs gegangen sind, sondern habe mich auch für jegliche andere Musik interessiert.

Damals – ich glaube, es war 1997 – habe ich mit meiner Freundin Fritzi einen Mittwochsclub betrieben, der Llow hieß, später Lords and Ladys of Wednesdays. Und das war eben nicht so ein straighter Danceclub, sonder eher eklektisch. Da habe ich ganz viel gespielt, eine totale Mischung aus Drum’n’Bass, Hip Hop und ganz anderen Sachen. Es sind immer sehr wenige Leute gekommen, und ich hatte auf jeden Fall nicht so großen Erfolg. (lacht) Uns war es aber total wichtig. Fritzi hat auch ganz tolle Kunstinstallationen gemacht. Es war in Reeperbahn-Nähe in Hamburg, ein ganz plüschiges Ex-Bordell. Früher gab es ganz viele solcher Orte, aus denen dann Clubs entstanden sind.

Eines Tages kam Ralf Köster, der jetzt das Booking vom Golden Pudel Club macht. Damals hat er im Vertrieb gearbeitet und meinte: „Ey, Squarepusher ist in Town, und der hätte voll Lust zu spielen. Der macht gerade so Interviews.” Und wir meinten sofort: „Ja, klar!”, weil wir eh ganz viel Squarepusher gespielt haben. Das war dann ganz irre Musik, ich glaube, er hat einmal das Album durchgespielt. Vielleicht war es das Master, und deswegen hat er sich eventuell mit dem Vertrieb getroffen. Danach war es nur noch Acid House, was zu dem Zeitpunkt noch gar nicht so angesagt war, aber ich hatte einen Bezug dazu.

Du sagst, dass deine musikalischen Interessen sehr vielfältig sind. Würdest du eine bestimmte Richtung als deine Passion ansehen oder hast du keine Lieblingsmusik? 

Ich glaube schon, dass ich immer wieder auf das Four-To-The-Floor-Schema zurückkomme, das habe ich in den letzten Jahren gemerkt, als ich andere Projekte verfolgt habe. Music for Plants ist ja auch so ein freies, improvisiertes Ambient-Projekt von mir. Wenn ich mit meinen eigenen Aufnahmen eher in die Club-Richtung gehe, passiert immer irgendetwas in mir. Deshalb würde ich schon sagen, dass Clubmusik immer da ist, aber mir macht es auch total Spaß, ganz frei Musik zu machen, die eigentlich keinem richtigen Genre entspricht.

Linda Perhacs – Parallelograms (Kapp, 1970) 

Zuhause höre ich auf dem Wohnzimmer-Plattenspieler überhaupt keine Clubmusik. Vielleicht mal eine Hip-Hop-Platte, das hat ja auch einen Club-Bezug. Aber nie House oder so. Ich finde, das gehört einfach in den Club. Viele DJs haben ja zwei Plattenspieler. Es kann sicher total Spaß machen, Platten auszuprobieren, aber an sich ist für mich Clubmusik für den Club. Hier höre ich dann so was wie Linda Perhacs. 

Die Platte hat für mich aber auch einen Bezug zum Club, weil ich einen großen Teil meines Lebens im Golden Pudel in Hamburg verbracht habe. Da waren eigentlich die Montage oder Dienstage die spannenderen Nächte, wo alles möglich war, wo auch Menschen aufgelegt haben, die sich selbst vielleicht gar nicht als DJ gesehen haben. Da habe ich wahnsinnig viel tolle Musik kennengelernt, was unglaublich inspirierend war. Die Linda-Perhacs-Platte hat zum ersten Mal meine Freundin Hannah [Schwarz, d.Red.] gespielt, die eh die beste Plattensammlung von allen und auch ein riesiges Hintergrundwissen hatte. Das war toll, wenn sie montags im Pudel aufgelegt hat. Ihr, aber auch vielen anderen, die da aufgelegt haben, verdanke ich einen Großteil meiner späteren Musiksozialisation.

Gruppo Di Improvvisazione Nuova Consonanza – Musica Su Schemi (Cramps, 1976)

Das ist eine super spannende Gruppe. Am bekanntesten ist Ennio Morricone, der viele Soundtracks für Blockbuster geschrieben hat. Die Platte, die ich ursprünglich ausgesucht hatte, war der Soundtrack von einem Horrorfilm, Die neunschwänzige Katze. Ich hatte aber keine Lust, das Cover im Artikel zu sehen. Es gibt viele nicht ganz so bekannte Filme, für die die Band komponiert hat. 

Hier fand ich toll, dass man zwar relativ klassische Instrumente hört. Am Ende suchen die Mitglieder der Band aber eben genau die Sounds, die nicht mit dem Instrument in Verbindung zu bringen sind. So kreieren sie eine ganz neue Soundwelt. Und ja, ich habe die Platte tatsächlich schon in Clubs aufgelegt, aber eben eher im Golden Pudel an einem Dienstag. Da ist so was möglich. Wir haben eine Reihe gemacht, die hieß Skywalking Laboratory. Ich liebe die Platte, aber besonders auch diese ganzen Soundtracks, die noch ein bisschen mehr Filmatmosphäre einfangen.

Wie bist du auf diese Soundtracks gestoßen?

Diese Filme wurden mir vom bildenden Künstler Jan Timme und von Dirk [von Lotzow] von Tocotronic nahegelegt. (lacht) David Lieske [Carsten Jost] und ich sind dann an die HFBK [die Hochschule für bildende Künste Hamburg] zu einem Seminar von Dirk und Jan gegangen, und da ging es wirklich um diese frühen Horrorfilme. Dadurch bin ich dann auf die Musik gekommen. Auf der Platte steht eh nichts drauf, ich habe erst später entdeckt, dass es genau diese Band ist. Die Beteiligten arbeiteten auch viel allein – Franco Evangelisti oder Egisto Macchi etwa sind ganz tolle Komponisten. Experimentelle Musik war für mich immer total wichtig. Ich bin seit Anfang der Nullerjahre zu Konzerten in die Philharmonie gegangen, wenn da derart spezielle Musik gespielt wurde. In Hamburg gab es Das neue Werk vom NDR, das ist diese Radiostation. Die haben immer Komponisten wie Krzysztof Penderecki und John Cage aufgeführt. Aber auch viele für mich bis dato unbekannte Musiker*innen wie Sofia Gubaidulina, die eine ganz tolle Komponistin ist und viel Musik für Akkordeon schreibt. 

Spielt experimentelle Musik und Jazz auch in deiner eigenen Band eine große Rolle?

Meine Jazzband kann man gar nicht wirklich als Jazzband bezeichnen, weil es sehr freie Improvisation ist und wir überhaupt keine Skills beweisen. Im Jazz ist es normal, zu zeigen, dass du deine Musik beherrschst. Und die Band Sky Walking von Christian [Naujoks], Richard [von der Schulenburg] und mir ist eine ganz freie Improvisationsband. Die ist nicht hier angelehnt, wir haben die klangliche Parallele erst später entdeckt.

Wo siehst du die Parallele? 

Es geht oft darum, Dinge auszuprobieren, die man sonst (lacht) nie machen würde. Und darum, zusammen zu spielen. Wir haben Synthesizer, Schlagwerk und Vibraphon, dadurch ist es manchmal echt unerträglich und plötzlich wieder ganz schön.  

Ellen Fullman / Konrad Sprenger – Ort (Choose, 2004)

Durch Konrad Sprenger, auch ein Freund von mir, habe ich Ellen Fullman lieben gelernt. An dieser Platte gefallen mir viele Sachen. Eigentlich ist Ellen Fullman die Schöpferin des Longstring-Instruments und spielt es auch. Das ist ein Instrument, für das man einen hallenmäßigen Raum braucht, denn da werden zwischen den Resonatoren 30 bis 60 Meter lange Seiten gespannt, der Raum selbst ist der Resonanzkörper. Auf der Platte hört man das auch, auf jedem Stück ist das Instrument dabei.

Konrad Sprenger hat irgendwann auch entdeckt, dass Ellen singen kann und dann ihre Musik – zeitgenössische Klassik – mit etwas verbunden, was vorher fast undenkbar war. Dadurch ist etwas ganz Neues entstanden. Deshalb ist es eine meiner Lieblingsschallplatten fürs Wohnzimmer. Die habe ich auch schon vielen Leuten empfohlen und geschenkt. Was mir auch an der Platte gefällt, ist das Cover-Artwork von Jonas Lipps, den ich total liebe. Mich fasziniert daran, dass aus der Idee eine so unglaublich schöne Platte entstanden ist. Sie war bestimmt auch aufwendig zu produzieren und zu mixen, da Ellen ja in Amerika wohnt. Für mich ist die Platte ein Klassiker und eben auch ein Beweis dafür, dass es sich immer lohnt, einen Release zu produzieren, wenn eine gute oder aufregende Idee dahintersteht.

Hast du Ellen Fullman auch kennengelernt?

Ich habe mit den beiden mal ein Konzert organisiert. Das war das Aufwendigste, was ich jemals mitorganisiert habe. Freunde von mir haben mich dazu eingeladen, das alles als Kurator oder Organisator zu managen, und das war wahnsinnig toll. Dafür wurde auch das String-Instrument aufgebaut und ungefähr eine Woche lang geprobt.

Theo Parrish – Inspirations From A Small Black Church On The Eastside Of Detroit – Baby Steps (KDJ, 1995)

Theo Parrishs „Lake Shore Drive” ist ein House-Klassiker aus der zweiten Hälfte der Neunziger, eine Generation nach Marshall Jefferson. So schließt sich der Kreis. Warum hast du gerade die Platte ausgewählt?

Genau, das ist auch ein Klassiker, den ich immer wieder auflege. Ich finde den Track Lake Shore Drive auch  unfassbar originell, weil er mit einer Clap oder einem Händeklatschen anfängt, dann folgt ein nervenaufreibender String-Sound und schließlich ein Beat-Sample. Mir ist unklar, wie das entstanden ist, aber die Platte hat eine wahnsinnige Magie und einen unglaublichen Sog. Sie ist aber auch total speziell, experimentell und entspricht überhaupt keiner Konvention. Es gibt keinen typischen Aufbau mit Intro und Hauptpart. Die Platte ist unfassbar gefühlt entstanden, und so funktioniert sie auch im Club. Die ist damals zuerst auf Moodymanns Label erschienen.

Wie hat sich dich beeinflusst? 

Das ist eine unglaublich wichtige Platte für mich. Sie war damals sehr avantgardistisch und stand im Gegensatz zu konventioneller House-Musik, die oft an bestimmte Song-Schemata gebunden war. Das war in den Neunzigern vollkommen neu – da ist ja auch erst diese Generation von Detroit-Musikern entstanden. Ich finde sie bis heute immer noch fordernd. Sie erzählt so viel in ihrer Tiefe, man kann das auch nicht so richtig beschreiben, da fehlen mir die Worte. Das ist tatsächlich eine Platte, die – wenn du sie im Club, zur richtigen Zeit, mit den richtigen Leuten und am richtigen Ort hörst – immer wieder wie ein kleines Wunder wirkt. 

Du hast gesagt, dass ihr auch innerhalb des Labels viel Theo Parrish gehört habt. Deshalb als abschließende Frage: Ist das eine Platte, die euch verbindet?

Das würde ich schon sagen. Also mit Carsten Jost und Efdemin, aber auch mit Figuren, die zwar dazugehörten, aber jetzt vielleicht nicht so als DJs oder als Produzenten in Erscheinung getreten sind. Theo Parrish und Moodymann waren schon wichtig, wobei klar war, dass das kein Einstieg für uns ist. Wir wollten jetzt nicht so Musik machen wie Theo. Wenn wir das versucht hätten, dann wäre das auch irgendwie gescheitert. Aber die Inspiration war auf jeden Fall hoch. Und eben auch die Lust, einen Umgang mit Samples zu finden, der von Konventionen befreit.

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