Tim Sweeney und Coldcut (Foto: Unbekannt)
Kaum ein DJ verbindet Radioarbeit und Auflegen wie Tim Sweeney. Seine Radiosendung Beats in Space sorgte für mehr als 20 Jahre dafür, dass auch die jüngsten internationalen Entwicklungen in der Metropole am Hudson ankommen. Dass sein Interesse an Clubmusik über die discolastigen, spielerischen House-Sounds seiner Sets hinausgeht, hat nicht nur mit der stiloffenen Wahl seiner Gäst*innen zu tun, sondern auch mit seinen Anfängen. Die liegen nämlich im Hip Hop. In unserem DJ’s DJ gibt er zu Protokoll, wie ihn Coldcut und ihre Radioshow Solid Steel inspirierten.
Tim Sweeney ist mittlerweile selbst ein Urgestein in der New Yorker Houseszene, obwohl er die großen Clubs mied, als er in New York ankam. Trotzdem wird im Gespräch klar, wie Coldcut Sweeney dazu inspiriert haben, sich nicht auszuruhen und immer weiter auf der Suche nach neuer und alter spannender Musik zu sein. Wir haben mit ihm über Coldcuts Mix-CD 70 Minutes of Madness gesprochen, die für ihn, wie er selbst sagt, bis heute prägend ist. Außerdem sprachen wir über sein erstes Praktikum bei Steinski und wie besondere Situationen und Begegnungen seinen Lebensweg bis heute zu Apple Music führten.
GROOVE: Warum hast du dich für Coldcut, den speziellen Mix und Solid Steel Radio entschieden?
Tim Sweeney: Als ich mit dem Auflegen anfing, habe ich viel mehr Hip Hop gehört und gespielt. Deshalb hat mich dieser Mix irgendwie angesprochen. Und es gibt ein paar Dinge, die daraus entstanden sind: Durch ihn habe ich mehr über Coldcut erfahren, etwa wie sehr sie von Double Dee und Steinski beeinflusst wurden. Für letzteren arbeitete ich, als nach New York zog. Das ist die direkte Verbindung zu dieser Mix-CD.
Durch den Mix habe ich auch ihre Radioshow Solid Steel entdeckt und gemerkt, wie viel Mühe sie jede Woche in jede einzelne Sendung stecken. Das hat mich immer umgehauen und beeinflusst. Jede Sendung ist wie diese Mix-CD. Deshalb wollte ich auch so was wie eine Geschichte erzählen und nicht einfach nur die neuesten Songs spielen. Manchmal ist das eine echte Qual, weil es eine Menge Arbeit ist. Als ich anfing, für Steinski zu arbeiten, erzählte er mir, wie viel Arbeit er in seine Radioshow für WFMU steckte. Das setzte die Messlatte für das, was ich machen wollte. DJ Foods PC [Patrick Carpenter, d.Red.] und Strictly Kev [Kevin Foakes] waren auch in dieser Sendung dabei, sie waren meine ersten Gäste bei Beats in Space im Januar 2000. Ich konnte gar nicht glauben, dass die Leute, die mich so stark beeinflusst haben, hier mit mir aus dem Studentenwohnheim sendeten! Die Coldcut-Jungs waren ebenfalls bei DJ Food dabei, auch wenn sie damals nicht mit bei mir in der Sendung waren. Ich war gerade 18, das bedeutete mir sehr viel.
Wie hast du Coldcut entdeckt?
Damals lebte ich noch in Baltimore. Ab und zu rief ich auf Rat meines Bruders bei Satellite Records hier in New York an. Dort gab es einen Typen, der mir von den neuesten Platten erzählte. Er hat mir die Platten sogar am Telefon vorgespielt. Als ich vielleicht 15 war und die Mix-CD raus kam, sagte er: Ich will, dass du dir das anhörst. Ich weiß noch, wie er mir diesen Mix regelrecht aufgedrängt hat. Der Mix hat mir gezeigt, dass ich nicht eindimensional sein muss.
Hast du dich generell für Musik aus Großbritannien interessiert?
Mein Bruder ging nach London und nahm Piratensender wie den, auf dem Solid Steel lief, auf und brachte sie mit nach Hause. Die Shows in UK wurden von Radioshows hier in New York wie etwa auf Kiss FM beeinflusst. Ich habe in die eine Richtung über den Atlantik geschaut, und so haben die es vor mir in umgekehrter Richtung getan.
Inwiefern hat dich ihre Herangehensweise an das Auflegen dazu inspiriert, selbst aufzulegen?
Sie hat einen klaren Hip-Hop-Einfluss, bringt aber trotzdem viele verschiedene Musikstile in 70 Minuten unter – deshalb sind es 70 Minutes of Madness. Ich war ungefähr 15, als ich diesen Mix hörte. Ich habe ihn mir immer und immer wieder angehört. Es war, als würde ich für einen Test lernen. Wie mischen die das so? Woher kommt das Vocal-Sample? Dieser Mix brachte mich dazu, tiefer zu graben. Das ist ein Motiv, dass mich seit den Anfängen begleitet. Ich forsche, ich versuche, mich nicht zu langweilen und nicht immer dasselbe zu machen. Ich erinnere mich, dass ich über jede Platte und jeden Musikstil aus dem Mix mehr herausfinden wollte. Denn mit 15 kennt man noch nicht allzu viel, man lernt noch alles kennen.
Was hältst du heute von Coldcut?
Sie sind auf jeden Fall Leute, die ich gerne nochmal treffen würde. Ich schaue immer noch zu ihnen auf. Bei ihrer Radioshow bin ich mir nicht ganz sicher, ob es sie wieder gibt, aber sie lief bis zum Pandemiebeginn. Die haben damit schon 1988 oder so angefangen. Ich verfolge einfach ihre Arbeit. Außerdem haben sie Ninja Tune gegründet. Das ist heute diese riesige Plattenfirma. Es ist ziemlich verrückt, was sie alles erreicht haben.
Woran arbeitest du derzeit?
Wir haben gerade mit Jeff Mills gearbeitet. Er war einer der Typen, die schwer zu bekommen waren, aber jetzt habe ich auch größere Chancen, einige der großen Namen zu kriegen. Die Oldschool-Typen können immer etwas schwieriger sein. Dank der größeren Plattform habe ich nun aber etwas, das vielleicht auch sie interessiert.
Du spielst auf den Umzug von Beats in Space von Radio WNYU zu Apple Music an Was ist anders in der neuen Umgebung?
Alles begann vor ein paar Jahren, als WNYU meine Sendezeit halbieren wollte. Am Ende haben sie es gelassen, aber es war wie ein Weckruf für mich, dass meine Zeit dort vielleicht abgelaufen ist und ich ein neues Zuhause brauche. Ich habe so viel Arbeit in die Sendung gesteckt, trotzdem wurde ich mit wenig Wertschätzung bedacht. Also habe ich mich an das Team von Apple Music gewandt, weil ich gesehen habe, dass sie auch Boiler-Room-Mixe haben. Ich dachte mir: Hey, wenn es Boiler-Room-Mixe gibt, warum nehmt ihr dann nicht auch Beats-In-Space-Mixe auf eure Plattform? So haben wir einfach angefangen, miteinander zu reden. Und dann haben sie mich zu sich eingeladen. Es ist anders, aber schön und inspirierend. Es rüttelt die Dinge ein bisschen auf.
Wie fließt diese Inspiration in deine Sendung ein?
Meine neuen Interviews sind anders und länger. Und ich bekomme zum ersten Mal Feedback. Hier gibt es professionelle Radio-Leute, mit denen ich sprechen kann und die mich inspirieren. Das bringt mich voran. Ich habe mehr Möglichkeiten, meine Ideen zu verwirklichen. Vielleicht werden sie immer noch nicht verwirklicht, aber es besteht zumindest die Möglichkeit.
Und eine andere Sache ist, dass ich immer den direkten Link zu den Tracks anbieten wollte, die man in der Radioshow hört. Jetzt kann man über die Show direkt zu den Stücken und Künstler*innen gelangen. Es ist Zeit, dass Produzent*innen auch etwas verdienen, wenn DJs ihre Musik in Mixen spielen!