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Needle Spiking: Eine Bestandsaufnahme

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Zusätzlich zum grassierenden Problem des Spikings mit Substanzen in Drinks häufen sich in Europa mutmaßliche Fälle des sogenannten Needle Spikings. GROOVE-Autor Ben-Robin König betrachtet, was es damit auf sich hat, welche Fälle bekannt sind und beleuchtet die Wäg- und Unwägbarkeiten dieser besorgniserregenden Praxis.


Clubgänge sind immer auch Grenzerfahrungen. Das kann ein metaphorischer und/oder physischer Rausch sein, aber leider auch eine lange Liste an negativen Eventualitäten. Ansteckungsgefahr mit Covid, sexuelle Belästigung verschiedenster Couleur, Rassismen und KO-Tropfen in Drinks sind leider ebenfalls Teil des Nachtlebens. Und jetzt auch noch Nadeln?

Seit Herbst 2021 mehren sich Berichte über sogenanntes „Needle-Spiking”, zu diesem Zeitpunkt noch überwiegend in England und Irland. Spiking ist der englische Begriff für mit sogenannten Vergewaltigungsdrogen präparierte Drinks. Opfer mutmaßlicher Needle-Spiking-Attacken berichten von plötzlichem Unwohlsein, Kaltschweißausbrüchen, Schüttelfrost, Schwindel. Teils schildern sie eine Erinnerung an ein kurzes Schmerzempfinden, irgendwo zwischen Stichgefühl und Kratzen. Und bei manchen Opfern ist tatsächlich eine Einstichstelle auszumachen.

Auch auf dem europäischen Festland mehren sich die Fälle – in Frankreich meldeten sich der Polizei zufolge seit April etwa 60 Betroffene, in Belgien wurde nach 24 möglichen Fällen ein Festival abgebrochen, im nordrhein-westfälischen Werl verspürten zwei Jugendliche Stiche beim Clubgang. Und auch im Berliner Berghain hat sich jüngst mindestens ein Fall zugetragen: Die Sängerin Zoe Zanias schildert auf Instagram einen „abstrakten psychedelischen Horrortrip” nebst Nahtoderfahrung und später entdeckter Einstichstelle, die Groove berichtete darüber.

Gleichzeitig ist bisher nicht nachvollziehbar, wie die Angriffe abgelaufen sind. All diesen Fällen gemein ist, dass bei einer medizinischen Untersuchung der Opfer keine verdächtigen Substanzen gefunden wurden. Bislang wurden keinerlei Täter gefasst. Die Clubs schweigen beharrlich – nach knapp zwei Jahren brachliegendem Betrieb und verhaltenem Start sicher auch aus Sorge vor weiteren umsatzschmälernden Faktoren. Und auch vonseiten befragter Mediziner*innen kommt viel Skepsis. GHB komme gleich aus mehreren Gründen nicht in Frage – zu viel Flüssigkeit, zu dick die benötigte Nadel, außerdem Säure – man würde nicht nur den Stich verspüren, sondern auch ein Brennen. Andere Stoffe wie Fentanyl müssten in die Vene injiziert werden, das Setzen einer Nadel und die Injektion dauere, der ganze Vorgang sei zu umständlich.

Unklare Motivation, Zynismus und Gefahr der Schuldumkehr

Ist das alles also nur ausgedacht? Teil einer Massenpanik, die Vorfälle primär psychologischer Natur? Allein die Fakten scheinen wenig überzeugend, die Diskussion insgesamt ist kontrovers, und bei jeder kontroversen Diskussion gibt es leider auch jene zynischen Kommentatoren, das Männliche passt hier in der Regel, die den Opfern Selbstinszenierung vorwerfen. Auch Zanias musste sich derlei anhören, auch mit Verweis darauf, dass sie, nach erster medizinischer Versorgung durch clubeigene Sanitäter*innen, aus dem Berghain geschmissen wurde.

Da all das aber nach wie vor ein Raunen ist, muss diesem ein „Cui Bono” entgegengeraunt werden. Das Besprechen solcher Erfahrungen geht nur allzu oft mit Scham einher, ist Anfeindungen ausgesetzt. So deutlich die (technischen) Zweifel an diesen Vorfällen auch sein mögen, laufen sie stets Gefahr, eine Schuldumkehr zu betreiben. Es fällt schwer, an dieser Stelle nicht zu weit auszuholen, aber: Das Misstrauen gegenüber Opfern, insbesondere FLINTA, hat System. Es grüßt das Hashtag metoo.

Zumal es auch andere Einschätzungen aus medizinischer Sicht gibt. Es gibt – man erinnere sich an die Impfkampagne – dünne Nadeln, die man kaum spürt. Zum Spritzen muss man keine medizinische Ausbildung genossen haben. Und Stoffe wie Benzodiazepine, kurz: Benzos, und Ketamin haben ebenfalls, je nach Dosis, eine beruhigende bis betäubende Wirkung und sind nach Einschätzung von Ärzt*innen intramuskulär zu spritzen. Hinzu kommt der Mischkonsum, beide Stoffe können allein in Kombination mit Alkohol eine weitaus stärkere und teils fatale Wirkung haben. Dunkelheit, dichtes Gedränge, Tanzbewegungen und ein Stakkato an Sensationen sind ebenso wie etwaige Rauschwirkungen ebenfalls Faktoren, die einen Nadelstich weniger offensichtlich machen. Er kann schlichtweg untergehen in einem Umfeld voller gewollter und ungewollter Berührungen.

Unklar bleibt die Motivation der Täter. Glücklicherweise gehen die wenigsten dieser Verdachtsfälle mit sexuellen Übergriffen einher. Doch auch Macht und das Verbreiten von Angst sind plausible Faktoren, die sich mit der ohnehin misogynen Praxis des Spikings decken. Unklar bleiben auch die Umstände, die hoffentlich alsbald deutlicher beleuchtet werden. Um übergreifender Angst und weiteren Fällen möglichst Einhalt zu gebieten, braucht es aber nicht bloß Vorsicht und Aufmerksamkeit der Clubgänger*innen.

Um Clubs als Safer Space zu erhalten, braucht es verantwortungsvoll(er)en Umgang vonseiten des Personals und Betreiber*innen, ein Überdenken der Praxis, etwaige Menschen mit Überdosen aus Angst vor schlechter Publicity schnell vor die Tür zu setzen. Es braucht einen Rahmen, der Opfern Scham und Ängste nimmt, sowie Tests mit erweitertem Substanzspektrum. Es braucht ein Bewusstsein für Betroffene; letztlich eine Kultur, die die Opfer ihrer Abseitigkeiten ernst nimmt.


Die Berliner Clubcommission veranstaltet am 16. Juni 2022 von 18 bis 22 Uhr im Marie Antoinette, Holzmarktstr. 15-18, einen Roundtable zum Thema „Awareness & Diversity gegen Spiking”. Anregungen zum Thema sowie Teilnahmewünsche (unter Nennung von Namen, Pronomen, Organisation und Grund für die Teilnahme) können an awareness@clubcommission.de geschickt werden.

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