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Woody: Vom Herzen spielen

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Woody (Foto: Martin U Waltz)

Woody Ksaier ist noch blutjung, als er im Berlin der Neunziger im rasanten Tempo zu einem der bestimmenden Resident-DJs heranwächst. Tresor, Planet, E-Werk – im legendären Disko-Dreierpasch der Nachwendezeit orchestriert er die Nächte. Es folgen Auftritte vor Hundertausenden auf der Loveparade, der SPIEGEL widmet ihm eine Story, da ist er 24, und in den Charts steht er auch irgendwann.

Dann kommt Minimal, und Woody verliert den Anschluss. Nach schwierigen Jahren schafft er, was viele ihm nicht mehr zugetraut hätten: ein Comeback mit dem Heideglühen – vor der Pandemie das Zuhause einer der besten Partys Berlins und kürzlich als Heide in neuer Location neu eröffnet. Kurz vor der Wiedereröffnung hat sich Woody während eines seltenen Interviewtermins zurückerinnert an gute, aber auch weniger gute Zeiten. Außerdem hat er unserem Autor Philipp Cerfontaine verraten, in was für eine Richtung sich die Heide in Zukunft entwickeln soll.


Snoopy kauert genüsslich am Überbleibsel eines Salatkopfes, Freundin Luci kommt einen Augenblick später aus dem Gestrüpp dazu gehoppelt. Wenn sie nicht gerade die Kabel seines Studios anknabbern, verwalten die beiden Kaninchen das Grün auf Woodys üppiger Terrasse. Hier, im Seitenflügel eines Kreuzberger Altbaus, wohnt Woody seit 1999. Es ist dieselbe Wohnung, in der schon Woody und seine Freunde durch das Musikvideo zu seinem Hit „If I Had Known This Before” turnten.

Gerade ist eine neue Platte erschienen. You Must Be Trippin‘ heißt sie. Entstanden in der Pandemie gemeinsam mit S.A.M., erschienen auf Heideglühen, dem Label des gleichnamigen Clubs, in dem Woody Booker und Seele ist. Ein klassischer House-Track, der diesen magischen Moment in der „Heide” nicht besser vertonen könnte, wenn nach einer langen Nacht die ersten Strahlen des Tageslichts durch das Glasdach auf die Tänzer*innen auf dem Dancefloor fallen. Wenn alle wissen: jetzt gilt es, jetzt geht die Party in die nächste Phase über. Ein Moment kollektiver Ekstase, von dem jede*r, der*die mal in der Heide war, danach seinen Freund*innen erzählt.

Woody (Foto: Martin U Waltz)

Woody steht in seinem Home Studio hinter dem maßgefertigten DJ-Pult und zieht eine Platte aus dem Fach. Gedämpfter Funk erklingt. Wir sind verabredet, weil wir über seine Karriere sprechen wollen – eine Achterbahnfahrt, die inzwischen 30 Jahre lang ist. Drei Dekaden Nachtleben, die man ihm äußerlich nicht ansieht. Woody sieht aus wie Woody. Im Gesicht kein Hinweis darauf, dass er in diesem Sommer seinen 50. Geburtstag feiert. Woody rollt einen. Auf dem Wohnzimmertisch liegt ein bibeldickes Beastie-Boys-Buch, im Plattenregal daneben blicken Run-DMC von einem signierten, gerahmten Foto von der 1988 World Tour. Erinnerungen aus vergangenen Tagen, könnte man meinen. Woody aber stellt seine Hip-Hop-Wurzeln nicht nur aus, er trägt sie noch immer. Stüssy-Mütze oben, Chucks unten. „Eigentlich komme ich vom Tanzen”, fängt der gebürtige Münchner an zu erzählen. „Damals haben Breakdance, Electric Boogie, Popping und Locking meinen Alltag bestimmt. Wir sind zu Meisterschaften und Jams im ganzen Land gefahren.”

So landet er 1987 oder 1988 zum ersten Mal in Berlin. Die Mauer steht noch, Techno fängt langsam an, durch die Keller, das UFO etwa, zu schallen. Woody bekommt davon erst mal nichts mit. Lediglich zu Besuch, will er sich in Kreuzberg einen Hip-Hop-Jam angucken. „Irgendwann wurde mir die Entwicklung der Hip-Hop-Kultur in den Clubs aber zu rough, die Ellbogengesellschaft nahm zu. Mir war das irgendwann mal zu viel Möchtegern. Zu der Zeit kamen Acid House und Hip-House auf. ‚I’ll House You’ von den Jungle Brothers kommt mir gleich in den Kopf. Diese Zeiten halt.”


Als Woody mit Sack und Pack in Berlin ankommt, ist er 18 Jahre alt.


Woody ist angefixt. Zu der Zeit legt er bereits im Münchner Club Babalu auf, allerdings noch Hip Hop, Acid Jazz, Funk und Rare Groove. „In München gab es zu der Zeit noch eine Sperrstunde, was bedeutete, dass wir um 4 Uhr schließen mussten. Wir hatten dann die Idee, dass wir in die Nacht einfach eine Lücke einbauen. Also um 4 Uhr zumachen, durchfegen, Tarnnetze als Deko aufhängen und um 6 Uhr wieder aufmachen. So konnten wir die Sperrstunde umgehen. Das funktionierte. Leute aus dem Nachtleben und aus der Gastro kamen zu uns, um auf ihren Feierabend anzustoßen. So hat sich eine Afterhour-Geschichte entwickelt, wahrscheinlich die erste Afterhour in ganz Süddeutschland. Wir waren der einzige Club in München, wo man zu der Uhrzeit noch hingehen konnte.”

Woody aber hat schnell das Gefühl, dass er dort nicht das Übliche spielen kann, das er sonst immer spielt. Es muss etwas Besonderes sein. „So kam es, dass ich elektronischer aufgelegt habe”, erklärt er. Die Hip-Hop-Wurzeln schimmern dennoch immer wieder durch. So soll er einmal ein Set mit „Pump Up The Jam” von Technotronic eröffnet haben. „Irgendwann gab es dann Ecstasy”, fährt Woody fort. „Die Polizei kannte das nicht. Und wie das Land Bayern halt so ist, wurden mit den Drogen auch die Partys und die Musik unterbunden. Das geschah durch Razzien. In meinem Fall an einem Donnerstagabend, als ich im Babalu mit Kid Paul spielte. Danach waren Partys nicht mehr erlaubt. ‚Das kann nicht sein!’, habe ich gedacht. ‚Man kann doch Musik nicht verbieten.’ Zum ersten Mal habe ich mich in München nicht mehr frei gefühlt.”

Woody (Foto: Martin U Waltz)

Eine Zäsur, die zeitlich nicht unpassender kommen könnte, war Woody doch im Begriff, sich musikalisch freizuschwimmen. Mit einer Gruppe von Münchner Kumpels, unter ihnen der Schriftsteller Rainald Goetz, bricht er übers Wochenende nach Berlin aus. Im Planet wirft ihm jemand heimlich eine Pille ins Glas. Er tanzt die ganze Nacht durch, am nächsten Morgen, als es hell ist, stehen er und Rainald noch immer auf dem Dancefloor, der Bus zurück nach München ist da längst abgefahren. Die Nacht sollte für Woody ein Schlüsselerlebnis werden: „Der Sound im Planet war wahnsinnig gut”, erinnert er sich. „Der Laden war im Grunde genommen eine leere Fabrikhalle. Aber wie die Leute dort feierten, wie die Crowd war – so was kannte ich aus München gar nicht.”

Zurück in München packt Woody die Sachen: Mit einer Tasche und einer Plattenkiste zieht er nach Berlin. Eine Entscheidung, die aus einem Bauchgefühl heraus entstand und die er rückblickend für die wichtigste seines Lebens hält. Als Woody mit Sack und Pack in Berlin ankommt, ist er 18 Jahre alt.


Ein Tape als Türöffner

Der Start in der neuen Stadt fällt verhältnismäßig leicht, anders als andere zugezogene DJs kommt er ums Klinkenputzen herum. Die Bookings trudeln von alleine ein. Grund dafür ist eine Kassette von einem seiner Sets im Babalu. Die hatten bei ihrem Besuch ein paar Berliner mitgenommen. Kopien wurden angefertigt. Das Set machte die Runde und somit auch Woodys Name. „Von Hille (Hilke Saul, Betreiberin des Planet, d. Red.) bekam ich dann meine erste Nacht im Planet angeboten. Irgendetwas muss sie in mir gesehen haben, ich war ja noch sehr jung zu der Zeit.” Woody hat seine erste Residency in Berlin. Nach der Schließung des Planet 1992 geht es für ihn im E-Werk 1993 weiter. Er prägt den Berliner Sound in dieser Zeit mit, viele gehen nicht wegen der Gast-DJs in den Club, sondern wegen Woody, dem Resident.

Die Schließung des E-Werk 1997 trifft Woody hart, er verliert sein musikalisches Zuhause. „Ich habe mich leer gefühlt”, erklärt er. „Ich habe mich gefragt, wie es in Berlin jetzt weitergehen soll.”

Aber die Nächte im E-Werk hallen nach, Woody hat sich einen Namen erspielt, und das hilft in diesem Moment. Er legt auf der Loveparade vor 1,5 Millionen Menschen auf, die Bookings in Berlin kommen in konstant hoher Schlagzahl. „Ich wurde wie auf einem Teppich getragen, es ging immer irgendwie weiter.” Woody fängt an zu produzieren, die Tracks bringt er auf dem eigenen Label Fumakilla, das er 2000 gründet, heraus. „Ich wollte eine Schippe drauflegen und nach so vielen Jahren als DJ auch mal etwas von mir selber spielen. Der erste Release war dann schon nach einer Woche ausverkauft, ohne Promo-mäßig irgendwas zu unternehmen.”


Statt in der Booth steht er plötzlich bei Radiosendern hinter dem Mikrofon, Interviews mit ihm laufen nachmittags bei VIVA und MTV.


Die Stückzahlen schießen in die Höhe, teilweise gehen bis zu 18.000 Exemplare von einer EP über die Ladentheke. „Andere Labels fragten sich: Wie machen die das?”, erklärt Woody trocken. „Es kamen Remix-Anfragen. Gleich der Erste wurde ein Hit. Ich wollte einen Track für Berlin machen, der den Vibe irgendwie trifft.”

Doch seine Version von Kissograms „If I Had Known This Before” verbreitet sich in der ganzen Republik, springt bis auf Platz 58 in den deutschen Mediacontrol-Charts. „Diesen Step heraus aus dem Underground fand ich am Anfang interessant. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass das eine ganz andere Welt ist.” Statt in der Booth steht er plötzlich bei Radiosendern hinter dem Mikrofon, Interviews mit ihm laufen nachmittags bei VIVA und MTV im Fernsehen. Auch seine Remixe für 2raumwohnung oder Felix da Housecat kamen an. Die Anfragen dehnen sein E-Mail-Postfach, Majorlabels klopfen an, wollen ihren eigenen Woody-Remix haben. „Ich habe aber gemerkt, dass das nicht mein Ding ist. Ich wollte kein Fließband-Produzent werden.”

Etwa ab Mitte der Nullerjahre setzt ein Stilwechsel ein, Minimal schickt sich an, zum dominierenden Sound zu werden. Woody ist nicht vorbereitet: „Ich habe gesagt: ‚Ok, irgendwas verändert sich gerade. Die Leute spielen mit Laptops.’” Sein offener, Genre-alternierender Stil verträgt sich nicht mit dem rigiden Minimalkorsett. Mit der Konsequenz, dass die Bookings zurückgehen. „Wo ist Woody abgeblieben?”, fangen die Leute auf YouTube unter alte Set-Mitschnitte an zu posten. Für ihn selbst eine schwierige Phase, wieder steht er vor einer großen Entscheidung: „Plötzlich war man an den Wochenenden zuhause statt im Club. Ich habe mir Gedanken gemacht und mich gefragt, was ich jetzt machen soll. Muss ich mich anpassen und auf den Zug mit aufspringen?”

Woody (Foto: Martin U Waltz)

Woody macht es nicht. Der Grund ist so simpel wie ehrlich: Er fühlt es einfach nicht. Doch mit den Bookings brechen auch die Verkaufszahlen von Fumakilla ein. Woody denkt, die Digitalisierung habe dazu beigetragen. „Ich erinnere mich noch, wie ich damals andere Labels anrief und fragte: ‚Warum schickt ihr keine Promos mehr auf Vinyl rum?’ Es hieß dann nur ‚Vergiss’ Vinyl! Digital ist die Zukunft!’” Woody lacht. Heute legt er immer noch nahezu ausschließlich mit Platten auf. „2011 habe ich Fumakilla dann letztendlich in Urlaub geschickt. Daraus wurde dann ein Urlaub auf unbestimmte Zeit.”

Obwohl Berlin als Stadt immer populärer wird und die Zahl der Clubs ständig steigt, fühlen sich die Nächte für Woody mit jedem Wochenende belangloser an. Ein Sommerabend in einem Hinterhof in der Heidestraße sollte das ändern: „Mein Kumpel Julian besaß dort eine Werkstatt. Wir habe eine Geburtstagsparty steigen lassen. Die wurde dann zu einer der besten, die ich je hatte. Von da an haben wir dort öfter Partys veranstaltet, ganz intim mit Freunden und Freunden von Freunden. So entwickelte sich der Spirit des Heideglühens. Es ging um diesen Grund-Vibe von Berlin, authentisch Musik zu erleben.”


Woodys Booking erinnert an die Arbeit eines Chemikers im Labor. In stundenlangen Erörterungen am Schreibtisch mischt er die bestmögliche Verbindung zusammen.


Einen Umzug später von der Heidestraße in die Seestraße im Wedding findet die Heide ihr vorläufiges Zuhause. Die Schlange vor dem Eingang wird von Party zu Party länger, die Heide immer beliebter, und das ist eine Herausforderung. Plötzlich sprechen Mainstream-Magazine wie die Vogue eine Feierempfehlung aus. Berlinbesucher*innen sollen dort unbedingt vorbeischauen, der „Happy House” sei für „Day-Partying bestens geeignet.” Um dafür zu sorgen, dass die passenden Leute vor der Tür stehen, war die Heide nicht zu googlen.

Die Partys laufen inzwischen immer länger, am Ende sind es nicht selten 30 Stunden nonstop. „Das fühlte sich manchmal wie ein kleines Festival an”, fängt Woody an zu schwärmen. „Plötzlich war da wieder diese Energie. Alle spürten, dass mit der Heide etwas ganz Besonderes heranwächst. Mit dem Erfolg kam dann auch die Wertschätzung zurück.” Und die Lust, wieder international aufzulegen: „Ich wollte den Vibe aus der Heide heraus in andere Städte tragen. Durch den Erfolg mit meinem neuen musikalischen Zuhause kamen auch wieder internationale Gigs. Plötzlich saß ich im Flieger nach Paris oder New York, was mich sehr gefreut hat.”

Woody (Foto: Martin U Waltz)

Woodys Programmerstellung erinnert an die Arbeit eines Chemikers im Labor. In stundenlangen Erörterungen am Schreibtisch mischt er die bestmögliche Verbindung zusammen. Seine alten Resident-Kollegen hat Woody in den mehr als 20 Jahren nicht vergessen, DJs wie Jonzon und Clé bucht er in die Heide, verknüpft dadurch Neues mit Altem. Unter anderem stehen Chez Damier, Mike Huckaby, Soulphiction, Paul Johnson, Nightmares On Wax, Âme, Mood II Swing, Ricardo Villalobos, Maayan Nidam, Steve O’Sullivan, Patrice Scott, Laurine, oder Ash Lauryn hinter den Plattentellern. „Der Spirit von früher, den kann man heute auch in der Heide spüren”, ist sich Woody sicher. „Gerade wenn es um den respektvollen Umgang miteinander geht, um gegenseitiges Energie-Geben, oder einfach nur, wenn es ums Anlächeln geht. Die Musik und der Vibe stehen bei uns im Fokus, der Bekanntheitsgrad der DJs ist eher sekundär. Das war in den Neunzigern ja nicht anders.”

Wertschätzung für den Vibe, den Woody mit seiner Musik versprüht, kommt kurz vor Ausbruch der Pandemie von ganz unerwarteter Seite. Das Berghain bucht Woody in die Panoramabar. Zum allerersten Mal. Ein seltene Geste, wenn man bedenkt, dass er Resident und Booker eines anderen Berliner Clubs ist.

Mitte März hat das Heideglühen 3.0 aufgemacht, die Heide. Am Wochenende hat dort die achte Party stattgefunden. Mit der Soulheide werden dort mit noch mehr Fokus auf Musikalität neben den Partys auch regelmäßig Konzerte im typischen Heideflair stattfinden. „Das ist magic ”, sagt Woody dazu. „Ich bin guter Dinge, es gibt Power und Energie. Und es macht Spaß. Let the music use you.”

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