Sascha Kösch (Foto: Unbekannt)
Kein Magazin repräsentierte die Aufbruchsstimmung im Berlin der Neunziger und Nullerjahre mehr als de:bug – Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte. Die Pointe der de:bug lag darin, dass das Heft mehr als ein Musikmagazin war. Die umtriebige Redaktion verhandelte alle kulturellen Sparten gleichrangig, Musik, Kunst, Technologie, Aktivismus und die frühe Netzkultur. Geeint wurde das Ganze von einer Begeisterung für die technologischen Sprünge der Neunziger, die die gesamte mediale Welt erstmalig im Rechner verfüg- und verarbeitbar machte.
Sascha Kösch war einer der zentralen Protagonisten der de:bug, der sich früh der technikphilosophischen Thematiken annahm. Zunächst war er in Köln bei der SPEX aktiv, später auch bei der Berliner Frontpage, die das junge Techno-Berlin abbildete. Als Chefredakteur und Herausgeber der de:bug, die monatlich zwischen 1997 und 2014 erschien, begleitete und kommentierte er den technologischen Schub dieser Jahre mit so verschiedenen Entwicklungen wie dem Harddisk Recording und dem Erblühen des World Wide Web in Bezug auf Kunst, Kultur und Politik.
Ebenso wichtig wie up to date zu sein war der theoretische und literarische Anspruch der de:bug, die eine eigene Sprache und ein eigenes Vokabular entwickelte. GROOVE-Autor Lutz Vössing unterhielt sich mit Sascha Kösch über seine Erfahrungen als Magazinmacher und Autor, über den Strukturwandel in der elektronischen Öffentlichkeit und die Hoffnung, die man einst in das Internet als politischen und emanzipatorischen Akteur setzte.
Wenn man heute die de:bug durchschaut, erkennt man, dass ihr euch sehr auf Medien und deren Wandel fokussiert habt. Direkt politisch wirkte das erstmal nicht. War das so?
Es ging natürlich sehr viel um Technologie. Wobei man aber sagen muss, dass Technologie in dem Sinne auch politisch war. Sie hatte in der Zeit generell ein politisches Moment.
Wie sah das aus?
Die extremen Veränderungen der Gesellschaft hin zu einer digitalen waren noch nicht gänzlich absehbar. Es war klar, dass es zu großen sozialen Umwälzungen kommen würde. Und logischerweise wollte man wissen, wohin die Reise geht. Und die Frage war: wie verändern sich mit den Medienstrukturen auch sämtliche andere sozialen Bereiche?
Haben die Medien eingelöst, was sie versprochen hatten?
Jein. Die Versprechen deckten sich zum einen mit dem klassischen Techno-Versprechen. Das heißt einerseits: nahezu unendlicher Fortschritt, der zwar eine „Demokratisierung der Produktionsmittel” mit sich bringt, jedoch bereits die ersten Schatten vorauswarf. Nämlich die einer neuen Art Gesellschaft, in der die Kleinen immer klein bleiben, weil sie in ihrer Selbstorganisation gefangen bleiben und sich bald nur mehr selbst ausbeuten. Eins dieser seltsamen Schlagworte, die da herumgeisterten, war Prosumer. Man wurde plötzlich vom Consumer zum Producer. Die Trennung, die zuvor zwischen Pleasure, Business und Privatleben war, löste sich langsam auf.
Dass die Zukunft nicht so rosig würde, war euch früh bewusst? Oder gab es noch Euphorie?
Das war eigentlich immer schon klar. Während meiner SPEX-Zeit entstanden gerade die ersten neuen Techno-Utopien, die großen Einfluss auf das jetzige Silicon Valley hatten. Die sogenannte kalifornische Ideologie war damals noch ganz frisch. Techno-Utopisten sagten einen endlosen Boom voraus. Man sah eine Ära, in der es nur noch bergauf ging. Das war einem hierzulande natürlich von Anfang an völlig suspekt. Es war klar, auf wessen Kosten das im Zweifel läuft. Nerdtum und Hochfinanz waren in diesem Falle eng verstrickt – und alles lief ganz schnell. Dass das Internet letzten Endes ein Medium der Werbeindustrie würde, war jedoch noch nicht abzusehen.
Hattet ihr in der de:bug einen politischen Konsens, wolltet ihr euch von der SPEX als Leitmedium abgrenzen?
In gewisser Weise schon. Wir wollten nicht diese klassischen Repräsentationsmechanismen übernehmen, in denen Dinge von Bedeutung wie Lyrics ausgedruckt werden, über die dann sinniert werden kann. Die SPEX war beispielsweise ein klassisches Repräsentationsmedium, in dem über Subjekte gesprochen wurde. Das war für uns als Blatt für elektronische Lebensaspekte, wie wir es damals genannt hatten, nicht von Bedeutung. Die wichtigen Theorien waren damals auf eine andere Art und Weise links geprägt, sie hatten eine gewisse Technikfeindlichkeit. Die klassischen Technikphilosophien tauchten da nicht unbedingt – auch nicht im Hintergrund – auf.
Aber da seid ihr dann eingestiegen.
Auf jeden Fall. Allein schon wegen der Musik mussten und wollten wir uns damit beschäftigen. Es war klar: Es ist nicht mehr so, dass das Subjekt irgendwelche Inhalte produziert, die als Ausdruck gelten und von anderen Subjekten dekodiert werden. Es ist eine Interaktion, an der viel mehr Teile mitspielen, die man vorher nicht bedenkt und die auch nicht menschlich sein müssen.
Frontpage war in gewisser Weise die Bravo der Techno-Bewegung.
Du bist von Köln nach Berlin und hast bei der Frontpage gearbeitet, später die de:bug mitbegründet. Welche Rolle spielte die Spannung dieser beiden Städte?
Es war weitestgehend erst mal eine persönliche Rolle. Köln wurde mir zu eng. Es war kleinstädtischer, als man es sich vorstellen kann. Irgendwann hat man es einfach durchgespielt und kennt nach Jahren als Partyveranstalter jeden. Es ging nicht mehr weiter.
Frontpage war in gewisser Weise die BRAVO der Techno-Bewegung. Der Gegensatz zwischen Frontpage und SPEX konnte, von einer kulturellen Ebene aus gesehen, eigentlich nicht größer sein. Die SPEX resümiert mit einem denkenden Background, mit Leuten, die alle irgendwas aufm Kasten hatten. In Berlin bei der Frontpage waren durchgedrehte DJs und drogensüchtige, größenwahnsinnige Chefs. Eine völlig andere Schiene. Andererseits: Die Infrastruktur war dort besser. Bei der SPEX gab es ein Modem, einen AOL-Anschluss. Das war die technologische Infrastruktur. Und in Berlin gab es ein ganzes Netz, Berlin war auch Internationale Stadt. Die Stadt war international. Frontpage war also ein sehr frühes Community- und Internet-Projekt. Mit einem Kollegen wohnte ich auch zusammen. Deswegen hatten wir nicht nur in der Redaktion eine sogenannte Standleitung, sondern auch zu Hause. Alles war vernetzt. Frontpage war eine andere Welt, die auch besser passte. Ich persönlich hatte Lust, mich in diesen Wahnsinn einzufinden. Man konnte alles machen, was man wollte. Egal, ob das jemand versteht. In der Frontpage war alles möglich.
Wenn man sich alte Ausgaben von Szenemagazinen anschaut, treten da sehr wenige Frauen* oder POC auf. Hättet ihr damals solche Probleme schon mehr behandeln müssen?
Wir haben tatsächlich relativ früh eine Ausgabe gemacht, in der nur Frauen thematisiert wurden. Die Idee war, das nicht an die große Glocke zu hängen. Im Sinne von: „Hurra, wir haben eine Frauen-Ausgabe.” Wir wollten das als Normalität präsentieren und eine Frauenausgabe machen, ohne über Frauen zu reden. Nicht, als müsste das etwas Besonderes sein, sondern als müsste es Normalität sein. Mit Sicherheit sind wir da auch in einige Fallen getappt.
Wie waren die Reaktionen darauf?
Eigentlich ganz gut. Einerseits war es uns wichtig, dass es niemandem auffällt. Und andererseits war es gelungen, wenn es Leuten auffällt. Von daher hatten wir ganz gute Karten bei dieser Ausgabe. Natürlich haben manche was gemerkt. Oder auch erst beim zweiten Blick, und fanden eben genau das richtig. Tatsächlich wurden wir dabei inspiriert von einer SPEX-Ausgabe mit einem ähnlichen Thema.
War Techno ein besserer Ort, eine Blase, in die man sich aus der Welt zurückziehen wollte?
Es war natürlich, wie uns die Leute aus Detroit glücklicherweise ständig erinnert haben, alles andere als frei von Rassismen. Die Ideologie von Techno war ursprünglich One Nation. Aber natürlich war klar, dass die Detroiter, die Ursprungscharaktere der Bewegung, in gewisser Weise total abgezogen wurden. Ihr Sound wurde variiert und einfach weiterverkauft. Wie immer: Die Innovator*innen kommen aus der schwarzen Kultur, das Geld machen andere. Das war allen bewusst, und darüber wurde auch geredet. Ich erinnere mich an ein Interview mit Drexciya, in dem gesagt wurde: Remixe sind Rassismus.
Plötzlich wurden nur mehr Marushas und Westbams gebucht, die so einen komischen Karnevals-Abklatsch von Techno produzierten.
Wie ging man dagegen vor?
Das war von Szene zu Szene anders. Elektronische Musik war ja schon immer sehr divers. Der Umgang war damit auch in allen Szenen unterschiedlich. Zum Anfang der großen Love-Parade-Zeit wurden nur Amerikaner als Headliner gebucht, weil man hier keine ordentlichen Künstler*innen hatte, die es damit aufnehmen konnten. Nicht, weil sie berühmt waren, sondern einfach, weil sie besser waren. Es dauerte dann ungefähr ein Jahr, und alles hatte sich gewandelt. Plötzlich wurden nur mehr Marushas und Westbams gebucht, die so einen komischen Karnevals-Abklatsch von Techno produzierten.
Und abseits vom Mainstream-Techno?
In der Drum’n’Bass-Szene war es ganz anders. Die Protagonist*innen waren immer schon gemischt. Es gab nicht diese weiße oder schwarze Kultur, sondern nur die britische. Und die war weiß und schwarz. Drum’n’Bass war ja so ähnlich wie Ska, in gewisser Hinsicht. Da kamen die weißen und schwarzen Kids halbwegs unterschiedslos zusammen, ohne sich groß auf den Kopf zu machen. In Deutschland war das so einfach nicht denkbar, denn die kulturelle Segregation von Leuten mit anderem Background war viel länger beständig. Klar, man hatte ein paar Leute mit türkischem Background in der Technoszene. Aber das war marginal. Es fiel einem auch noch nicht auf.
Unter den 100 bestverdienenden DJs sind ja heute grob geschätzt fünf farbige Personen.
Anfangs waren die Strukturen anders. Es entwickelte sich aber schnell dahin, wo wir uns jetzt befinden. Erst wurde eingekauft, dann kopiert. Die erste Szene von Super-DJs aus dem UK formierte sich. Die waren schon viel weißer. Und in Deutschland waren sowieso alle weiß. Die ganzen klassischen Rassismen waren damals natürlich nicht weniger. Bei der SPEX hat man sich zum Beispiel mit „Black Music” auseinandersetzen müssen, die dieses Phantasma vom „wilden Schwarzen, der die Musik im Blut hat” mittrug. Das hatte sich zum Glück in der Housemusik, die weniger persönlich war, ein wenig normalisiert. Da wurde weniger auf die Personen als auf die Maschinen, die den Funk transportierten, projiziert.
Die Künstler*innen waren also eher Avatare?
Man konnte diese Art von Rassismus zumindest nicht nicht einfach so weiterproduzieren. Wie will man das machen, wenn man von den Künstler*innen 70 verschiedene Projektnamen auseinanderhalten muss, bei denen die eine Hälfte aus Nummern und Zahlen besteht und die andere aus weiß der Himmel für Begriffen. Es war ja alles auch ein bisschen mysteriös. Man wusste nicht, wer wirklich hinter dem Pseudonym stand. Es gab in gewisser Weise auch viel weniger Kommunikation. Natürlich existierten E-Mail-Listen, und im Netz gab es auch Boards, in denen ein Austausch stattfand. Aber im Grunde musste man bei jeder Platte erst mal die Fantasie anschmeißen: „Wo kommt sie her? Wer produziert sowas?” Irgendwann hat man so einen gewissen Riecher entwickelt. Man konnte dann anhand einiger Hinweise zum Beispiel eine Detroit-Platte erkennen.
Ging es mehr um die Musik und das Label als die Künstler*innen?
Um die Künstler*innen ging es zumindest nicht unbedingt erstrangig. Vielmehr standen das Label, das Projekt und das Konzept im Mittelpunkt. Als die Sähkö-Platten mit dem silber glitzernden Cover erschienen; die waren mit einer Bohrmaschine bearbeitet, Löcher ins Vinyl gebohrt. Da waren ein paar kleine Symbole drauf, da war natürlich das Projekt das Interessante. Welche Künstler das waren, war erst mal nicht wirklich zu erkennen. Es hat ein bisschen gedauert, um dahinterzukommen. Wer mag das sein? Was wollen die von mir mit dieser komischen Musik? Es war die Zeit, in den Neunzigern, wo eine extreme musikalische Entwicklung stattfand. Man hat wahnsinnig viele neue Genres und Produktionsmethoden erfunden, die es vorher nicht gab. Es entwickelten sich nahezu wöchentlich neue Genres mit neuen Tricks, Beats und Effekten, die man noch nie gehört hatte. Da gab es extrem viel zu entdecken. Das Ganze war immer eingebunden in ein Label-Konzept oder eine Art kommunikative Struktur, in der viele Leute an irgendwas gearbeitet haben – eben der Szene. Manchmal waren es nur zehn Typen, manchmal aber 500 Leute in der Drum’n’Bass-Szene, die Woche für Woche an einem Ding gearbeitet haben und eine neue Ästhetik ins Leben riefen.
Das klingt, als sei Techno sehr divers und nischig?
Ja, aber die Artists wurden auch gerne an einem Ort verhandelt. Beispielsweise fanden in der de:bug oder frontpage völlig disparate Dinge statt, die ästhetisch eigentlich gar nichts miteinander zu tun hatten. In der Frontpage hattest du im einen Monat Sähkö, im anderen Marusha in den Charts auf Platz eins. Das konnte leicht passieren, auch weil die Dinge in jeglicher Hinsicht im Umbruch waren: Ästhetik, Produktionsbedingungen, Communitys.
Wie hat sich die Entwicklung des Internets weiter darauf ausgewirkt?
Die war quasi parallel. Das Netz war schon da, wenn auch nicht unbedingt in Browser-Form. Aber die Kommunikation fand statt, und es war auch die passende Form für die Zeit, insbesondere für die elektronische Musikszene. Genau so wie eine 303 oder ein Sampler dazu gehörte, gehörte auch das Internet dazu. Sowohl als Experimentierfeld als auch als Vernetzungsstruktur. Man empfand es damals schon als großes Netz, auch wenn es noch sehr weit davon entfernt war.
Um in die Gegenwart zu springen: Siehst du noch gewisse emanzipatorische Momente in Bezug aufs Internet?
Nein, die Sache ist, glaube ich, gegessen. Es besteht für mich auch in keiner Form mehr als separates Feld. Ich glaube nicht mehr an ein „digitale Welt hier, analoge Welt dort”. Es gibt noch manchmal Retro-Gedanken, wenn behauptet wird, analoge Instrumente klängen beispielsweise schöner oder so. Aber das ist dann auch eingebettet in etwas Digitales, dass man vielleicht charmant finden kann. Nostalgie. Eher eine Zeitreise als Realität. Das Internet hat keine eigene Wucht mehr, die losgelöst wäre von irgendwelchen anderen gesellschaftlichen Bewegungen. Es war garantiert mal so und hatte auch seine spezielle Sprache und Ideologie. Aber die Zeiten sind meines Erachtens vorbei.
Das klingt aber in Bezug auf die Debatten, die von und mit Social Media ausgelöst werden, sehr pessimistisch. Ist dir das nicht radikal genug?
Ich halte es als Phänomen, ähnlich wie den Menschen im Anthropozän-Gedanken, für nicht mehr als aus dem Gesamtkontext herauslösbar oder instrumentalisierbar. Es ist an so vielen Stellen mit Kultur, Wissenschaft, Wirtschaft etc. verwoben, dass ich eher verwundert bin über die Art und Weise, wie es stets als etwas betrachtet wird, das man zum Beispiel in eine Reihe mit anderen Medien stellt. Um einen etwas abgehalfterten Vergleich zu bemühen: Medien, auch Social Media, sind so was wie Wetter, Internet wie das Klima.