Foto: Ariane Seidel (Ra-min)
„Auf die Residents kann man sich verlassen, persönlich und inhaltlich. Sie kennen den Club, die Gäste, die Anlage, und sie sind ein Grundpfeiler der musikalischen Identität eines Clubs, also ebenso wichtig wie die Architektur, der Raumklang oder die Gestaltung“, sagte einst Nick Höppner in der Groove. Mit unserem monatlichen Resident Podcast wollen wir ihnen den gebührenden Respekt zukommen lassen.
Einer der größten Treppenwitze dieser Szene ist, dass die meisten größeren Clubs zwei Floors haben – auf dem einen läuft Techno, auf dem anderen House und das alles gilt dann schon als breites musikalisches Angebot. Dabei waren es angefangen von Muzik Box in Chicago hin zur Paradise Garage in New York und dem Plastic People in London doch gerade immer die besonders stiloffenen Venues, die weit über die Stadtgrenzen prägend wurden.
Das Plastic People nennt auch Ra-min als eine Inspiration für seine eigene Herangehensweise als DJ. Er repräsentiert das mittlerweile in Leipzig ansässige Kollektiv Music Of Color, dessen Aktivitäten sich auf weit mehr als nur Veranstaltungen und Radioshows auf regionalen Sendern beschränkt. Als “Community-Projekt und eine Plattform für Musik und Erleben abseits einer weißen Mehrheitsästhetik” beschreibt das Gründungsmitglied den eingetragenen Verein. Es ist ein nicht nur in musikalischer Hinsicht offenes Projekt, das auch in sozialer Hinsicht neue Perspektiven in der Leipziger Szene und darüber hinaus aufzeigen soll.
Dazu passt es, dass Ra-min selbst “Genres total überflüssig und nicht aussagekräftig” findet. Das ist auch dem Mix für unseren Resident Podcast anzuhören, der siebeneinhalb Stunden (!) lang durch jede Menge “Peaks und Valleys” führt. Ein veritabler All-Nighter am Freitagmorgen also. Ein breites musikalisches Angebot, das Jazz, Downbeat, Boogie und Funk, House, Dubstep, Jungle, ein Solange-Stück und noch viel mehr umfasst.
Was hat dich persönlich zum Auflegen gebracht?
Gute Musik ist und bleibt für mich eine der faszinierensten Sachen auf der Welt und als Konsequenz führte es bei mir zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Musikkultur und einfach allen Dingen die damit zu tun haben. Das hatte einfach eine unglaubliche Anziehungskraft für mich. Das Ganze ist eigentlich ein kontinuierlicher Prozess gewesen – vom ersten Plattenspieler und eigenen Veranstaltungen bis zu dem Punkt, an dem ich jetzt bin. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass die Musik, welche mich besonders anspricht, einfach nicht gespielt wurde. Daher habe ich entschieden, dies zu ändern. Eine weitere große Inspiration ist für mich Plastic People aus London – auch wenn es den Club nicht mehr gibt. Eine der besten Anlagen, Holzboden, klein, dunkel. Dort sind Leute zusammengekommen, um in relativ unaufgeregtem Ambiente mit einer großen Offenheit und Leidenschaft Musik zu feiern, die bis heute eine große Inspiration ist – und diese Inspiration ist so weit gereist und hat damals irgenwie sogar mich in Deutschland erreicht. Allgemein lässt sich für mich feststellen, dass Musik in meinem Leben einfach Überhand genommen hat und zu einer mittlerweile verinnerlichten Ausdrucksform meiner Emotionen geworden ist.
Du bist Gründungsmitglied von Music Of Color. Wann genau und aus welchem Gedanken heraus habt ihr euch als Kollektiv zusammengeschlossen?
Das Projekt ist eigentlich erst in Leipzig zu dem geworden, was es jetzt ist. Meine Erfahrungen in der für mich neuen Stadt waren in den ersten anderthalb Jahren leider schon eher enttäuschend und davon geprägt, dass ich mich nicht gesehen gefühlt habe und auch keine Chance bekommen habe, meine Visionen von Veranstaltungen und Musikkultur umzusetzen und auch mich künstlerisch zu verwirklichen und auszudrücken. Ich hatte damals das Gefühl, dass ich mich hier nie verwirklichen können beziehungsweise immer den Kürzeren ziehe, wenn ich versuche mich in die bestehenden Strukturen zu integrieren. Die Ideen für die Veranstaltungen von Music Of Color waren schon immer so angedacht, dass es um ein wirklich gemeinsames Teilen und Erleben von Musik geht, um ein Gefühl von Zusammengehörigkeit dabei entstehen zu lassen. Die logische Konsequenz war daher, Personen anzusprechen, welche sich mit diesen Erfahrungen und Werten identifizieren können. Es macht für mich auch viel mehr Sinn für die Art von Projekt eine Organisationsform zu finden, welche Personen unserer Community auch aktiv beteiligt.
Wer gehört zum Kernteam von Music Of Color und was für eine Community besteht um euch herum?
Zum Team haben in den zwei Jahren in Leipzig schon unterschiedliche Leute gehört, von denen sich einige mittlerweile anderen Projekten widmen oder aus unterschiedlichen Gründe ihre eigene Wege gegangen sind. Ich bin aber trotzdem extrem dankbar für jede Beteiligung und Unterstützung. Wir haben außerdem auch im letzten Jahr einen Verein gegründet und aus dem Verein sind einige der Mitglieder*innen gerade aktiv an der Organisation beteiligt – jede Person dabei mit eigenen Perspektiven und Zielen. Was die Community angeht, ist dies vielleicht eher unser Ansatz und Ziel als eine fest definierte Gruppe. Es ist vielleicht eine Schnittmenge an Leuten, die gerne tanzen, Gemeinschaft wertschätzen, sich politisch für BPOC einsetzen und natürlich auf einer ähnlichen musikalischen Frequenz viben. Nur als Beispiel: die Zusammenarbeit mit den Tänzer*innen aus Leipzig finde ich aktuell sehr spannend und augenöffnend. Ich finde es nämlich richtig traurig, wie disconnected die Club- und Tanz-Kultur leider sind. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass wir auf dem richtigen Weg sind, etwas Neues aufzubauen und bereicherende Arbeit für die Stadt leisten. Und dabei bin ich einfach total froh, eine tolle Gruppe aus vielen Gleichgesinnten und so etwas wie eine Community um uns zu haben. Dass unsere Ansätze und die damit verbundenen Musik von diesen Menschen gesehen und gefeiert werden, fühlt sich sehr gut und sehr besonders an.
Ihr verfolgt nicht nur einen sozialpolitischen Ansatz innerhalb der Leipziger Clubszene, sondern wollt auch unterrepräsentierter Musik mehr Gehör verschaffen. Besteht eurer Auffassung nach ein Zusammenhang zwischen der Dominanz bestimmter Musikstile und der demografischen Homogenität der Szene als solcher?
Natürlich gibt es eine Verbindung! Allerdings bin ich es leid, immer wieder darüber zu reden und dies zu erklären und dann aber doch mit anzusehen, dass nichts passiert. Ich möchte, dass mein künstlerischen Beitrag mal mehr im Vordergrund steht und mich nicht mehr mit den Versäumnissen anderer Menschen auseinander zu setzen, die sich unreflektiert schwarze Musikkultur aneignen.
Die von euch organisierten Veranstaltungen bezeichnet ihr bewusst nicht als “Party”, sondern vielmehr als “Dance”. Welche Philosophie verfolgt ihr mit den von euch ausgerichteten Events?
Wir verstehen Music Of Color als ein Community-Projekt und eine Plattform für Musik und Erleben abseits einer weißen Mehrheitsästhetik. Es geht dabei nicht nur um Repräsentation und Sichtbarkeit, sondern vor allem um Gemeinschaft und um Verschiebung vom diesem Rand hinzu politisierten Bühnen, zu einem offenen Publikum, zu einem Gefühl von Kollektivität. Wesentlich bei Music Of Color ist, dass neben vielfältiger Musik auch ein Fokus auf der Performance und der Bühne liegt, dass nicht nur aufgelegt, sondern auch gehostet wird, und dass darin Publikum und DJs eine Verbindung eingehen, indem wir was durch Musik und Performance, zu uns und unseren Vorstellungen erzählen. Wir erweitern gewissermaßen den Kontext von Party, weil wir nicht einfach nur feiern, sondern eine Stimmung generieren wollen, in der wir uns entfalten und damit auch anderen Menschen einen kollektiven Bezugsrahmen schaffen können. Das Feiern, das Hedonistische, der „Rave“, hat eher keine große Rolle. Für mich ging es immer nur um die Musik und das gemeinsame Abfeiern. Dabei kann es natürlich zur kompletten Ekstase kommen, aber das kommt dann nur durch die Leute und die Musik, diese Mischung aus der Kommunikation miteinander, diesem Austausch. Mit Musik versuche ich etwas mitzuteilen, über mich, über meine Emotionen; wie versteht es das Publikum, wie ist die Rückmeldung – halt genauso wie beim Tanzen. Bei unseren Veranstaltungen steht die Gemeinschaft im Vordergrund und nicht irgendwelche eingeflogenen und überteuerten Headliner. Natürlich wollen wir auch weiterhin Gäst*innen einladen, aber ich glaube, die Zielsetzung ist eine komplett andere. Ich finde die Förderung von lokalen Strukturen, unterbewertenen Künstler*innen eine Chance zu geben und das Schaffen neuer Zugänge in die Musikwelt viel befriedigender. Meine Vorstellung ist außerdem, dass du auch alleine zu unseren Events hingehen kannst und dich trotzdem willkommen fühlst und dass die Veranstaltungen solch ein Vertrauen bekommen, dass es eigentlich keine Namen auf dem Line-Up stehen müssen, weil du weißt, dass Music Of Color für den besonderen Vibe steht.
Music Of Color wurde im Jahr 2017 auch ein Label angeschlossen, das seither allerdings inaktiv zu sein scheint. Habt ihr Pläne, es in naher Zukunft zu reaktivieren?
Ich glaube, mit dem Umzug nach Leipzig hat sich der Fokus verschoben – weg vom Label und mehr hin zu den Projekten und der Zusammenarbeit vor Ort. Über die Resonanz der ersten Veröffentlichung von Duke Hugh bin ich trotzdem bis heute immer noch sehr zufrieden. Natürlich würde ich mir wünschen, in der Zukunft weitere Platten mit Music Of Color zu veröffentlichen, möchte es aber nicht erzwingen, sondern auf die passende Musik und den richtigen Moment warten.
Ihr seid ebenfalls im Radio, darunter auch bei Radio Blau in Leipzig mit Shows vertreten. Dort bestreitest du die Ausgaben einer wöchentlichen Sendung am Samstagmorgen. Worauf kommt es dir bei der Programmierung an?
Die Music Of Color Morning Show begann eigentlich als einmaliges Special, aber nach dem überwältigenden Feedback der ersten Sendung war schnell klar, dass es eine wöchentliche Sendung werden muss. Also sende ich nun seit April 2020 wirklich jeden verdammten Samstag von 09 bis 12 Uhr und versuche mich dabei musikalisch auszudrücken als auch durch die Musik mit den Zuhörenden zu interagieren. Selbstverständlich kommt die eine oder andere lustige Nachricht und die Shoutouts an die Hörenden nicht zu kurz, denn mittlerweile ist die Sendung fester Teil von der Routine von so einigen Menschen geworden. Gerade in den Coronazeiten war es eine absolute Konstante. Dadurch ist die Morning Show schon sowas wie Kult geworden. Musikalisch ist eine Möglichkeit, Musik auch ohne den Dancefloor-Kontext zu präsentieren, was einfach auch sehr viel Spaß macht und sich bereichernd anfühlt. Selections für Leute, die einfach gerne Musik hören und was ich gerade so fühle… So kommt es dann dazu, dass schon so gut wie alles mal an den Plattenspielern gelandet ist, von Ambient, Jazz, House zu Detroit Techno über Jungle und so gut wie jede andere Variation von Musik mit Soul. Es ist nicht so super leicht für mich, dies mit Genre-Referenzen zu beschreiben, denn eigentlich finde ich ich Genres total überflüssig und nicht aussagekräftig. Die Morning Show ist vielleicht die Form, mit der ich diese Behauptung belege – außerdem gibt es spannende Gespräche mit Künstler*innen und Menschen aus unsere Community, Gastmixe aus dem Studio und die eine oder andere Sondersendung.
Was sind deine Pläne für die Zukunft und was steht im Music Of Color in nächster Zeit an?
Bei Music Of Color möchten wir die Dinge weiterführen, welche wir bis jetzt auch schon ins Rollen gebracht haben, das bedeutet regelmäßige und vor allem selbstbestimmte Veranstaltungen organisieren und gerne auch anfangen, uns jenseit der Stadtgrenzen zu vernetzen. Außerdem ist geplant, eine nachhaltige Struktur für die Organisation des Projektes und den Verein zu etablieren. Ich mache mir derzeit auch viele Gedanken um Dokumentation – gerade in Bezug auf das rasant anwachsende Radioarchiv. Aber eigentlich gilt das für unsere gesamte Arbeit mit Music Of Color. Für mich persönlich geht es es ganz aktuell mit der Coronalage darum, Möglichkeiten zu finden, mit Menschen Musik gemeinsam zu erleben – ganz speziell denke ich dabei an eine Art Listening Bar. Und natürlich gibt es schon eine riesige Menge an Ideen für tolle Radiospecials. Außerdem möchte gerne eine wenig House Dance lernen und sehr gerne würde in der Zukunft mehr solche Extended Sets wie hier im Resident Podcast auch im Club spielen.
Was war die Idee hinter deinem Beitrag für unseren Resident-Podcast?
Ich hatte sofort die Idee einen Mix aufzunehmen, der Einblicke in den Sound gibt, welche ich für eine Veranstaltung von Music Of Color auswählen würde. Und zwar von der ersten bis zur letzten Platte. Jede Phase hat mir dabei einfach verdammt viel Spaß gemacht und der Mix hat auch die natürlichen Peaks und Valleys, welche für mich so extrem wichtig bei einem gelungenen Clubabend sind. Am Ende ist es mit 7,5 Stunden mein längster Mix ever geworden. Ich habe es mir mit einem Berg diverser Lieblingsmusik in meinem Studio gemütlich gemacht und das ganze mit zwei Plattenspielern, einem Space Echo und meinem geliebten E&S-Mixer relativ frei entstehen lassen. Es ist alles übrigens auch in einem Take aufgenommen und es ist sicherlich auch der ein oder andere nicht ganz perfekte Übergang dabei, aber das ist doch im Laufe eines Abends total normal und gibt dem Mix einen menschlichen Charakter. Selber definieren ich mich auch eher als Selector – ich versuche die richtige Musik für den richtigen Moment auszuwählen und mit den Songs eine emotionale Story entstehen zu lassen.
Stream: Ra-min – Groove Resident Podcast 25