Moritz von Oswald auf der Terrasse des Haus der Kulturen der Welt (Foto: Haus der Kulturen der Welt)
Schon 12 Jahre lang gibt es das Moritz von Oswald Trio. Gegründet 2009 von Max Loderbauer, Vladislav Delay und natürlich Dub-Techno-Pionier Moritz von Oswald, verstand sich das Trio von Anfang an als Klanglabor für improvisierte, Jazz-sozialisierte elektronische Musik. Ohne feste Grenzen, im Ausgang irgendwo zwischen Ambient, Jazz und Techno. Mit den über die Jahre wechselnden Besetzungen traten immer wieder neue klangliche Perspektiven hervor. Im Rahmen der 21-Sunsets-Open-Air-Konzerte auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin präsentierte das Trio nun am 14. August sein neues Werk: Dissent. Unser Autor Moritz Hoffmann war für euch vor Ort.
An der Seite von Moritz von Oswald hat sich das Trio mit Experimental-Musikerin Laurel Halo und Jazz-Drummer Heinrich Koebberling abermals neu formiert. Die bereits im Bandnamen anklingende Synthese von elektronischer Musik und Jazz zeigt sich in Dissent wieder auf hohem Niveau und im Gewand einer spielerisch-losen Jam-Session. Dieser Jam-Charakter könnte auch dazu geführt haben, dass die eine oder der andere beim Hören wahrscheinlich dachte: Das wäre sicherlich auch live spannend.
Und siehe da, schon einige Tage nach der Veröffentlichung des Albums gab es die Möglichkeit, das Trio live zu erleben: Am letzten Wochenende des 21-Sunsets-Open-Airs, auf der eindrucksvollen Dachterrasse des HKWs in Berlin. Wenn nun, wie beschrieben, schon das Album nach Live-Jam klingt, was unterscheidet dann eigentlich das wirklich ‚live‘ Gehörte vom physisch-fixierten ‚Album‘? Ist es die Einzigartigkeit und Einmaligkeit des Konzerts? Die Faszination des Neu-Entstehenden und Bereits-Vergehenden? Der Zufall? Vielleicht das Miteinander-Hören aus riesigen Lautsprechern? Oder die unmittelbare räumliche Nähe zu Künstler*innen, die man in der Fantasie zu zeitloser Größe aufblühen ließ? (Ein solcher Fantasie-Riese könnte Moritz von Oswald ja durchaus bei vielen sein.) Keine Ahnung, denn näher kommt man dem Konzerteindruck damit nicht.
Dann dämmert es und das beleuchtete Austern-Runddach des HKWs legt sich wie ein riesiger Heiligenschein um die Bühne.
Jedenfalls hat die eine oder der andere recht mit der Vermutung. Als Live-Musik kann Dissent seine ganze Energie entfalten. Doch zuvor gab es noch ein Konzert, das hier deutlich und positiv hervorgehoben sei: Adir Jan, der seine Musik als Cosmopolitan Kurdesque bezeichnet, spielt gemeinsam mit Sänger und Gitarrist Ermahn Gökmen und Percussionist Hogir Göregen ein warmherziges, mitreißendes Konzert voll schreiender Schönheit und tradierter kurdischer Folk-Poesie. Zwischendrin gibt’s liebevolle Intermezzi, kulturelle Aufklärung und beim letzten Track sieht man zwei Besucherinnen ausgelassen tanzen. Ein großartiger Auftritt. Dann dämmert es und das beleuchtete Austern-Runddach des HKWs legt sich wie ein riesiger Heiligenschein um die Bühne. Später taucht rechts vom Dach der Mond auf, und man kann sein gemächliches Wandern während des ganzen Auftritts des Trios beobachten.
Dieser Auftritt ist ein einziger Guss, genau wie das Album, ohne Zwischenpausen. Der bereits vermutete Jam-Charakter verwirklicht sich ‚live‘ in einer wilden Session. Von experimentellem Noise entwickelt sich das Set langsam hin zur jazzig-elektronischen Tanzmusik. In einem Steigerungslauf holt das Trio nach und nach dynamische Grooves aus dunkler Tiefe empor. Ganz organisch, düster, flimmernd, entwächst dem elementaren Klangboden, und inmitten verwirrend-schwirrender Flächen, etwas, das man als Proto-Techno bezeichnen könnte.
Die tiefen Bässe und funkigen Synthleads umwirbelt Koebberling mit fliegendem Schlagzeugeinsatz. Von Oswald sitzt immer wieder vor den Geräten und lauscht den Sounds. Er lässt laufen, greift nur ein, wenn er es für richtig hält. Sein ganz in sich gekehrtes, statisches Auftreten hebt sich von den anderen beiden, und in gewisser Weise auch von der Musik, deutlich ab: Koebberling rockt am Schlagzeug, Halo rockt an Synthesizern und Effekten. Immer dichter, schneller, hitziger scheint alles zu werden, bis sich nach über einer Stunde plötzlich der letzte Akkord erhebt. Moritz von Oswald spielt den und löst ihn nach einer Weile ganz subtil und elegant auf. In den ersten, und dadurch irgendwie entrückten, Moment der Stille. Während dem langen und großen Jubel treten Koebberling und Halo irgendwann hinter von Oswald zurück, sodass dieser im anbrandenden Klatschen der Erinnerung als leuchtender Fantasie-Riese zurückbleibt.