Alle Fotos zu unserer Reportage zeigen verschiedene Örtlichkeiten im Berliner Club SchwuZ (Sämtliche Fotos: Martina Dünkelmann)
Da arbeiten, wo andere feiern – für viele ein Traumjob. Die Arbeit macht Spaß, und sei es nur, weil alle anderen zum Spaß haben da sind. Eine der grundlegenden Zwecke der Kulturstätte Club ist schließlich das Vergnügen. Darüber hinaus hebt das Arbeiten im Club den sozialen Status: Du bist Teil von etwas, zu dem manche keinen Zugang haben; du bist drinnen, während andere draußen anstehen. DJs persönlich kennenzulernen, hinter die Kulissen blicken zu können, zur Szene gehören und verantwortlich für die Party zu sein, kann dich manchmal sogar vergessen lassen, dass du überhaupt arbeitest. Wenn du neben dem Studium am Wochenende ein paar Schichten im Club schiebst, siehst du diesen vielleicht noch nicht mal als das, was andere Menschen ihren Arbeitsplatz nennen. Denn Arbeit sieht doch wohl anders aus?! Unsere Autorin Martina Dünkelmann hat in den letzten 25 Jahren im Berliner Nachtleben schon die verschiedensten Tätigkeiten übernommen. Für diese Reportage, die kurz vor dem Beginn der Pandemie entstanden ist, hat sie mit einer Reihe von Leuten gesprochen, die ihren Lebensunterhalt im Nachtleben verdienen.
Giulia (Name von der Redaktion geändert), 27 Jahre alt, Italienerin und seit 7 Jahren in Berlin, arbeitet neben ihrem eigentlichen Job in der Dienstleistungsbranche seit einem Jahr an den Wochenenden in einem legendären Berliner Techno-Club. Sie erzählt am Telefon: „Ich mach’ das, weil es mir Spaß macht. Aber ich glaube schon, dass das Nachtleben nicht das Beste für die Gesundheit ist. Mein Traum ist was anderes. Da ist nicht die beste Luft, Leute schwitzen und rauchen … und das sag ich, obwohl ich selber rauche. (lacht) Ich will das nicht lange machen.“ Die negativen Konsequenzen von schlechter Luft, Dauerlärm und Nachtarbeit stellen sich erst nach ein paar Jahren ein. Je älter Clubarbeiter*innen werden, desto schlechter können sie sie weg stecken.
Partyarbeit ist Dauer-Nachtarbeit, für Mediziner*innen ist das Leben gegen die biologische Uhr Raubbau am Körper. In anderen Branchen wird Nachtarbeit extra bezahlt. Doch wo alle ständig in der Nacht arbeiten, kommt kaum jemand auf die Idee, deswegen höhere Zulagen zu fordern. Selbst wenn in den Arbeitsverträgen eine Nachtzulage vereinbart ist, ist das Gehalt oft so niedrig, dass man im Vergleich zu anderen Branchen kaum von einer Zulage sprechen kann. Die Gastronomie ist eine Billiglohn-Branche ohne bundesweiten Branchentarifvertrag, der für alle Arbeitgeber*innen verbindlich wäre. So ein Branchentarifvertrag würde den Beschäftigten das Recht geben, mehr Lohn einzufordern als den gesetzlich geregelten Mindestlohn von 9,35 Euro. Putzfrauen und -männer bilden zum Beispiel eine Berufsgruppe, die Anspruch auf mehr Lohn hat: im Osten Deutschlands laut Tarif 10,05 €.
Nicht mal der Mindestlohn ist garantiert
Doch in der Gastronomie gibt es viele Chef*innen, die sich nicht an das Mindestlohngesetz halten, sagt der Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG) Region Berlin-Brandenburg, Sebastian Riesner im Telefoninterview. Er berichtet von Servicekräften mit 3 € Stundenlohn und einer Berliner Eventveranstaltungs GmbH, die Nobelbars betreibt. Die Beschäftigten erhielten Verträge mit eingebauter „Vorstrafe“: Sie gaben zu, dass sie den Arbeitgeber schon einmal beklaut hätten. Wenn sie dies “noch einmal” täten, würden sie sofort gekündigt und müssten 5000 Euro Strafe zahlen. Diesen kriminellen Vertrag unterschrieben alle Beschäftigten ausnahmslos. Sebastian Riesner meint, die Meisten hätten ihn noch nicht einmal gelesen. Sie waren froh, einen Job zu haben – sogar mit Vertrag!
Ein anderes Problem ist die Scheinselbstständigkeit. Die Beschäftigten arbeiten auf Rechnung und müssen selbst für ihre Sozialversicherungsbeiträge aufkommen, der Arbeitgeber spart sich seinen Anteil daran. Viele haben keinen Vertrag, also auch keinen Kündigungsschutz und andere Rechte. Wenn sie ein Gewerbe als Servicekraft anmelden, ist für das Finanzamt meist alles in Ordnung. Den Verdacht auf Scheinselbstständigkeit und auch auf Schwarzarbeit prüfen die Rentenversicherung und der Zoll in unangekündigten Kontrollen, und zwar in allen Branchen, zum Beispiel auch im Baugewerbe. Aber mit den Kontrollen kommen diese Institutionen nicht hinterher, das Risiko aufzufliegen ist gering. Mir selbst wurde einmal ein Job im Catering des Bundestages angeboten, die geforderte Stundenzahl war so hoch, dass ich scheinselbstständig gewesen wäre. Wenn ich aufgeflogen wäre, hätten nicht nur dem Arbeitgeber, sondern auch mir Strafen gedroht. Dass es der Arbeitgeber ist, der mir keinen Vertrag anbietet und mich so zur Scheinselbstständigkeit zwingt, befreit mich nicht von der Schuld.
Wir haben viele Kolleg*innen, die auch miteinander befreundet sind, die helfen sich. Da kann es dann mal passieren, dass man helfen will und dann bleibt man ein paar Stunden mehr.
Giulia
Die Club-Branche ist ein vergleichsweise besseres Arbeitsumfeld als die restliche Gastronomie. Im alteingesessenen Berliner queeren Zentrum und Club SchwuZ erhalten Angestellte wie Barkeeper 10 € pro Stunde, also ein bisschen mehr als den Mindestlohn – plus Nachtzuschlag. Der liegt bei ständiger Nachtarbeit zwischen 23 und 6 Uhr bei 30%.
„Wenn wir unseren Mitarbeiter*innen mehr zahlen würden, müssten wir die Preise so erhöhen, dass sich das kein Mensch mehr leisten kann. Das wäre ja auch nicht gut“, sagt Marcel Weber, einer der Geschäftsführer des SchwuZ. Ein Argument, über das man sich im Einzelfall sicherlich streiten kann und für das man sich die Bilanzen jedes einzelnen Clubs genau anschauen müsste.
Zusätzlich kriegen Beschäftigte in der Gastronomie auch noch Trinkgeld, was manche Chef*innen laut Sebastian Riesner gerne auch mal auf den Lohn anrechnen. Das ist aber nicht zulässig. Genauso wie regelmäßige Überstunden, das heißt, Schichtlängen von mehr als 8 Stunden.
Diese Überstunden werden in Clubs meist freiwillig geleistet. Wer auf Rechnung arbeitet, also nach Stunden bezahlt wird, freut sich über mehr Geld. Wenn der Laden unerwartet voll ist und die Kollegen überlastet sind, gehen auch die Minijobber oder Festangestellten nicht einfach nach Hause. Sie gehen dafür dann ein anderes Mal früher, wenn es mal leerer ist. Oder helfen einfach so, ohne Bezahlung, Giulia: „Wir haben viele Kolleg*innen, die auch miteinander befreundet sind, die helfen sich. Da kann es dann mal passieren, dass man helfen will und dann bleibt man ein paar Stunden mehr. Oder man bleibt nach der Schicht noch da und feiert noch ein bisschen, und dann hilft man dem Runner noch und so.“ In Deutschland gibt es außerdem viele ehrenamtliche Clubunterstützer*innen, die gar nicht bezahlt werden.
Und überhaupt: wer kümmert sich schon um Gesetze und Regeln? Gerade in so einem informellen Umfeld wie in einem Club? Die Bereitschaft zur Selbstausbeutung ist hoch. Wer würde es überhaupt wagen, etwas zu fordern? „Die meisten trauen sich nicht, etwas zu sagen, weil sie Angst haben vor Repressalien“, sagt Jim (Name von der Redaktion geändert), 40 Jahre alt, seit 20 Jahren Clubarbeiter und aktuell Personal- und Abendleiter eines renommierten Berliner Clubs. Er selbst fürchtet, aufgrund seiner Aussagen erkannt zu werden, trifft sich aber trotzdem mit mir zum Interview in einem Cafe in der Berliner Innenstadt. Zu der Angst vor Repressalien kommt die Angst vor Jobverlust hinzu. Wer der Chef-Etage nicht passt, wird schnell gefeuert und ist leicht ersetzbar. Jobs in Clubs erfordern meist wenig Vorkenntnisse und keine Ausbildung. Bier aus dem Kühlschrank holen kann jede*r, und das Mixen eines Longdrinks mit Messbechern ist keine große Kunst. Und Jobs in Clubs sind begehrt.
Ohne die Aufopferung vieler Ehrenamtler wäre das Kulturangebot in ganz Deutschland wesentlich kleiner.
Doch die Professionalisierung hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Mareena ist seit 20 Jahren in der Techno-Szene aktiv und verfügt mittlerweile eine Rundum-Perspektive auf das Nachtleben, unter anderem als Tresor-Resident-DJ, Kuratorin und Ex-Barkeeperin: „Es gibt super viele Minijobs, früher ging vieles auf Rechnung, oder schwarz. Schwarzarbeit gibt es heute nicht mehr – zumindest in großen Clubs.“ Denn die werden ständig kontrolliert. Laut einer Studie der Berliner Clubcommission waren 2018 28 Prozent der Angestellten in Berliner Clubs sozialversicherungspflichtig beschäftigt und 40 Prozent Minijobber*innen.
20 Prozent waren freie Mitarbeiter*innen, arbeiteten also auf Rechnung. Das können Grafiker, Handwerker oder Springer gewesen sein, die nur ab und zu arbeiten. Aber Scheinselbstständigkeit ist auch in Clubs ein Thema, die Clubcommission bietet Beratungen dazu an. Weitere 10% arbeiteten ehrenamtlich. Das weist hin auf die große Spannweite des Begriffs „Club”, der Locations mit Techno-Millionen ebenso umfasst wie kleine kulturelle Angebote abseits der Touri-Ströme, die mit Herzblut von Ehrenamtler*innen realisiert werden. Aber es gibt auch Fälle, in denen das Ehrenamt zur Selbstausbeutung führt, wenn Unterstützer*innen gegen freien Eintritt und Freibier nicht nur Gefälligkeiten erweisen, sondern tagelang unbezahlt beim Ausbau der Toiletten helfen. Doch ohne die Aufopferung vieler Ehrenamtler wäre das Kulturangebot in ganz Deutschland wesentlich kleiner.
Zwar hat die Zahl der angestellten Clubarbeiter*innen mit Vertrag in den großen Clubs Berlins in den letzten zehn Jahren stark zugenommen. Doch der höhere Grad an vertraglicher Absicherung führt auch zu mehr Angst. Nur wer hat, dem kann auch genommen werden, erklärt Jim: „ Es gibt ja auch viel zu verlieren, wenn man eine Festanstellung hat: Rentenversicherung, Sozialversicherung, und so weiter. Aber in anderen Branchen wird mehr auf Regeln, Vorschriften und Gesetze geachtet, und von Arbeitnehmer*innen mehr eingefordert, als das in der Gastronomie der Fall ist.“
„Das heißt, man hat Gästeliste, man hat Freisuff und so weiter, all das ist positiv konnotiert. Dass dahinter aber Arbeitsrechte verletzt werden, und die Arbeitsbedinungen relativ Scheiße sein können, das wird sehr schnell verschleiert.”
Lissim
Das bestätigt auch Sebastian Riesner. In der gesamten Gastronomiebranche hätten viele Mitarbeiter*innen keine Arbeitsverträge; und wenn, dann oft mit unrechtmäßigen Klauseln. Doch ob der Anteil der Mitarbeiter*innen der Clubszene mit Vertrag in Höhe von 68 Prozent höher ist als im Rest der Branche, vermag er nicht zu sagen. Über die Beschäftigungsverhältnisse der Angestellten der mehr als 10.000 Hotel- und Gastronomiebetriebe in Berlin gäbe es keine Statistiken, sagt er.
Betriebsräte in Clubs
Eine ständige Institution, die dafür sorgen soll, dass Regeln des Arbeitsschutzes eingehalten, die Mitarbeiter*innen gehört werden und anständige Verträge haben, ist ein Betriebsrat. Doch die sind extrem selten, erklärt Sebastian Riesner: „Betriebsräte in Clubs gabs schonmal, aber das ist schon so lange her, da hießen Clubs noch Diskotheken.“ Zur Clubszene von heute hat er keinen Kontakt und versucht, sich zu erinnern, wann er das letzte Mal mit einem Betriebsrat in einer Diskothek zu tun hatte. Das war in den 80ern. Er findet, dass das Bedürfnis der Beschäftigten nach Mitbestimmung seitdem stark abgenommen hat. Viele Gastro-Beschäftigte wüssten gar nicht, dass es Mitbestimmungsrechte gibt, zumal viele nicht aus Deutschland kämen. Die ganze Branche sei gewerkschafts- und betriebsratsfeindlich, weil es viel Schwarzarbeit und Scheinselbstständige gäbe. Die Gastro-Arbeiter*innen wollten sich und ihre Kollegen nicht anschwärzen und scheuten sich deswegen, auf die NGG zuzugehen, so Riesner.
Die Angestellten eines maßgeblichen Berliner Techno-Clubs gingen auf eine andere Gewerkschaft zu. Mit Hilfe von ver.di haben sie Anfang September einen neunköpfigen Betriebsrat gewählt. Sobald ein Betrieb mindestens fünf ständig Beschäftigte hat, ist dies in Deutschland möglich. Àuf dem Chaos Communication Congress 36C3 im Dezember 2019 in Leipzig berichtete Lissim, Security-Mitarbeiterin und jetzt Betriebsrätin, bei einem Panel-Talk über die Probleme vor und nach der Wahl. Sie erscheint im Video-Mitschnitt des Talks sehr stark und kämpferisch, als ob sie jedes Wort sorgsam gewählt hat. Daraus entstehen Sätze, die rein hauen wie Hammerschläge: „Ich denke, dass die Techno-Branche das perfekte Fahrwasser ist, in dem sich schlechte Arbeitsbedingungen verschleiern lassen. Aus einer Reihe von Gründen: einerseits arbeitet man, wo andere Urlaub machen, respektive feiern. Das heißt, es wird ein soziales Konstrukt Technoclub gebaut. Es vermittelt ein positives Lebensgefühl, Teil davon zu sein, dort arbeiten zu dürfen. Das heißt, man hat Gästeliste, man hat Freisuff und so weiter, all das ist positiv konnotiert. Dass dahinter aber Arbeitsrechte verletzt werden, und die Arbeitsbedinungen relativ Scheiße sein können, das wird sehr schnell verschleiert.“
Hinzu kommt die hohe Mitarbeiter*innen-Fluktuation in den meisten Clubs. Wer einen Minijob hat und die Clubarbeit nur für den Übergang in ein anderes Berufsfeld nutzt, nimmt die Arbeitsbedingungen eher kritiklos hin, meint Lissim: „Daneben gehen die, die das langfristig machen, ein bisschen unter.“
Die Clubcommission Berlin verweist in einer schriftlichen Antwort auf GROOVE-Interviewfragen auf die speziellen Charakteristika der Branche: „Für die meisten steht nicht das Geldverdienen im Vordergrund, sondern die kulturelle Teilhabe innerhalb der Szene. Es gibt eine Mischung aus Profis und Leuten, die einfach nur ihrer Passion nachgehen.“ Aber auch wer aus Leidenschaft arbeitet, ist nur bis zu einem gewissen Grad bereit, für die Arbeit zu „leiden“. Mitbestimmung ist ein Mittel gegen Probleme, und es gibt neben der Gründung eines Betriebsrates auch andere Möglichkeiten, zumindest Mitsprache zu realisieren. Die Einfachste: mit den Chef*innen reden, persönlich oder auf Mitarbeiter*innen-Meetings. Zu diesen müssen die Mitarbeiter*innen aber auch erscheinen, denn die Teilnahme ist freiwillig und je größer der Club, desto schwieriger ist es, einen Termin zu finden, an dem sich alle Zeit dafür nehmen können und wollen. Bei beiden Möglichkeiten müssen die Mitarbeiter*innen sich jedoch auch trauen, ihre Probleme den Chef*innen gegenüber zu äußern.
Giulia hält das für sich persönlich für möglich, hatte aber auch noch keine ernsthaften Probleme. Jim verweist darauf, dass es in verschiedenen Clubs Versuche gäbe, Ansprechpartner*innen aus dem Mitarbeiter*innenkreis zu suchen, die dann mit den Wünschen und Problemen zur Chef-Etage gehen: „Das funktioniert aber nur mittelmäßig.“ Mareena hat erlebt, dass ihr Hinweis auf ein bestimmtes Problem beantwortet wurde mit: „Bitte schreib eine Email an die Chef*innen; wir beschweren uns auch schon ewig, aber es passiert nichts.“ Sie findet die Idee eines Kummerkastens gut: „Was ich total wichtig finde, und das geht in vielen Clubs unter: Dass die Leute gehört werden, die vor Ort arbeiten. Ob es die Techniker*innen sind, die Barleute, die Residents – wenn da mal ein Feedback kommt, dann sollte das von den Chef*innen gehört und wertgeschätzt werden, statt nur „Ja ja“ zu sagen.“
Es gibt sogar Chef*innen, die einem Betriebsrat positives abgewinnen können. Durch ihn erfahren sie von den Problemen der Angestellten und können diese mindern oder lösen.
In dem 36C3-Talk kritisierte auch Lissim die mangelnde Wertschätzung der Anregungen der Mitarbeiter*innen. „Dazu kommt, dass viele Clubs inhabergeführt sind. Das ist die Konstellation, in der es am schwierigsten ist, die Arbeitnehmer*innen zu organisieren, weil ein*e Inhaber*in oft wie so ein*e kleine*r Herrscher*in über seinen*ihren Laden bestimmt und sich nicht reinreden lassen will. Also, dass es eine ganz vehemente Gegenwehr gegen Mitsprache gibt, die nicht über eine selbst installierte Hierarchie funktioniert.“ Lissim hat anderthalb Jahre gebraucht, um genügend Mitstreiter*innen für eine Betriebsratsgründung zu finden.
Wenn der Betriebsrat erstmal gewählt ist, müssen die Angestellten ihn aktiv unterstützen, zum Beispiel, indem sie an Betriebsversammlungen teilnehmen und ihre Probleme äußern. Das kann Diskussionen und Unruhe in der Belegschaft erzeugen. Die Angst, sich in der Chefetage unbeliebt zu machen, ist groß, nicht nur in der Clubszene. Abnehmende Zivilcourage ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen; und die Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahrzehnten massiv an Mitgliedern verloren. Dabei ist diese Angst in Teilen unbegründet: ein Betriebsrat schützt vor willkürlichen Kündigungen und stärkt die Rechte der Mitarbeiter*innen. Es gibt sogar Chef*innen, die einem Betriebsrat positives abgewinnen können. Durch ihn erfahren sie von den Problemen der Angestellten und können diese mindern oder lösen. Das hebt das Betriebsklima. Ein wichtiger Faktor, wenn die Arbeit Spaß machen soll, weil alle zum Spaß haben da sind.
Nach langem Nachdenken kommt Giulia zu dem Schluss: ”Vom Menschlichen her ist es im Club besser.“
Manche Chef*innen empfinden es aber als einen Mangel an Flexibilität, wenn sie sich vor Entscheidungen mit einem Betriebsrat absprechen müssen. Flexibilität ist im Veranstaltungsbusiness sehr wichtig, jede Nacht kann anders werden als geplant, Entscheidungen müssen schnell gefällt werden. Das SchwuZ hat seit einigen Jahren einen Betriebsrat.
Auch dieser musste erkämpft werden. Doch jetzt ist die Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmer*innenvertretung laut Geschäftsführung gut, Marcel Weber beklagt sich nicht über mangelnde Flexibilität: „Das ist alles eine Frage der Organisation des Betriebes. Wenn man merkt, es hakt an einer Stelle, muss man halt eine Betriebsvereinbarung treffen, um das Problem zu lösen.“ In einer Betriebsvereinbarung regeln Arbeitgeber und Betriebsrat grundsätzliches wie Pausen- und Arbeitszeitregelungen. Auch bei wirtschaftlichen Entscheidungen hat ein Betriebsrat ein Mitspracherecht, für die Arbeitgeber gilt aber ein gewisses Maß an unternehmerischer Freiheit.
Wenn Mitarbeiter*innen sich in Kollektiven organisieren und selbstständig machen, bietet dies ganz eigene Möglichkeiten der Partizipation. Kollektive betreiben das Institut für Zukunft in Leipzig und die Berliner Clubs Mensch Meier und://about blank. Das ://about blank hat letztes Jahr eine Genossenschaft gegründet, bei der die meisten Mitarbeitenden angestellt sind. Neben dem Betreiber*innen-Kollektiv, den Kollektivista, gibt es den Clubrat, die Mitarbeitenden-Vertretung, die einmal im Jahr gewählt wird. Die beiden Gremien senden Delegierte zu regelmäßigen Treffen, in denen relevante Themen und Anliegen diskutiert werden. Außerdem verhandeln sie in regelmäßigen Abständen über Lohnerhöhungen, zusätzliche Urlaubstage und über andere Anliegen der Mitarbeiter*innen. Alle erhalten den gleichen Lohn, „alle Einnahmen werden als Löhne ausgeschüttet oder wieder in den Laden investiert“, so Kollektivista und Clubrat schriftlich in einem ihrer seltenen Interviews zu Groove.
Die Mitarbeitenden äußern ihre Probleme und Vorschläge in Arbeitsbereichtreffen, die monatlich oder mindestens halbjährlich stattfinden. Alle sechs Monate gibt es auch eine Mitarbeiter*innen-Vollversammlung, in der die Kollektivista über die wirtschaftliche Situation informieren und in der wichtige Themen diskutiert werden.
„Da die letzte Entscheidung aber beim Betreiber*innen-Kollektiv liegt, ist hier natürlich eine Machtkonzentration, die wir immer wieder kritisch reflektieren müssen. Wir versuchen viele Perspektiven der Mitarbeitenden durch den Clubrat und die Arbeitsbereichstreffen – und natürlich auch durch den direkten Kontakt und Zusammenarbeit – in unsere Entscheidungen einfließen zu lassen und möglichst durchlässig zu sein. Da ist aber sicher noch viel Luft nach oben.“ Auch in einem nach Transparenz und Machtverteilung strebenden Gefüge gibt es Verteilungskämpfe. Der Clubrat merkt kritisch an: „Wenn bauliche Veränderungen oder größere Investitionen notwendig sind, um Arbeitsschutz-Mängel zu beseitigen oder Arbeitsbedingungen zu verbessern, müssen wir beim Betreiber*innen-Kollektiv manchmal ganz schöne Überzeugungsarbeit leisten, damit dies dann auch zeitnah geschieht.“
Nirgendwo ist heile Welt. Aber im Club ist’s meistens schöner – wenn keine „kleinen Herrscher“ stören. Giulia: „In meinem anderen Job werden meine Rechte weniger beachtet.” Sie will nicht mal verraten, was für ein Job in der Dienstleistungsbranche das genau ist. Nach langem Nachdenken kommt sie zu dem Schluss: ”Vom Menschlichen her ist es im Club besser.“