DJ Sprinkles – Gayest Tits & Greyest Shits 1998-2017 (Comatonse Recordings)
DJ Sprinkles als das schlechte Gewissen der Szene zu bezeichnen, wäre zu einseitig. Denn zwar sind Alben wie das monumentale Midtown 120 Blues allemal als bitterböse Abrechnungen mit der Kommodifizierung und Sinnentleerung subkultureller Errungenschaften und Codes zu verstehen, lassen sich zugleich aber ebenso als Verteidigung derer ursprünglichen Potenziale hören. Ein großer Zwiespalt prägt also das Werk von Terre Thaemlitz. Die geäußerte Kritik ist in ihrer Bissigkeit nicht als Entweder/Oder zu verstehen, sondern als Sowohl-als-Auch: Ja, alles ist in kultureller und sozioökonomischer Hinsicht grundlegend beschissen, aber zugleich ist der Club immer noch von politischer Bedeutung – im Schlechten wie im Guten.
So erklärt es sich wohl, dass Thaemlitz dem Dancefloor nie vollständig den Rücken gekehrt hat. Obwohl, und das ist allemal prosaischer, sich mit Deep House und DJ-Gigs im Zweifel auch mal mehr verdienen lässt als mit elektroakustischen Sounds und Konzeptkunst, wie sie vor allem mit dem Klarnamen verbunden sind. Das allerdings ist nur insofern als Widerspruch zu verstehen, wie unter kapitalistischen Wertschöpfungszwängen jede Kunst inhärent widersprüchlich ist – auch und gerade jene, die marxistisch geprägte Kritik an der Gesamtscheiße äußert. Sonderlich viel Kompromisse macht Thaemlitz ja sowieso doch nicht: Was beispielsweise auf dem selbstbetriebenen Bandcamp-Account erhältlich ist, wird ebenso streng kontrolliert, wie nur selten Zugeständnisse an die große Ausbeutung im Streaming-Geschäft gemacht werden: Eine Spotify-Suche nach DJ Sprinkles liefert nur sehr wenige Resultate.
„In ihrer Gesamtheit verdeutlicht die Zusammenstellung, wie gleichermaßen konzise und komplex Thaemlitz’ Kritik aus dem Dancefloor-Handgemenge ausfällt.”
Bei der Compilation Gayest Tits & Greyest Shits 1998-2017 12-Inches & One-Offs handelt es sich dementsprechend um einen ähnlichen (Nicht-)Kompromiss: Die sich über zwei CDs erstreckende Sammlung zum Teil vergriffener 12”-Releases und verstreut veröffentlichter Stücke, von denen das Gros unter dem bekanntesten Thaemlitz-Pseudonym DJ Sprinkles erschien, wird nicht als Download oder per Stream erhältlich sein. Ebenso werden alle Wünsche nach Vinyl-Reissues der Tracks auf der Comatonse–Website trocken abgeschmettert: „please spare us your shade”, wird Format-Fetischist*innen entgegengehalten, „Sprinkles holds by her opinion that CD sounds better: less noise, greater spectral range, wider stereo field (especially regarding bass), etc.” Weshalb übrigens auch nie mit einem Midtown-120-Blues-Reissue auf Vinyl zu rechnen sein wird.
Fans wird auf Gayest Tits & Greyest Shits 1998-2017 12-Inches & One-Offs dementsprechend wenig Neues, das aber in bester Soundqualität frisch vom Master-Tape geboten. Es sollte ebenso als Erinnerung daran dienen, dass die Disco kein diskursfreier Raum ist – im Guten wie im Schlechten. In ihrer Gesamtheit verdeutlicht die Zusammenstellung, wie gleichermaßen konzise und komplex Thaemlitz’ Kritik aus dem Dancefloor-Handgemenge ausfällt.
Dazu braucht es nicht unbedingt wie auf „Useless Movement” aus dem Jahr 2007 das Voiceover von Laurence Rassel, die über den Widerspruch zwischen identitätspolitischem Essentialismus und dem poststrukturalistischen Mord an der Figur des Autors referiert. Es reicht auch der enervierende Vocal-Loop „There’s some whores in this house” auf „Glorimar’s Whore House” von einer der früheren DJ-Sprinkles-EPs, „Bassline.89”, der gerade durch seine Direktheit unter dem Rave-inspirierten Stück einen doppelten Boden aufmacht:
Wo Clubszene ist, da findet sich auch Prostitution, das heißt Ausbeutung und Gewalt. Dass der Track wunderbar zu Prime-Time-Zeiten laufen könnte und durchwegs mitgrölbar ist, macht die Ironie nur noch feinsinniger. Und dass das Sample erst kürzlich in Cardi Bs und Megan Thee Stallions Welterfolg „WAP” eingesetzt wurde, allemal. Machtstrukturen dort, Empowerment-Versprechen hier: Allein der Abgleich der beiden Stücke offenbart die ihren jeweiligen Kontexten eingebetteten Ideologien.
Wiedererkennbare Basslines grollen unter Gegenwartskritik
Auch wenn der „Broken Record Mix” von „Hush Now” – der überragende Hardrock-Striker-Remix ist nicht enthalten – auf dem Schlachtruf der AIDS-Bewegung endet, „Silence = Death”, aktualisiert sich Thaemlitz’ Kritik in Pandemiezeiten aufs Neue: Derweil seit mittlerweile gut anderthalb Jahren fast die gesamte Welt fiebrig versucht, ein Mittel gegen die Ausbreitung einer Infektionskrankheit zu finden, schmeckt der Gedanke umso bitterer, dass die HIV/AIDS-Pandemie selbst zu ihrem Höhepunkt weitgehend buchstäblich totgeschwiegen wurde. Wie damals werden sozial Benachteiligte und die Regionen im sogenannten Globalen Süden weitgehend übergangen, und aus den graduell immer mehr durchgeimpften Wohlstandszentren ist dahingehend kaum ein Mucks zu hören. Die Geschichte wiederholt sich – nicht aber als Farce, sondern als die zynische Grausamkeit, die sie schon immer war.
Auch wenn DJ-Sprinkles-Stücke ohne ihren Kontext nie gänzlich zu verstehen sind, so funktioniert die Musik an sich doch genauso ohne alle Explikationen und den in der Regel den Veröffentlichungen beigegebenen Essays: Hinter einem Titel wie „Meditation On Wage Labor And The Death Of The Album (Sprinkles’ Unpaid Overtime)” verbirgt sich eben nicht nur ein Edit von Thaemlitz’ monumentalem – 29 Stunden Laufzeit, das ist eine Ansage – Stück Soullessness, sondern auch einer der feinsten Deep-House-Tracks des 21. Jahrhunderts. Obwohl die stilistischen Eckpunkte des DJ-Sprinkles-Sounds weitgehend den formativen neunziger Jahren entstammen, ist der Sound doch immer auf der Höhe der Zeit, soll heißen dem technologischen Status Quo, und Thaemlitz selbst eigenwillig geblieben. Eine Sprinkles-Bassline ist auch wegen ihres bauchigen Sounds und bouncenden Grooves unter Tausenden zu erkennen, ihre Einbettung in ein komplexes und doch eingängiges Klangbild erleichtert die Zuordnung allemal.
Das große Finale von Gayest Tits & Greyest Shits 1998-2017 12-Inches & One-Offs bilden zwei Remixe zu Thaemlitz’ letzter großen Multimedia-Arbeit, Deproduction. Hier ein Stück, das mit Stimmengewirr einen Diskurs über die Absage an die heteronormative Struktur der Familie eröffnet, dort ein ad nauseam geloopter Ausschnitt aus einem Stand-Up-Set, in dem sich der Comedian Paul F. Tompkins über Homophobie aus dem konservativen Lager lustig macht, und den Thaemlitz doch als eine Stimme vorführt, die im selben Zug ein nicht minder konservatives und heteronormatives Bild queerer Familien impliziert.
Das fasst nochmals zusammen, dass Thaemlitz eben nicht nur das schlechte Gewissen dieser Szene ist, sondern in alle Richtungen austeilt, Komplexität als solche anerkennt und auf nicht minder vielschichtige Art und Weise kritisiert. Es handelt sich um eine Form von Gegenwartskritik, die ihre Inspiration im Gestus einer radikalen Nostalgie aus der Vergangenheit schöpft und doch alles andere als vorgestrig wirkt. Sondern konsequent zeitlos. Kristoffer Cornils