Irakli (Sämtliche Fotos: Rob Kulisek)
Zu einem Fixpunkt im Berliner Nachtleben wurde Irakli Kiziria durch die Staub-Partys, die er vor der Pandemie gemeinsam mit Ines Manseder und Jan Henschen im ://about blank veranstaltet hat. Sie setzten sich gleich durch mehrere Merkmale von den Ritualen des Berliner Nachtlebens ab: Zum einen fanden sie ursprünglich tagsüber, am Samstag, statt, zum anderen wurde das Line-up nicht veröffentlicht und alle DJs bekamen dieselbe, vergleichsweise bescheidene Gage. Dieser Ansatz spiegelt eine Haltung, die sich auch in Iraklis Sets und Platten wiederfindet: Es geht nicht darum, ein bestimmtes Territorium abzustecken oder einer Marke eine Kontur zu verschaffen, sondern um eine bestimmte, bodenständige, kompromisslose Haltung – und ein Gespür für den richtigen Moment. Er spielt nur ausgewählte Gigs, die zum Konzept von Staub passen, Hot Mass in Pennsylvania etwa oder Mother’s Finest in Berlin. Vom Gespür für den richtigen Moment ist auch seine Diskographie geprägt: viele seiner Maxis sind als Kollaborationen oder Split-EP entstanden. Warum er sich jetzt über seinen Modus Operandi hinwegsetzte und sein Debütalbum veröffentlicht, erklärte Irakli unserem Autor Ben-Robin König beim socially distanced Interview in der GROOVE-Redaktion.
Menschen treffen. Auf einmal mutet schon der direkte Kontakt zu anderen, sich gegenübersitzen, wie eine Party an. Der STAUB-Gründer Irakli Kiziria lehnt sich sichtlich gutgelaunt auf einem der abgetrageneren Stühle in der Groove-Redaktion zurück. Sein Grinsen rührt nicht nur vom Temperaturumschwung des späten Februars: Zwar konnte er dem zur Seltenheit gewordenen Schnee etwas abgewinnen, aber die Trostlosigkeit des Berliner Winters machte dem Wahlberliner schon bei seinem Zuzug vor zehn Jahren zu schaffen. Nun freut er sich über Frühlingstemperaturen – und den Interviewtermin. Ob das Treffen auch wirklich ok ist? Ja, bekräftigt er, „ich sitze ja sonst auch nur zu Hause, das nervt auf Dauer.”
Allzu lethargisch soll das aber nicht klingen – „es hat auch Vorteile”: Endlich einmal aus dem Hamsterrad ausbrechen, nicht mehr von Event zu Flyergestaltung zu Release hetzen. Stattdessen zur Ruhe kommen, sich mit sich selbst auseinandersetzen, Dinge reflektieren. „Jetzt dauert diese Zeit zu reflektieren zwar viel zu lange”, fügt er lachend hinzu, aber er versuche dennoch, etwas Positives mitzunehmen.
Abgesehen von der sozialen Entwöhnung – im Kontext eines DJs und Veranstalters, der jedes Wochenende mehrere hundert Menschen trifft, besonders schwierig – hat sich für Irakli eigentlich nicht allzu viel geändert. Er habe immer schon zuhause gearbeitet, Studios, selbst wenn er sie gemietet hatte, selten genutzt. „Ich mag die Freiheit, auch um drei Uhr nachts Musik zu machen, falls ich nicht schlafen kann”, erklärt er, findet das Bild eines Bedroom-Producers aber nicht ganz passend.
Auch mit der bürokratisch anmutenden Stringenz anderer Produzent*innen kann er sich wenig identifizieren. Er sieht sich nicht täglich im Studio, an Ideen arbeitend, sondern ist ganz Impuls-Mensch: „Manchmal gibt es drei Monate, in denen ich gar nichts anfasse, dann einen Monat, in dem ich jeden Tag zwei Skizzen produziere.” Der Freiheitsgedanke trägt sich in der Arbeit fort. Spielt er beim Auflegen primär Techno, ist sein Produzenten-Ich genre- und regeltechnisch weniger eingeengt. Oder?
Beim Auflegen sei man eingeschränkt, erklärt Irakli und erläutert seinen Ethos. „Welche Platten kaufst du? Allein dadurch filterst du schon mal”, weiter sei es eine Frage der Events, auf denen er spielt, das Abwägen zwischen eigenen Vorstellungen vom Set und der Reaktion des Publikums. „Wenn die Leute mit meiner Auswahl nicht klarkommen, bin ich fehl am Platz” – es sei die Aufgabe, mit dem eigenen Material dafür zu sorgen, dass Menschen Spaß haben. Und einen Kontext zu setzen, in dem auch Tracks funktionieren, die beim Publikum eigentlich nicht ankämen. Es sind die Grundsätze eines Urgesteins, der sich wohl mehr als zugewandter Dienstleister denn als Rockstar versteht.
Beim Produzieren hingegen fehlt dieser Austausch mit dem Publikum, man ist auf sich zurückgeworfen. „Da geht’s allein um das, was du ausdrücken möchtest, das ist viel intimer.”
„Eine Kickdrum ist wie das Fundament eines Gebäudes. Ohne das kannst du nicht bauen.”
Und so windet Irakli sich auch bei der Frage nach seinen Inspirationsquellen. Fürs Auflegen kauft er gern querbeet, auch „cheesy Soundtracks von italienischen Filmen – das würde ich selbst nie produzieren, aber ich hab’s im Plattenkoffer”, erzählt er lächelnd. Und fügt mit noch breiterem Grinsen hinzu, dass er ein Faible für abwegige Sounds hat. „Allerdings nicht, wenn das Abwegige zum Selbstzweck wird, ich mag’s, überrascht zu werden.”
Aber, da ist wieder das Element der künstlerischen Abschottung – beim Produzieren, wirft er ein, könne er kaum andere Musik hören: „Ich will sie nicht hören. Zu der Zeit mag ich vieles auch einfach nicht.”
Generelle Inspiration zieht er aus der Kultur. Lars von Triers Film Melancholia habe ihn beeindruckt, dessen Konzept der Monumentalität verfolgte ihn zwei Jahre lang. Auch die Fassbinder-Ausstellung im Gropius Bau prägte ihn. Aus so etwas leite er jedoch keine konkreten Ideen ab, es sei vielmehr die Arbeitsweise Fassbinders. „Es geht bei Zusammenarbeit nicht um die Leistung anderer, es geht darum, was du selbst leistest – wenn das klar ist, stört dich alles andere nicht.”
Seine Tracks sind nicht mit kulturellen Referenzen verknüpft, sie haben ein eigenes Narrativ. Die Referenzen sind lediglich in Iraklis Kopf, jedoch übersetze er sie nicht in seine Musik – auch wenn sie sie möglich machen. „Am liebsten mag ich Stücke, bei denen sich kein Genre zuordnen lässt”, gesteht er. „Techno braucht bei mir nicht zwingend eine Hi-Hat.”
Seine Herangehensweise liege in der Verzahnung mit Design und Architektur. Er kam in den frühen 2000ern zum Studium nach Deutschland, studierte Design in Köln. Als Produzent schätzt er es, dem Regelwerk seiner studierten Profession zu entfliehen. Er sieht dennoch einige Gemeinsamkeiten, gerade in der Architektur. „Eine Kickdrum ist wie das Fundament eines Gebäudes. Ohne das kannst du nicht bauen.” Er verstehe Menschen nicht, die meinen, sie mögen keinen straighten Techno. An den Grundelementen ließe sich nunmal nicht viel ändern, aber „auch eine Kickdrum kann, je nachdem wie prominent du sie einbaust, künstlerische Ausdrucksform sein.” Wie Fenster in der Architektur könne auch jedes einzelne Element in der Musik nicht einfach nur funktional sein, sondern sei Teil einer Harmonie.
Das Album, auch das macht sicherlich seine Weite aus, solle entmenschlicht sein, besteht rein aus Geräuschen, die aus Maschinen kommen, aus Feedbacks, aus Effekten, aus Reverb.
Und noch eine Gemeinsamkeit sieht er: In der Architektur lernte er früh, dass etwa 70 Prozent der Arbeit ins Nichts laufen, weggeschmissen werden. Mit der Zeit aber merkte er, dass die Arbeit nicht umsonst war, denn „deine Ideen leben ja im nächsten Entwurf weiter, genauso ist es auch mit Musikproduktionen.” Manche Dinge brauchen Zeit, sich zu entwickeln.
Wie sein Album.
Major Signals ist gerade auf Dial Records erschienen. Der Weg zum Album verlief aber keineswegs gerade. Die ältesten Tracks auf Iraklis Debütalbum sind etwa fünf Jahre alt, räumt er ein. Einen Albumgedanken hatte er ursprünglich gar nicht, allerdings eine bestimmte Stimmung im Hinterkopf. Manche Stücke schienen in einer kontextlosen EP nicht zu funktionieren, erzählt er, „deshalb habe ich die beiseite gelegt.”
Diese Grundstimmung, die Tonalität der elf Tracks, ist gar nicht so einfach zu beschreiben. Eine gewisse Weite und Einsamkeit umhüllt sie. Manchen, wie dem Intro „Forever”, lässt sich Ungewissheit attestieren, sie schüren Erwartung. Andere, wie „Sin”, sind melancholisch, düster und tatsächlich treibend. Fast wie straighter Techno. Und direkt darauf folgt mit „Forever” etwas Verspultes, beinahe Fröhliches. Irakli hüllt sich dazu in Schweigen. Den kryptischen Pressetext gibt er zur Eigeninterpretation frei, gleichwohl ihm die ganzheitlich durchdachte Präsentation seiner Arbeit wichtig ist und er gesteht, lange über das Maß an Kommunikation zu seinem Album nachgedacht zu haben.
„Es geht um Dialog, Dialog ist etwas nicht Einseitiges”, reißt er zumindest an. Und gibt dann doch einen Ausblick auf die Frage der Dialogpartner – es könnte künstliche Intelligenz sein, es könnten Drum Machines untereinander sein. Das Album, auch das macht sicherlich seine Weite aus, solle entmenschlicht sein, besteht rein aus Geräuschen, die aus Maschinen kommen, aus Feedbacks, aus Effekten, aus Reverb. Es ist der Versuch, „das Poetische aus Maschinen zu ziehen.”
Die Düsternis will er jedoch nicht so ganz auf sich sitzen lassen, Krisenstimmung und Lethargie schon gar nicht: „Melancholisch ist es definitiv, aber ich glaube, mein Album ist dann doch ein bisschen heller” – was aber vielleicht auch seine persönliche Wahrnehmung sei. Melancholie. Die wiederum ist durch seine georgische Seele geprägt und georgische Musik. „Melancholie und Weltschmerz sind in Georgien ein Teil von allem.”
Musik zur Krise ist es also nicht, die Irakli produziert – auch wenn sie eine guter Begleiterin ist. Er möchte seine Konzepte auch nicht zu ernst genommen wissen. Sein Auftreten passt dazu. Von der bunt gemusterten Cap ist nur der Schirm sichtbar, darüber sitzt eine Strickmütze. Die weiten Klamotten, die zahlreichen Aufnäher auf der Bomberjacke, nichts davon vermittelt die Kühle von Business Techno, vom Ernst einer kommerzialisierten Tanzfläche. Aber wie navigiert einer, dem augenscheinlich wie offensichtlich der Community-Gedanke wichtiger ist, durch die Krise, durch geschlossene Clubs und abgesagte Events?
Der Fokus lag dabei auf „Musik zum Hören”, denn „wenn Menschen nicht tanzen können”, fügt er kopfschüttelnd hinzu, „wie kann man dann Tanzmusik spielen?”
Immerhin ist auch STAUB inzwischen alles andere als die kleine Daytime-Party im Kreis von Freund*innen. Man gastierte in Detroit und New York, hatte sich im Stammladen ://about blank mittlerweile auf drei Floors ausgedehnt. Das Produzieren, Auflegen, Veranstalten, all das sei eigentlich nicht Arbeit. Es verlöre seine Magie, wenn man es so bezeichnet, Arbeit sei schließlich mit Pflicht verbunden. „Klar ist es mein Beruf, aber auch meine Leidenschaft. Es ist ein Privileg, Geld zu verdienen mit dem, was man liebt.” Daneben arbeitet er immer wieder als Grafikdesigner, primär fürs eigene Label und andere kleine, befreundete Labels. Es ist sein Beruf, den er studiert hat und nicht missen möchte.
So gesehen ist Irakli doppelt privilegiert, auch wenn der Partybetrieb pausiert. Für den Sommer will er vereinzelt wieder Events aufnehmen. 2020 liefen im Garten des Blanks Veranstaltungen aus seiner Feder, mit Gästen wie Dasha Rush, Rødhad oder Headless Horseman. Der Fokus lag dabei auf „Musik zum Hören”, denn „wenn Menschen nicht tanzen können”, fügt er kopfschüttelnd hinzu, „wie kann man dann Tanzmusik spielen?” Er hofft auch, dass sich die Konzepte wieder rechnen, bislang gelang das nur mit Subventionen und Spenden.
Eigentlich sucht er lieber die Unabhängigkeit, vermeidet er finanzielle Förderung, jetzt aber, gesteht er sich ein, „ist eine Zeit, in der das nicht möglich ist.” Umso glücklicher ist er über sein audiovisuelles Projekt gemeinsam mit einem aserbaidschanischen Videokünstler, das vom deutschen Musikfonds finanziert wird. Es stockt zwar, der Vater seines Partners steckte sich mit Covid an, Irakli formatierte versehentlich seine Festplatte und verlor fast alle Projektdaten. Aber noch ist Zeit. Und Fertigstellung bedeutet nicht unbedingt sofort ein Release in einer schnelllebigen Szene, an deren Übersättigung er nicht teilhaben möchte.
Und dann landet Irakli mit einer Anekdote wieder bei der Melancholie: Ein Freund, der Messestände entwarf, fragte ihn einmal, ob er ein Zweistunden-Set für den Messebetrieb aufnehmen könne. Es sollte keine Fahrstuhlmusik sein, aber von erhebender Stimmung, damit möglichst viele damit etwas anfangen könnten. Irakli durchwühlte seine Plattenschränke nach „leichter Kost”. Als er das Set abschickte, rief ihn sein Freund entsetzt an und meinte, das Set sei viel zu düster, „die Leute würden weinen dabei!”
Auch wenn ihm das Element der Sentimentalität anzuhaften scheint, findet Irakli darin „auch sehr viel Schönheit. Und in dieser düsternen Schönheit liegt auch sehr viel Hoffnung.”