A Sagittariun – Minor Malfunction (Kneaded Pains)
Minor Malfunction strahlt aus dem Dunklen, irgendwo zwischen Lagerhallen-Rave und kosmischer Leere im All. Trotz gleicher bassgetriebener Grundausstrahlung hat das mit dem von Ambient angehauchten Debüt Transparent Mind (2013) von A Sagittariun eher wenig zu tun. Kräftiger sind die Techno-Einflüsse geworden, dennoch sind psychedelische Synths geblieben. Nick Harris alias A Sagittariun aus Bristol webt ein Netz aus dynamischen Bass-Rhythmen, während halluzinatorische Klangeinschübe und Bleeps, deren hohe Frequenzen zarte Ohren herausfordern, die dunkle, kalte Stimmung untermauern. Noch einen Schritt tiefer ins Techno-Universum tritt „Heresy” auf der B-Seite. Synths bieten noch psychedelischere Ausflüge zum monotonen und kargen Bass. Der Brite findet eine wackelige Balance zwischen industriellem Sound und Melodieeinschüben, deren Ziel weniger ein harmonisches als aufgewühltes Klangbild ist. Mit mal herauforderndem und mal spacigem Sound transzendiert Harris sowohl Techno als auch befremdliche Kuriosität. Louisa Neitz
Bambi OFS – Kwon-9 (Antibody)
Cédric Dambrain, Jahrgang 1979, lebt als Komponist, Performance-Künstler und Designer elektronischer Musikinstrumente in Brüssel. Bislang arbeitete der Belgier vor allen Dingen irgendwo zwischen Klangkunst, Avantgarde und E-Musik. Im vergangenen Jahr aber rief er mit Bambi OFS ein neues Projekt ins Leben, das beinahe so etwas wie Clubmusik sein könnte. Dambrain begibt sich als Sound-Ethnologe auf eine Expedition in die Welt der Polyrhythmik und spürt dabei geheime Rhythmen auf, die er mit ziemlicher Rigorosität in Szene setzt. Das Projekt erinnert dabei ein klein wenig an die Secret-Rhythms-Reihe von Burnt Friedman und Jaki Liebezeit, weist dabei aber einen entscheidenden Unterschied auf: Cédric Dambrain setzt nicht auf kontemplative Trance, sondern auf maximale Intensität und allerhöchstes Tempo, Techno- und Industrial-Verweise sind inbegriffen. Bambi OFS klingt also wie eine Amphetamin-Version der Secret Rhythms. So verhält es sich mit der im letzten Jahr erschienenen Yakka EP, und genau diesen Weg setzt die zweite, Kwon-9 betitelte BambI-OFS-EP fort. Der Titel verweist nach Korea, eventuell auf den mittelalterlichen Kwon-Clan, vielleicht aber auch auf Kampfsport. Im Dunkeln bleibt indes, woher der Sound-Ethnologe Dambrain seine Inspiration für den auf diesen drei Tracks zelebrierten polyrhythmischen Irrsinn bezogen hat. Holger Klein
DJ Girl – SLSK TRAX (Planet Euphorique)
Zwar noch ohne Discogs-Eintrag, dafür schon mit einer ganzen Reihe starker 12’’-Veröffentlichungen unterm Gürtel, das ist DJ Girl aus Chicago. 2014 als tchan gestartet, bastelt die Dame aus den USA ziemlich brachiale Beats, die sich kaum an Konventionen halten und gerade deshalb so herrlich lebhaft klingen. SLSK TRAX erscheint auf D. Tiffanys Label Planet Euphorique, das seit fast drei Jahren aus Vancouver, Kanada die Welt mit frischen Beats — gebrochen wie gerade und bollernd wie bassend — versorgt. DJ Girls Release reiht sich passend ein, mit vier Tracks, die zwischen Offbeats, Electro und bangendem Techno wechseln.
Die A1 setzt sich mit halsbrecherischen 155 BPM an die Spitze und zeigt mit Staccato-Beats, wo es langgeht. Doch schafft es Girl noch, Platz für ausreichend Swing zu lassen, und begeistert trotz rotzigen Oldschool-Sounds mit genügend Finesse beim Mixdown, der die Ohren diesem Ansturm über die volle Laufzeit standhalten lässt. A2 erinnert mit seiner verspielten Overdrive-Bassline und Sounds in alle Richtungen an DJ Sneak oder Green Velvet, während die Snare das Ganze gerade so zusammenhält. Auf der B-Seite geht’s wieder klar nach Detroit mit schwergewichtigem Electro-Techno à la Stingray oder Drexciya, der in Reduktion und Auftreten für sich überzeugt, ohne wie ein Klon zu klingen. Die unbetitelte B2 macht schließlich das Licht aus, nicht ohne nochmal mutig-muskulösen Electro mit minimaler Perkussion auf den Tisch zu legen.
Die Tracks von DJ Girl mögen simpel anmuten, funktionieren aber genau deshalb und schaffen es, endlich wieder einen Hauch frischen Wind in die von Kopien geflutete Electro-Szene zu bringen. Leopold Hutter
Jurango – Retreat Ites (Dnuos Ytivil)
Bristol ist seit jeher Brutstätte für britische Bass-Musik, die sich schneller weiterentwickelt, als man gucken kann. Livity Sound ist dafür ganz sicher mitverantwortlich, erlaubt das Label kreativen Köpfen doch bereits seit zehn Jahren eine Reihe von Releases, die sich weniger an Dancefloor und Verkaufszahlen orientieren, sondern stets die sonische Erforschung der Randbereiche dessen, was gerade noch möglich ist, im Fokus haben. Eine neue Generation von Producern ist außerdem bereit, in die Fußstapfen von Szene-Katalysatoren wie Peverelist und Kowton zu treten, und solch ein vielversprechender junger Anwärter ist eben auch Jurango.
Seine EP Retreat Ites für das (noch experimentierfreudigere) Sub-Label Dnuos Ytivil (rückwärts lesen!) mischt cineastische Atmosphäre der Grime-verhangenen Südlondoner Straßenzüge mit Percussion und Samples, die zwar deutlich der Soundsystem-Culture und den Dub-Urvätern entwachsen sind, diese aber in ein formloses, stets sein Äußeres anpassendes Etwas gießen. Da sind die hypnotischen Drums und Gunshots des Titeltracks, der trippige, fast rückwärtsgewandt anmutende Schwung von „This Better Worth” und schließlich die abgehackten, irgendwo zwischen Drum’n’Bass und organischem Modular-Techno steckengebliebenen Beats von „Theeves”. Bei so viel aufregendem Sounddesign ist der Closer wahrer Ohren-Balsam, der es schafft, die in Tonhöhe changierenden, polyrhythmischen Percussion-Elemente doch irgendwie unter einem beruhigend wirkenden Mantel zu vereinen. Leopold Hutter
The Exaltics & Helena Hauff – Futuros EP (SolarOneMusic)
Bis heute streiten sich audiophile Vinylliebhaber*innen gerne über die Frage: klingt die Picture Disc schlechter als normales Vinyl? Die Tendenz geht klar zum Ja, aber dann kommt die Frage auf: ist eine Picture Disc nicht eher ein Sammlerobjekt als ein Medium für exzessiven DJ-Gebrauch? Für die auf dem in Jena beheimateten Label SolarOneMusic erscheinende Shape-Picture-Discs-Reihe gilt dies auf jeden Fall. Bisher gab es drei Ausgaben. Alle hatten eine spezielle Form, und das Artwork stammt von Mehdi Rouchiche alias Godspill, bekannt für seine Covergestaltungen für Labels wie Creme Organization oder Bunker Records. Diesmal begrüßt Robert Witschakowski alias The Exaltics, Mitgründer von SolarOneMusic, Helena Hauff als Gast auf seinem Label und nutzt ihre Stimme für drei Stücke. Alles beginnt mit einem kurzen, gespenstischen Alien-Intro. Dann kommt „Futuros”, ein satter Electro-Knaller, nervös, schwitzig, manisch und sexy. Der zweite Tune „Creatura” wirkt im Vergleich eher besonnen, ist aber ebenso leicht nervös, mit Acid poliert und irgendwo zwischen Techno und Electro pulsierend. Hauff singt hier mehr, entfaltet ihr Stimme erneut gespenstisch und kreiert ganz nebenbei einen Oldschool-Flair, der nicht nach Mottenkiste mieft. Zwei Tunes im Geiste der Vergangenheit und mit Potenzial für die Ewigkeit. Genau das, was Vinyl-Sammler*innen gern zu ihrer persönlich eingefärbten Vinyl-Enzyklopädie addieren. Michael Leuffen