Der Eingang des Zhao Dai Foto ://about blank
Nicht nur Musik und Ort machen das ://about blank zu einem der maßgeblichen Berliner Clubs, sondern auch der entschiedene politische, linke Anspruch des Kollektivs, das ihn betreibt. Da zögerte man erstmal, als das Goethe-Institut zu einem Austausch mit einem Club in Peking, dem Zhao Dai, einlud. Nach einer ausführlichen Diskussion reisten dann unter anderem Elisabeth Steffen, Florian Hirsch, Nadine Moser (Resom) und Kurt Roithmayr (Kvrt) nach Peking, um das Zhao Dai und seine Macher*innen kennenzulernen – und von den Widerständen zu erfahren, mit denen der Laden im autoritär geführten China zu kämpfen hat.
Ende letzten Jahres fand der Gegenbesuch statt und das Zhao Dai kam ins Blank – um dort aufzulegen, an einem Panel teilzunehmen und den Club vor und hinter den Kulissen zu erleben. GROOVE-Chefredakteur Alexis Waltz nutzte die Gelegenheit, um von Carmen Herold vom Zhao Dai und vier Mitgliedern des Blank-Kollektivs mehr über den gegenseitigen Austausch zu erfahren.
Carmen Herold
Carmen Herold hat das Zhao Dai 2017 mitgegründet. Zusammen mit dem Booker und DJ Zhiqi kümmert sie sich um die Inhalte des Clubs, besonders um Kulturveranstaltungen. Sie ist auch Kuratorin und versteht sich mit ihrer deutsch-chinesischen Herkunft als Bindeglied zwischen beiden Ländern.
Elisabeth Steffen
Elisabeth Steffen ist seit 2015 Teil des 14-köpfigen Kollektivs, das das ://about blank betreibt und ist dort unter anderem für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig.
Florian Hirsch
Florian Hirsch ist ebenfalls Teil des ://about-blank-Kollektivs, und vor allem in der Programmplanung aktiv.
Nadine Moser/ Resom
Nadine Moser ist als Resom Resident im ://about blank. Zusammen mit Florian Hirsch hat sie zudem die Diskussionsveranstaltung The Amplified Kitchen ins Leben gerufen. Der Clubaustausch ist auf ihre Initiative hin entstanden, nachdem sie bei einem Booking im Zhao Dai Carmen und Zhiqi kennengelernt hat.
Kurt Roithmayr / Kvrt
Kurt Roithmayr ist als Kvrt ein weiterer Resident des ://about blank. Als Teil der Crew ist er für Ton und Licht und auch für die Gartenpflege zuständig.
Nadine, Elisabeth, Kurt, Florian: Was war euer Gefühl, als ihr in Peking angekommen seid und zum ersten Mal das Zhao Dai betreten habt?
Nadine: Ich dachte: Das ist ja irgendwie wie bei uns. Das ist abgefahren, so weit weg von zu Hause einen Club zu betreten und dann das zu denken.
Was hat dieses Gefühl ausgelöst?
Elisabeth: Der Geruch.
Nadine: Ja, der Geruch! Und auch die Lobby.
Kurt: Für mich auch das Licht, auch das Putzlicht. Und auch der Raum an sich, bis hin zur Wandfarbe. Es gibt da so einen Durchgang mit Fotos, da sieht man nur den Schatten. Das könnte auch die Lobby im Blank sein.
Nadine: Vor allem aber auch zu merken: Ich habe mit den Leuten, die diesen Club betreiben, viel mehr gemeinsam, kulturell und auch politisch, als wenn ich bei mir zu Hause über die Straße gehe und an einer Tür klingle und mit meiner Nachbarin rede. Die ist viel weiter weg von mir. Das macht auch deutlich, dass Distanz und Grenzen ganz anders verlaufen und damit auch hinterfragt werden.
„Es ist schwer, die entsprechenden Genehmigungen zu bekommen. Die meisten können diesem Druck nicht standhalten. Deshalb gibt es in Peking auch keine Clubbetreiber*innen, die Ausländer sind.”
Carmen Herold
Techno ist in Berlin ebenso eine Tradition wie selbstverwaltete, linke Räume. Was waren in Peking eure Bezugspunkte, als ihr das Zhao Dai aufgemacht habt?
Carmen: Unser Input, den Club zu machen, kommt aus einer prekären Lage. In den letzten fünf Jahren wurde die Situation besonders für Kulturschaffende immer enger. Sehr viele sind weggezogen. Viele Künstler*innen und Musiker*innen sind entweder nach Taiwan oder Hongkong oder auch nach Europa gegangen. Das löste ein Kultursterben aus. Je näher man sich an der Zentralregierung in Peking befindet, desto schwieriger ist die Situation.
Wie sehen die Repressionen konkret aus, denen man als Künstler*in ausgesetzt ist?
Carmen: Es gibt einen chinesischen Begriff: 拆 (gesprochen: chai). Das bedeutet „abreißen”. Der wird in großen, roten Lettern auf jedes Gebäude geschmiert, das abgerissen werden soll. Das war im Grunde die visuelle Ikone der letzten fünf Jahre, die man in der Stadt gesehen hat. Die massive Zerstörung von traditionellen Vierteln und Häusern, und auch die Schließung ganzer Kunstviertel und überhaupt Wohnungsnot und Raumnot auf allen Ebenen.
Was bedeutet das für das Nachtleben?
Carmen: Es ist schwer, die entsprechenden Genehmigungen zu bekommen. Die meisten können diesem Druck nicht standhalten. Deshalb gibt es in Peking auch keine Clubbetreiber*innen, die Ausländer sind. Das müssen Chines*innen sein, die sich mit diesen bürokratischen Dingen rumschlagen können. Unter diesem Druck überhaupt einen Club aufzumachen, kostet viel Energie und Kraft. Auch mit dem Wissen, dass die Halbwertszeit von alternativen Läden sehr kurz ist, in der Regel drei bis vier Jahre.
Wie habt ihr die Kraft und den Mut aufgebracht, euch dem entgegenzustellen?
Carmen: Die Umstände machen zugleich die Nachfrage auch sehr groß. Viele der Post-90s oder Millennial-Generation haben im Ausland studiert, wo sie massiv mit alternativen Kulturräumen konfrontiert wurden. Wenn diese zurück nach China kommen, erwarten sie ähnliche kulturelle Verhältnisse wie im Ausland.
„Je prekärer dein Lebensstandard ist, je größer der Druck ist im Privatleben durch Job, Familie, Ausbildung und all diese Dinge, desto größer ist der Wille, sich irgendwo ein Retreat zu erschaffen. Diese ganze Energie wird dann in diesen einen Ort gesteckt.”
Carmen Herold
Was hat euch inspiriert, was ist euch da so vorgeschwebt, inhaltlich-musikalisch, aber auch ästhetisch?
Carmen: Zhiqi, unser Booker, wollte DJs einladen, die einen deepen oder einen komplexen Sound verfolgen, der nur auf einer guten Anlage funktioniert. Deshalb war es wichtig für uns, eine gute Anlage zu beschaffen. Das ist in China nicht so einfach. Zwar kannst du hier auch eine Funktion One kaufen, aber du hast dann nicht die Person, die sie einstellen kann. Außerdem wollten wir keine Sitzecken und Tische, die man mietet. Das gibt es selbst in alternativen Clubs in China immer noch. Wir wollten, dass man einen Raum hat, wo es keine Hierarchisierung mehr gibt, wo es keine gegenderten Toiletten gibt. Die politischen Ideen dahinter sind global vergleichbar – auch im LGBTQI-Bereich.
Wie würdest du das Gefühl beschreiben, das man haben soll, wenn man den Club betritt?
Carmen: Eine Euphorisierung. Nadine hat das gestern auf dem Panel schön beschrieben. Das ist das, was mich an der Szene in Peking mehr reizt als an der in Deutschland. Weil ich es nämlich so unglaublich toll finde, dass es so eine Euphorie gibt. Das hängt mit vielen anderen Dingen zusammen. Je prekärer dein Lebensstandard ist, je größer der Druck ist im Privatleben durch Job, Familie, Ausbildung und all diese Dinge, desto größer ist der Wille, sich irgendwo ein Retreat zu erschaffen. Diese ganze Energie wird dann in diesen einen Ort gesteckt. Das gilt in China auch für die Karaoke-Lokale. Im Karaoke, da steckt Energie. Da findet Community statt, da gibt es für einen Moment demokratische Verhältnisse. Und du hast einen Privatraum. Die meisten jungen Chines*innen wohnen mit ihren Eltern zusammen oder an der Uni mit sechs Leuten auf zwölf Quadratmetern. Das heißt: Einmal am Wochenende ausgehen zu können, das hat für die eine ganz andere Relevanz als hier in Berlin.
Nadine: Freiraum ist ein Luxusgut.
Carmen: Total.
Nadine: Dieses Zu-Hause-Gefühl im Zhao Dai hatte ich auch, weil ich sofort gespürt habe: „Wow, die Leute an der Bar, das sind jetzt nicht einfach irgendwelche Angestellten, die sind Teil einer Community, die haben Bock, da zu stehen. Und die versuchen auch, mit mir zu reden. Genauso wie die Techniker*innen oder die Leute, die Promotion machen, und so weiter und sofort. Ich hab’ mich sofort sehr willkommen gefühlt, und das ist ein Gefühl, das ich tatsächlich nicht so oft habe, wenn ich irgendwo hinreise. Dort wird die Party von den Leuten gemacht, die die Party sind. Nicht von einer Person, die als DJ in dieses Glitzerlicht gestellt wird.
Carmen: Das ist ein wichtiger Punkt, die Position des DJs, diese Heroisierung. Deswegen fand ich das so toll, dieses Projekt mit euch zu machen, denn welcher Club in Berlin ist offen dafür, Leute aus Peking, die in Berlin no names sind, einzuladen? Das ist toll. Das hat man gesehen an dem Abend! Die Leute sind durchgedreht, und es war genauso voll, wie wenn ein namhafter Berghain-DJ kommt. Das ist ein großer Vorteil.
Kurt: Das war auch genau das, was ich im Vorfeld total spannend fand. Auf was bereitet man sich da vor? Was kommt da auf einen zu? Was darf man denn da überhaupt spielen, gibt es Sachen, die man nicht spielen darf? Vocals zum Beispiel? Was passiert, wenn man die spielt? Ich habe dann auch Vocals gespielt; es ist also nichts Schlimmes passiert. Aber es war toll zu sehen, wie unglaublich viel Bock die darauf haben, sich aufzuladen mit Musik und das dann einfach rausfeuern und total ausrasten. Die Gäste waren am Anfang total zurückhaltend und es war kaum Kontakt da. Aber irgendwann kam von ihnen dann eine wahnsinnige Energie. Das war wundervoll!
Carmen: Das ist tatsächlich eine Gemeinsamkeit, die wir von Anfang an empfunden haben. Es gibt eine gemeinsame Kommunikationsebene und einen großen Anspruch an Diversität. Also nicht nur von Menschen, sondern auch von Ideen. Das in China so umzusetzen, war für uns natürlich einfach auch eine krasse Herausforderung. Das Nie-wieder-Deutschland-Bild an der Bar zu installieren an dem Abend mit den Artists aus dem Blank, das ist für uns wahnsinnig progressiv. Auch wenn es natürlich die wenigsten verstanden haben. Es geht ja genau darum, auch das Unverständliche verständlich zu machen. Also eine Sprache zu finden, die nicht aus einer Phrase besteht. Die Sprachbarriere zu überbrücken über eine Form der Kommunikation, die nonverbal ist.
Nadine: Die Leute sind ausgerastet, das war Wahnsinn. Ich werde dieses Bild nie vergessen von dieser Frau, die dann irgendwann ihre Krücken weggeworfen und nur noch geschrien hat. Das war so: „Wow!”. Ich habe nach Kurt gespielt. Das war eine Herausforderung, weil er die Latte hoch gesetzt hat. Ich habe dann einfach was komplett anderes gemacht. Das Interessante war, dass die Leute dann tatsächlich erstmal ein bisschen schockiert waren, und sich dann aber doch darauf einlassen konnten. Mit einem Simo-Cell-Track anzufangen, das war schon ein Bruch.
„In Berlin ist Feiern ja in der Tat oft wirklich so darauf ausgerichtet, dass du Freitag Abend eincheckst und am Sonntag wieder rausfällst und in so einem komischen Feriendorf dein Wochenende verbringst.”
Carmen Herold
Carmen: Das ist auch das, was die Atmosphäre ausmacht. Das ist halt auch ein relativ kleiner, schlichter Raum, ein Wohnzimmer. Aber gleichzeitig auch ein bisschen brutalistisch. Deshalb geht’s halt wirklich um die Musik und um den Dancefloor und sonst nichts. Du kannst keine Tische mieten, du kannst aber auch nicht erstmal noch ‘ne Pizza essen oder in den Fotoautomaten. Diese Eventisierung findet nicht statt. In Berlin ist Feiern ja in der Tat oft wirklich so darauf ausgerichtet, dass du Freitag Abend eincheckst und am Sonntag wieder rausfällst und in so einem komischen Feriendorf dein Wochenende verbringst. Und wenn dir mal zwei Tracks nicht gefallen, dann bist du halt runter vom Dancefloor. Das ist jetzt polemisch, aber ich sehe das hier in vielen Clubs, dass die Crowd sehr schnell gelangweilt ist, dass man die Party eher konsumiert, als ein aktiver Teil von ihr zu sein.
Wie lernen die Leute in China die Musik überhaupt kennen? Es gibt kein Youtube, kein Soundcloud.
Carmen Naja, offiziell existiert das nicht. Aber obwohl es Zensur gibt, wissen die Chines*innen viel mehr über den Westen als der Westen über China. Das liegt natürlich daran, dass die Chines*innen vielleicht gerade aufgrund der Zensur ein aufgeklärteres Verhältnis zum Internet haben. Weil sie wissen, dass es eine Zensur gibt, benutzen die meisten eben VPNs, um diese zu umgehen. Damit können sie dann auch auf alle ausländischen Seiten zugreifen. Die einzige echte Grenze ist weniger technischer Natur, sondern eher sprachlicher Natur. Aber die Leute, die etwas suchen, finden das auch. Das ist nicht so restriktiv, wie das in Medien romantisiert wird: China ist total abgeschottet. Das ist Quatsch.
Elisabeth: Man muss auch zwischen beispielsweise Shanghai und Peking unterscheiden.
Florian: Gegenüber dem Rest des Landes?
Elisabeth: Nee, untereinander. Shanghai ist eine globale Metropole, die hast ganz andere Bezüge. Wir waren da in Plattenläden, in verschiedenen Clubs. Dort gibt es im Gegensatz zu Peking einige Alternativen zu dem, was die kommerziellen Clubs anbieten. Mit dem Elevator-Kollektiv arbeitet ihr vom Zhao Dai ja auch zusammen.
Alexis: In eurem Club, was hat sich da herausgebildet? Welchen Sound mögen die Leute besonders?
Carmen: Uns wurde neuerdings in einem Interview vorgeworfen, dass wir konservativ sind. Darüber habe ich lange nachgedacht. Wir machen tatsächlich Formate, die eher konservativ sind: wir haben DJs, die auflegen. Die ganzen Akteur*innen aus Shanghai waren jetzt schon zweimal auf dem CTM-Festival. Die machen Formate, die extrem beeinflusst sind von der Internet-Ästhetik, da geht es über die Musik hinaus auch ganz viel um die Klamotten, die man trägt, um die Poster-Designs oder welchen Künstlergruppen man angehört. Und da vermischen sich DJ-Performance und Kunst-Performance mit Screamo-Elementen. Also ganz extreme Musik, Neo-Gabber oder UK Drill. Ich habe mal mit Dustin [DJ Dustin von Giegling, d.Red.] darüber länger gesprochen, und wir haben versucht zu analysieren, warum gerade diese Musik in China so stark vertreten ist und auch global wahrgenommen wird. Das ist ein bisschen mit der Gabberszene in Polen vergleichbar. Das stellt eine Form von Widerstand dar. Eine Form sich zu widersetzen, aber eben nicht über explizit politische Aktionen, sondern eben über Ästhetik. Ein Schrei nach draußen, um sich hörbar zu machen.
„Peking war immer eine Punk- und Rocker-Stadt, und daraus haben sich eben andere Dinge entwickelt.”
Carmen Herold
Was ist das „Konservative”, was ihr macht? „Normaler” Techno?
Carmen: Ja, wir machen nun mal Techno und House. Also ich finde diesen Vorwurf – wenn es überhaupt einer ist – nicht besonders haltbar, weil dabei unterschlagen wird, wie vielfältig diese Musik ist. Zu sagen: „House und Techno, das ist doch alles von gestern”, finde ich schwierig, weil ich glaube, dass das der Musik nicht gerecht wird. Was zum Beispiel auch viel in Shanghai gemacht wird, ist die Strategie des Dilettantismus. Also Youtube-Lieder runterzuladen, einen DJ einzuladen, der noch kein einziges Mal aufgelegt hat und das dann irgendwie total geil zu finden. Das sind ästhetische Strategien, die kennt man aus der Kunst der 1960er Jahre. Für uns sind die nicht interessant. Wir haben unseren qualitativen Anspruch auch an die Musik und an die Musiker*innen, die wir einladen. Das Ganze zehrt von deren Expertise.
Ohne DJ-Sets, die die Crowd durch die ganze Nacht tragen, ist keine Clubkultur vorstellbar. Youtube-DJs sind zu kurzatmig.
Carmen: Und die Leute gehen spätestens um halb 3 nach Hause! Die halten das dann einfach nicht mehr aus. Das wird dann gar nicht erwähnt. Aber ich verstehe natürlich, wo das herkommt. In China definiert sich die Jugendkultur stark über das Internet. Dass wir etwa eine no photo policy bei uns haben, das hat ganz andere Gründe als hier in Berlin: Es soll verhindern, dass die Leute ständig auf ihr Handy gucken. Oder die ganze Zeit das Bedürfnis haben, die Dinge aufzunehmen und online zu stellen, um zu beweisen, dass sie da waren. Das spielt natürlich in einem Kontext wie in Shanghai, wo Monetarismus und Kapitalismus schon viel länger eine Rolle spielen, auch eine ganz andere Rolle als in Peking. Peking war immer eine Punk- und Rocker-Stadt, und daraus haben sich eben andere Dinge entwickelt.
Als letzten Teil unseres Gesprächs würde ich gerne über den Rückbesuch sprechen. Was fällt dir denn hier in Berlin auf im Kontrast zu deinem Club in Peking?
Carmen: Auf jeden Fall war dieses Punkgefühl gleich da, das alle ganz toll fanden und auch dieses Laissez-faire, die Dinge einfach laufen zu lassen. Ich muss mich nicht irgendwie besonders geben oder besonders sein, um anzukommen.
Florian: Für mich es ist toll zu sehen, dass es eben auch so back to the roots-mäßig überall auf der Welt möglich ist, Freiräume zu schaffen. Das erinnert uns an unsere Vergangenheit auch vor dem Club, weil wir zum Teil aus der Hausbesetzung kommen und aus alternativen Jugendzentren irgendwo in der Provinz, wo wir Kämpfe gegen viele Widerstände führen mussten. Das ist hier in Berlin mit der Zeit verloren gegangen. Klar gibt es hier viele Crews oder Kollektive, die auch das Wort Freiraum benutzen, aber der Freiraum-Begriff hat hier ein Stück weit an Relevanz verloren.
Elisabeth: Das Konzept von Freiraum hat in Peking mehr Prägnanz oder Strahlkraft. Hier in Berlin ist es durch die massive Kommerzialisierung eine Herausforderung, weiterhin an unseren politischen Ideen festzuhalten und die zu transportieren.
Diese Euphorie und auch diese Magie, die passiert, wenn auf dem Dancefloor alle Masken einfach abfallen können. Das, was hier in Berlin teilweise schon künstlich hochinszeniert wird.
Nadine Moser
Kurt: Vielleicht nochmal kurz zu der Frage: Wie kommen die Menschen in Peking an Musik? Es gab so einen Moment in Shanghai, da hat eine Frau mich gefragt, wie das Lied heißt, das ich gespielt habe. Das hatte sie total mitgenommen, das war faszinierend für sie. Dann habe ich ihr das gesagt, und sie hat mir im Nachhinein nochmal geschrieben. Sie hat das mit VPN versucht zu finden, das ist ihr aber nicht gelungen. Dann habe ich ihr das nochmal alles so im Detail geschrieben und sie hat gesagt: Jetzt hat sie es gefunden! Das war so eine lange Nachricht, wie sie das bewegt und was das alles mit ihr macht. Das fand ich faszinierend. Die Leute in China sind zugangsbeschränkt, aber dennoch haben sie dieselben Bedürfnisse wie wir. Das habe ich mitgenommen.
Nadine: Das ist tatsächlich der spannende Punkt, der die Notwendigkeit von dem, was wir hier tun, untermauert. Wie du gesagt hast: Warum machen wir das hier eigentlich alles noch so? Es gibt eben immer wieder diese magischen Momente. Das haben wir gestern auch in unserem Mini-Interview bei Deutschlandradio Kultur gesagt. Das, was für uns diesen Besuch ausmacht, ist, dieses Anfangsgefühl wieder zu erleben.
Was ist das für ein Gefühl?
Nadine: Diese Euphorie und auch diese Magie, die passiert, wenn auf dem Dancefloor alle Masken einfach abfallen können. Das, was hier in Berlin teilweise schon künstlich hochinszeniert wird. Das habe ich in China so nicht erlebt und auch nicht in ganz vielen anderen Ländern.
Carmen: Wobei man das nicht romantisieren darf. Realpolitisch sind das prekäre Situationen, in denen sich die Menschen befinden. Wer da ist, hat keinen Bock drauf.
Nadine: Es gab immer wieder Situationen, wo wir ohne die Hilfe von Carmen, Zhiqi und den anderen nicht klargekommen wären. Das muss ich schon auch echt sagen, das ist hier in Berlin eine ganz andere Situation. Der Freiraum, den wir dort genießen konnten, der wurde sozusagen für uns geschaffen. Und hier ist er schon vorhanden. Das ist tatsächlich etwas, was das Allerwichtigste für mich ist: diese Community unbedingt weiter zu unterstützen.