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tamtam in der Halle am Berghain: Kein Alien werden

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eleven songs in der Halle am Berghain (Foto: Roman März)

Carsten Seiffarth gilt als das gute Gewissen der hiesigen Klangkunst-Szene. Seit den frühen Neunzigern hat er zahllose Installationen, Konzerte und Festivals kuratiert. Grooves interessieren den gebürtigen Berliner eher weniger, sondern sphärische, kaum hörbare Schwingungen oder gewaltiges Grummeln. Für sein aktuelles Projekt mit dem Duo tamtam hat er sich einen speziellen Ort ausgesucht. Unserem Redakteur Maximilian Fritz hat Seiffarth erklärt, warum die Installation nichts mit dem Berghain zu tun hat – den Club aber doch mitdenkt.

Wie kommst du dazu, während der Coronakrise in der Halle am Berghain eine Klanginstallation zu kuratieren?

Das hat mit der Coronakrise eigentlich gar nichts zu tun, weil sich das Projekt schon seit April letzten Jahres in der Konzeptions- und Produktionsphase befindet. singuhr – projekte hatte vor zwei Jahren hier bereits eine Ausstellung (DUST von Katarzyna Krakowiak, d.Red.) produziert und präsentiert. Nachdem wir letztes Jahr die Förderung vom Hauptstadtkulturfonds für eleven songs bekommen hatten, schlossen wir einen Nutzungsvertrag für die Halle am Berghain ab und starteten mit der Umsetzung des Projekts. Aber natürlich ist das nicht eine einfache Vermietung, denn das Berghain wollte unser Projekt vor allem aus inhaltlichen Gründen. Und trotzdem braucht man auch eine gute Finanzierung für eine Klanginstallation in diesem sehr großen Raum. Das sieht man bei der jetzigen Arbeit vielleicht gar nicht so, aber da steckt zum Beispiel einiges an aufwendiger Lautsprechertechnik drin, die man nicht sieht, aber hören kann.

Carsten Seiffarth by Gudinni Cortina
Carsten Seiffarth (Foto: Gudinni Cortina)

Und wie kam der Kontakt zu tamtam zustande?

Mit Sam Auinger (eine Hälfte von tamtam, d.Red.) habe ich in den letzten 20 Jahren schon viele Projekte umgesetzt, beispielsweise in Bonn. Die erste Zusammenarbeit mit Sam war übrigens 1999 mit der singuhr – hoergalerie in der Parochialkirche! Mit tamtam habe ich dann 2006 in der Franziskanerruine im Klosterstraßenviertel am Alexanderplatz erstmals zusammengearbeitet, damals noch für das medien-kunst-labor tesla und sonambiente 2006. Das war auch eine Raumfarben-Arbeit wie eleven songs. Seitdem gab es die Idee, sowas auch in der Größenordnung wie hier zu machen.

Passt das Konzept für dich mit dem Berghain zusammen? Hat die Ausstellung etwas mit dem Techno-Club zu tun?

Erstmal hat das gar nichts mit dem Berghain zu tun, außer dass die Halle direkt an den Club anschließt und sich im selben Gebäude befindet. Die Idee ist ja nur der Ort, der Raum selbst, der im Zentrum der künstlerischen Arbeit steht. Der hat natürlich diesen Nachbarn, ist aber ja eigentlich nur das Kesselhaus des ehemaligen Heizkraftwerks Friedrichshain. Wenig strahlt in der Halle selbst etwas vom Berghain aus, der Raum ist viel roher, mehr Industrieruine. Aber in der Halle hört man durch die hohe Wand die Beats des Clubs ziemlich gut, vor zwei Jahren war das zum Beispiel der Fall. Da mussten wir uns dann darauf einstellen. Ursprünglich hatten tamtam für eleven songs auch die Idee, dass es zwei Kompositionen geben sollte: eine für die Wochentage und eine fürs Wochenende. Der Plan war, den Klang des Clubs in die Komposition mit einzubinden. Das hatte sich mit der temporären Schließung des Clubs erledigt.


„Diese eleven songs funktionieren eben nur hier in der Halle am Berghain, für die sie komponiert wurden. Da muss man drin gewesen sein, das lässt sich nicht simulieren.”


Wie lange hat es gedauert, die Installation einzurichten?

Zuerst hat das Soundtechnik-Team von singuhr – projekte die vielen Lautsprecher aufgebaut und dazu ein 24-kanaliges Netzwerk angelegt, um jeden einzelnen Lautsprecher des Systems einzeln bespielen zu können. Und dann haben tamtam eine Woche lang die einzelnen Tracks komponiert und im gesamten Raum verteilt. Dabei wurden einzelne Lautsprecherpositionen auch wieder verändert, denn abgesehen von den Sub-Bässen hört man jetzt im Raum keine einzige Lautsprechermembran direkt, sondern alle Klänge immer reflektiert vom Dach oder den Wänden. Das erfordert ein äußerst präzises Arbeiten im Raum, der ja akustisch an jeder Stelle anders reagiert. In der Vorbereitungsphase, die nach einem ersten Lautsprecher-Test im Dezember 2019 begann, haben tamtam verschiedenes Klangmaterial vorbereitet, das dann erst im Raum selbst komponiert wurde. Einfach vom FOH (Front Of House, d.Red.) aus, das während dieser Phase im Zentrum des Raumes stand, kann so eine ortsspezifische Arbeit aber nicht entstehen. Jeder Ton, Klang, jede Sequenz muss immer wieder gehört werden und das an vielen Stellen im Raum.

tamtam schreiben, dass sie den Raum als Instrument begreifen, nicht als Gefäß, das man befüllt. Wie ist das zu verstehen?

Man könnte natürlich einfach verschiedene Lautsprecher im Raum positionieren wie für ein Konzert, das wär dann das bloße Füllen des Gefäßes. Hier geht es aber immer um den Raum selbst, um das raumklangliche Ausloten von speziellen akustischen Situationen. Erst so wird dieser Raum zum Ort ästhetischer Erfahrung und Erlebens. Diese eleven songs funktionieren eben nur hier in der Halle am Berghain, für die sie komponiert wurden. Da muss man drin gewesen sein, das lässt sich nicht simulieren. Und natürlich spielt auch eine soziale Komponente eine Rolle: Wie bewegen sich die Besucher? Was war da mal drin? Was ist da jetzt drin? Manche haben geschrieben, es wäre eine Art apokalyptische Vision. So empfinde ich’s nicht, aber jeder hört und erlebt das anders – zum Glück.

eleven songs hochkant by Roman Maerz
eleven songs (Foto: Roman März)

Die Stücke selbst entstanden aber während der Corona-Zeit, oder?

Die konkrete Arbeit am Material und im Raum fing in dieser Zeit an, das stimmt. Auf den Klang und die Komposition der eleven songs hat sich Corona also definitiv ausgewirkt. Natürlich ist ein Künstler immer jemand, der seine Zeitumstände reflektiert, und das schreibt sich unbewusst in sein Werk ein. Aber ein Corona-Werk ist das sicher nicht!

Ihr habt die Kapazität der Halle freiwillig begrenzt. Wieso habt ihr euch dafür entschieden?

Die Pandemie-kompatible Kapazität läge bei 120 oder sogar noch etwas mehr, das ist vergleichbar mit einem Baumarkt, zehn Quadratmeter pro Person. Durch die obere und untere Ebene haben wir sehr viel Fläche, trotzdem haben wir uns bewusst auf 50 Besucher geeinigt, durch den momentanen Andrang sind es dann ab und zu etwas mehr. Die eleven songs brauchen ihren Raum. Zuviel Publikum im Raum würde diese subtile Klangarbeit zerstören.

Wie du schon sagtest, ist der Andrang massiv. Wie nimmst du das Publikum wahr?

Ich bin total erstaunt, weil es so eine gute soziale Mischung ist. Über die Gründe, wieso so viele Menschen kommen, kann man nur fabulieren. Ich hatte immer die Vorahnung, dass das so voll wird wie jetzt, weil durch die Restriktionen im Kulturbereich so lange nichts in dieser Richtung stattfinden konnte und auch im Moment wenig passiert. Hier kann man sich in diese Situation wirklich reinlegen und man muss auch keine Angst haben, dass man sich ansteckt. Durch die sehr gute Medienresonanz gibt’s hier eine Mischung zwischen typischem Berghain-Publikum, Touristen, die jetzt wieder in die Stadt kommen und denken, sie wären im Berghain, und seriösem, älterem Publikum, das Zeitung liest und Fernsehen guckt. Die greifen sich untereinander auch nicht an oder sind ungeduldig, die Menschen in der Schlange wirken eher sehr entspannt und überhaupt nicht genervt. Das ist bei maximal zwei Stunden Anstehen schon unglaublich.

eleven songs Artikel by Roman Maerz
eleven songs (Foto: Roman März)

Wie ist es denn drinnen?

Es fasziniert mich schon, dass die Leute so konzentriert sind und eine ganz eigenartige Stimmung herrscht. Für uns war es dieses Mal wichtig, dass die Halle tageslichtdurchflutet und nicht abgedunkelt ist. In den letzten Jahren nutzte das Berghain die Halle relativ selten, meist für temporäre Projekte. Das wird sich in Zukunft definitiv ändern, weil jetzt auf lange Zeit eine normale Clubkultur nicht möglich sein wird. Zum Beispiel wird man nun mehr auf Ausstellungen setzen. Wir wollen diese Arbeit aber auch der total gehypten Mode der Immersions-Projekte entgegensetzen, obwohl das ein Begriff ist, der derzeit abgefeiert wird und mit dem du definitiv Fördergelder bekommen kannst. Uns geht’s aber darum, mit dem Raum zu arbeiten, sich zu öffnen, sich nicht abzukapseln. Durch die offenen, nun nicht mehr schallgeschützten Fenster hörst du zum Beispiel immer wieder auch die Stadt, die Krankenwagen, den ganzen Lärm. Die Stadt spielt also immer mit, das ist das Gegenteil von Effekthascherei. Es gibt ja nicht mal Beats, obwohl manche Leute da drin trotzdem tanzen. Sehr viele Besucher bleiben lange in der Halle – leider zum Nachteil für die Anstehenden. Das allein schon ist die Arbeit wert, die wir hier geleistet haben. Und das ist auch die Freiheit, die eine Klanginstallation jedem Einzelnen bietet.

Ab wann nutzt sich eine Installation wie diese ab?

Solange Publikum kommt, passiert das eh nicht. Und ohne ist die Klanginstallation ohnehin am eindrücklichsten zu erleben. (lacht) Diesen Luxus, allein im Raum und im Klang zu sein, haben natürlich nur wir. Man könnte die Ausstellung bestimmt auch noch drei, vier Wochen länger machen (eleven songs endet am 2.8., d. Red.), aber es geht gleich danach weiter. Unser Projekt wurde schon einen Monat vorgezogen, denn eigentlich war die Eröffnung für den 19. August geplant. Im April hat uns das Berghain dann signalisiert, dass sie selbst ein größeres Projekt für Ende August planen. Dann haben wir’s lieber früher gemacht. Da musste es auch mit den ganzen Genehmigungen dann schneller gehen. Dadurch sind wir aber jetzt auch noch in einem Zeitraum, in dem definitiv nur wenige Veranstaltungen erlaubt sind. Und ich denke, dass wir irgendwie den Nerv der Zeit erwischt haben. Dazu gibt es eine große Sehnsucht, fast schon eine Sucht der Menschen nach realen und gemeinschaftlichen Raumklang-Erlebnissen. In dem Metier, in dem ich seit langem und mit singuhr seit fast 25 Jahren arbeite, ist so eine breite Berichterstattung in den Medien eher selten, weil wir oft zwischen den traditionellen Sparten hin- und hergeschoben werden.

Du hast vorher schon das geringe Infektionsrisiko angesprochen. Ein Restrisiko bleibt aber, oder?

Das ist eine gute Frage. In der Schlange geben sich alle Mühe, den Mindestabstand einzuhalten. Und wir sind ja an der frischen Luft. Drinnen gibt’s, glaube ich zumindest, kein Risiko. Wir lüften ständig durch, der Raum ist 20 Meter hoch, jeder trägt Mundschutz, sämtliche berührten Flächen werden ständig desinfiziert. Ich würde mal ganz frech behaupten, dass es kein Risiko gibt. Natürlich bin ich aber kein Virologe. Und wir veranstalten ja kein Konzert oder dergleichen, sondern eine Ausstellung, in der sich die Besucher frei bewegen können. Wir Menschen brauchen diese körperlichen und analogen Erfahrungen mit Klang im Raum. Wenn mir einer erzählt, dass er nur noch in der Streaming-Welt lebt, ist er wahrscheinlich schon ein Alien geworden.

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