burger
burger
burger

Track by Track: Da Hool – „Meet Her At The Loveparade”

- Advertisement -
- Advertisement -

Unsere Szene lebt von den Tracks, die Nacht für Nacht und Tag für Tag gespielt werden. In der Rubrik Track by Track wollen wir alle den wichtigsten von ihnen die Wertschätzung entgegenbringen, die sie verdient haben – durch Interviews, Analysen, persönliche Erinnerungen. Ob sie unsere Szene maßgeblich prägten, grundlegende musikalische Veränderungen einläuteten oder sich mit Nachdruck ins kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben: Wir rollen Rave-Geschichte auf – Stück für Stück, Track by Track.

In dieser Ausgabe widmen wir uns mit „Meet Her At The Loveparade” einem Stück, das in seiner Vielseitigkeit seinesgleichen sucht. Vom DJ in der Dorfdisko bis zum geschmacklich distinguierten Essential Mix – Da Hools Trance-Epos weiß so ziemlich jede*n zu begeistern. Oder zumindest zu überrumpeln. Im Gespräch erzählt Frank Tomiczek, wie Da Hool mit bürgerlichem Namen heißt, unter welchen Bedingungen der Track entstand, wer sich an seinen markanten Synths vergehen wollte und was die namensgebende Loveparade für ihn bis heute bedeutet.


Eine etwas blecherne, aufreizend lange Beatsequenz steht anfangs im leeren Raum, nur sehr zögerlich bahnen sich erste melodische Nuancen an, ehe sich die ikonische Melodie in beharrlichen Spiralen an die Oberfläche schraubt – „Meet Her At The Loveparade” hat seinen durchschlagenden sowie anhaltenden Erfolg in großen Teilen dieser unverschämt eingängigen, trancigen Synthesizer-Line zu verdanken. Da Hool veröffentlichte den Track, der die namensgebende Parade so gut verkörpert wie wohl kein zweiter, 1996 auf seinem eigenen Label B-Sides, nachdem dieser vom Establishment verschmäht wurde.

„Ich hatte ja damals einen Major-Deal bei Warner. Oder EastWest, um genau zu sein. Die wollten ihn nicht bringen, das war dieses typische A&R-Ding. Interessanterweise wollte ihn auch kein anderes Label”, stellt Frank Tomiczek am Telefon, noch heute mit einer Mischung aus Ungläubigkeit und Belustigung, fest. Dabei könnte die Zeit für den Track damals nicht besser sein: House und Trance gehen nach zarten Annäherungsversuchen eine handfeste Liaison ein, 1996 passiert just der Sound, dem heute ein ganzes Revival hinterher jagt.


„Was heute die Hip Hopper sind, waren in den frühen Neunzigern die Techno-DJs. Westbam, Marusha und Konsorten.”


Das konnte Mitte, Ende der Neunziger beileibe niemand ahnen. „Meet Her At The Loveparade” erschien damals als Indikator eines westeuropäischen Raver-Zeitgeists und -Mindsets, den Tomiczek nach einem Besuch des titelgebenden Mega-Raves produzierte. „Ich war ’96 auf der Loveparade und bin sonntagabends nach Hause nach Bottrop gekommen. Wie es nach so einem Wochenende manchmal so ist, konnte ich nicht schlafen und bin ins Studio gegangen. Irgendwie kam’s dann zu dieser Melodie. Ich habe einen Synthesizer zerschraubt, die Oszillatoren gegeneinander verstimmt. Das passierte aus dem Bauch heraus.” Vier, vielleicht fünf Stunden habe er dafür gebraucht. Am nächsten Tag folgte dann die Bewährungsprobe im eigenen Auto: „Ich dachte mir: ‘Coole Nummer!’”

Alles ging dann seinen normalen Weg. Tomiczek ließ zwischen 4000 und 5000 Kopien pressen, machte „ein bisschen Promo” und verteilte den zukünftigen Welterfolg an befreundete DJs, die ihn eifrig spielten. Er selbst testete den Track ausgiebig als Resident des Düsseldorfer Clubs Poison. Flugs fand die Platte dann ihren Weg zu Kosmo Records, dem Dance-Label des Majors BMG. Das schnell aufkeimende Interesse der Label-Giganten kam für Tomiczek in Anbetracht der damals rasanten Entwicklung elektronischer Musik nicht von ungefähr: „Was heute die Hip Hopper sind, waren in den frühen Neunzigern die Techno-DJs. Westbam, Marusha und Konsorten. Und als es dann lief, kamen natürlich auch die ganzen großen Labels an.”

Da Hool auf der Loveparade 1995
Tomiczek auf der Loveparade (1995)

Dieser Techno-Boom, die endgültige Absorbierung elektronischer Musik durch den musikalischen Mainstream, ließ „Meet Her At The Loveparade” zum Welterfolg avancieren. Tomiczek selbst kann die diversen Chart-Platzierungen nicht allesamt runterbeten oder hat das vielleicht schon zu oft getan, um sich dabei noch konzentrieren zu können. „Plötzlich war es ein weltweiter Hit”, resümiert er nach der Aufzählung, auch 24 Jahre später glaubhaft verblüfft. Als Begleitmusik oder gar offizieller Song der Loveparade war „die Nummer”, wie Tomiczek seinen noch vor „Rave Nation” größten Hit durchgehend nennt, aber nicht gedacht. „Ich fand den Namen zweigleisig ganz witzig. Einerseits weil ich dort damals tatsächlich jemanden kennengelernt hatte, andererseits weil man dort eigentlich keine Verabredung treffen kann, weil eine Million Leute da sind.”

Über dieser Masse thronte Tomiczek 1996 selbst, bevor er sich in ihr verlor. „Ich hatte ’96 auch auf einem Wagen gespielt, weiß aber leider absolut nicht mehr, auf welchem.” Den Rest der Loveparade verbringt der Ruhrpott-Raver euphorisiert mit einer Armada an Gleichgesinnten. Schon zwei Jahre zuvor sorgte sein kommerzieller Durchbruch „Rave Nation” dafür, dass es sich jetzt maximal sorglos tanzte. Tomiczek hatte ursprünglich technischer Zeichner gelernt, arbeitete dann in der JVA. Nach Raves in Utrecht, Amsterdam, Rotterdam trat er um sieben Uhr morgens zum Dienst im Knast an. Die Musik änderte das, transformierte Tomiczeks Schichtdienst zur Akkordarbeit im Studio und hinter den Decks. „Ich war auf jeder Mayday, die Raveline-Leser wählten mich zum Newcomer des Jahres. Dann bekam ich das Angebot von Warner. Mit fettem Vorschuss”, zeichnet er seinen Aufstieg parallel zur Loveparade nach.


„Wenn ‘ne Nummer gut ist, ist sie gut!”


Diese kommerziellen Verlockungen, die „Meet Her At The Loveparade” damals schon mit sich brachte, übten auch auf spätere DJ-Generationen ihre ureigene Faszination aus. Wie Hyänen stürzen sich Reality-TV-Stars oder EDM-Giganten auf das Synthesizer-Skelett des Tracks, um seine Erfolgsformel für sich profitabel zu machen. Der britische DJ-Fitnesstrainer Joel Corry versuchte sich etwa mit „The Parade” an einer Kopie, was Tomiczek nicht besonders schmeckt. „Ich kann ja auch nicht einfach bei einem Madonna-Song was raussamplen und das dann als meine Melodie verkaufen”, erklärt er hektisch. „Das geht bei mir halt auch leicht, weil das Sample in der Radioversion vorne freisteht.” Allen Warnungen zum Trotz veröffentlichte Corry den Track, plötzlich war der laut Tomiczek auf dem ersten Platz der Beatport-Charts. Er und sein Management ließen ihn sperren, heute ist das glatt polierte Stück Gym-House auf YouTube wieder zu finden.

Ethischer versuchte hingegen David Guetta, „Meet Her At The Loveparade” auszuschlachten. „Du glaubst nicht, wie viele Anfragen ich fast monatlich dafür bekomme”, holt Tomiczek für die nächste Anekdote aus. „David Guetta wollte die Nummer auch mal, hat sie auch auf dem Tomorrowland gespielt. Das ist einer seiner Lieblingstracks. Eines Tages hat er mir eine Mail geschrieben, dass er mit mir reden will. Er hat mich dann angerufen und meinte, dass er die Nummer mit 50 Cent machen will. Da war ich erstmal baff.” Ein paar hastige Moneycalls mit Warner später schien alles in trockenen Tüchern. Tomiczek und Konsorten dealten mit Guettas Verlag EMI Publishing, „die Nummer war schon fertig. Es ist dann aber nicht passiert, weil 50 Cent offenbar Teile seines Rap-Parts von Notorious B.I.G. hatte. Das haben die nicht frei gekriegt.” Die Risiken überwogen schließlich, die fehlenden Rechte verhinderten die finale Veröffentlichung.

Da Hool Pressefoto aktuell
Da Hool heutzutage

„Wenn ‘ne Nummer gut ist, ist sie gut!” – dieser simple Hooligan’sche Leitsatz trifft auf „Meet Her At The Loveparade” zu wie auf kaum einen anderen Track aus der knallbunten Ecstasy-Ära. Melodiös und eingängig genug, um Teilzeit-Raver*innen auf dem Millionen-Event zu elektrisieren, und doch mit einer Finesse produziert, die Langlebigkeit gewährleistet. Außer für den Urheber selbst, wie Tomiczek unumwunden zugibt: „Es ist echt schräg mit dem Track. Ich kann ihn irgendwie nicht mehr hören, für mich ist er zu ausgelutscht. Aber er bleibt hot.”


„Es waren Leute da, die daraus ein Karnevals-Spektakel gemacht haben. Verkleidete Müllmänner oder so, man hat Schlägereien gesehen. Es war dann eher Mallorca-mäßig”

Da Hool über die späte Loveparade

Ähnlich hot wie die Loveparade selbst, deren geistiger Vater Dr. Motte Anfang des Jahres Pläne publik machte, den Mega-Rave wiederbeleben zu wollen. Da Hool könnte sich das gut vorstellen und wäre auch dabei, wie er nach kurzem Überlegen entscheidet. Der Wunsch scheint sich aus der Sehnsucht nach den kommerziellen Hochzeiten des Techno und glücksseliger Nostalgie gleichermaßen zu speisen. Der Geist der Loveparade lebt für ihn schließlich auch in Festivals wie dem Tomorrowland weiter. Als rückwärtsgewandt will sich Tomiczek aber auf keinen Fall verstanden wissen, ist eines seiner prägenden Mantras doch „Geh’ mit der Zeit oder geh’ mit der Zeit”.

Seine Erinnerungen an die Parade sind aber nicht nur von kommerziellen Interessen durchsetzt, zeugen vielmehr von ungezügelter Begeisterung und der gewissen Prise Naivität eines adoleszenten Ravers: „Ich war so geflasht von den Leuten, die auf dem Ku’Damm um die Autos und Trucks wuselten. Das war so ein geiler Tag, was total Weltbewegendes. Weg von diesem Disco-Spießertum, das ich damals so kannte. Wir waren anders, ausgeflippt. Ein richtiges Abenteuer. Bis es dann irgendwann mal zwei Millionen Menschen waren.”

Das offizielle Video zum Track, ein Jahr nach dem Release gedreht, wirkt vor diesem Hintergrund wie eine Hommage aus dem Paralleluniversum des Alltags, in dem ein Truck mit verschiedenen Tänzer*innen die Route der Loveparade bei Stadtverkehr abfährt. Erneut verweist Tomiczek daraufhin auf Rapmusik, deren Bilderwelt für ihn stark vom Techno inspiriert ist: „Das ist für mich der Vorläufer aller Rap-Videos. Wenn die was drehen, machen sie das auch im Straßenverkehr oder erzeugen Staus auf der Autobahn. Und ich hab’s vor 20 Jahren schon gemacht!”, lacht er in den Hörer.

Da Hool und Loco Dice im Eins Live Love Train 2001
Da Hool und Loco Dice im Eins Live Love Train auf dem Weg zur Loveparade (2001)

Eine politische Dimension hatte für ihn weder sein stilbildender Track noch die Loveparade als Veranstaltung: „Für mich war es eine gute Grundidee, mit der größten Tanzfläche der Welt für den Frieden zu demonstrieren. Über Politik habe ich mir aber keine Gedanken gemacht.” Irgendwann habe diese Demonstration aber nichts mehr mit der Techno-Szene zu tun gehabt. „Es waren Leute da, die daraus ein Karnevals-Spektakel gemacht haben. Verkleidete Müllmänner oder so, man hat Schlägereien gesehen. Es war dann eher Mallorca-mäßig”, kritisiert Tomiczek.

Zusätzlich kam verstärkt Kritik aufgrund der Umweltverschmutzung auf, linke Aktivist*innen sprühten Buttersäure auf die Feiermeute. Trotz dieser „negativen Randerscheinungen” hätte die Loveparade in Tomiczeks Wahrnehmung besser daran getan, in Berlin zu bleiben. „Das hat sie ausgemacht. Obwohl der Umzug nach NRW für mich natürlich praktisch war.” Als Bottroper Urgestein aus dem Herzen des Ruhrgebiets hatte es Da Hool nicht weit zu den neuen Austragungsorten der immer stärker eventisierten Parade.

„Richtig schlimm war dann das Ende”, erinnert sich Tomiczek bedrückt. „Es sprachen sich jedes Jahr Gerüchte über solche Vorfälle rum. Ich hatte noch während des Unglücks mein Set gespielt. Als ich danach mein Handy anmachte, realisierte ich, dass was passiert sein musste.” Die Katastrophe in Duisburg 2010 kostete 21 Personen ihr Leben, hunderte wurden schwer verletzt. Diese brutale Zäsur markiert bis heute das Ende der Loveparade. Vom genuin positiven, unbeschwerten Gefühl, das Da Hool auf „Meet Her At The Loveparade” einfing, war zu diesem Zeitpunkt aber ohnehin nicht mehr viel übrig.

In diesem Text

Weiterlesen

Features

[REWIND2024]: So feiert die Post-Corona-Generation

Die Jungen feiern anders, sagen die Alten – aber stimmt das wirklich? Wir haben uns dort umgehört, wo man es lebt: in der Post-Corona-Generation.

[REWIND2024]: Ist das Ritual der Clubnacht noch zeitgemäß?

Hohe Preise, leere Taschen, mediokre Musik, politische Zerwürfnisse – wo steht die Clubkultur am Ende eines ernüchternden Jahres? Die GROOVE-Redaktion lässt das Jahr 2024 Revue passieren.

[REWIND 2024]: Gibt es keine Solidarität in der Clubkultur?

Aslice ist tot. Clubs sperren zu. Und die Techno-Szene postet Herz-Emojis. Dabei bräuchte Clubkultur mehr als solidarische Selbstdarstellung.