AngstLust – Animal Shelter (Neubau)
Während die Wurzeln von Niklas Wandt, der bereits durch Releases mit Wolf Müller, Sascha Funke und – als Neuzeitliche Bodenbeläge – mit Joshua Gottmanns auf sich aufmerksam gemacht hat, im Düsseldorfer Salon des Amateurs liegen, beginnt Kristian Bahoudian alias Kris Baha, unter anderem Mitglied des Trios Die Orangen, im australischen Melbourne Industrial- und Minimal-Wave-Beats zu produzieren, bevor er mit Platten auf Imprints wie Cocktail d’Amore und Pinkman reüssiert. Auf Animal Shelter, dem Debüt der beiden Wahlberliner als AngstLust auf dem Wiener Label Neubau, widmen sich Baha und Wandt ihrer gemeinsamen Vorliebe für EBM-Sounds. Im Tempo fast eher New Beat, lotet der auch als Dub enthaltene Titeltrack gekonnt die Stereotype des Genres – wuchtiges Drumming, dräuender Sequencer-Groove, auf körperliche Anstrengung verweisende Interjektionen – aus, ohne allzu sehr auf die Nostalgie-Drüse zu drücken. Die Vocals mischen Deutsch und Englisch, der monotone Sprechgesang lässt sich durchaus auch als Verbeugung vor dem im März verstorbenen DAF-Sänger Gabi Delgado-López verstehen. Zwei weitere Tracks holzen in dieselbe Kerbe. Harry Schmidt
Galcher Lustwerk – Proof (Ghostly International)
Im neuestem Galcher-Opus, der Quasi-Fortsetzung des 2019er Albums Information, mimt der New Yorker weiterhin die Rolle eines vom Nachtleben ausgemergelten, vom schnellen Lifestyle gebeutelten Straßen-Barden. Das versprüht noch immer seinen eigenen Charme, mangelte auf seinen früheren Alben (mit Ausnahme des Debüt-Mixtapes 100% Galcher) allerdings streckenweise an Varianz. Auf Proof scheint die Darbietung des ultra-smoothen Singsangs samt Deep-House-Unterfütterung wieder die passende Form gefunden zu haben, denn die EP wirkt knackig, frisch und trotz drückendem Tonus aufgeweckt. Denn obwohl sich Lustwerk auf den Tracks hier absichtlich etwas abgekämpft gibt, bringt er seine cleveren, aufs Brückstückhafte reduzierten Lines mit einem Swag rüber, der im House seinesgleichen sucht und gleichzeitig zum Aushängeschild seines slicken, Hip Hop und R’n’B in sich aufnehmenden Stils geworden ist. Auf dem Titeltrack geraten seine Wortfetzen zum Hintergrund-Ambiente, während dichte Pads den Track vorantreiben. Auf dem Interlude „Graham” kehrt er zum Storytelling zurück. Herausstechend ist außerdem der vorab veröffentlichte „Speed”-Remix des New Yorker Duos AceMoMA, dessen quirlige Hardware-Drums und lebhafte Energie DJs vor Herausforderungen stellen, Dancefloors aber begeistern dürften. Leopold Hutter
MC Yallah & Eomac – Mama Waliwamanyii EP (Phantom Limb)
Empowerment, Bestärkung, ist vielleicht die Kernkompetenz von MC Yallah. In einem Interview für das Magazin Dazed sprach die Musikerin, die in Uganda Teil des Label- und Festivalkollektivs Nyege Nyege ist, über die Themen, die sie aufgreift: Oft rappt sie über Vorkommnisse, die Frauen besonders träfen – wie häusliche Gewalt. Zum anderen habe sie Freude daran, die selbstbewusste Pose in der Selbstdarstellung aus Rap oder Grime einzunehmen. Auf den beiden Tracks ihrer aktuellen EP rappt sie auf Luganda über rau wälzende Instrumentals des Elektronik-Produzenten Eomac (eine Hälfte des Duos Lakker), die auch ohne Lyrics Teil der Platte sind, über diese Schwerpunkte. Im Track „Mama Waliwamanyii” setzt MC Yallah ihre Worte flüssig auf ausgefranste Synthesizer und breakige Beats und widmet den starken, druckvollen Track ihrer Mutter, die aus Kenia nach Uganda geflohen war und sie und ihre Geschwister alleine aufgezogen hat. Auf einem Instrumental zwischen Grime und industriellem Breakbeat-Techno nimmt die Rapperin auf dem zweiten Track, „Kakana”, eine aggressive Haltung als erfahrene MC ein. Auf der EP zeigt MC Yallah nach ihrem Album mit dem Produzenten Debmaster aus dem vergangenen Jahr auch zusammen mit Eomac noch einmal, dass musikalische und geografische Grenzen weder für Rap noch für Techno gelten. Philipp Weichenrieder
Nexus 21 – Made in Detroit (Nexus 21/Network Records)
Ob Detroit Techno in den späten 1980er-Jahren ohne das gute Händchen von Neil Rushton solche Wellen geschlagen hätte? Der Labelmacher und Musikmanager aus Birmingham hatte jedenfalls schon früh beste Verbindungen zur hieisgen Szene. Er managte Kevin Saunderson, Derrick May und Juan Atkins, war Mitinhaber der damals wegweisenden Labels Kool Kat und Network und verantwortete in seiner Funktion als A&R des Virgin-Sublabels 10 Records ein Compilation-Projekt, das dem Detroiter Techno-Sound medial den Weg bereitete. Die Rede ist von der 1988 erschienenen Compilation Techno! The New Dance Sound of Detroit. Kommerziell betrachtet sollte die zwar zu einem Flop werden, doch der Mutterfirma Virgin brachte das Projekt immerhin einen internationalen Chart-Hit: „Good Life” von Inner City. Network Records ist seit den Neunzigern jenseits der Katalog-Auswertung nicht mehr wirklich aktiv gewesen, doch in diesem Jahr feiert man dennoch das 30-jährige Bestehen des Labels. Die EP Made in Detroit ist denn auch gleich mal ein kleiner Kracher, enthält sie doch bisher unveröffentlichtes Material von Nexus 21. Rushton und Barker scheuten damals keine Kosten und arrangierten, dass Mark Archer und Chris Peat die Gelegenheit hatten, ihre Tracks im KMS Studio von Kevin Saunderson aufzunehmen (der ist im Outro des Instrumentals von „Don’t Do Like That” sogar zu hören). Als Sängerin gewann das Duo aus Stafford die Detroiterin Donna Black, ebenfalls mit von der Partie war Mark Kinchen. Sky is the limit, dachte man sich in jenen Tagen des Frühjahrs 1990. Der bleepig-housige Techno-Track „Don’t Do Like That” sollte die Charts erobern, tatsächlich wurde aber nur eine Nummer aus dieser Session veröffentlicht, das hier nicht enthaltene „Together”. Den Rest wollte man im Zuge eines zweiten Nexus-21-Albums herausbringen, zu dem es aber nie kam. Probleme mit Samples waren ein Grund, doch vor allem aber hatten Mark Archer und Chris Peat mit Altern8 (ebenfalls bei Network) ein Projekt gestartet, das tatsächlich irre erfolgreich werden sollte. Statt mit bleepig-detroitigen Sounds operierten die beiden nun mit Hardcore-Mitteln. Dass die vier Stücke von Made in Detroit im Studio von Kevin Saunderson aufgenommen wurden, hört man übrigens sogleich: Die Basslines kommen im typischen Sounddesign des Detroiters daher. Und wer den Nexus 21-Klassiker „Self Hypnosis” oder die C&M-Connection-Stücke von Mark Archer und Chris Peat liebt, der wird sich über „No Statues” freuen. Holger Klein
Pugilist – Blue Planet EP (3024)
Melbourne macht mobil: von dort stammt der DJ und Produzent Pugilist, der sich mit seinen Releases zwischen Dub, Drum’n’Bass, Dubstep, Techno und House einen Namen bei Anhängern diverser Bass-Genre-Mutationen gemacht hat. Auf dem holländischen Label 3024, das ebenfalls für Auswüchse rund um die Schnittstellen zwischen geraden und gebrochenen Beats einsteht, hat seine EP also genau die richtige Adresse gefunden. Titeltrack „Blue Planet” startet atmosphärisch und legt stark nach, denn hier trifft moderner UKG auf clever gesampelte Drumloops, umspielt von mächtigem Sub-Bass und getaucht in düster-dubbiges Ambiente. „Acid Flange” ist ebenfalls ein elektronisch anmutender Stepper mit Soundsystem-Bassline, getragen von sphärischen Pads, die den dynamischen Track zum einfallsreichen Afterhour-Aufwecker machen. Die von Pugilist und Mit-Junglehead Tamen eingereichte Kollaboration nickt dann Respekt zollend in Richtung Genre-Wurzeln, paart Grundzutaten eines LTJ-Bukem-Tunes mit dubbigen Synths à la Basic Channel und klingt dabei erfreulich frisch. Überraschend wandlungsfähig ist Pugilist dann noch auf der Digi-only-Dreingabe „Quick Fix”, einer astreinen, bleepigen Electro-Nummer. Leopold Hutter