Foto: Johanna Bieber (Charlotte Simon)
Charlotte Simon hat keinen Masterplan, ist aber ihr eigener Support-DJ. Zusammengenommen sagt das zwar noch nicht alles, aber das meiste über die MMODEMM-Mitbetreiberin aus, die als Musikerin vor allem als Mitglied von Les Trucs beziehungsweise unter einigen meistens sehr intuitiv gewählten Pseudonymen sowie als Musikerin und Performerin im Theater-Bereich aus. Simon ist ebenso umtriebig wie vielseitig und ihr Beitrag zum Groove-Podcast unterstreicht das: Hörspielig geht es los, zwischendrin wird’s weird und neue Musik von ihr und anderen ist auch zu hören.
Gemeinsam mit Toben Piel formst du das Duo Les Trucs. Ihr veröffentlicht unter anderem auf dem Punk-Label Zeitstrafe, eure Musik bewegt sich irgendwo zwischen Synth Pop und Cybergrind, wahrgenommen werdet ihr als Performance- oder sogar Avantgarde-Projekt und nebenbei schreibt ihr auch noch Soundtracks fürs Theater. Worum geht es euch mit Les Trucs?
Sehr richtig! Ursprünglich ging es uns vor 12 Jahren darum, endlich eine Band ohne den untighten Drummer und den chronisch witzigen Bassisten zu haben. Sprich die strammen Drummachines und nüchternen Sequencer hatten ihren Einzug ins Studio. Dazu kam ziemlich schnell das performative Element, bei Livesets von der Mitte des Publikums aus zu agieren, direkten Einfluss auf die Crowd nehmen zu können und ein Gefühl für die Atmosphäre zu haben. Wir bauten uns technische Kostüme (“Mikrofonrucksäcke mit Akku und Funk”) und vertieften die Eins-sein-mit-der-Maschine-Choreografie – Hail Kraftwerk und RIP, Florian Schneider. Texte spielten auch schon immer eine wichtige Rolle, mitteilen zu wollen, dass die Situation konstruiert ist (Les Trucs, Fettkakao 2014), sich Sand im Getriebe (Schönen Grusz vom Getriebe, Zeitstrafe 2009) befindet oder Inhalt nur singend transportiert werden kann, und dass nur Idioten singen (The Musical, Knertz 2012).
Solo bist du vor allem unter dem Namen Mutandini Karl in Erscheinung getreten, im Jahr 2018 erschien dein Debütalbum Goldene Zähne. Auch als Host Stewart und Carl Simon warst du aktiv. Mit “Chloé” hast du dieses Jahr auch erstmals einen Track unter deinem Klarnamen veröffentlicht. Wie unterscheidest du zwischen dem einen Pseudonym und deinem Output als Charlotte Simon? Gibt es Unterschiede konzeptueller oder ästhetischer Natur?
Ich habe keinen Masterplan, da bin ich nicht der Typ für. Diese ganzen Namen entspringen eigentlich immer meiner direkten Umgebung und sind assoziativer Natur. So zum Beispiel war bei Mutandini Karl am Anfang Giovanni Sortino als Backrounddancer & -singer dabei – Siciliano und Riotgrrrl, also kam das Hybrid aus Bikini Kill und Mutandine (“Unterhose” auf Italienisch) dabei heraus. (lacht) Host Stuart hiess FAST der Webhost vom MMODEMM.org und Charlotte Simon ist einfach ein seriöser schöner Name mit vielen Konsonanten drin, der Respekt verleiht.
“Chloé” erschien auf der Compilation MMODEMM I PH17 Vol. 1. Du bist Mitbetreiberin von MMODEMM. Wie kam die Kollaboration mit dem Leipziger Label PH17 zustande?
Stanley Schmidt und Solaris von PH17 sind durch eine alte Mainz–Leipzig-Party-Connection und seitdem durch gegenseitiges Wertschätzen auf musikalischer und privater Ebene einfach auf einer Wave mit uns. Ich finde, Freundschaft ist ein wichtiger Aspekt beim Labelbetreiben, vor allem bei DIY-Labels geht es um nichts anderes als Geschmack und Liebe. Wir dachten uns: Das sollte nicht nur in der Auswahl der Musiker*innen, sondern auch mal in einem Kumpel-Label-Split-Release seinen Ausdruck finden.
MMODEMM verfolgt als Label von Anfang an einen sehr ungewöhnlichen Ansatz: Zu den frühen Releases gehören Compilations mit je fünf Tapes, auf denen jeweils nur ein einziges Stück zu hören war, die Residency Tape-Serie dokumentiert die Arbeit von Künstler*innen, die im Künstlerhaus Mousonturm zu Gast waren. Was ist das Konzept von MMODEMM?
Yes, zusammen mit Toben Piel und Benny Bascom, meinen engsten Musikfreunden und Inspiratoren, betreibe ich MMODEMM ähnlich wie meine Bandnamen: Immer aus einer Lust heraus. Vor allem lieben wir es, an Reihen zu feilen, die auch ästhetisch funktionieren – Benny macht das Design – oder ein Konzept versprechen. Drums, unsere letzte Vinyl-Compilation, handelte von Library Sounds, die Residency Tapes von den Ergebnissen einer von Toben kuratierten dreiwöchigen Musikresidenz im Mousonturm. Wir wollen gern die B-Seiten beleuchten und lieben es, überrascht zu werden, wenn wir unsere Künstler*innen für ein bestimmtes Konzept anfragen.
Mit euren Veranstaltungen seid ihr ebenfalls oft im Mousonturm, genauso aber im Museum Angewandte Kunst Frankfurt und dem Robert Johnson vertreten. Unter dem Titel “Der geheime Salon” gehören Clubnächte mit DJ Nigga Fox ebenso dazu wie avancierte Live-Performances von Lolina oder Thomas Ankersmit. Welchen Plan verfolgt ihr mit den MMODEMM-Events?
Wir stehen auf Ortswechsel. So ein Abend soll eine Herausforderung fürs Publikum sein. Angenehme Clubnights sind nicht so unser Spezialgebiet. Golden Donna oder Das Ding live in der Küche unseres privaten Studios Office du Pain, in der Alten Oper in Frankfurt mit einem Noisebrett von Jung an Tagen und einem DJ-Set Phuong Dans oder Hypnobeat und JASSS in einem ehemaligen Autohaus zwischen Bierlache, Graffiti und Mollton, Peder Mannerfelt und M.E.S.H. Als der neue Floor des Robert Johnson noch eine Baustelle war… Die Geheime Salon-Reihe sowie Residenzen kuratiert übrigens nur 1/3 von MMODEMM, Toben. Ich bin bei MMODEMM eher für die Vierviertel zuständig…
Als DJ bist du erst in den letzten paar Jahren verstärkt in Erscheinung getreten. Welchen Stellenwert hat das Auflegen in deiner Arbeit?
Das war Anfangs eher Beiwerk unserer MMODEMM-Nights in Frankfurt, wo ich das Warm-up übernahm, dann folgten Label-Showcases in Berlin, Hamburg, da wollte ich dann meinen großartigen Musikgeschmack gern präsentieren, den Abenden eine Richtung geben oder vielleicht auch voraussagen, dass es nicht so stringent enden wird. Es macht mir – an wohl kuratierten Abenden – mittlerweile sehr viel Spass, aber das Auflegen ist für mich eher die kleine Schwester des Labels. Für mich ist das ein Update meiner Sammlung, eine Streuung oder ein Mixtape. Neuerdings mache ich am liebsten so kommentierte Sets und sowieso präferiere ich Warm-ups oder Radio oder Non-Club-Occasions oder lege vor meinen eigenen Livesets auf, mein eigener Support-DJ sozusagen.
Was war denn die Idee hinter deinem Beitrag zu unserem Groove-Podcast?
Zuerst mal dachte ich etwas hörspielmässig, der ganze Anfang ist ein Actionfilm- und Schlecht-Wetter-Indieband-Intro. Dann sind einige eigene Tracks und Jams mit drin, Oldies, sogar ein Extrakt aus einem Soundtrack für das Tanzstück Salt 33: Salt für das Luzerner Theater mit einer Choreografie von Michael Langeneckert sowie MMODEMM-Kram und unreleastes Material von Freund*innen, zum Beispiel FM Aether/Das Kinn und Guy Lee. Insgesamt ein ganz guter Spiegel meiner derzeitigen Situation: Bock auf Dancen, Bock auf Rückzug, Sneaks in die Vergangenheit, Stolz auf meine Freunde, No Shame, Chicks, Wetterumschwung, Reverse button.
Last but not least: Was sind deine weiteren Pläne als Produzentin und Labelmitbetreiberin?
Gebt mir Deadlines, dann habe ich auch Pläne! Nein, also da gibt es natürlich Konkretes: MMODEMM releast bald eine Ambientpunk-EP, startet eine neue Reihe die auf Stimme, Lo-fi, Outskirts fokussiert. Ich selbst wärme mein E-Gitarrenspiel auf und mache vielleicht lieber eine Grunge- Band, bei dem was uns Post-Corona-mässig so an elektronischen Ergüssen erwartet. (lacht) Nein, ich freue mich endlich wieder auf Gigs will viel live spielen. Und ein Les-Trucs-Release steht an für September. I can not wait to stagedive! Howdy, fans!
Stream: Charlotte Simon – Groove Podcast 256
01. Unknown- Untitled
02. Host Stewart – Private Jamzz 2014 (unreleased)
03. John T. Gast – Wygn tryagen_5
04. Ike Yard – Loss (Regis Version)
05. Alex Ness – Manifest Death
06. Das Kinn – Internetcafé (unreleased)
07. M.E.S.H. – Kalimbopolis
08. Fyoelk – Midjox
09. Kritzkrom – Oscillopsea
10. YPY – Ant
11. Charlotte Simon – Quasar Rage Symphony (unreleased)
12. Stenny – Adequate Force
13. Thomas P. Heckmann – Lagrange Point L5
14. Charlotte Simon – 5th floor line (Soundtrack for Tanz:33 SALT Theater Luzern)
15. Unknown – Untitled
16. Charlotte Simon – Chloé
17. Charlotte Simon – 4th Floor Dummy (Soundtrack for Tanz:33 SALT Theater Luzern)