Jeden Tag werden DJ-Mixe ins Netz geladen. Manche sind besser, manche sind schlechter und nur wenige werden uns jahrelang begleiten. Jeden Monat sucht die GROOVE-Redaktion die fünf besten Mixe des vorangegangenen Monats aus, präsentiert in alphabetischer Reihenfolge. Diesen Monat mit Bambounou, Ben UFO, Bill Kouligas, Dasha Rush und Lakuti & Tama Sumo. Und wer danach noch nicht genug hat, schaut einfach mal beim GROOVE-Podcast vorbei.
Bambounou – A mix of various birds talking to me (Bambounou)
Wieso haben so viele elektronische Musiker*innen eigentlich ein Faible für Vogelgeräusche? Wir erinnern uns etwa an das Seetaucher-Sample in 808 States Hymne „Pacific State”, den „Teenage Birdsong” von Four Tet oder an das letzte Album von Dominik Eulberg, das der passionierte Ornithologe unter anderem der „Sechslinien-Bodeneule” gewidmet hat. Liegt es daran, dass die kleinen Federwesen oft die einzigen sind, die den Heimweg vieler DJs begleiten, wenn sie in den grauen Morgenstunden endlich den Club verlassen und sie zu Hause mit ihrem Gezwitscher nicht schlafen lassen? Der französische DJ und Produzent Bambounou hat den „original singers” jedenfalls einen ganzen Mix gewidmet und mit Aufnahmen, die er auf seiner Australientour 2018 im Botanischen Garten Melbourne gemacht hat, vielleicht den entspannendsten Ambient-Mix des Lockdowns geschaffen. Es gurrt, zwitschert, zirpt und krakeelt vielstimmig durcheinander, zwischendurch läuten sogar ein paar Kirchenglocken. „A mix of various birds talking to me” ist Balsam für die eingepferchte Großstadtseele. Und wer nicht den Luxus eines Schrebergartens hat, kann sich für 60 Minuten aus der Betonwüste träumen, die gerade so schrecklich stillsteht. Bambounous Mix hilft dabei, die Stille zu ertragen und die ungewohnte neue Langsamkeit der Welt wertschätzen zu lernen. Eine Tracklist zum Mix kann allerdings wohl nur bird watcher Dominik Eulberg himself erstellen. Laura Aha
Ben UFO – Club Quarantäne (Club Quarantäne)
Die Apokalypse wird live gestreamt. Und ab und zu lässt einen im DJ-Dschungel doch ein Set aufhorchen: Wie Ben UFO mit seiner zweistündigen Session für Resident Advisors Club Quarantäne. Wie ein Soundcloud-Kommentar ganz treffend zusammenfasst: „Ben being Ben…fucking sick!” Warum das Hessle-Audio-Wunderkind Dauergast bei unseren Mixen des Monats ist und sich über die Jahre zu einem der gefragtesten DJs mauserte, brauchen wir nicht zu erklären. Lauscher auf und seine Selektion für sich sprechen lassen: Von neuem Triology-Tapes-Material zu upsammys Dekmantel-Debüt und Luke Viberts Hypercolour-Triathlon über unveröffentlichtes Material von Pearson Sound und Floating Points zu Leckerbissen von WNCL, Mother’s Finest oder Sherelles Hoover Sound. Bitte aufdrehen, bis die Nachbarn klopfen, und im Liegestuhl mit Cocktail und Fluppe ganz entspannt in den Weltuntergang raven – oder vom Berghain-Schlangestehen bei der nächsten Hessle-Labelnight träumen. By the way: Erinnert sich wer an den Horst Krzbrg anno 2011? Life was good… Raoul Kranz
Bill Kouligas – ⇢ Lifetime #21 (Lafayette Anticipations)
Die einsamen Tage sind gezählt, denn die Sonne erwärmt unsere Quarantäne-Herzen schon seit einiger Zeit und zieht uns nach draußen. Dennoch wirkt die melancholische Kühle in Bill Kouligas’ Lifetime Mix irgendwie passend gut und geht unter die Haut. Der PAN-Labelgründer mischt in seinem Mix 24 Tracks in knapp eineinviertel Stunden. Dazu liefert er eine übersichtliche Tracklist, die sowohl die Hörer*innen als auch die vertretenen Künstler*innen erfreuen wird. Neben labeleigenen Künstler*innen wie Crystalmess bringt Kouligas auch die Musik von bislang unbekannten Gesichtern wie Mohammad Reza Mortazavi zum glänzen. Zum Schluss spielt er die neue Single von Frank Ocean in einer spanischen Version, gesungen auf einem Blond-ähnlichen Instrumental. Für Kenner*innen mag es nicht ungewöhnlich sein, dass Kouligas Mix so schöne, unberechenbare Melodien vereint. Dennoch dürfte die musikalische Vielfalt den ein oder anderen auf angenehme Weise überraschen. Stimmungsvoll wechseln sphärische Klänge mit elektronischer Weltmusik und meditativen Vocal-Arrangements – schnell verliert man dabei die reale Ebene und taucht ein in die abenteuerlich bunte Musikwelt. Von diesem heilenden Hörerlebnis kann man bestimmt eine Weile zehren. Julian Eichelberger
Dasha Rush – borshch mix 20 (borshch)
Die Ambient-Blase schwillt weiter. Das Nicht-Genre, als dessen Väter wahlweise Jon Hassell oder Brian Eno angeführt werden, ist eine der wenigen Musikrichtungen, die während der Coronakrise unbeirrt prosperiert. In alle Himmelsrichtungen wuchert das Ambient-Kontinuum, ein*e DJ ohne Ambient-Set in den letzten zwei Monaten wirkt wie ein prähistorisches Artefakt. Auch Dasha Rush veröffentlichte jüngst eine grob einstündige Reise ins Reich der ausufernden Flächen und ziellos schweifenden Gedanken. Die Russin verfolgt dabei aber glücklicherweise ein ausgereiftes Konzept, das nicht klingt, als hätte sie sich ihre Selektion geschwind ergooglet. In dieser Sparte ist sie ohnehin keine Unbekannte. Viele ihrer Arbeiten für Performancekunst- oder Experimental-Zusammenhänge greifen seit jeher auf Spielarten des Ambient zurück. 2014 veröffentlichte sie bereits den denkwürdigen Zehnminüter „Ocean Shy”, an den ihr sanft gleitender Mix anlässlich des dritten Geburtstags des Magazins borshch phasenweise erinnert. Eine hervorragend konzipierte Traumreise, die phasenweise säuselnde Vocals in malerische Klänge bettet. Maximilian Fritz
Lakuti & Tama Sumo – Honcho Podcast Series 77 (Honcho)
Nach der fast schon apokalyptischen Endzeitstimmung zu Beginn der Krise traut man sich langsam aber sicher wieder, eine positivere Perspektive einzunehmen. Den Soundtrack für diesen vorsichtigen Optimismus liefern Lakuti und Tama Sumo. Mit einem Lächeln und ohne dick aufzutragen servieren die beiden eine ordentliche Dosis gute Laune in schweren Zeiten. Lakuti, die Chefin von Uzuri Recordings & Bookings, und Tama Sumo, jahrelange Resident-DJ der Panorama Bar, haben musikalisch so einiges zu bieten. Vom obskuren Selector-Set bis hin zum euphorischen House-Mix hat das Duo für jeden Anlass das passende Inventar am Start. In ihrem Podcast für die queere Partyreihe Honcho aus Pittsburgh liegt der Fokus auf verspieltem House und funkigem Disco und Soul. Die Energie bleibt über die gesamten 90 Minuten hinweg hoch, beide weigern sich jedoch gekonnt überschwänglich zu agieren. Gerade deshalb erreicht der Mix eine gewisse Leichtigkeit, die wir alle in diesen ungewöhnlichen Zeiten gut gebrauchen können. Auf Lakuti und Tama Sumo ist eben immer Verlass. Jonas Hellberg