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Robag Wruhme: House-Ikone, Familienvater und Spaßvogel

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Robag Wruhme. Foto: Katja Ruge

Kein Künstler verkörpert die Clubszene von Jena so wie Robag Wruhme mit seinem unnachahmlichen Mix aus komprimierten, basslastigen Grooves und einem naiven, augenzwinkerndem Humor. Als Teil der Wighnomy Brothers entwickelte er den Jenaer House-Dialekt, als Robag Wruhme einen der zugkräftigsten House-Ansätze der 2000er. Nach der Auflösung der Wighnomy Brothers verfolgt er auf Kozes Pampa-Label auch einen Sound jenseits des Dancefloors. Im Sommer ist dort sein drittes Album erschienen. 

GROOVE-Chefredakteur Alexis Waltz spricht mit Robag Wruhme, der eigentlich Gabor Schablitzki heißt, über die Emanzipation vom Dancefloor auf Venq Tolep, sein Leben als Familienvater, seinen Burnout – und warum er Hotels ziemlich unerträglich findet.

Dein neues Album klingt ruhiger und gelassener als der Vorgänger. Diese Tendenz hat sich schon angekündigt, aber ist jetzt noch viel deutlicher. Wie hat sich das ergeben?

Robag Wruhme: Letztes Jahr habe ich auf Hart & Tief Wuzzelbud FF veröffentlicht. Die geht in Richtung Tanzflur. Dadurch habe ich mir offen gelassen, beim Nachfolgealbum zu Thora Vukk die Spielwiese noch zu vergrößern. Deshalb ist es kurz und ruhig geworden. 

Was für eine Stimmung, was für eine Geistesverfassung spiegelt Venq Tolep wider? 

Ich bin jetzt zweifacher Papa. Der Sohnemann ist fünfeinhalb, die Tochter ist ein Jahr und zwei Monate. Das gibt nochmal einen ganz anderen Blick auf alles. Das verändert die Struktur, die ich zuvor die Jahre über hatte, komplett. Man wird sensibler, man wird ruhiger. Beziehungsweise wird es um einen herum gar nicht ruhiger, sondern spektakulärer, sodass man selbst mehr in sich ruhen muss, um alles zu schaffen und gut zu machen. 

Wie hast du diese Ruhe gefunden? Wie bist du dahin gekommen?

Das ist ein Zusammenspiel aus dem Älterwerden, aus den Kindern und dem seit 25 Jahren in dem Geschäft-sein. Ich habe keinen Richtwert von Kolleg*innen, die einen ähnlichen Zeitstrahl absolviert haben. Für mich hat sich das selbstverständlich und richtig angefühlt. Auf Musik Krause oder Kompakt gab es ja immer irgendwelche B-Seiten, wo ich das schon angedeutet habe, dass ich auch ruhiger sein kann. Das hat sich beim letzten Album schon ganz gut angefühlt, mit dem nächsten Album wollte ich das Ganze aber noch mehr in Richtung Songstruktur bringen. Bei Thora Vuk wurden noch einige Stücke auf DJ-Länge gebracht. Das fand ich jetzt nicht mehr so spannend, das wieder zu tun.

Warum ist das Album so kurz?

Die Kürze des Albums war schon vor zwei Jahren ein Problem. Da dachte ich, ich bin schon fertig. Da meinten dann Stefan [Kozalla, DJ Koze] und Markus [Fink] von Pampa: Das ist ein bisschen kurz. Jetzt ist es knapp über 40 Minuten, da waren es knapp über 30. Für mich war das insgesamt stimmig. Ich habe auch erstmal nachgeguckt, wie das bei Kollegen ist. Da gibt es einige, wo die Alben nicht länger als 35 Minuten sind, bei Modeselektor zum Beispiel. Ich finde lange Alben anstrengend, weil man ja auch die Zeit haben muss, sich das anzuhören. Ein Album in unserer schnelllebigen Zeit hört man dann auf dem Weg zur Arbeit oder im Flugzeug. Ich hatte natürlich eine viel größere Auswahl an Stücken, in den letzten acht Jahren sind etwa 75 Tracks entstanden. 

„Für mich war es wichtig, nicht auf Teufel komm raus eine Verlängerung stattfinden zu lassen.“

Das ist ein Kahlschlag. Wie hast du den vorgenommen?

Das war schon ein Fundus, da hätte man ohne weiteres eine Stunde vollpacken können. Das hat sich aber für mich nicht gut angefühlt, es war nicht rund. Mit „Advent” und „Ende #2” ist das auch so ein Kreis, das kann wirklich wieder von vorne beginnen, da steht nichts im Weg, das rollt dann einfach so durch. Wenn man eine Endlosschleife hat, kann man selbst entscheiden, wann man stop drückt – und wieder AC/DC reinmacht.

Was war das Feedback von Koze und Markus Fink von Pampa? 

Die haben gefragt, ob ich nicht noch irgendetwas habe, das ich noch dazu nehmen kann. Mach doch nochmal ‘ne Ambient-Version von dem Stück. Das habe ich angenommen, aber zwei Jahre später habe ich den Jungs das Album dann doch als 40-minütiges Stück verkaufen können. Natürlich gab es da schon Ideen, noch zwei, drei andere Stücke mit reinzunehmen. Dann war dieser Kreis aber nicht mehr da.

Was reizt dich an der Kürze?  

Für mich war es wichtig, nicht auf Teufel komm raus eine Verlängerung stattfinden zu lassen. Freunde haben mich gefragt: Warum machst du nicht alle Stücke einfach etwas länger? Bei Thora Vukk sind einige Stücke drauf, die haben DJ-Länge, mit diesen typischen DJ-Rampen vorne und hinten. Aber das war ja nicht notwendig, weil ich wusste, dass das wieder was zum Hören werden sollte. Die Idee war außerdem, zwei Alben innerhalb von sechs Monaten zu veröffentlichen. Da hatte ich aber nicht verstanden, wie sich die Musikbranche in den letzten acht Jahren verändert hat. Was man überhaupt verkaufen kann. 

Das war dein ursprünglicher Plan? Wie hätte das zweite Album aussehen sollen? 

Aus dem zweiten Album ist die Doppel-Maxi Wuzzelbud FF entstanden, auf Hart & Tief. Das allererste Album, das ich auf Musik Krause gemacht habe, hieß Wuzzelbud KK, das wollte ich reanimieren. Und der Nachfolger von Thora Vukk ein halbes Jahr später. 

Aber davon haben dir Markus Fink und Koze abgeraten?

Die fanden die Idee gut. Das waren dann eher die Leute, die dafür Sorge tragen müssen, dass sich das auch verkauft. Also der Vertrieb, die Produktionsfirma, die dann sagen: Damit haben wir schon unsere Erfahrungen gemacht, das funktioniert nicht. Zum Beispiel habt ihr auch keinen Bock, innerhalb von sechs Monaten zwei Alben zu besprechen. Das habe ich mir angehört und verstanden. So ist aus dem zweiten Album dann eine Doppel-EP geworden. Und viele kennen mich erst seit Thora Vukk, ich habe aber auch schon 15 Jahre davor Musik gemacht. Die sind dann überfordert von dem Sound, den ich damals gemacht habe. 

Robag Wruhme. Foto: Katja Ruge.

Venq Tolep – was bedeutet der Titel? 

Wie immer, der bedeutet nichts. Das sind Wortkreationen, Wortspielereien. Ich könnte auch nicht sagen, wie der entstanden ist. ich mach mir auf meinen Reisen Notizen. Wenn die Lieder dann fertig sind, fang ich an, mit diesen Notizen zu spielen. Buchstaben umzustellen, manchmal schaffen es auch einige Worte komplett. 

Wie „Advent”. 

Advent meint da nicht den christlichen Advent, sondern Ankunft allgemein. Nach acht Jahren mal wieder zurück zu sein. Ich bin wieder da, ich bin angekommen. Und das ist, was ich mitgebracht habe.

Und „Volta Copy”? 

Das gab es ja schon auf der EP auf Pampa, deshalb erscheint hier die Ambient-Version. Das war mehr zum Tanzen. Da gab es einen Chillout-Schwanz, daraus habe ich mir eine Ambient-Version gefummelt.

„Ende #2” ist ein Widerspruch in sich. Wenn es ein zweites Ende gibt, war das Ende nicht das Ende. 

„Ende #2” deshalb, weil ich auch da wieder den Bogen zu Thora Vukk geschlagen habe. Die letzten fünf Sekunden sind da auch wieder drauf – nur eben im Abstand von acht Jahren.  Markus [Fink] und [sein Sohn] Julius sagen auch dort wieder „Tschüss Gabor” – das gibt es ja auch schon am Ende von Thora Vukk. Nur sind sie acht Jahre älter.

Robag Wruhme – „Ende #2”

Aber bei “Ende #2” kommen noch mehr Leute zu Wort, Erwachsene und Kinder. 

Wie bei Thora Vukk habe ich Freund*innen und Bekannte gefragt, mitzumachen. Das war eine riesengroße Herausforderung, die Leute dazu zu bringen, privat bei sich zu Hause zu singen, und das mit den verschiedenen Aufnahmequalitäten dann zu einem Lied zusammenzufügen. Diesmal habe ich mir überlegt, dass sie ihren Namen sagen sollen, die Stadt, in der sie wohnen, und die Zahlen 1, 2 und 3, in ihrer jeweiligen Muttersprache. Da ist dann „Ende #2” daraus entstanden. Das ist an das Ende von Thora Vukk angelehnt, hat in dem Fall aber noch eine persönlichere Bedeutung, weil sie ihre Namen und ihre Herkunftsstädte aufzählen. 

Wie sind die Songs entstanden? Du arbeitest intensiver als bisher mit Vocals. 

Bei „Advent” und „Westphal” ist das die Stimme von Lysann von Stereofysh. Da hatte ich noch einen Ordner mit Vocals auf der Festplatte, da hat keine direkte Zusammenarbeit stattgefunden. Die habe ich dann einfach geschnitten. Ich habe Lysann lediglich gefragt, ob ich die so verwenden darf. Dann gibt es noch „Nata Alma” von Bugge Wesseltoft mit der Stimme von Sidsel Endresen. Der Titel ist meine Wortkreation. Im Original gibt es das schon seit 1999, es heißt „You Might Say“. Da habe ich auch schon mal eine Version auf meinem Bootleg Label BB gemacht, 2003. Das wollte ich nach 20 Jahren unbedingt nochmal bearbeiten, ich bin ein Fan von Sidsels Stimme, ich wollte das Stück in die neue Zeit bringen. Das ist alles abgeklärt. 

„Zum Beispiel „Brumby Kapell”, das auf Musik Krause erschienen ist. Das gibt es die Autobahnkirche zwischen Magdeburg und Halle, Brumby steht dann für die Autobahn und Kapell für Kapelle.”

Reizt es dich, direkt mit Sänger*innen zusammenzuarbeiten? 

Eher nicht. Ich habe in den Jahren natürlich probiert, mit anderen zusammenzuarbeiten. Ich habe etwa mit dem Deutschen Nationaltheater in Weimar Musik gemacht. Das ist für mich gefühlt wahnsinnig in die Hose gegangen. Wenn ich kommerzielle Aufträge bekomme, dann bin ich da nicht so kompatibel. Ich kann nicht auf Wünsche eingehen, ich brauche meinen Freiraum. 

Warum genau ist es in die Hose gegangen? 

Gerade auch wenn man mit Sängerinnen und Sängern zusammenarbeitet, die bringen oft schon ein großes Ego mit. Ich finde das sehr anstrengend, ich habe das nie wieder so probiert. Vielleicht mache ich das mal, wenn ich noch ein bisschen ruhiger, noch ein bisschen ausgeglichener bin. Jetzt finde ich das ziemlich geil, die Stimmen wie Samples verwenden zu können. Genauso wie bei den Remixen, da bekomme ich einfach die Spur, und kann meinen Sound drumrum bauen.

Beim „Thora Vukk” hast du dich viel mit Koze ausgetauscht. War das jetzt wieder so? 

Das war eine Phase, in der wir uns gegenseitig viele Sachen hin und her geschickt haben. Um uns einfach mal gegenseitig Feedback zu geben. Um zu zeigen, woran man gerade sitzt. So ist auch Hart & Tief entstanden. Da war ich gerade wieder in Ecuador. Da hat mir Stefan geschrieben: „Ich bin gerade so auf Techno, ich hab gerade Techno gemacht.” Und ich hab geantwortet: „Was? Ich auch. Schick mal.” Das waren die Sachen, die dann als Hart & Tief 02 rausgekommen sind. 

Du scheinst dir viele Gedanken über deine lautmalerischen Tracktitel zu machen, bei denen manchmal eine Bedeutung durchscheint. Wie war das bei Venq Tolep

Bei dem Album war das weniger wichtig. Da war die Herangehensweise eine andere. Ich mache mir ja immer Notizen, die hängen auch davon ab, wo ich unterwegs bin. Zum Beispiel „Brumby Kapell”, das auf Musik Krause erschienen ist. Das gibt es die Autobahnkirche zwischen Magdeburg und Halle, Brumby steht dann für die Autobahn und Kapell für Kapelle. Das hat jetzt bei Venq Tolep nicht so stattgefunden. Das hängt auch damit zusammen, dass ich mich gerade in Südamerika befunden habe, als ich das Album fertig gemacht hab. Ich habe kein spanisches oder portugiesisches Wort mit einfließen lassen, aber trotzdem ist man von einer anderen Sprache umgeben. Das ist dann auch ein Einfluss.

Robag Wruhme. Foto: Katja Ruge.

Bist du oft in Südamerika? 

Wir pendeln jetzt seit sieben Jahren.

Wie hat sich das ergeben? 

Meine Frau kommt aus Ecuador. Wir verbringen die Wintermonate dort. Dieses Jahr wird das aber das letzte Mal sein, denn dann geht unser Sohn zur Schule. 

Was hast du von dort aufgenommen, was inspiriert dich da? 

Landschaftlich ist das natürlich ein großer Mehrwert und auch kulturell. Aber um ehrlich zu sein, nutze ich diese Zeit eher, um auf mein Heimatland zu schauen.

Was denkst du dann? 

Ich nutze das, um auch mal den Vergleich zu ziehen. Ich habe mehr Zeit, um Nachrichten zu lesen, und alles ein bisschen besser aufzunehmen. Die Zeit habe ich in Weimar, unter der Woche, eher weniger. Da reicht es manchmal nur, um noch eine Schlagzeile zu lesen. Mehr möchte ich mich auch gar nicht mit den Dingen beschäftigen. Dort habe ich dann Zeit. dort habe ich auch einen ganz anderen Tagesablauf. Das ist ein ganz anderes Umfeld, eine andere Struktur. Da beschäftige ich mich dann auch wieder mit meinem eigenen Land, was gerade in der heutigen Zeit nicht uninteressant ist.

Inwiefern?

Haha. Einiges. Aber wie gesagt, ich genieße das auch, in Ecuador zu leben. Wir reisen da viel. Wir waren auch schon in Nicaragua, das hat mich beeindruckt. Und in vielen anderen Ländern, in Peru, in Panama, in Kolumbien, in Chile. Das ist auch oftmals verbunden mit Auflegen. Es ist auch interessant zu erleben, mal selbst Ausländer zu sein und willkommen zu sein – und manchmal auch nicht willkommen. 

Was erlebst du in Süd- und Mittelamerika? 

Man erlebt dort meistens eine extrem große Schere zwischen arm und reich. Allerdings: Die armen Menschen haben da, egal wie sie leben, immer ein freundliches Lächeln und sie hören immer Musik. Wenn die Menschen reich sind, wirken sie auf mich oft bitter, auch wenn sie teure Autos haben und Wahnsinnshäuser mit dicken Mauern, Elektrozaun und Security. 

Wie siehst du von da aus deine deutsche Heimat? 

Ich kann dann erst recht nicht die Leute verstehen, die mit dem, was sie haben, nicht zufrieden sind. Die das, was sie umgibt, gar nicht mehr wertschätzen können. Hier in Deutschland sind Dinge selbstverständlich, die in Mittel- und Südamerika nicht selbstverständlich sind. Deshalb geht hier oft die Wertschätzung verloren. Das ärgert mich dann. Wenn ich zurückkomme nach den drei oder vier Monaten, dann fühle ich mich zu Hause entwurzelt, dann fühle ich mich fremd in meinem eigenen Heimatland, weil der Wohlstand hier nicht wertgeschätzt wird. Wir haben eine fast lückenlose medizinische Versorgung, wir haben Kindergärten und Schulen, wir haben so viele Sachen in unseren Einkaufsläden, die wir wegschmeißen. Und dann diskutieren wir darüber, ob man containern darf oder nicht. Das sollte eine Selbstverständlichkeit sein. 

„Ich war 15, wir hatte eine Clique, da standen wir auf der Straße rum. Auf einmal lief jemand um die Ecke und hat gesagt: „Ey, die Mauer wird aufgemacht!“. Wir waren etwa 20 Leute. Zehn waren dann sofort weg. Wir standen aber noch da, weil wir es gar nicht glauben konnten.” 

Mich interessiert noch deine frühe Jugend. Du bist in Rudolstadt geboren. Was für ein Ort war das? 

Rudolstadt habe ich gar nicht groß mitbekommen. In Bad Blankenburg, das ist da direkt um die Ecke, habe ich dann ein Jahr zugebracht. Dann bin ich nach Großenhain gekommen, das ist bei Dresden, weil mein Vater aus der Ecke kommt. Da bin ich ein Jahr geblieben, bis meine Eltern mit ihrem Studium fertig waren. Dann brauchten sie einen Krippenplatz, eine Wohnung und einen Arbeitsplatz. Das führte dazu, dass sie nach Apolda gezogen sind.

Was haben deine Eltern beruflich gemacht? 

Die haben beide studiert, Wirtschaft und Technik. Da gab es ein großes Obertrikotagenwerk in Apolda, da wurden Strickwaren hergestellt. Meine Mutter und mein Vater haben in einer riesengroßen Fabrik gearbeitet, da hatten sie dann ihre Abteilungen. Da habe ich meine Kindheit verbracht, und meine Schulzeit und den Fall der Mauer. 

Du bist 1974 geboren, beim Mauerfall warst du 15. Was erinnerst du noch aus der DDR-Zeit?

Ich habe da schon noch Erinnerungen. Ich erinnere auch den Tag des Mauerfalls – beziehungsweise, als es dann losging. 

Wie hast du gespürt, dass es losging? 

In Apolda jetzt weniger, mehr durch die Aktuelle Kamera [die Nachrichtensendung des staatlichen Fernsehens der DDR], durch die Demonstrationen in Leipzig, da war ein Aufruhr zu spüren. Ich war 15, wir hatte eine Clique, da standen wir auf der Straße rum. Auf einmal lief jemand um die Ecke und hat gesagt: „Ey, die Mauer wird aufgemacht!“. Wir waren etwa 20 Leute. Zehn waren dann sofort weg. Wir standen aber noch da, weil wir es gar nicht glauben konnten. 

Was ist dir durch den Kopf gegangen? 

Wir dachten, das sei ein Versprechen, ein Versehen, ein Gag. Ich verstand es erst, als ich nach Hause kam, und meine Eltern vor dem Fernseher sitzen sah und wie sie gebannt auf das Gerät schauten. Da habe ich mich dazu gesetzt. Das musste erstmal durchsickern, das war nicht so: super, jetzt haben wir es geschafft. Für die Generation meiner Eltern ist da eine Welt zusammengebrochen, weil sie in diesem System geboren wurden, aufgewachsen sind und gearbeitet haben. Egal, wie man politisch zu Gange war. Niemand konnte fassen, dass das so friedlich über die Bühne gegangen ist. 

Die Wighnomy Brothers 2007. Foto: Steffen Roth.

Was hat dich damals persönlich beschäftigt? 

Ich hatte dann wahnsinnige Schwierigkeiten, gerade mit meinem Vater. Zu DDR-Zeiten war ja alles vorprogrammiert. Da hatte man festgestellt, ich bin Musik interessiert, Kunst interessiert. Deshalb stand fest, dass ich Musik und Kunst studieren werde. 

Das wäre im Westen nicht so einfach gewesen. 

Als die Mauer fiel, hat mein Vater gesagt: Das findet nicht statt für dich. Du brauchst jetzt erstmal einen Job, um Geld zu verdienen. Er dachte, nach 40 Jahren Laissez-Faire kommt jetzt das dicke Ding. Und das dicke Ding besteht nicht aus Coca-Cola und Kaugummi. 

Musstest du dann erstmal einen normalen Beruf erlernen? 

Ja. Das war ganz schlimm. Ich habe mich dann erstmal ausprobiert. 95 Prozent meiner Klasse wären Strickerinnen und Stricker geworden, die wussten auch nicht, was sie machen sollten. Es war klar, dass die Strickerei nicht mehr lange existieren wird. Der volkseigene Betrieb war nämlich dazu da, Pullover für den Westen herzustellen gegen Valuta, gegen Devisen. Dann wollten alle Hotelfachfrau oder Hotelfachmann werden. Ich war völlig verzweifelt und hab 20 Bewerbungen geschrieben, auch als Hotelfachmann. 

Wollte dich jemand haben? 

Ich habe 19 Zusagen bekommen.

Immerhin. 

Ich habe mich überhaupt nicht gefreut. Das Hotel hat meine Eltern und mich zu einem Schnupper-Wochenende eingeladen, meine Eltern konnten dort ein Wochenende Urlaub machen, ich musste arbeiten. Nach einer halben Stunde habe ich gemerkt: nie und nimmer. Ich wusste sofort, das bin ich nicht, das hat nichts mit Musik zu tun, das hat nichts mit Kunst zu tun. Das wollte ich nicht, ich habe mich so fehl am Platz gefühlt. Ich war richtig deprimiert. Der Vater von einem Freund hat eine Heizungsfirma aufgemacht, das habe ich dann versucht. Das ging überhaupt nicht. Zu DDR-Zeiten hatte ich noch Breakdance gemacht, deshalb hatte ich kaputte Knie. Die Mutter von einer Klassenkameradin hat eine Steuerkanzlei aufgemacht, das hab ich dann bis zu Ende gemacht. Aber das Rationale hat sich da überhaupt nicht mit dem Emotionalen vertragen.

Was für Musik hast du zu DDR-Zeiten gehört? Hast du auch ein Instrument gespielt? 

Nein. Ich war eher autodidaktisch unterwegs, das Interesse war da, aber es gab keine Möglichkeiten. 

„Wir sind ins Pionierlager gefahren, da hieß es: Heute Abend gucken wir einen Film, der heißt Beat Street. Da sind wir in den Speisesaal gegangen, wo eine Leinwand aufgehängt wurde. Dann fing dieser Film an, mit dieser Musik.”

Was hast du für Musik gehört? 

Am Anfang die Plattensammlung von meinem Vater. Das war die Musik, die ich erstmal hören konnte. Die Plattensammlung von meinem Vater bestand halt nur aus fünf Platten. Das war dann Vangelis, Jean-Michel Jarre, Musik aus Zeit und Raum. Tomita hat mich stark beeindruckt. Der hat Bilder einer Ausstellung von Mussorgsky in den siebziger Jahren ins Elektronische übertragen. Alle Stücke, angefangen vom „Tanz der Gnome” über “Den armen Juden” und “Den reichen Juden” bis zu den “Promenaden”. Da habe ich das vielleicht übernommen beim Thora Vukk-Album mit den „Brücken”. Die Promenaden sind der Weg zwischen den einzelnen Bildern. Das hat mich sehr beeindruckt, dass man klassische Musik ins Elektronische bringen kann. Dann gab es Whitesnake, diese amerikanische Hard Rock Band, die fand ich furchtbar. 

Und was war das fünfte? 

Das war Bergweihnacht, eine Weihnachtsschallplatte. 

Wie hast du angefangen selber Musik zu machen? Wie hat sich dein musisches Talent zuerst geäußert? 

Das habe ich schon oft erzählt. Das hat etwas mit dem [afroamerikanischen Sänger und Bürgerrechtler] Harry Belafonte zu tun. Der war ein großer Freund des Staatsratsvorsitzenden und des ganzen Parteiapparats der DDR, und er war Produzent des Films Beat Street. Sie haben uns den Film gezeigt, um uns über die rassistischen Lebensbedingungen aufzuklären, unter denen die Afroamerikaner in der Bronx in New York zu leiden hatten. Die haben nicht damit gerechnet, was sie damit losgetreten haben. 

Was für eine Wirkung hatte der Film auf dich? 

Wir sind ins Pionierlager gefahren, da hieß es: Heute Abend gucken wir einen Film, der heißt Beat Street. Da sind wir in den Speisesaal gegangen, wo eine Leinwand aufgehängt wurde. Dann fing dieser Film an, mit dieser Musik. Alle Jungs in meiner Klasse waren so dermaßen infiziert. Auch für mich hat das einen richtigen Flash gegeben, obwohl ich schon Depeche Mode und Front 242 gehört hatte. Im Jugendradio DT64 wurde nämlich ein Depeche Mode Konzert in vier Teilen gesendet. Das habe ich im Abstand von einer Woche mitgeschnitten. Das war 1986 oder ´87. Aber Beat Street mit Grand Master Flash – das war einfach nur Wahnsinn. Wahnsinn! Die Verschmelzung der Musik mit dem Tanzen – das hat mich total mitgenommen. 

Wie hast du darauf reagiert, hast du versucht Plattenspieler zu organisieren? 

Ich habe noch zu DDR-Zeiten angefangen zu breakdancen. So ist ja auch die Electric Beat Crew [ein HipHop-Duo, das noch zu DDR-Zeiten eine Rap-Platte auf Amiga veröffentlichte] und Pioniermanöver, die erste Schallplatte aus dem Dessauer Umfeld, entstanden. 

Die Wighnomy Brothers 2007. Foto: Steffen Roth.

Hatte das auf deine Mitschüler*innen auch eine solche Wirkung? 

Vor allem auf die Jungs. Den Mädchen hat das auch gefallen, es war aber nicht so auf sie zugeschnitten. Wir haben dann angefangen zu breakdancen, es gab dann noch zu DDR-Zeiten battles. Ich kann mich entsinnen, dass wir nach Altenburg gefahren sind. Da gab es so ein Studentenwohnheim. Da haben viele aus Vietnam und Mosambik studiert. Die Mosambiker*innen kannten die Musik schon. Im Keller von dem Studentenwohnheim haben wir dann so battles ausgerichtet. Da haben wir dann getanzt. In Jena gab es auch viele, die Breakdance getanzt haben, mit denen haben wir uns auch verabredet. Ich hatte aber nie das Gefühl, dass das wirklich etwas Verbotenes war. Das war aber alles sehr fortgeschritten, das war 1987 oder ´88. 

Der Auflösungsprozess der DDR hatte schon begonnen.

Wenn ich mal nicht mein Pionierhemd anhatte, hab ich auch nicht unbedingt einen Eintrag ins Klassenbuch bekommen. Aber eigentlich weiß ich das nicht. Das konnte ich nicht beurteilen, das ist alles so gekommen. Das hat sich nicht abgezeichnet. Aber hin und wieder gab es schon so Sachen, wo ich gemerkt habe, irgendwas ist da komisch. Wenn der Mauerfall nicht stattgefunden hätte, wäre ich irgendwann mit dem System angeeckt, und hätte gesagt: Das ist jetzt richtig unfair. Ich habe schon immer meinen Mund aufgemacht, wenn mir irgendwas nicht gepasst hat. 

Du warst also nie in einer brenzligen Situation? 

Die Armee war schon relativ früh da, in der Schule. Die haben geguckt, wer ist denn gut, wen können wir denn rekrutieren. Eines Morgens waren dann zwei Offiziere da. Die haben sich das Klassenbuch zeigen lassen und gesagt: „Schablitzki: mitkommen.” Ich bin dann mit einem Mitschüler in die Kaserne gebracht worden. 

„Nach dem Fall der Mauer wurden dann in Apolda viele Nazis, da waren auch Freunde dabei, die dann auf einmal Nazis waren. Ich bin dann relativ früh aus dieser Stadt raus. Ich musste weg, das ging mir gegen den Strich.”

Du warst Klassenbester?

Ja. Die sind mit uns in die nächste Kaserne gefahren und haben versucht, uns die Armee schmackhaft zu machen. Das ging dann soweit, dass die auch Gespräche mit uns geführt haben: „Und? Habt ihr Lust, Berufsarmist zu werden und zur nationalen Volksarmee zu kommen?” Wir haben gesagt: „Ja, warum nicht?” Wir hatten ja gerade einen tollen Tag: Wir haben einen Panzer gesehen und mussten nicht zur Schule gehen, sind mit einem Wartburg zur nächsten Kaserne chauffiert worden. Die haben das aber als definitives „Ja“ verstanden. 

Was ist dann passiert? 

Mein Vater hat mich da rausgeholt. Er ist mit mir in Apolda ins Kreiswehrersatzamt. Er hat gesagt: „Ihr kriegt meinen Sohn nicht!“ Da habe ich zum ersten Mal gemerkt: Wenn man da nicht mittanzt, dann gibt’s Probleme.

Da hat sich dein Vater hinter dich gestellt. 

Eher vor mich. Ich wollte überhaupt nicht zur Armee. Für mich war das eher so wie ein Ausflug. Es war spannend, das mal zu sehen, ich wollte aber nicht ständig dort sein. Ich dachte, ich bin der Typ zum Malen oder zum Musik machen. Kriegshandwerk war nicht mein Ding. 

Wie haben die auf deinen Vater reagiert? 

Ich war nicht mit in dem Raum, ich weiß nicht, was genau abgegangen ist. Mein Vater hat nur gesagt: “Es ist alles geklärt.” 

Hast du ihn nie gefragt? 

Ich war viel zu jung. Ich war noch ein Kind, mit einem Kind kann man keine Verträge schließen.  

Nachdem du in dem Steuerbüro deine Ausbildung gemacht hast, wie bist du dann zur Musik gekommen?

Ich habe im Kassablanca meinen Zivildienst gemacht, in dem Club in Jena. Die haben jemand gebraucht, der die Finanzbuchhaltung und Lohnbuchhaltung macht. Dann hieß es, wir können dich übernehmen. Da habe ich dann gearbeitet, und bin so wieder zurück zur Musik gekommen. 1998 haben wir dann gesagt: Wir machen Freude am Tanzen. Und den Fat-Plastic-Plattenladen. Da hatte sich dieses Kollektiv gebildet.

Wer war da noch dabei?

Sören Bodner, mit dem ich viele Jahre Wighnomy Brothers gemacht habe. Sperling, der der rationale Zahlenmensch war. Über ihn bin ich auch ins Kassablanca gekommen. Zuerst waren das wir drei, dann hat sich das immer vergrößert.

Wie bist du ins Kassablanca gekommen, rein über die Buchhaltung?

Der [Thomas] Sperling hat in Apolda die ersten Technopartys gemacht, da habe ich schon Marusha gehört. Nach dem Fall der Mauer wurden dann in Apolda viele Nazis, da waren auch Freunde dabei, die dann auf einmal Nazis waren. Ich bin dann relativ früh aus dieser Stadt raus. Ich musste weg, das ging mir gegen den Strich. Da bin ich dann auf Leute gestoßen, die sich schon irgendwie mit Techno beschäftigt haben. Da war DJ Mikk. Der hätte eine richtig große Nummer werden können, wenn er nicht manchmal so desinteressiert oder so speziell gewesen wäre. Die Connections zu [Westbams Label] Low Spirit waren schon da. Sperling kam auch aus der Nähe von Apolda, er hat mit Mikk dort die ersten Partys organisiert. Die waren etwas älter als ich. An einem Abend hatte Mikk keinen Bock aufzulegen und sagte: „Gabor, mach du mal.” 

Und du hattest damals schon Platten?

Ja. Ich hatte Leute kennengelernt, dann ging es ganz schnell, dass man dann am Samstag mal mit seinem Sold, so hieß das im Zivildienst, nach Berlin in die Reichenberger 75 gefahren ist, ins Hardwax. Oder ich habe von Pete den Zettel bekommen und habe dann bestellt, Tanith, Overdrive. 

Die Wighnomy Brothers 2007. Foto: Steffen Roth.

Was hat dich an der Musik so fasziniert? 

Ich fand das völlig intensiv, eine Bass Drum zu haben, die Hihat im Off und eine Clap auf der 2 und der 4. Das hat so eine Energie gehabt, da bin ich Techno verfallen. Dann kam ich über die Partys vom Sperling zum Auflegen. Er hat damals Westbam und Marusha eingeladen. Das war damals Neuland und grandios. Natürlich ist man da auch in der Phase gewesen, dass man anders sein wollte, wie jeder Jugendliche irgendwann. Da hat sich das angeboten. Das war einfach perfekt. Dann ist man da so reingekommen, in diese Welt der elektronischen Musik. Dann hat sich das ganz schnell vergrößert. Es hat dann auch nicht mehr lange gedauert, bis klar war, dass man das auch mal selber ausprobieren will. Dann kam eins zum anderen. 

Was war der nächste Schritt? 

Das detailliert aufzeigen fällt mir jetzt schwer, weil da so viele Dinge passiert sind, spektakuläre wie unspektakuläre. War ja doch eine Menge, in den letzten 30 Jahren. 

Wann hattest du zum ersten Mal das Gefühl, dass du von der Musik leben kannst?

Das hat dann schon noch mal ein paar Jahre gedauert. 

Wie seid ihr als Duo, als Wighnomy Brothers zusammengekommen? Das war ja damals gar nicht so üblich wie später dann. 

Wir haben immer als Gabor & Sören aufgelegt. 1997 gab es dann so Probleme in Jena.

Damals gab es schon die ganzen Jenaer DJs wie DJ Foch, DJ Ebi der Muhle – das waren die Größen. Wir kamen aber nicht aus Jena, Sören kam aus einem Dörfchen in der Nähe von Apolda. Ich hatte zwar mein Standing, weil ich im Casablanca Ambient-Sets gespielt hab. Aber Sören wurde nicht akzeptiert. 

Wie hast du Sören kennen gelernt?

Noch zu DDR-Zeiten durch das Breakdancen. Weil es in Apolda eine Tanzgruppe gab, die von jemandem aus Kamerun geleitet wurde. Der hat in Jena Zahnmedizin studiert. Die Tanzgruppe ist in dem Betrieb von meinen Eltern bei einem Fest aufgetreten. Das war der Wahnsinn, den Film zu sehen und direkt danach diese Tanzgruppe. Da habe ich gesagt: Wo kann ich das machen? Der Student aus Kamerun hat mir gesagt, wo sie Proben. Dort habe ich Sören kennengelernt. 

„Dann kamen viele Remix-Anfragen. Dann kam der Wighnomy-Hype. Da habe ich bei Mute einen Vertrag unterschrieben für drei Alben in 15 Jahren für eine wahnsinnige Summe.”

Wie wurden aus Gabor & Sören die Wighnomy Brothers?   

Ein Freund von uns sagte, dass wir einen richtigen, gemeinsamen Namen brauchen. Der Freund hat sich dann auch den Namen ausgedacht, den haben wir dann 17 Jahre lang benutzt. 

Warum habt ihr euch dann getrennt? 

Das war schon eine Umstellung, 2010 allein auf die Piste zu gehen. Die ganze Reiserei zu zweit zu machen, das war super angenehm. Im Ausland konnte man in seiner Muttersprache quatschen. Und man war nie allein. Wenn man das 17 Jahre macht, dann steckt da schon eine Menge Vertrauen drin. 

Warum habt ihr aufgehört? 

Da spielten so viele Dinge mit rein. Das hatte auch damit zu tun, dass ich den ganzen Ablauf bei Freude am Tanzen und Musik Krause gemacht habe – die Master erstellen, Anpressungen testen, Pressetexte schreiben und alles andere. Dann habe ich noch die Musik für das Wighnomy-Projekt gemacht und am Wochenende auflegt. Da kam ich irgendwann an den Punkt, dass ich nicht mehr konnte.  

Du hattest einen Burnout. 

Ich hatte einen richtigen Burnout. Ich hatte Angst, in Clubs zu gehen. Das ist natürlich das Dümmste, was einem passieren kann. Besonders schlimm war es, wenn der Club richtig voll war. Ich hatte dann auch richtig Platzangst. Ich musste eine Zeit lang aussetzen und alles neu regeln. Da habe ich festgestellt: In den Jahren, in denen wir zusammen waren, haben wir viel erreicht, wir haben großartige Dinge aufgebaut. Gleichzeitig haben wir uns in der Zeit sehr verändert und unterschiedliche Standpunkte erreicht. 

Sören hat nur aufgelegt? 

Aufgelegt und im Plattenladen gearbeitet, das ist auch anstrengend. Aber bei mir kam noch der Part des Musikmachens dazu. Nachdem das auf einmal alles lief, kam dann auch der Druck. Nachdem Wendelin [von Weissbach/ Metaboman] nicht auf Freude am Tanzen gepasst hat, haben wir gesagt, wir machen ein neues Label. Die Tracks kamen dann als die erste Musik Krause heraus. Dann habe ich gemerkt: Okay geil, dann kann ich auch noch andere Musik machen. Dadurch ist 2001 Robag Wruhme entstanden. Dann kamen viele Remix-Anfragen. Dann kam der Wighnomy-Hype. Da habe ich bei Mute einen Vertrag unterschrieben für drei Alben in 15 Jahren für eine wahnsinnige Summe.

Klingt traumhaft. 

Da war man auf einmal in einem Kosmos, in dem es nicht mehr so locker zugeht, in dem man man ein bisschen Musik macht und am Wochenende vielleicht noch eine geile Party hat. Da hat man dann auf einmal drei Tage hintereinander gespielt und ist ins Flugzeug gestiegen in die USA oder nach Mexiko und nicht nur in die Bahn oder ins Auto. Das dann auch noch mit einem Privatleben zu vereinen, das habe ich unterschätzt. Deshalb habe ich Luft gebraucht zum Atmen.

Robag Wruhme. Foto: Katja Ruge.

Wie hast du dich dann wieder gefangen und gefunden?

Die Pause 2010 war gut. Das war aber alles ganz neu. Am Anfang hat sich das auch gar nicht gut angefühlt. Aber dann habe ich zurückgefunden. 

Hast du erwogen, ganz mit der Musik aufzuhören? 

Nein, nie. Die Pause war am Ende auch gar nicht so lang. 2010 ging das los und da habe ich dann auch die Mix-CD für Kompakt gemacht und eine Musik Krause und eine Circus Company. Und hab das Thora Vukk Album gemacht, was dann im April 2011 rauskam. Diese Verantwortung zu haben, dass zwei Labels laufen und die Verantwortung für ein gemeinsames Projekt – das war zu viel.  

Was mich noch interessiert: Bei Robag Wruhme hatte man ja noch viel mehr als bei den Wighnomy Brothers das Gefühl, dass das ein neuer Aufbruch der elektronischen Tanzmusik ist. Robag Wruhme war kein traditioneller House mehr, es war nicht mehr der Techno der Neunziger, es war auch kein Minimal. Obwohl es natürlich darauf reagierte. Die Musik ist auch sehr digital, sehr durchdacht. Irgendwo hast du mal gesagt, dass du über jede Millisekunde deiner Musik 100 mal nachgedacht hast. Für mich hat sich das so angefühlt, dass du damit ausdrücken willst, dass manche Sachen einfach nicht mehr gehen, dass jetzt das zweite Kapitel der elektronischen Musik beginnt. Hast du etwas in dieser Art gedacht?

Um Gottes Willen nein, so etwas zu sagen, das würde ich mich gar nicht trauen. Mein Sound hängt ja damit zusammen, dass ich damals in einem Haus gelebt habe, in dem viele alte Menschen gelebt haben, in dem ich keine Boxen aufstellen konnte. Deshalb habe ich immer mit dem Kopfhörer gearbeitet. Ich war immer ganz nah dran am Klang, so habe ich mein Klangspektrum aufgebaut. Meine Ohren haben sich daran gewöhnt. Ich liebe monotone Musik, da gibt es Kolleginnen und Kollegen, die wunderbare monotone Musik machen. Die nicht wie ich im Sequenzer alles genau setzen, sondern alles laufen lassen.

 „Ich bin kein Mensch, der Fernsehen guckt, und ich möchte auch nicht meine Zeit bei irgendwelchen Social-Media-Sachen verschwenden.” 

Du wolltest nie jammen. 

Ich wollte nie jammen. Ich muss alles unter Kontrolle haben. Ich bin ein Kontrollfreak. Bei mir muss auch alles aufgeräumt sein. Meine Musik ist in Ebenen gebaut, und ich schaue, dass sich diese Ebenen nicht überlagern, dass man immer durchschauen kann. Aber ich sage, ein Stück darf nie zu leer klingen, sodass man das Gefühl hat, da fehlt noch irgendwas. Ich bin natürlich so ein Mensch, der nicht lange etwas geradlinig laufen lassen kann. Manchmal sind das nur minimale Veränderungen. Für mich sind die ganz doll wichtig. Aber wenn ich dann so monotone Sachen von Kolleg*innen höre, dann bin ich immer ganz begeistert. Ich leg das auch sehr gerne auf, aber ich könnte sowas nicht machen. Spätestens nach 20 Sekunden muss ich eine Veränderung vornehmen.  

Wenn du auflegst, arbeitest du viel mit Samples und mit Breaks. Wie hat sich das ergeben? 

Das kommt noch von dem Auflegen als Wighnomy Brothers, Sören hat auch noch ganz viel gequatscht. Dann haben wir viele A-Cappellas gesammelt, damals noch auf Vinyl, weil das noch eine ganz andere Energie bringt. Das war unter anderem auch unser Aushängeschild. Auch, dass wir uns gegenseitig gepusht haben und das dann auf die Leute übertragen konnten. Das mache ich heutzutage nicht mehr ganz so. Ich bin dann schon etwas geradliniger, strikter. Ich habe dann auch so meine Einflüsse, was ich gerade richtig gut finde. Aber ein Sample kommt hin und wieder. Ich hatte so eine Phase beim Auflegen, wo ich über Wochen hinweg immer wieder das gleiche Sample benutzt habe. Ich fand das immer ganz geil. Aber dann kamen Leute und sagten: Das hast du doch schon letzte Woche gemacht oder vor einem halben Jahr.

Und die Breaks, wie machst du die?

Die mache ich manuell, mit dem Mixer. Ausfaden, Loops setzen, nochmal mit einem Effekt unterlegen. Wenn es eigene Produktionen sind, nehme ich auch manchmal den Original-Break. 

Um zum hin Ende den Bogen in die Gegenwart zu schlagen: Wie teilst du deine Zeit zwischen deiner Familie und deiner Arbeit auf? 

Es gibt Wochenenden, wo ich dreimal hintereinander auflege. Dann gibt es aber auch zwei Wochenenden, die ich frei nehme, wo ich Familiensachen mache. Die Woche ist so schnell rum, und da hat man dann nicht so viel Zeit miteinander.

Du hast mal gesagt, dass du keine Hotels magst. Fährst du immer noch direkt in den Club, wenn du irgendwo ankommst? 

Ich versuche es. Manchmal ist das reisetechnisch auch nicht machbar. Dann kommt man schon mit einem erheblichen Schlafdefizit an, da braucht man wirklich noch ein bisschen Zeit für sich. Aber grundsätzlich ist es so, egal ob die Hotels einen Stern oder sechs Sterne haben, ich fühle mich da nicht so wohl. Das Ankommen ist ganz gut, weil man ja auf der Reise die ganze Zeit von Menschen und von Hektik umgeben ist. Aber nach spätestens 30 Minuten möchte ich da auch wieder raus. Ich bin auch kein Mensch, der Fernsehen guckt, und ich möchte auch nicht meine Zeit bei irgendwelchen Social-Media-Sachen verschwenden. Auch in den ganzen Jahre mit Sören haben wir das Hotelzimmer immer wieder ziemlich schnell verlassen. Und sind in den Club, gucken wie sich das so anfühlt, die Leute erleben, die Energie aufnehmen. Die haben gerade ein freies Wochenende, die sind happy, eine stressige Woche hinter sich zu lassen. Egal, in welchem Land man ist, es geht immer um das Gleiche: Mal raus zu kommen, zu plaudern, was zu trinken – und sich im besten Falle auf die Musik zu freuen. 

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