5 Years Footjob (Footjob)
Nein, nicht, was ihr jetzt denkt. Bei Footjob geht es nicht in erster Linie um Bettgeschichten. Stattdessen – das macht ein Blick auf den Claim „Music made for dancing feet“, den Dirk Bretträger alias Phonk D seinem 2014 gegründeten Label mitgegeben hat, deutlich – dreht sich hier alles um die Bedürfnisse des Dancefloors. Und weil Bretträger dort wie auch im Release-Schedule seines Imprints jegliche Form von Hektik zu verabscheuen scheint (17 Veröffentlichungen stehen nach fünf Jahren Footjob zu Buche) feiert man das kleine Jubiläum mit einer Remix-Compilation. Die hat es allerdings in sich: Für jeden aus dem übersichtlichen Katalog ausgewählten Track hat der Darmstädter DJ und Producer je einen Bearbeitungsauftrag vergeben – mit ausnahmslos überragenden Ergebnissen. In jedem Track wird seine genaue Vorstellung davon spürbar, wer welchem Tune gerecht werden, ein bereits exzellentes Stück Musik nochmals auf ein neues Level anheben, gleichzeitig eine stimmige, respektvolle Version liefern könnte. Allein schon die Namensgalerie der Remixer spricht Bände: Gerd Janson, Hans Nieswandt, Shan, Phonk D, Le Rubrique, Lukas Lehmann, Ise Jr. und Sascha Ciminiera – wobei mit Ausnahme von Janson alle bereits auf Footjob veröffentlicht haben und hier größtenteils doppelt vertreten sind: einmal als Producer eines Originals und einmal als Urheber eines der exklusiven Remixe – nur eben, bezogen auf einen Titel, nie beides zugleich. Auch wenn auf 5 Years Footjob von Sex also nicht primär die Rede ist, verdient diese ausnehmend tolle Veröffentlichung trotzdem uneingeschränkt das Attribut sexy. Anders gesagt: All killer, no filler, wie es in den Neunzigern gerne hieß. Harry Schmidt
25 Years of Paper (Paper)
Seit den frühen 90er-Jahren hat sich Paper Recordings den Status als britische Institution in Sachen Deep House und Disco erkämpft. Zum Vierteljahrhundert-Jubiläum geben zwei der wichtigsten Künstler*innen der Plattform – Ben Davis alias Flash Atkins und House/Disco-Band Crazy P(enis) – eine eigens kuratierte Best-of Rückschau auf 25 Jahre Labelgeschichte. Crazy P präsentieren die ersten 13 der insgesamt über 2000 auf Paper (und seinen vier Sublabels) erschienenen Tracks. Dabei sind Nu-Disco-Klassiker wie das 1995 veröffentlichte „Downtime“ bis hin zu aktuelleren Katalog-Zugängen, wie Rave-Enkas „Antibac“ von 2015. Die Zutaten sind dabei seit 20 Jahren ziemlich gleich geblieben: Samples, Soul und jazzy Chords ergeben solide House-Tracks, denen man ihr Alter in der Regel nicht anhört. Auf Part 2 gibt’s nochmal 18 Stücke, die eine etwas kosmischere Route eingeschlagen haben und die Vorliebe des Labels für norwegische Acts und deren zum Export-Schlager anvancierten Nu-Disco-Sound herausstellt. Wer also mit diesem und dem hier ansonsten zelebrierten klassischen Deep-House etwas anfangen kann, der kriegt auf 25 Years of Paper jede Menge erstklassiges DJ-Futter geboten. Leopold Hutter
Arabstazy presents Under Frustration Vol. 2 (Infiné)
Gerade europäische Produzent*innen bedienten sich in den letzten Jahren ganz gerne mal sowohl an Süd- und Mittelamerika, als auch an der arabischen Welt. Sie spiegelten vielfältig Cumbia oder Dabke und sorgten für sound-ästhetische Abwechslung auf den Tanzflächen. Das hatte seine eurozentristischen Appropriation-Abgründe, war aber für Menschen vor und hinter den DJ-Pulten auch häufig eine Möglichkeit, sich mit der eigenen Migrationsgeschichte auseinander zu setzen. Die Musiker*innen aus den gesampleten Regionen wurden gleichwohl vergessen und durften Zaungast spielen.
Das multimediale Künstler*innen-Kollektiv Arabstazy erkennt den Nachholbedarf und beweist mit dem zweiten Output der „Under Frustration“-Reihe, dass die Geringschätzung der jeweiligen Szenen Aleppos bis Rabats mindestens fahrlässig ist. Auch räumt man mit dem Mythos der homogenen arabischen Welt auf; die gibt es nämlich nicht. Khan El Rouhs „Mount Kaf“ ist ein Speaker-Monster und rammt mit seiner komprimierten Bassline von innen gegen die Magneten, versammelt dennoch Oud-Sounds und treibt einen ganz tief in den Dunst der Nacht. „100=1“ von Hello Psychaleppo lässt die Hi-Hat-Sechtzehntel flirren als wär man auf einer Trap-Party und steppt sonst schön futuristisch durch den Raum, während „Ik Vari Do Vari“ von Rafael Aragon und Stas tatsächlich formidablen Dabke a la Omar Souleyman liefert und mit Killerbreak überrascht. Schluss mit der Frustration! Lars Fleischmann
Djax-Re-Up Volume 2 (Dekmantel)
Auf zwei separat erhältlichen Doppel-Vinylen und einem über hundertminüten Digitalalbum führt uns diese Dekmantel-Compilation durch die große Phase des Eindhovener Labels Djax-Up, das 1990 von Saskia Slegers alias Miss Djax gegründet wurde. Seine beste Zeit hatte Djax-Up wohl zwischen 1991 und 1994, die Anzahl der essentiellen Platten, die damals in die Läden kamen, war und ist beeindruckend. Noch beeindruckender ist, dass viele dieser Platten damals weit vorne waren (oder nicht selten auch mal ziemlich neben der gängigen Techno-Spur operierten) und sich trotzdem gut verkauften. Und womit die hier vertretenen Protagonist*innen vermutlich nie gerechnet hätten: Viele ihrer Tracks klingen auch im Jahr 2019 noch irre fresh, so zum Beispiel “Flow Charts” von Ismistik, einem frühen Projekt von Bjørn Torske, der unter diesem Pseudonym auf Djax-Up noch weitere tolle Musik veröffentlicht hat. Ansonsten wird Djax-Re-Up Volume 2 wie der einstige Output des Labels von zwei Fraktionen bestimmt: Auf der einen Seite die Niederländer wie Stefan Robbers alias Terrace, Planet Gong, The Operator und Random XS, auf der anderen Seite die Chicago-Connection von Saskia Slegers mit Stücken von Glenn Underground, DJ Skull, K-Alexi Shelby oder Felix Da Housecat. Gut gemacht, Dekmantel. Holger Klein
Electro Acholi Kaboom from Northern Uganda (Nyege Nyege Tapes)
Nyege Nyege ist ein wichtiger Dreh- und Angelpunkt der (ost-)afrikanischen Musikszene. Jährlich findet in Kampala das Nyege Nyege-Festival statt, mit Acts aus der Gegend oder mit Bezug zu dieser. Nicht wenige dieser Künstler*innen haben es auch überregional zu Bekanntheit geschafft, man denke nur an Nihiloxica oder Jay Mitta. Die Musik ist nicht zu verwechseln mit der in Mitteleuropa längst angekommenen Musik westafrikanischer Künstler*innen. Der Mix Electro Acholi Kaboom from Northern Uganda zeigt das: Der Sound orientiert sich wesentlich mehr an elektronischer Musik der florierenden Club- und Party-Kultur, scheint im Fall von Electro Acholi wie ein Amalgam aus 1990er-Jahre-Sounds und den regionalen Eigenheiten aus Gulu und Lira, wo diese Aufnahmen zwischen 2003 und 2008 entstanden. Acholi, das sind Songs, die auf Hochzeiten gespielt werden. Als in Bürgerkriegszeiten die Larakaraka-Bands mit 25 Mitgliedern nicht mehr bezahlbar waren, kreierten junge Produzent*innen stattdessen mit Fruity Loops den sehr perkussiven Sound und boten zum Teil Gesamtpakete an, die den Jungvermählten eigene Musik und Performance zur Hochzeitsfeier ermöglichten. Über einfachen, blumigen Beats aus der Dose liegen oft schöne, einprägsame Vocal-Spuren, Call-and-Response-Gesang oder schlicht optimistische Tanzbegleitung aus exzessivem Singsang. Der Opener „Adoko Gwok“ von Lady Grace Atim gibt einen guten Eindruck von dem, was auf der Doppel-LP zu hören ist. Musikalischer, DIY-hafter Electropop mit treibendem, bassigem Beat und eingängigen Ohrwürmern. Einer der Höhepunkte der Doppel-LP ist „Angee Kobo“ von Pan Afrique, eine Nummer, die von einer ausgelassenen, gut gelaunten Hochzeitsparty zeugt, bei der nach fast sieben Minuten wirklich jede und jeder tanzt und mitsingt. Brother & City Boy mit „Can Deg Ming“ vermählen einen fast naiv klingende Beat mit ihrem lässigen Gesang, im Hintergrund das Quietschen einer Sängerin. Dancehall-Einschlag findet man bei Bosmic Otims „Bandera Pa Kaka“. Kein Wunder, dass dieser Sound nun zurück in die Clubs geht, aus denen er auch reichlich schöpft. Tanzbar, hypnotisierend, elektrisierend. Lutz Vössing
The Blaq Bunch Vol. 3 (Blaq Tapes)
Klack. Bumm. Tape rein. Mal sehn. Und dann: Wow. Nachdem man mit dem verschwurbelten Opener von Donnie Moustaki & Neptune Daddy erstmal ordentlich eingemeindet wurde, wähnt man sich beim zweiten Track direkt im Kosmos des Art Ensembles of Chicago. Mit anderen Worten: Hier wird Cosmic Jazz mit House versetzt – und zwar aufs Vorzüglichste! Die Stimmung ist loose, aber warm. Man fühlt sich sofort wohl, umschwirrt von feinen Harmonien und Kaffee mit Likör-Geruch. So schwebt man durch das Tape, das einen immer wieder hochwirft und wohlig im Fallen wieder auffängt mit samt-dunklen Akkorden und Preziösen aus Klavierklingelei. Still steht hier nichts, alles ist in ständiger, organischer Bewegung durch den tiefgepolsterten Jazzhouse-Lo-Fi-Tunnel.
Der Laden, in den man hier hineingeraten ist, brummt auf jeden Fall. Es ist wie eine smoothe Rutschpartie durch den verstaubten Cotton Club. In der Mitte kommt dann der Bruch, die Fahrt wird plötzlich zackig. Ja, die Abfahrt ist holprig, aber macht dennoch nicht weniger Spaß. Und wieder landet man weich im Downbeat-Pool, um sich kurz zu entspannen. Und dann geht die Party eben einfach weiter, und wir waten wieder durch den fülligen Akkorden-Sumpf. Hat jemand ein Feuer entfacht? Denn langsam wird es wieder warm in diesem Jugendclub. Es ist eine Reise, die nicht aufhört zu überraschen. Tim Lorenz