Barnt – High Hopes And Local Fame (Schalen 001)

Barnt ist zurück mit Post-Trance aus einer Zone, wie sie Andrej Tarkowski in Stalker beschreibt: ein mysteriöser Ort, in dem rätselhafte Dinge passieren. Der Titeltrack „Schalen” lässt Trance-Chords fliegen und bürstet Ambient gegen den Strich. „Local Fame” zielt auf den Dancefloor, startet mit Claps und humpelnden Rhythmen, bis eine eindringliche Techno-Bassdrum einsetzt, während im Hintergrund die Hi-Hats zittern. Dann plötzlich die Barnt-Signatur: eine kurze Stille, aus der alles noch eindringlicher aufersteht, nur um sich erneut aufzulösen in einem Trance-Industrial-Schauer, aus dem nach einem erneuten Break Post-Gabba emporsteigt, der dann wieder in der eigentlichen Techno-Komposition mündet. Fünf Tracks in einem. Überraschend und klischeefrei mit Klischees jonglierend. Der finale Tune „High Hopes” bringt noch Kompakt-Minimalismus, Nebelhorn-Trance und Berliner-Schule melancholisch zusammen. Sci-Fi-Gewittermusik, die im Club aktuell den feinen Unterschied machen wird. Michael Leuffen

Ben Klock – Subzero (Ostgut Ton)

One Track to rule them all. Ganz unscheinbar als eines von vier Stücken auf die neunzehnte Ostgut Ton-Veröffentlichung gepresst, schlummerte „Subzero”, begierig darauf, einen für diese Art von Musik unerreichten Siegeszug anzutreten. Mehr als vierzehn Millionen Youtube-Klicks stehen heute, zehn Jahre später, zu Buche. Von Barcelona bis Beijing boomt der Titel mittlerweile durch die Speaker hipper Fashion Stores und trendiger Cafes und leistet einen großen Beitrag dazu, dass das zum Berghain gehörige Label und dessen Artists seit jeher die Speerspitze der Techno-Elite bilden. Alles beginnt mit dieser pulsierenden, hallenden Kickdrum, die ihre ganz eigene Geschichte erzählt. Sie alleine vermag es schon, den Hörer*innen das Gefühl zu vermitteln, mitten in den dunklen Hallen dieses sagenumwobenen Betonklotzes zu stehen. Mythen über diesen, einer kurioser und unglaublicher als die andere, gab es seit jeher. Und all diese Geschichten, diese unbändige Sehnsucht nach Freiheit und Grenzenlosigkeit, transportierte Ben Klock in nervenaufreibenden sechs Minuten und vierundzwanzig Sekunden Länge. Über die Kick legt sich dann in stoischer Natur eine ebenso eingängige wie faszinierende Melodie. Der Löwenanteil des Ruhms gebührt ihr. Blickt man heute auf den Titel, kann man bestimmt sagen, dass er unmittelbaren Anteil am andauernden Mainstream-Wahnsinn, zu dem elektronische Musik verkommen ist, hat. Böse Zungen behaupten sogar, dass nach erstmaligem Hören knapp die Hälfte an Schwaben und Bayern unter dreißig nach Berlin umsiedelte. Ist „Subzero” also Techno-Gentrifikation? Ganz sicher sogar! Aber ist das denn wirklich etwas so Unerhörtes? Es muss immer ein the next big thing geben. Techno heute ist entweder brutaler, breakiger oder psychedelischer. Big Room-Hymnen entsprechen nicht mehr dem Zeitgeist. Aber ob ohne „Subzero” diese Entwicklung jemals eingetreten wäre, ist zumindest fraglich. Das jetzige Re-Release mit bisher auf Vinyl unveröffentlichtem Bonus-Track („Coney Island” auf der Flip-Side ist ein Artefakt aus längst vergangenen Tagen für die einen, ein nostalgischer Gänsehautmoment für die anderen. Andreas Cevatli

DJ Bogdan – Love Inna Basement (White Label NE-001-GH R)

Die Idee ist so noch nicht da gewesen – da ist der Objekt-Track „Theme From Q“ mit seinen Frühneunziger-Breakbeat-Anleihen, der im Jahr 2017 eine ganz große Nummer war. Damals verbreitete man die schöne Geschichte von der Hommage, gewidmet einem zwischen 1990 und 2012 mal geöffneten, dann immer wieder geschlossenen Berliner Club, in dem ein harter Kern von übrig gebliebenen 90s-Ravern stets alles gab. Objekt und Call Super treten als Zeitzeugen auf. „Love Inna Basement“ vom fiktiven Basement Q-Resident-DJ Bogdan tut nun so, als ob genau dieser Track die Vorlage von „Theme From Q“ sei – alles im originalen Frühneunziger-Style mit „Think“-Breakbeat, partiellem Rave-Signal-Massaker und zeittypisch verwaschenem Sound, natürlich vom Original-DAT überspielt. Soweit die Fabelwelt, das Resultat ist eine Frühneunziger-Breakbeat-Replik mit der „Q“-Bassline, die sich – anders als die Originale – gut spielen lässt. Holger Klein

Helena Hauff – Living With Ants (Return to Disorder)

Was Releases angeht, ist Hamburgs Acid-Electro-Poetin Helena Hauff ein selten gesehener Gast auf ihrem eigenen Label. Living With Ants ist ihre erste Solo EP überhaupt auf Return to Disorder und man ist berechtigterweise ordentlich gespannt, wie das dann wohl klingen mag. Schon seit ihrem ersten Outing auf Actress’ Werkdiscs-Label in 2014 hat sich ihr Sound gleichzeitig merklich gewandelt und ist sich doch treu geblieben. Ihre heutigen Produktionen klingen wesentlich raffinierter, wirken allgemein eleganter und gewiefter. Ähnelten ihre Tracks früher eher kraftstrotzenden SUVs, kommen sie heute als giftgrüner Sportwagen um die Ecke gedrifted. Ordentlich Power ist das, was seit jeher beständig bleibt. Die Veröffentlichung beherbergt vier schnittige Cuts mit höllischem Flow. Ob für das Warm-Up („Catso”), die drei Uhr Nachts-Apokalypse („Why Look At Animals” und „The Brush”) oder die totale Zerpflückung der Crowd zum Ende einer Party hin („Slim Filter”), an alle Situationen und Szenarien ist gedacht worden. Andreas Cevatli

Diverse – Nous’klaer Summer Sampler 19 (Nous’klaer Audio)

Aus den Poké-Bowl-Bistros scheppert zwar Billy Holiday mit „Summertime”, aber die Sache mit dem Bli-Bla-Sommer-Blub ist für dieses Jahr gegessen. Luftmatratze einpacken, Jacke raus, trotzdem frieren. Für die nächsten Monate können wir höchstens hoffen, dass der Scheiß mit dem autogenen Training funktioniert – oder uns die Summer Compilation von Rotterdam’s finest Nous’klaer Audio checken. Das Label von Sjoerd Oberman gehört schon eine ganze Weile zu den Geheimtipps, wenn es darum geht, nach der Peaktime für ungeordnete Verhältnisse im körperlichen Energiehaushalt zu sorgen. DJs packen Platten von Konduku, Tammo oder upsammy auf den Teller. Und die Leute flippen nochmal aus. Das funktioniert. Immer. Fünf Tracks auf einen Sampler zu quetschen, Sommer draufzukritzeln und das Ding auf flamingopinkes Vinyl zu pressen, ist also idiotensicher. Auch weil Labelchef Oberman seinen Zirkel zusammenhält. upsammy schwenkt zwischen Segeltörn in der Karibik und Dub-Pfeifereien, bei denen Plaid nach Molekülstrukturen googlen. Tammo schwitzt die Pillen raus. Und Amandra und Mattheis schenken uns mit „Merle” einen Track, der jedes Closing in einen sicheren Hafen aus Freudentränen und Umarmungen lenkt. Geil war’s. Nächsten Sommer wieder? Christoph Benkeser

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