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Acht Jahre liegen zwischen Dominik Eulbergs letztem Album und seinem aktuellen Werk, das er Mannigfaltig getauft hat. Zwar waren die Referenzen, die der studierte Ökologe zwischen seinen Naturbeobachtungen und seiner Musik gezogen hat, immer schon offensichtlich. Aber so programmatisch, wie er seine Tracks dieses Mal durch einen Naturbezug einklammert, ist der gebürtige Westerwälder bislang noch nicht vorgegangen: Denn er ordnet sämtliche der zwölf Stücke einem Tiernamen zu, der einen numerischen Wortteil enthält – von der Eintagsfliege, über den Siebenschläfer bis zum Zwölfpunkt-Spargelkäfer. Entsprechend weit ist der musikalische Exkurs angelegt, der hier entwickelt wird: Über überwiegend gebrochene, fein strukturierte Downtempo-Beats schichtet er opulent inszenierte und tonal elegante Elektronik, die mindestens als eingängig, wenn nicht gar als emotional zu bezeichnen ist. Wir haben ihn besucht, um mehr über die Produktion zu erfahren.
Um Dominik Eulberg an seinem Schaffensort zu treffen, muss man die Stadt weit hinter sich lassen. Denn der 40-jährige Produzent lebt und arbeitet in einem malerisch an einem See gelegenen Haus, das sich tief in einem Naturschutzgebiet im Westerwald versteckt. Dort, in einem Zweihundert-Seelen-Dorf, ist er nicht etwa nur der exotische Elektronik-Produzent, sondern in seiner Stellung als offizieller Naturschutzbeauftragter auch ein aktiver Teil der dörflichen Gemeinschaft.
“Musik ist wie kochen. Wenn du hier zehn ‚Salz‘-Synthesizer stehen hast, wird es auch mal Zeit für einen ‚Curry‘-Synthesizer. Und so gucke ich immer, dass ich genug ‚Gewürze‘ hab.”
Im Haus selber herrscht ein zauberhaftes Gleichgewicht aus Naturdevotionalien und moderner Sachlichkeit – besonders fein austariert ist der Essplatz: Während die stylische Glaskolben-Lampe von allerlei Vogel-Repliken bevölkert wird, ist die gegenüberliegende Holzwand, die Eulberg selber aus Vierkanthölzern gesägt, gebleicht und mit Ölwachs finalisiert hat, in jedem Segment mit kleinen Fundstücken dekoriert: Von Steinchen und Ästen, bis hin zu Muscheln und Samen – alles geschmackvoll, neuzeitlich könnte man auch achtsam sagen, zusammengestellt.
Wie ein Steinmetz
Eulberg, der sympathischerweise immer so wirkt, als wäre er gerade eben erst aufgestanden, führt uns weiter in sein Studio. Es ist, verglichen mit der Gesamtgröße seines Hauses, ein etwas kleinerer Raum, in dem sich allerdings auch zu zweit bequem arbeiten lässt. Den größten Raum nehmen Eulbergs Synthesizer ein – eine fantastische Sammlung, die er – wie eigentlich alles in seinem Haus – sorgfältig und ergonomisch arrangiert hat. Das analoge Mischpult zu seiner Linken hat in diesem Ensemble einzig und allein die Funktion als großer Submischer für die Synthesizer zu dienen. Eulberg gesteht, dass er immer „in the box“ mischt: „Das liegt vor allem daran, dass ich bei meiner Arbeit immer versuche, die Dinge offen zu halten – jeden Tag daran rumfeilen, wie ein Steinmetz. Ich mache auch so viel mit Sidechainings – das wäre analog gar nicht möglich. Was ich allerdings viel benutze sind die Aux-Sends, um von da aus die externen Effekte zu beschicken“.
Eine wichtige Komponente ist dabei der Bricasti M7, über den er sagt: „Ich bin ja ein Reverb-Fetischist. Das liegt glaube ich daran, dass ich im Wald groß geworden bin und erst so mit zehn in Kontakt mit elektronischen Medien kam. Deswegen war mein Gehör schon als Kind auf den natürlichen Klang konditioniert. Und der Brikasti klingt unglaublich natürlich – wenn man die Augen zu macht, glaubt man wirklich in einem Raum zu sein.“
„Kennst Du den“, fragt Eulberg und zieht eine Schublade unter seiner Toft-Konsole hervor und eröffnet den Blick auf einen seltenen Macbeth Elements. „Der hat einen Federhall, den du über den LFO modulieren kannst – da machst du ‘nen Sound, gehst einmal kurz raus und es klingt schon wieder anders“, sagt Eulberg begeistert. Gefragt, wie er den handgefertigten Fünftausend-Euro-Synthesizer entdeckt hat, entgegnet er: „Ich suche ja immer nach Klangfarben – wie du eben schon richtig sagtest: Musik ist wie kochen. Wenn Du hier zehn ‚Salz‘-Synthesizer stehen hast, wird es auch mal Zeit für einen ‚Curry‘-Synthesizer (lacht). Und so gucke ich immer, dass ich genug ‚Gewürze‘ hab“.
Eine weitere Zutat ist der imposante GRP A4 – für Eulberg als bekennenden Modularsystem-Hasser – ein guter Kompromiss zwischen Komplexität im Klang und Kabel-Freiheit. „Ich versuche alles, um Kabel zu entfernen, weil die nicht gut für meine Psyche sind. Ich finde auch, dass diese ganze modulare Strippenzieherei ein absoluter Anachronismus ist.“ Wie sehr er sichtbare Kabel verabscheut, zeigt sich auch daran, dass er an der Wandseite extra eine Abdeckung gezimmert hat, die den Eindruck erweckt, sie sei ein Deckenbalken, in Wahrheit aber Audioleitungen verbirgt.
Alles in Bewegung
Am Ende passiert dann doch ein großer Teil seiner Musik im Rechner, der mit drei (!) Okto-Karten von UAD aufgemotzt ist und den er dennoch mit schöner Regelmäßigkeit an seine Leistungsgrenze bringt: „Ich mache so lange Musik bis nichts mehr geht, bis die CPU-Auslastung von allen drei UAD-Karten voll ist und dann fange ich an, zu arrangieren“, gesteht der Produzent grinsend. Einen festen Platz in Eulbergs Plug-In-Ordner haben auch die Effekte von Soundtoys und dort bevorzugt der FilterFreak und Crystalizer, den er besonders gerne einsetzt, um Flächensound mit einer konstanten Bewegung auszustatten. Überhaupt mag er – was kaum verwunderlich ist, schaut man sich in seinen Räumen um – organische und fließende Strukturen, was seine Entsprechung darin findet, dass er in seiner DAW (Cubase) fast nie mit Quantisierung arbeitet, sondern die Sounds (besonders Perkussion) mit der Hand positioniert: „Ich achte sehr genau darauf, wo die sitzen und schiebe die auf die Millisekunde genau an ihren Platz – das ist für den Groove total wichtig.“ Entsprechend kann der Produzent – gefragt, wie lange er für einen Track braucht – nur gequält lächeln: „Endlos, tausend Stunden?! Ich weiß es nicht. Aber es hat schon seinen Grund, warum seit dem letzten Album acht Jahre vergangen sind“.
Drums vom Tennis-Court
Eine wichtige Soundquelle im Bereich der kleinteilig ausgestalteten Rhythmusfiguren des neuen Albums sind Eulbergs Field-Recordings. Zum Einsatz kommt hier ein Sony PCM-D50. Das Spektrum reicht von Schüssen vom nahe gelegenen Truppenübungsplatz, über Gekruschel am Tisch, bis hin zu Sounds aus der Tennishalle. Wer also glaubt, bei „Zwölfpunkt-Spargelkäfer“ aufwändig gegatete Hallräume zu hören, irrt sich: Was da ploppt und poppt sind Aufschläge und Returns auf dem Court – inklusive des natürlichen Hallraums. Um die Feinheiten im Klang neutral beurteilen zu können, schwört er schon seit über 15 Jahren auf seine Genelec 7060 APM: „Klar gibt es zwischenzeitlich sicherlich hochauflösenere Lautsprecher, aber ich kenne die in und auswendig und das ist das Wichtigste: das man seine Monitore kennt, das man eine Referenz hat. Entsprechend glaubt Eulberg, dass der wichtigste Neuerwerb in seinem Studio, der in jüngerer Zeit stattgefunden hat, der Kauf eines HEDD Quantum von Crane Song war. Ein High-End-Audiowandler, von dessen klanglichen Qualitäten er absolut überzeugt ist. „Man kann die tollsten Synthesizer haben – wenn die Wandler scheiße sind, geht Dir immer was verloren und sie klingen wie Plug-Ins“.
Gefragt, ob er beim Produzieren schon eine Mastering-Kette zur Kontrolle einsetzt, verneint er – es zeigt sich aber, dass der Produzent sehr wohl eine vollwertige Finalisierungs-Kette mitlaufen lässt und diese sachkundig einzustellen weiß: Sie startet mit einem Pultec-EQ von UAD („den mache ich manchmal drauf, ohne irgendwas einzustellen – der macht so eine leicht analog klingende Sättigung“), es folgt der Bax-EQ von Dangerous Music im Mid-/Side-Modus, den er für den Low-Cut einsetzt. Der darauf folgende Elysia Alpha-Kompressor ist auf Parallel-Kompression eingestellt und sorgt für eine leichte Verdichtung. Zum Anheben von Frequenzen setzt Eulberg dann auf den Massenburg Equalizer. „Wichtig ist am Ende natürlich auch einen Mono-Summierer zu verwenden, der die Seitensignale zusammenzieht. Ich verwende da bevorzugt den NUGEN Monofilter – auch, weil er in der Lage ist, die Phasen in den Bässen automatisch zu korrelieren.“
Im Schein der Tageslichtlampen
Als langsam die Dunkelheit über den Westerwald hereinbricht, knipst Eulberg zwei Tageslichtlampen an, die in zwei Ecken seines Studios stehen und den Raum augenblicklich wieder in taghelles Licht tauchen: „Ich bin ja so eine Nachteule. Mein Schlafnachtrhytmus ist eh völlig durcheinander und ich merke schon, dass es die Konzentration steigert – außerdem ist das gut für die Vitamin D-Produktion.“
“Lebewesen sind nicht effizienzgesteuert und haben nur Fressen, Ficken und Scheißen im Sinn, sondern sind emotionale, fühlende Wesen.”
Ob es nun an den Tageslichtlampen und Vitamin D liegt oder nicht – so verträumt, wie Eulberg manchmal auch wirkt, gelingt es ihm trotzdem, seine naturverliebte Weltsicht erfolgreich zu kommunizieren: Vom Insektenhotel „Gasthof zur freundlichen Eule“, das zum festen Sortiment vieler Baumärkte gehört, über das Vogelquartett „Fliegende Edelsteine“ mit integrierter QR-Code-Vogelstimmen-Wiedergabe (die Eulberg natürlich höchstpersönlich aufgenommen hat) und ein ziemlicher Bestseller im Kassenbereich von Buchläden ist, gelingt es ihm regelmäßig, auch abseits der Musik Projekte zu realisieren, deren Erlös dem Naturschutz zu Gute kommt. Und egal, ob nun in seiner Musik, dem Design seiner Produkte, bis hin zur Detailverliebtheit, mit der er sein Haus gestaltet hat – die Verbindung zur Schönheit, oft hart an der Grenze zum Kitsch, ist offensichtlich. Gefragt, woher er seine Motivation zu diesen gestalterischen Entscheidungen bezieht, nimmt Eulberg einen langen Schluck vom selbstgemachten Kombucha und erklärt seine Faszination für die Schönheit der Natur: „Man denkt ja immer, dass alles evolutionär begründet ist – Stichwort: Survival of the Fittest. Aber das stimmt nicht: Viele Dinge in der Natur haben keinen artspezifischen Sinn. Wenn Darwin Recht hätte, wäre es eine sehr simple, sehr mechanische Welt. Aber Lebewesen sind nicht effizienzgesteuert und haben nur Fressen, Ficken und Scheißen im Sinn, sondern sind emotionale, fühlende Wesen. Wenn du dir unten die Schmetterlingssammlung anschaust – das sieht ja aus wie ein Designwettbewerb, wo es darum ging die mannigfaltigsten Kreationen zu schaffen. Mit den ganzen Farben, Strukturen, Texturen, Schimmern, Irisieren, Transluzenz, Changieren und was weiß ich nicht noch alles. Jetzt könnte man glauben, dass das den Sinn hat, dass sich die Weibchen nur mit den Männchen begatten, die am prächtigsten sind. Nur: Die meisten Schmetterlinge sind farbenblind und reagieren eigentlich nur auf Sexuallockstoffe. Wem dient diese Schönheit also?!”
Schönheit ist kein Zufall
Man merkt Eulberg an, dass in ihm tatsächlich eine intrinsische Begeisterung, ja Ehrfurcht für die Formen und Farben der Natur brennt. Er nennt ein Beispiel von Meeresschnecken, die er sehr faszinierend findet und erklärt, dass sie unter ihren Schalen wunderschöne Strukturen haben, die teilweise nach Fibonacci-Formeln ausgerichtet sind. Und langsam kommt er auf den Kern seiner Betrachtung, indem er ergänzt: „Die sind ihr ganzes Leben lang mit Algen überwuchert – man sieht das nicht. Erst, wenn sie nach Jahren an den Strand gespült werden, wird das für uns Menschen sichtbar. Genauso, dass die Blätter im Herbst rot werden. Dass sie gelb werden, ist klar, weil die Bäume ihnen das Chlorophyll entziehen und es im Stamm einlagern, weil da ganz viel Stick- und Kohlenstoff drin ist. Aber für das Rot bilden sie extra einen Farbstoff – Carotinoide. Man kann das nicht erklären. Es ist wie ein farbliches Feuerwerk, um nochmal zu sagen ‚danke, das war’s für diesen Sommer – wir sehen uns im nächsten Jahr’. Was ich damit sagen will: Schönheit in der Natur ist kein Zufall, sondern hat etwas Lebensbejahendes, was von anderen Lebewesen empfangen werden soll. Im Endeffekt ist alles eins – wir sind mit allen Lebewesen verbunden, weil alles Leben denselben Ursprung hat.“
Mannigfaltig von Dominik Eulberg erscheint am 6. September auf Studio K7.
DOMINIK EULBERGS STUDIO
Synthesizer
Black Corporation Deckards Dream
Clavia Nord Lead 4, Nord Drum2
Dave Smith Prophet 12, Prophet 6, Ob-6
Elektron Analog Four
GRP A4
MacBeth Elements
Moog Voyager, Sub 37
Oberheim Matrix 1000
Roland Jupiter 8, TB-303, SH-101
Sequential Ciruits Prophet 5 Rev 1, Prophet VS
Studio Electronics Omega8 (incl. aller Filter)
Drumcomputer
Acidlab Miami
Elektron Analog Rytm, Machinedrum
Jomox X-Base 09
Roland TR-808
Simmons SDS 5
Vermona DRM1 MKIII
Pult
Toft Audio Design ATB 24
Abhöre
Genelec 7060 APM
Field-Recorder
Sony PCM-50
Outboard
Bricasti M7
Digitech IPS 33b
Ensoniq DP4
Eventide H8000 FW + Eve/Net
TC-Elecronics TC 2290
Wandler
Crane Song Hedd
UAD Apollo