Alle Fotos: Felix Linke

Ein alter Camper-Van, umgebaut zum Plattenladen: Das ist „The Ghost“. Er ist gerade so groß, dass etwa 1200 Records, drei Plattenspieler und maximal fünf Vinylfans darin Platz finden. Josh Wareham und James Creed aus Leeds heißen die Steuermänner hinter Berlins erstem Musiktruck, der oft vor dem Club der Visionäre steht und von dessen DJs frequentiert wird. Unser Autor Felix Linke hat die beiden Schallplattenliebhaber in ihrem Laden besucht. 

Am Schlesischen Busch vor dem Eingang des Clubs der Visionäre in Kreuzberg nahm die romantische Geschichte „des Geists“ so richtig Fahrt auf – klar, dass ich die Freunde Josh und James dort treffe. Tobend begrüßt mich Nelson, der Hund von Josh, während James mir mit britischer Höflichkeit einen Kaffee anbietet. Josh holt derweil das Verkaufsschild aus dem Van: „The Ghost – Vinyl 2nd Hand“ steht darauf. Und: „Underground Specialists“. 

Die Underground-Specialists Josh Wareham und James Creed mit Hund Nelson vor „The Ghost“ (Foto: Felix Linke)

Neben uns stehen 1200 Platten, geordnet in separaten Boxen nach den Genres Techno, Tech House, Breakbeat, Electro und Minimal. Auf den zwei schmalen Tischen bilden die Platten ein Spalier, zwischen dem maximal fünf Personen Platz haben. Einmal pro Woche steht „The Ghost“ vor dem Club der Visionäre, auf dem Gelände des Co-Working Space „Betahaus” oder vor der Hoppetosse. Via Facebook oder Instagram verkünden Josh und James am selben Tag, wo und wann der Plattenladen zu finden ist.

Discogs-Hustle und die weltbeste Idee

Josh erinnert sich an die Zeit vor „The Ghost“: „Im Alter von elf Jahren lernten wir uns im Swimmingpool von James´ Cousin kennen, wir schwärmten aber lieber für Mädchen und Skateboarding als für Musik und Platten.” Dann verloren sie sich aus den Augen: „Wir sind unabhängig voneinander auf dieselbe Universität gegangen.“ Josh veranstaltete in Leeds die Eventreihe Louche, während es James 2009 nach Berlin zog.

Wir setzen uns dicht gedrängt an die Hecktüren des Vans, neben zwei Technics, auf eine kleine Bank, auf der man Schallplatten hören kann. Mit dem Club der Visionäre und dem ehemaligen Chalet im Rücken klärt mich James über ihre Wiederbegegnung in Berlin auf: „Die Musik brachte uns wieder zusammen, da waren wir beide 33. Um die Musik herum formte sich eine Crew mit Gene On Earth und KRN. Das haben wir Josh zu verdanken. Er war Booker im Chalet und ließ uns spielen. Das war alles, was wir hatten. Zu der Zeit kannte uns niemand und das hier gab uns die Gelegenheit überall Platten zu zocken.“ 

Digger-Liebe: Vom Discogs-Hustle in die mobile Plattenkiste (Foto: Felix Linke)

„Wenn du einen richtig guten Tune auf Discogs für einen Euro findest und es sind nur noch zehn Platten vorhanden, dann kauf alle und verscheure die übrigen Kopien an deine Freunde.“

Die Idee für den mobilen Plattenladen kam im August 2015 auf. „Zu der Zeit waren wir besessen von dem schwarzen Kunststoff”, erzählt mir James enthusiastisch. Josh sitzt auf dem Boden und zündet sich einen Joint an. Er fragt James: „Wir bezeichneten diese ,manischen Phasen’ als ,Discogs Hustle’, oder?” Er erklärt: „Wenn du einen richtig guten Tune auf Discogs für einen Euro findest und es sind nur noch zehn Platten vorhanden, dann kauf alle und verscheure die übrigen Kopien an deine Freunde. So entstand unsere Idee des Plattenladens.”

Eines Morgens im August 2015, nach einer Partynacht im Chalet, tranken Josh und James noch ein letztes Bier auf einer Brücke. Als sie gerade über die Discogs-Szene sprachen, fuhr ein Van vorbei. Kurz danach kauften sie eine Sammlung von 10.000 Platten auf, selektierten sie nach persönlichem Geschmack. Drei Monate später stießen sie über eine Gebrauchtwagen-Seite auf den weißen Oldtimer in der Nähe von Heidelberg. Mit ihrem Mechaniker Phil bauten Sie den sechs Meter kurzen Fond zum Plattenladen um. „Jimbo”, wie Josh James nennt, verpasste dem weißen Campervan aus den Siebzigern den Spitznamen „The Ghost” aufgrund seiner Farbe.

Zurück auf dem wackeligen Boden der Tatsachen

Auf meine Interpretation des Namens hin, dass sie mal hier, mal da und oft nirgendwo zu finden sind, antwortet Josh: „Das ist alles Zufall.” Wir lachen und kehren auf den Boden der Tatsachen zurück, der wortwörtlich sehr wacklig ist. Sobald eine neue Person durch den schmalen Eingang den Shop betritt, sollten die Turntable-Nadeln nicht zu leicht eingestellt sein. 

Minimaler Platz, maximale Auswahl (Foto: Felix Linke)

Doch die „weltbeste Idee” brachte einige Hürden mit sich. Wie zum Beispiel sollen die Plattenspieler acht Stunden ohne Elektrizität funktionieren? Josh zeigt auf einen Kasten, der kleiner ist als ein Plattenkoffer – eine tragbare 220 Volt Steckdose namens „Yeti”. „Du lädst den Akku zu Hause einen Tag auf und kannst zwei Technics inklusive der Amps zwei Tage mit Strom versorgen.”

„Unsere nächste Herausforderung war die Bleibe. Es ist illegal auf der Straße zu parken und Sachen zu verkaufen, also stellten wir ,The Ghost’ Gregor Krämer und David Höhne vom Club der Visionäre vor. Sie waren begeistert und der wichtigste Stolperstein beseitigt”, erzählt James. „Wir hatten eine einzigartige Idee und dann realisierten wir, dass es unendlich viele Stolpersteine gibt. Aber irgendwie haben wir es geschafft, alle zu bewältigen.”

„Egal ob Nina Kraviz, Zip, DJ Dustin oder Binh im Laden sind, jede*r ist willkommen”

„The Ghost” gibt Josh und James nicht nur einen Wochenrhythmus, sondern hilft ihnen auch dabei, Kontakte zu knüpfen: „Wir lernten David Höhne und Gregor Krämer kennen. Dadurch war es nicht nur möglich, hier und vor dem Betahaus zu stehen, sondern sie gaben uns auch die Chance, die Ghost-Party in der Hoppetosse zu veranstalten. Der Shop ist der Beweis, dass wir wirklich gute Digger sind. Er ist unser Label, unser Produkt. Dadurch treffen wir Leute und machen Fotos von berühmten DJs, die zu uns in den Shop kommen. Er ist unser Aushängeschild und liefert Content für Promoter, um uns als DJs zu buchen”, fasst Josh zusammen, bevor es an der Tür klopft und Binh, ein längjähriger DJ des Clubs der Visionäre, in den Shop schaut. 

Josh und James leben ihren Traum und passen mit ihrer Mentalität perfekt in die Digging-Szene. „Egal ob Nina Kraviz, Zip, DJ Dustin oder Binh im Laden sind, jede*r ist willkommen”, sagt Josh, während er mir eine Flasche Wasser bringt und ich anfange, neben Binh in den Platten zu wühlen.

Vorheriger ArtikelBalfa: Trackpremiere von „Segunda Introducción”
Nächster ArtikelWeb-Wellen – RBL Berlin: Eine Community von Mit- und Querdenkern