Josey Rebelle (Foto: Kevin Lake)

Hinter den Decks kennt Josey Rebelle keine Grenzen: UK Bass, Breakbeat, Techno, House, Acid, Soul, Disco oder Funk – abrupte Stilbrüche haben die Londoner DJ bekannt gemacht. Heute tourt sie weltweit mit ihren kaleidoskopartigen Sets, die Underground-Tanzmusik und Classics aus Soul und Funk auf unerwartete Weise zusammenbringen. Mittlerweile ist sie Ikone einer jungen Generation, die Korrespondenzen zwischen Tracks aus den unterschiedlichen Zusammenhängen aufspüren. In der deutschen Clublandschaft ist Rebelle aber noch immer ein Geheimtipp. Franziska Finkenstein hat Josey Rebelle getroffen und sich mit ihr über ihre Londoner Roots und geheimen Leidenschaften unterhalten.

Ich treffe Josey in der Lobby ihres Hotels in Berlin-Mitte. Sie empfängt mich mit einem sympathischen, aufgeweckten Lächeln. So schüchtern und introvertiert, wie sie in manch anderen Interviews beschrieben wird, wirkt die Britin gar nicht. Recht schnell entsteht ein Gespräch über unsere Studienzeiten in London in Geistes- und Gesellschaftswissenschaften und dem Schreiben – Themen, die uns beide neben der Leidenschaft für Musik verbinden. Josey ist eine tolle Geschichtenerzählerin. Wie sich im Laufe des Gesprächs herausstellt, besteht darin auch ihre zweite große Leidenschaft. In Momenten fühlt es sich sogar so an, als sei ich die Interviewte, weil Josey mir so viele Fragen zu meinem Leben stellt. Es wird schnell klar: Sie interessiert sich für die Lebenswelten der Menschen. Nicht ohne Grund hat sie Soziologie studiert. Sie spricht von den Theorien von Karl Marx und Émile Durkheim, die sie noch immer beschäftigen. Ihr Wissensdurst ist groß, sagt sie selbst.

Josey Rebelle beim Sustain Release-Festival (Foto: Vovette)

Ihre Interessen kommen mir ähnlich vielfältig vor wie ihre DJ-Sets, die von House, Acid oder Techno bis hin zu Jungle, Soul oder UK Garage alles beinhalten. Ihr rigides Mixing kennt allein scharfe Konturen.

Rebelle selbst beschreibt ihre Technik als ‚basic‘. Die Ergebnisse ihrer Technik klingen jedoch alles andere als basic. Ihre experimentierfreudigen Sets erzeugen keinen kontinuierlichen, homogenen Flow. Aus ihrem Platten-Sammelsurium assembliert sie Kontraste, die das Publikum immer wieder überraschen. Da wird mal House mit Future Jazz, mal smoother Soul mit Acid-Bleeps gemixt.

“No Irish! No Blacks! No Dogs!”

Aufgewachsen ist die Tochter karibischer Eltern in Tottenham, einem Stadtteil im Norden Londons. Im Zweiten Weltkrieg stark bombardiert, sind dessen Narben teilweise noch immer sichtbar und prägen die Gegend, die die Gentrifizierung nach und nach transformiert. Dorthin sind ihre Eltern von der Karibikinsel Saint Lucia immigriert, die damals noch britische Kolonie war. Sie gehörten zur Windrush Generation, wie man die zwischen 1948 und 1971 aus der Karibik ins Vereinigte Königreich übergesiedelten Einwanderer*innen bezeichnet. Sie wurden in den 1960ern von der britischen Regierung eingeladen, um beim Wiederaufbau Englands nach dem Zweiten Weltkrieg mitzuwirken. Die Insel Saint Lucia ist bekannt für ihre idyllischen Landschaften und das sie umgebende, türkisfarbene Wasser. Ein starker Kontrast zu London, erinnert sich Josey Rebelle: „Meine Eltern kamen aus einer bunten, fröhlichen Gegend. In London war es zu der Zeit alles andere als rosig.“

„Es lief immerzu Musik. Überall. Mein Cousin spielte Soul im Wohnzimmer, man brachte Soundsysteme auf Konfirmationen, Hochzeiten und Beerdigungen mit. Die Partys waren quasi der Dreh- und Angelpunkt meiner Kindheit.”

Harte Zeiten, geprägt von Rassismus, empfingen sie in dem Land, das ihr neues Zuhause werden sollte. Dessen Straßen grau und nass waren. An dessen Hauswänden Schilder mit der Aufschrift: ‘No Irish! No Blacks! No Dogs!’ hingen. Nur gut, dass es da dieses tiefe Gemeinschaftsgefühl gab. „Alle Zugewanderten haben trotz der schweren Zeiten zusammengehalten und sich gegenseitig geholfen, egal, ob bei Jobs oder Wohnungen. Es gab regelmäßige Treffen, bei denen gefeiert und zu Musik getanzt wurde. Party war eigentlich das wichtigste Element. So weit von Zuhause entfernt zu sein, machte es noch wichtiger, ihre Kultur, ihre Bräuche auszuleben.“ In dieser kleinen britisch-karibischen Diaspora Londons wuchs Josey auf, umgeben von einer Fülle an Musikeinflüssen. „Es lief immerzu Musik. Überall. Mein Cousin spielte Soul im Wohnzimmer, man brachte Soundsysteme auf Konfirmationen, Hochzeiten und Beerdigungen mit. Die Partys waren quasi der Dreh- und Angelpunkt meiner Kindheit. Da wurde Musik aus der Karibik gespielt, französische, westafrikanische Sachen, aber auch aus dem UK, ein bisschen Reggae und viel melodischer Kram.“

Von der Uni in die Booth

Ihr Bruder machte Josey Rebelle mit elektronischen Platten vertraut: House, früher Warp-Techno und Hardcore Jungle. Josey schätzt sich sehr glücklich, dass sie diese Sozialisation erlebte: „Man hört diese Einflüsse noch immer in meinen heutigen Sets, die Rhythmen, die Drums, Basslines.“ Dadurch, dass so viele Bekannte in ihrem näheren Umfeld Musik spielten und auflegten, empfand sie es nur als natürlich, dieses Hobby später auch zu verfolgen. Doch ihr Selbstbewusstsein, mit dem sie heute auf den großen Festivalbühnen und in den beliebtesten Clubs der elektronischer Musikszene steht, ist ein hart erarbeitetes. 

„Zuerst hatte ich nur mein Zimmer als Übungsort. Ich hab es Leuten entweder nicht verraten, dass ich auflegen kann oder ich war zu schüchtern, um irgendwo zu spielen. Ich war Perfektionistin. Die männlichen DJs auf meiner Schule waren wesentlich selbstbewusster als ich und weniger besorgt darüber, dass sie sich zum Narren machen könnten.“ Erst mit Anfang 20, als Josey ihr Soziologiestudium an der London School of Economics begann und dort auf einer Underground-Party spielen sollte, konnte sie ihre Unsicherheit überwinden. „Ich erinnere mich, dass ich super aufgeregt war; ich musste viel Alkohol trinken und um den Block laufen, um meine Nervosität zu bekämpfen“, sagt sie heute und lacht. Diese Methode half. Der Gig verlief gut und kurze Zeit darauf nahm ihre Karriere erste konkrete Züge an. Doch Josey handelt bedacht, nichts sollte zu schnell gehen. „Ich bin definitiv lieber in meinem Zimmer und versuche, so nah wie möglich an meine Idealvorstellung durchs Üben ranzukommen, als mich ins kalte Wasser werfen zu lassen. Aber manchmal musst du dich werfen lassen und aufhören, Perfektionistin zu sein.“

“Instagram fördert toxische Gedanken.” 

Rund drei Jahre nach dem ersten Gig bekam sie eine Residency im Plastic People – einem legendären Club, in dem schon Floating Points und Horse Meat Disco den Schweiß von der Decke tropfen ließen. „Ich bin froh, dass ich mir die Zeit genommen habe und die Unterstützung am Anfang meiner Karriere hatte.“ Jungkünstler*innen, die sich nicht diese Zeit nehmen, können schnell zugrunde gehen, glaubt Josey. „Die sozialen Medien sind so gefährlich. Auf einmal ist jede*r eine Marke geworden. Ich habe von manchen Leuten gehört, Instagram sei der neue CV. Aber ich will diesen Druck nicht haben. Instagram fördert toxische Gedanken. Ich will mich nicht schlecht fühlen wegen etwas, was mich noch nicht mal wirklich interessiert.“

Ihren Instagram-Account zu löschen, sei daher eine ihrer besten Entscheidungen gewesen. „Das Löschen hat meine Karriere nicht beeinflusst. Ich will doch nur Platten kaufen und spielen. Das ist für mich das Wichtigste!“

Josey Rebelle (Foto: Kevin Lake)

Keine Loopfunktion und kein Recordbox 

Als Joseys Eltern krank wurden, war es das DJing, das ihr Kraft gab. Sie kündigte ihren Job in der Werbebranche, der ihr zu viel Energie raubte, um für ihren Vater im Krankenhaus da zu sein. In der DJ-Booth in Clubs und bei RinseFM fand sie ihre Kraft wieder. Nachdem ihre Eltern innerhalb der letzten Jahre verstarben, hat das DJing für sie eine noch größere Bedeutung bekommen. „Als mein Vater starb, war es das Auflegen, das mir durch diese Zeit geholfen hat. Es hat mich gerettet und mir Energie gegeben.”

Dennoch denkt sie schon über eine Zukunft nach dem Auflegen nach. Neben dem DJing ist das Schreiben ihre zweite große Passion. Deshalb studiert sie heute Kreatives Schreiben am renommierten Birkbeck College in London. Schreiben war neben der Musik schon immer ihr Ding. Ob für die Uni-Zeitung, Magazine, Webseiten, im Marketingbereich – ihre Texte haben ihr nach dem Studium stets die Miete bezahlt: „Ich arbeite seit dem Beginn meiner Karriere und ich glaube, es hat mich persönlich zu einer besseren DJ werden lassen, weil ich nicht jeden Gig annehmen musste. Ich benutze keine Loopfunktion oder recordbox. Ich bin kein Jeff Mills, sondern eine super basic DJ, die Tracks und Tunes schön zusammen mixen kann, ohne spezielle Tricks anzuwenden.”

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