In den späten Achtzigern war House in Deutschland noch ein Import-Phänomen. Ian Pooley und sein Partner Thomas Gerlach gehörten zu den ersten hiesigen Musikern, die amtliche Housetracks produzierten, die international ernst genommen wurden – und das als Teenager. Mit einer einzigartigen Unbeirrbarkeit stellte Pooley mit dem Mainzer Brückenkopf einen der ersten Houseclubs hierzulande auf die Beine, war mit Basement Jaxx und Daft Punk befreundet und steht bis heute für einen kompromisslosen, klassischen Housesound, der die amerikanischen Vorbilder nie aus den Augen verliert.
Gerade mal 18 Jahre alt war Ian Pooley, als er 1991 zusammen mit seinem Schulfreund Thomas Gerlach (der später als DJ Tonka Karriere machen sollte) unter dem Projektnamen T’N’I die Low Mass EP herausbrachte. Die fünf Tracks der Platte orientierten sich an englischem Rave-Sound mit und ohne Breakbeats sowie an Techno aus Detroit. Das war nicht das, was man in Deutschland sonst so auf Vinyl pressen ließ. Die Produzent*innenszenerie wurde beherrscht von Leuten, die deutlich älter waren als die beiden Mainzer. T’N’I kamen eben nicht aus den Diskotheken der Achtzigerjahre, auch nicht aus der Punk- oder EBM-Szene. All das war von gestern, Ian Pooley und Thomas Gerlach standen für das Neue, also für das, was Techno voller Naivität für sich beanspruchte.
Ihr Label Force Inc. machte vieles anders als andere deutsche Labels, ob aus Frankfurt oder Berlin. Ohne Ian Pooley und Thomas Gerlach (beziehungsweise deren Projekte T’N’I und Space Cube) hätte das Label diese Andersartigkeit längst nicht so glaubhaft vertreten können. Bis 1994 machten die beiden Mainzer alles zusammen, dann trennten sich die Wege. Aus Thomas Gerlach wurde DJ Tonka, Ian Pooley wurde zu Ian Pooley, einem jungen Mann, der mit seinen im Elternhaus aufgenommenen Produktionen gerade auch im Ausland Erfolg hatte. Detroit Techno und House US-amerikanischer Prägung rückten bei ihm in den Vordergrund. Der Akai-Sampler MPC 3000 wurde zu Pooleys Lieblingsinstrument. Wie gut er mit den Mitteln des Samplings umzugehen wusste, kann man heute zum Beispiel auf seinem 1998er-Album Meridian nachhören. Das steht völlig zurecht im Ruf, ein Klassiker zu sein.
Im Jahr 2007 zog Ian Pooley von Mainz nach Berlin. Manch einer hatte ihn in den späteren Nullerjahren musikalisch aus den Augen verloren. Souvenirs, der Nachfolger des vom Brazil-Sounds der Siebzigerjahre geprägten Albums Since Then, machte es sich allzu bequem in der Lounge-Sitzlandschaft. Doch dann präsentierte Pooley im Jahr 2013 die so souveräne wie vielschichtige LP What I Do. Einen überall präsenten Clubhit konnte er mit der Innervisions-Maxi Compurhythm landen. Nun steht nach längerer Pause ein neues Album an. Als wir dieses Interview führen, arbeitet der 45-Jährige gerade tagtäglich daran.
In deiner langen Karriere hast du viele Trends und Genres kommen und gehen sehen. Was findest du im Moment spannend?
Ach, das wechselt eigentlich ständig. Im Augenblick dominiert ja überall Techno. In der House-Szene kommt dauernd das 90er-Thema wieder hoch, auf die eine oder andere Art. Gerade ist der French House-Sound wieder da. Für mich ist es natürlich einfach, das facettenreich zu spielen, schließlich habe ich noch die ganzen Platten. Was aktuellere Musik angeht, so finde ich den Innervisions-Sound teilweise noch sehr gut, doch vieles orientiert sich da zu sehr an den Achtzigern. Moderne House-Musik ist momentan extrem auf die Achtziger fokussiert, finde ich. Es werden Tracks von Metro Area oder den Chicken Lips kopiert. Diese Achtziger-Geschichte ist aber gar nicht so meins.
Mittlerweile werden ja nicht zuletzt die späteren French House-Sachen wiederentdeckt, ein Label wie Crydamoure zum Beispiel.
Ja, Crydamoure ist total gefragt. Wenn ich so etwas poste, dann ist das Feedback enorm. Das sind Leute, die sind 21 oder 22 Jahre alt, die sind also gerade auf die Welt gekommen, als all die Platten erschienen sind. Die nehmen das so wahr, wie wir in den Neunzigern die Disco-Zeit. Im ersten Moment fand ich die Vorstellung nicht so spannend, wieder so olle Kamellen zu spielen, doch dann machte ich mir bewusst, dass diese Sachen für die heutige Generation ja neu sind.
“Damals war ich total fasziniert vom Detroit-Sound, wusste aber nicht, was Derrick May verwendet hat. Erst nach zwei Jahren fand ich heraus, dass es eine 909 war.”
Wie siehst du das aktuelle Techno-Geschehen?
Derzeit ist es ultrahart, es geht voll auf die Zwölf bei den großen Namen. Man hört auch wieder viel verzerrtes Acid-Geschrubbel, wieder so ein Neunziger-Thema. Für die jungen Leute ist das geil, weil’s so radikal und laut ist. Ich habe dafür Verständnis, aber mich langweilt das extrem. Ich mag lieber Sachen, die einen Groove haben, Mark Broom zum Beispiel. Mir gefällt es, wenn Flow drin ist, vielleicht ein House-Beat oder so ein Conga-Beat wie auf den ersten Axis-Nummern von Jeff Mills. Gibt es derzeit auch, läuft aber so nebenher. Edits von alten belgischen Rave-Hits oder von Speedy J finde ich noch okay, was aber gar nicht geht, das ist Trance. Fand ich schon immer beschissen. Das sind doch cheap thrills, wenn das einer spielt.
Du stehst im Ruf, ein leidenschaftlicher Sammler von Instrumenten und sonstigem Studioequipment zu sein. Ist das heute noch so?
Oh ja, damit kann ich gar nicht aufhören. In den Jahren hat sich einiges angesammelt. Momentan bringen die Instrumentenhersteller ja alle möglichen Klassiker neu auf den Markt, auf die Elektronikszene zugeschnitten. Man kann dem nicht entkommen. Ich suche mir da meine Highlights aus, aber eigentlich habe ich schon alles. Ich kaufe mir ja bereits seit 30 Jahren Geräte.
Hast du denn noch das meiste aus deiner Anfangszeit?
Ja, natürlich! Ich besitze noch meine erste Drummachine. Damals war ich total fasziniert vom Detroit-Sound, wusste aber nicht, was Derrick May verwendet hat. Erst nach zwei Jahren fand ich heraus, dass es eine 909 war. Ich wollte damals unbedingt eine Drummachine haben. Die Yamaha RX7 war das einzige Gerät auf dem Markt, das für mich interessant war. Die habe ich mir 1987 gekauft. Sie funktioniert noch heute wie eine Eins. Als ich aber das mit der 909 herausbekommen hatte, wollte ich natürlich unbedingt eine haben. Ich kaufte meine einem Rockgitarristen aus der Gegend von Kaiserslautern ab. Neulich fand ich ein altes Foto von meinem damaligen Studio, wenn man das überhaupt so nennen konnte. Da sah ich, was ich damals schon an Geräten hatte. Ich besaß noch einen Roland Alpha Juno-Synthesizer und einen Roland CR-78-Drumcomputer.
War die Yamaha RX7 ein Weihnachts- oder Geburtstagsgeschenk?
Beides zusammen. Das war ein teures Geschenk, die RX7 kostete, glaube ich, 1.100 Mark. Ich hatte das Glück, sehr verständnisvolle Eltern zu haben, die mich sehr unterstützten. Alleine hätte ich das nicht geschafft.
Was hast du mit dem Gerät gemacht, als du es endlich hattest?
Ich probierte ewig lange rum, weil ich nicht den Sound fand, den ich im Kopf hatte. Ich dachte ja an diese 909-Drumsounds. Es dauerte sehr lange, bis ich endlich mal einen halbwegs coolen Sound hatte. Die Kickdrums der RX7 sind total dünn. Die muss man pitchen und kürzer machen, man muss zwei Sounds übereinander legen. Jungen Produzenten würde ich heutzutage empfehlen, sich erst mal nur ein Gerät zu kaufen und sich dann mit dem wochenlang ausgiebig zu beschäftigen. So lange, bis du wirklich alles kennst, bis in den letzten Pfad hinein, um dann mit diesen limitierten Mitteln doch noch etwas Cooles zu hinzukriegen. So lernt man die Grundlagen.
War die erste Technowelle aus Detroit also die Initialzündung für dich?
Bei mir hat es mit Inner City angefangen. Ich erfuhr dann, dass es in Detroit noch mehr Leute gibt, die solch eine Musik machten. Ich kaufte mir diese Compilation auf 10 Records – Techno! The New Dance Sound of Detroit. Wo habe ich die denn bekommen? Ich glaube, im Frankfurter WOM. Seitdem musste ich von den Jungs alles haben. Ich kaufte alle Platten auf Transmat, alle Metroplex und alle KMS. Damals informierte man sich über das, was neu rauskommt, in der Network Press – einerseits über die Plattenbesprechungen, andererseits über die Anzeigen der Mailorder-Services im Heft. Das war für mich zu der Zeit der heilige Gral. Ich las stundenlang darin. Als Teenager hast du so etwas nachmittags ja ausgiebig getan.
Stimmt, die Network Press war in Deutschland das erste und lange einzige Magazin, das über House und dann auch Techno berichtete, außerdem noch über R’n’B, Funk, Hip Hop oder Italo Disco.
Heute kann sich das kaum noch jemand vorstellen, wie das funktionieren sollte – nur über Magazine. Die einzige andere brauchbare Informationsquelle war, wenn man Glück hatte, ein guter Plattenladen. Mit dem Knie in Wiesbaden hatte ich richtig Glück. In dem Laden arbeiteten damals Andy Düx und auch Armin Johnert. Sven Väth war dort Kunde, da war er noch nicht auf House und Techno festgelegt, sondern spielte alles mögliche, New Beat zum Beispiel. Wir waren die einzigen jüngeren Leute, die im Knie ihre Platten kauften. Thomas und ich waren sieben, acht Jahre jünger, das war ganz witzig. Man hat sich seine Platten so zusammengesammelt. Egal, wo man gerade war, man checkte die örtlichen Plattenläden aus. Ob in Wiesbaden, Frankfurt oder Heidelberg. Als die ersten Platten von uns raus waren und wir ein bisschen durch die Gegend tourten, kauften wir auch regelmäßig in London ein. Wir sind ungefähr alle zwei Monate rüber und zogen durch die Plattenläden. Wir haben auch für Achim Szepanski von Force Inc. Platten mitgenommen, um sie dort an Läden zu verkaufen, 50 Space Cube-Maxis an Unity Records oder so. Das war lustig.
Bis 1993 gab es ja keine Solo-Platten von dir, in den ersten Jahren hast du mit Thomas Gerlach, der später als DJ Tonka bekannt wurde, gearbeitet. Wie habt ihr beide euch gefunden?
Wir wurden in der Schule nebeneinander gesetzt. Vorher konnten wir uns nicht leiden. Doch als wir dann nebeneinander saßen, merkten wir, dass wir uns für ähnliche Musik interessierten. Anfang 1987 war ich bei Yello, ABC, Living In A Box, so Sachen hörte ich gern. Bald holte ich mir die ersten House-Platten und dann zog ich zusammen mit Thomas durch die Plattenläden. Auf dem Schulhof waren wir ein bisschen die Aussätzigen, weil wir uns nur über Musik unterhielten. Und dann hörten wir auch noch Acid House, als das groß wurde. Die anderen kapierten das überhaupt nicht, die fanden das nur monoton und langweilig. Thomas’ Vater war Jazzmusiker, der hatte ein richtiges Studio im Keller – Anfang der 70er-Jahre gebaut, schön holzgetäfelt, mit allem Drum und Dran, Teppichboden drin, mit Regie- und Aufnahmeraum. Doch in dieser Zeit war er kaum noch in seinem Studio, er war eher live unterwegs. Also eigneten wir uns das Studio an. Der Vater war ziemlich oft genervt, weil wir sehr laut waren. Gearbeitet haben wir mit einem Atari, auf dem Cubase lief. Ich brachte die 909 und den Sampler mit, Thomas hatte einen Juno 60. Bis 1994 haben wir alles dort aufgenommen, also alle T’N’I und Space Cube-Tracks.
Ihr wart dann ja einer der allerersten Acts auf Force Inc. Wie seid ihr zu dem Label gekommen?
Achim Szepanski kannten wir von Boy Records in Frankfurt. Irgendwann erzählten wir ihm, dass wir selbst Musik machten. Das interessierte ihn sofort, denn er war gerade dabei, Force Inc. zu gründen. Wir waren zusammen mit Thomas Heckmann von Anfang an, also seit 1991, bei Force Inc. und haben das Label sicherlich mitgeprägt. Danach kamen Biochip und Alec Empire, etwas später die ganzen Kölner Jungs.
Mit Space Cube und T’N’I habt ihr damals ein breites Spektrum abgedeckt – das ging von hartem Rave-Techno über melodiöse, an den Detroit-Sound angelehnte Tracks bis hin zu Piano House und Breakbeat-Hardcore.
Ich finde im Rückblick alles cool, ich schäme mich für nichts. Natürlich gibt es einige Tracks, die ich heutzutage nicht mehr so produzieren würde, weil das nicht mehr mein Ding ist. Aber auf der Space Cube-Doppel-EP Machine and Motion sind einige richtig geile Nummern drauf, die ich heutzutage noch spielen würde. Das war genau die Schnittmenge zwischen uns, da hatte alles gestimmt. Unsere Musik wurde danach breakbeatiger, dabei wollte ich mehr und mehr in eine härtere Richtung, während es Thomas gerne melodiöser mochte. Auf der Kool Killer EP hatten wir diese Tracks, die beide Seiten abdeckten. Das war der Kompromiss.
“Wenn schließlich Feierabend war, ging ich zur Telefonzelle und rief meinen Vater an. Der holte mich dann mit den ganzen Platten ab. Coole Partys waren das!”
1992 konntet ihr mit „Sessions“, veröffentlicht auf der Kool Killer EP, einen mittelschweren Hardcore-Hit landen, auch in Großbritannien. In Deutschland oder zwischen Rhein und Main war der Breakbeat-Sound ja nicht sonderlich populär. Was reizte euch so sehr an dieser Szene und dem Sound?
Ja, das stimmt. Vom Tower in Mainz und dem Milk in Mannheim abgesehen, war da nicht viel in Rhein-Main und Umgebung. Ich weiß gar nicht mehr genau, wie es dazu gekommen ist. Wir, also Achim, Thomas und ich, waren alle sehr von der englischen Szene fasziniert und wollten das in den Sound von Force Inc. einfließen lassen. Ich persönlich habe aber nie richtig losgelassen vom Detroit Techno, was man dann auch auf meinen ersten Solo-Releases hören konnte.
Als ich mir noch mal ein paar ältere T’N’I- und Space Cube-Sachen angehört habe, dachte ich darüber nach, wie anarchisch damals produziert wurde. Es passierte extrem viel und das alles oft gleichzeitig. Wenn man aber deine ersten Solo-Platten hört, fällt auf, dass alles sehr viel aufgeräumter und reduzierter ist. Das trifft übrigens auch auf die DJ Tonka-Platten zu, die dann kamen. Wie siehst du das im Rückblick?
Haha, ich muss auch immer schmunzeln, wenn ich die Sachen von damals höre. Das war, denke ich mal, eine Kombination aus jugendlichem Wahn, haufenweise durchgemachter Nächte im Studio und dem Umstand, dass einfach zwei verschiedene Köpfe im Spiel waren. Aber eigentlich waren die Releases aus UK ja genauso. Was die Aufgeräumtheit der Solo-Produktionen angeht, kann ich nur für mich sprechen. Ich war in den ersten zwei Jahren bei mir zuhause in diesem kleinen Studio technisch ziemlich limitiert. Bei acht Spuren und zwei Effektwegen war Schluss. Außerdem hatte der Akai S950 sehr wenig Speicherplatz. Das war also alles ein wenig erzwungen. Heutzutage kann so eine künstliche Limitierung aber eine Weile lang sehr erfrischend sein.
Deine zweite Solo-Platte war die EP Roller Skate Disco. Auf der Rückseite ist der schöne Track „The Brückenkopf at 7AM“, dem Brückenkopf in Mainz gewidmet, wo damals eure Partys stattfanden. Wie war das?
Die Location war der erste Pfeiler einer Brücke, der war etwas breiter. Die Stadt Mainz nutzte ihn bis dahin als Lagerraum. Irgendwie hatten wir die Location aufgetrieben. Wir waren als Residents fast bei allen Partys dabei. Zwischen drei und fünf Uhr waren die ganzen Trendleute, die nur kamen, weil der Brückenkopf angesagt war, schon wieder verschwunden. Die letzten Stunden waren immer die beste Zeit. Meistens ging es bis sieben oder acht Uhr. Darum geht es in dem Stück. Wenn schließlich Feierabend war, ging ich zur Telefonzelle und rief meinen Vater an. Der holte mich dann mit den ganzen Platten ab. Coole Partys waren das!
Deine erste Solo-Platte war die Twin Gods-EP. Die war ja schon ein Statement, vom Sound her waren die beiden Stücke völlig anders als das, was du bisher mit Thomas gemacht hast. Das war Techno auf der Höhe der damaligen Zeit, gar nicht mal so weit entfernt von Dave Clarke und seiner erfolgreichen Red-Serie.
Ja, stimmt. Die A-Seite geht schon in die Richtung, was vor allem an dem Inner City-Sample liegt. Die Dave Clarke-Stücke waren aber aufgeräumter und haben einfach nur geknallt. Bei mir waren mehr detroitige Elemente drin, da passierte mehr, mehr Hi-Hats und Reverb. Das hatte was von den späteren Transmat-Platten, Suburban Knight zum Beispiel.
Was waren denn die größten Hits deiner ersten Solo-Jahre?
“Celtic Cross” und “Chord Memory”. “Celtic Cross” war die Initialzündung, “Chord Memory” baute auf dem Thema auf und toppte noch mal die Verkaufszahlen. Davon gab es sogar eine CD-Single, das hatte ich total vergessen. Noch mal erfolgreicher war später natürlich der Daft Punk-Remix. “Chord Memory” war eine der letzten Techno-Nummern, die ich unter dem Namen Ian Pooley gemacht habe. Später veröffentlichte ich meine Techno-Tracks ja unter dem Pseudonym Silvershower auf Plus 8. Das war 1997/98. Dass ich dahintersteckte, wollte ich für mich behalten. Richie Hawtin fand die Sache mit der Anonymität gut.
Stream: Ian Pooley – Chord Memory (Daft Punk Remix)
Kurz nach „Chord Memory“ war deine Force Inc.-Zeit dann zu Ende. Was war der Grund?
Das war ja eine lange Zeit, ich war von 1991 bis 1998 bei Force Inc. und wuchs da irgendwie raus. Gerade in den ersten Jahren als Produzent verändert man sich ja ständig. Achim ging mit dem Label in eine andere Richtung, das passte nicht mehr so. Dass ich dann bei V2 unterschrieb, war für mich damals der logische nächste Schritt. Ich war ja mit Daft Punk und Basement Jaxx befreundet, die sind alle zu Majors gegangen. Was V2 mit mir vorhatte, klang alles sehr schlüssig. Ich hatte gar nicht vor, Force Inc. komplett zu verlassen, aber Achim passte die V2-Geschichte überhaupt nicht, und so war erstmal Funkstille.
Habt ihr denn heute noch Kontakt?
Nein, ich will gar nicht näher darauf eingehen. Nur so viel: Er hat nicht gut über Thomas und mich gesprochen in den letzten Jahren. Wenn ich so etwas lese, frage ich mich, womit wir das verdient haben. Wir haben ihn niemals schlecht behandelt. Ich finde das schade, dass es so gekommen ist, aber das ging definitiv nicht von mir aus.
Gerade hast du erwähnt, dass du damals mit Basement Jaxx und Daft Punk befreundet warst. Dein zweites Album Meridian ist definitiv ein Kind der Zeit. Samples spielten wie bei Basement Jaxx oder Daft Punk eine Hauptrolle, nur dass du subtiler zu Werke gingst und teilweise dieses House-Korsett abgestreift hast.
Das war damals einfach mein Flow beim Musikmachen. Es begann ja mit der Single “What’s Your Number”, die zuerst bei Force Inc. rauskam und so machte ich dann weiter. Das Ausschlaggebende war wohl die MPC, die ich seit 1995 ständig benutzt hatte. Wenn man die einschaltet, ist nichts drin, man muss erst einmal etwas samplen. Das führte dazu, dass Samples eine so große Rolle auf dem Album spielen. Von Basement Jaxx und Daft Punk habe ich mich insofern beeinflussen lassen, dass es erst einmal darum geht, ein Sample zu finden, das den Track definiert, den Rest baut man drumherum. Man samplet zehn verschiedene Platten, doch am Ende klingt es so, als hätten Musiker im Studio diesen Track so eingespielt. Außerdem mochte ich seit den Achtzigern Hip Hop, in den Neunzigern hörte ich viel Pete Rock und DJ Premier. Dieser Vibe hat mich bei der Arbeit mit der MPC begleitet. Ich mochte es, wenn ein Beat sein Eigenleben entwickelte, wenn die Drum-Samples so ein bisschen hinterherhängen. Meist hab ich nur noch eine 909-Kickdrum hinzugefügt, der Rest war aus Samples zusammengebaut.
Zwei Jahre später kam Since Then, eine Platte, die ohne deine damalige Brazil-Cratedigger-Leidenschaft nicht denkbar gewesen wäre. Wie ist es zu deinem Faible für brasilianische Musik gekommen?
1997 legte ich in Portugal auf, in Porto. Bevor ich in den Club ging, war ich in einer Bar. Dort spielten sie die ganzen brasilianischen Klassiker. Das weckte in mir Kindheitserinnerungen an Stücke, die ich damals im Radio gehört hatte. Das fixte mich total an. Ich musste alles haben, was auf meine Musik abgefärbt hatte – ein bisschen zu sehr. Aber alles gut. Ich sample heute immer noch brasilianische Platten, aber nicht so offensichtlich.
Wie hat sich denn deine eigene Musik in den letzten Jahren entwickelt oder verändert?
Mich hat zuletzt das Klötzchenschieben beim Arrangieren in Logic sehr gelangweilt. Ich will auch nicht mehr die ganze Zeit sitzen müssen. In der letzten Zeit habe ich daher wieder mehr Ableton Live verwendet und die digitalen Drummachines, die MPC und die Effekte auf das Mischpult gelegt. So habe ich einfach live aufgenommen und am Ende geschaut, welche der drei Versionen mir am besten gefällt. Die Stücke sind dann natürlich gerne mal zehn Minuten lang geworden, aber am Ende kann man ja noch editieren. Jahrelang habe ich gedacht, dass es besser ist, wenn man noch mal an einen Track ran kann. Das ist aber Quatsch. Wenn man live aufnimmt, ist man gezwungen, ein Stück fertig zu machen, weil man es eben nicht wieder aufmachen und irgendwo minimal verändern kann. In meiner Musik an sich ist neu, dass es eben nicht immer eine gerade Bassdrum sein muss. Mir gefällt es, wenn die Stücke einen Offbeat haben, jetzt nicht unbedingt im Electro-Sinn, sondern einfach House mit einem leichten Offbeat-Charakter.
Drei Klassiker von Ian Pooley
Roller Skate Disco (Definitive, 1994)
Stream: Ian Pooley – The Brickenkopf at 7 AM
Kurz nach Twin Gods Vol. 1, der ersten Soloplatte von Ian Pooley, erschien auf John Acquavivas Label Definitive die EP Roller Skate Disco. Titelgebend ist ein zappeliger Track mit einem happy Disco-Sample. Gut gealtert ist er nicht. Auf der Rückseite findet sich neben der schwelgerischen Acid-Nummer “Sure!” das wunderbare “The Brickenkopf at 7am”. Gewidmet ist es dem Mainzer Brückenkopf, wo Ian Pooley und DJ Tonka einst ihre Partys veranstalteten. Dieses die Welt umarmende House-Stück verströmt mit seinen Pianos und dem 303-Gezwitscher jede Menge Raveliebe. Und ein bisschen Wild Pitch ist auch noch drin. Aufgenommen hat Ian Pooley die Platte noch mit sehr beschränkten Mitteln. Mit der 909 triggerte er die einzelnen Samples an, als Mischpult fungierte sein Vestax-DJ-Mixer.
Chord Memory (Force Inc., 1996)
Stream: Ian Pooley – Chord Memory
Der Vorjahres-Technohit “Celtic Cross” war noch längst nicht aus den Plattenkoffern aussortiert, da legte Ian Pooley mit “Chord Memory” nach. Wieder wurde ein Rapper gesamplet. Bei “Celtic Cross” war es Kool Rock Steady, für “Chord Memory” samplete Pooley drei Worte aus Big Daddy Kanes “Set It Off” – “rock the discoteque”! So gut wie jeder konnte sich auf den Track einigen, völlig zurecht auch im Rückblick. Wie Ian Pooley hier mit den Inner City-Keyboard-Akkorden spielte, wie er die Breaks setzte, wie stets alles in Veränderung begriffen war, das ist großes Kino. Und dieses Big Daddy Kane-Sample war natürlich eine Steilvorlage für Daft Punk und ihren Remix, der den Erfolg des Originals noch mal toppte.
Meridian (V2 Records, 1998)
Stream: Ian Pooley – Meridian
Ian Pooleys zweiter Longplayer widerlegte 1998 all die Stimmen, die behaupteten, House im Longplayformat wäre sinnlos. Als Meridian in die Plattenläden kam, erlebte das Sampling in verschiedenen Genres gerade eine Blütezeit, natürlich in Hop Hop und Drum & Bass, aber auch in der House-Musik, und das natürlich nicht nur, weil gerade French House am Horizont aufgetaucht war. Mit der Akai MPC 3000 hatte sich Ian Pooleys Arbeitsweise grundlegend geändert. Das Gerät wurde zum Dreh- und Angelpunkt seiner Musik. Wie die Beats auf Meridian swingen, das ist heute noch eine wahre Freude. Der Mainzer ließ die genre-immanenten Grenzen von House hinter sich, Geplätscher und Beliebigkeit vermied er dabei. 21 Jahre später klingen die zwölf Tracks noch immer irre frisch. Die Highlights der Platte sind längst nicht nur die Singles “What’s Your Number”, “Cold Wait” oder “Followed”. Ein wahrer Trip ist “Flatlet” – die Arbeit mit den Vocal-Samples, der lose, aber doch fordernde Beat, ganz große Klasse.