Zuerst erschienen in Groove 171 (März/April 2018).
Wie wird durch Musik Gemeinschaft erzeugt? Welche Rolle spielt Musik für die Konstruktion von Tradition, für Erinnerung und mögliche Zukunftsvisionen? Was ist überhaupt Afrofuturismus, diese beliebte catchphrase gerade auch in der elektronischen Musik der letzten Dekaden? Das fragt sich der dänische Musik- und Kulturwissenschaftler Erik Steinskog in seinem neuen Buch Afrofuturism and Black Sound Studies: Culture, Technology, and Things to Come, in dem er den Bereich untersucht, wo sich Afrofuturismus und Black Sound Studies überlappen. Dafür ordnet er den seit Anfang der 90er-Jahre bestehenden Afrofuturismus-Diskurs in thematische Felder und diskutiert ihn anhand des bestehenden musikalischen Kanons.
Auch wenn die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Musik nicht so üppig ist, wie man das vielleicht gern hätte, gibt es interessante Passagen über Flying Lotus, seinen Brainfeeder-Kollegen Ras G, Drexciya und vor allem Sun Ra zu lesen, auf dessen Werk der Afrofuturismus-Diskurs mehr oder weniger aufbaut. Eine wissenschaftliche Veröffentlichung bedeutet zwar immer sehr viel Sekundärliteratur-Pingpong, weniger Storytelling oder gewagte, nicht abgesicherte Ideen und Thesen. Aber selbst dieses Hin und Her zwischen Argumenten und Positionen wird manchmal richtig dramatisch, wenn das Thema stimmt, zum Beispiel wenn es um Lee Perrys Verhältnis zur Rastafari-Religion geht.
Dokumentation: The Last Angel of History von John Akomfrah (1996)
Steinskog ist klug und kritisch, was Definitionen und Begriffe angeht, beklagt sogar die Fixierung auf männliche Künstler. Warum er dann seinem erklärten Liebling Janelle Monáe nicht ein paar Absätze mehr widmet, bleibt allerdings sein Geheimnis. Alle, die im Thema drinstecken, werden hier mit Sicherheit auf viele neue Ideen und Querverbindungen stoßen, aber auch Afrofuturismus-Einsteiger werden nicht überfordert.
Schlau wäre, sich vorher mit den Grundlagen zu beschäftigen, die Steinskog immer wieder heranzieht: mit Kwodo Eshuns More Brilliant Than The Sun (1998), der Doku The Last Angel Of History (1996), dem Sun-Ra-Film Space Is The Place (1974) oder Mark Derys Essay „Black To The Future“ (1993), in dem der Begriff Afrofuturismus überhaupt erst geprägt wurde.
Das Buch Afrofuturism and Black Sound Studies: Culture, Technology, and Things to Come (241 Seiten) von Erik Steinskog ist bei Palgrave Macmillan erschienen.