Fotos: Ableton (Ableton Loop)
Fast alle Besucher von Ableton Loop gelangen zum abgelegenen Funkhaus tief im Osten Berlins mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Nur ein paar Autos stehen vor dem Bau aus den fünfziger Jahren, darunter ein fetter Porsche und ein nagelneuer Tesla. Die Musikwelt ist ungerecht, nur wenige MusikerInnen können ihren Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit finanzieren. „Vor 19 Jahren habe ich angefangen aufzulegen. An Anfang meiner Karriere war es einfacher, von der Musik zu leben als heute.“, sagt Jace Clayton, der als DJ /rupture mit einem schroffen Fusion von Reggae und Postpunk bekannt geworden ist: „Heute setzt sich mein Einkommen aus einem wilden Mix aus Auflegen, Vorträgen und meinen Büchern zusammen.“
Diese Probleme sollen auf der Veranstaltung in Angriff genommen werden, indem die MusikerInnen sich dazu inspirieren lassen, ihre Ideen mit (oder ohne, da ist man ganz undogmatisch) Ableton Live noch konsequenter umzusetzen. Die aspiring artists sind eingeladen, einen Blick auf die Screens der acclaimed artists zu werfen. Tatsächlich gelingt es der Berliner Softwarefirma, einen Ort zu erschaffen, an dem ein ebenbürtiger Dialog möglich ist. Je näher die Veranstaltungsformate am Musikmachen selbst dran sind, desto größer ist die Spannung, die entsteht. Bei den gängigen musikjournalistischen Gruppen- oder Einzelgesprächen, wo es um Anekdoten zur Entstehung dieses Albums oder jener Kollaboration geht, reisst die Energie eher mal ab.
Jenny Hval etwa erzählt, dass sie sich einmal auf einer Konzertbühne auf einen Gymnastikball setzte. Gleichzeitig lief ein Band (oder vielmehr Ableton-Clip) von Lana Del Reys „Born to die“ und Hval bewegte ihre Lippen dazu. Hval wollte zeigen, wie willkürlich unsere Unterscheidungen zwischen uncoolen Kulturtechniken (Playback) und coolen Kulturtechniken (Singen) verlaufen. Das ist ein origineller, witzig umgesetzter Gedanke. Dennoch erzeugt er nicht die Freude und das Gelächter, das aufkommt, wenn Katie Gately, Doseone und SK Shlomo demonstrieren, wie sie auf der Bühne ihre Stimmen manipulieren.
SK Shlomo ist ein schwiegersohntauglicher Zappelphilipp, der als einziger Ableton Push benutzt, um sein Beatboxing zu samplen und abzuspielen. Dosseone könnte unterschiedlicher nicht sein. Er ist ein von der kalifornischen Sonne gegerbter Joker, der sich so diabolisch wie humorvoll zeigt. Er hat eine ganze Reihe von Effekten auf verschiedene Controller verteilt. Zum Teil setzt er sie gezielt ein, zum Teil zufällig. Werden in Doseones Musik Hip Hop und Rock’n’Roll zu einem poppigen, hedonistischen Cartoon-Charakter verschmolzen, ruft Katie Gately den Ernst und die Nacktheit des Postpunk auf. Bei ihr steht das Macbook zusammengeklappt auf dem Boden. Sie hat ein ganzes Arsenal analoger Effekte in einen Kasten eingebaut, mit denen sie nacheinander ihre Stimme manipuliert. Wo Shlomo und Doseone fest im HipHop verwurzelt bleiben, bedient Gatelys Gesang kein Format. Ihre Mutter sei eine unfassbar gute Sängerin gewesen, dagegen sei sie nicht angekommen, Deshalb fing sie an, die Stimme mit dem Melodyne zu manipulieren. Da klang ihre Stimme grenzenlos. „I need my little friends“, sagt sie.
Allein auf der Bühne zu stehen, ist das Konzertformat der Stunde. Da ist mehr möglich als bei einem DJ. Dennoch ist der Aufwand nicht der einer Band. Diesen Modus zwischen versatilem Alleinunterhalter und in tiefe Melancholie versunkenem Post-Internet-Avatar setzt K Á R Y Y N toll um. Vage japanisch anmutend mit einem großen schwarz-weißen Mantel und einer ganzen Reihe von Dutts erstarrt sie hinter ihren Geräten zu einem Bild. Faszinierenderweise trägt die Stimme die Songs nicht nur melodisch, sondern auch rhythmisch. Vocal-Fetzen verarbeitet sie zu Soundscapes. Für Klangvolumen sorgt eine Orgel, auf der K Á R Y Y N schwere Akkorde anschlägt. Am anderen Ende des emotionalen Spektrums des Festivals steht der Finger-Drummer Stro Elliot, der neuerdings Teil der Roots ist. Er zeigt vor 200 Leuten, wie er aus einer Reihe von Beyoncé-Samples und einigen Drumsounds eine Track-Idee entwickelt. Die Neuinstallation eines abgekackten Audiotreibers gehört da ebenso dazu wie das trotz genialer Tools nervige Editieren der Samples. Zu erleben, wie jemand diese Arbeit vor zweihundert Menschen ausführt, ist so quälend wie erleuchtend. Diese Offenheit für die Realität einer Musikerexistenz macht das Festival so toll. Am Ende des Tages geht es nicht um Talent und geniale Eingebungen, sondern um Beharrlichkeit und ein offenes Ohr.