Die „Soft-Psychedelia“ ist ein sanftmütiges Kind der Hippiekultur. In ihr ist der konfrontative Charakter der transgressiven Spielarten der Psychedelik, die auch schmutzige, hässliche, gemeine und aggressive Emotionen aktivieren, in den Hintergrund getreten gegenüber einem einschmeichelnden, positiven Affekt. Die entscheidenden bewusstseinserweiternden und –beruhigenden Effekte kann aber auch die weiche Variante noch transportieren. Sie hat Ihre Spuren in den verschiedensten Stilen um die Welt hinterlassen, vom brasilianischen Bossa Nova und dem Tropicalismo der sechziger Jahre, über den Fusion-, World-Jazz und frühen Ambient der Siebziger und den heruntergepitchten Cosmic-Sound der italienischen Alpenregion der frühen achtziger Jahre, in die Chill-Out Floors der Neunziger.

Eine Spielart, die die neunziger Jahre überlebt hat und bis heute immer wieder neu mit Leben gefüllt wird, ist der weiche „Sundowner“-Sound der damals auf Ibiza akut wurde und es dort auch bis heute ist. Im Laufe der Jahre ist dieser spezifisch balearische Chill-Out Sound immer wieder über die Insel hinaus vor allem nach England geschwappt und hat dort kleinere Revivals auslösen können. Und seit die Insel zur Sommerkolonie des internationalen DJ-Establishments geworden ist, wurde ihr Sound endgültig zu einer festen Größe. Die feine Kompilationsreihe Balearic des gleichnamigen britischen Labels hat inzwischen die dritte Laufnummer erreicht, und Balearic 3 (Balearic) ist ein Fest der warm weichen Klänge mit einer deutlichen Neigung zu Soft-Psychedelia, Oldschool-Ambient und Cosmic. Balearic 3 mischt junge Talente wie Tommy Awards und Nancy Noise mit altgedienten Szenegrößen wie Javier Bergia oder Cantoma und verbindet verschiedene Generationen in Remixen und Kollaborationen wie etwa dem tropicalistischen Sundowner von Penelope Fasy (von der legendären belgischen New Wave-Band Antena) mit Steve Cobby (von den britischen Big Beat- und Brasil-Afficionados Fila Brazillia). Die Balearic-Kompilationen, deren erste beide Ausgaben ähnlich gelungene Gemische bieten, führen auf denkbar entspannte Art und Weise die Relevanz und Stärke eines Sounds vor, der jenseits von Trends und Hypes immer präsent war, aber selten im Zentrum der Aufmerksamkeit stand.


Stream: Hubbabubbaklubb – Mopedbart (Olefonken’s Autostrada Miks)

Bei Federico Durand aus Buenos Aires ist der Sound der wohltemperierten Ablenkung noch stärker auf einen perlenden, fließenden Wohlklang reduziert der ohne Beats und Bezüge zu lateinamerikanischem Pop auskommt. La Niña Junco (12K) verbindet warmen Glitch-Ambient, mit akustischen, gespielten Instrumenten und Field Recordings aus Durands Heimatstadt.


Stream: Federico Durand – Lluvia de Estrellas

Die Isländerin Sóley hat sich bisher auf düster vergrübelte Gedanken und die dunklen destruktiven Seiten von Psychedelia verlassen, was ihrem überaus eingängigen Piano-Pop eine ganz besondere sowohl abgebrühte wie auch fragile Qualität verlieh. Ihr drittes Album Endless Summer (Morr Music) ist danach nun eine echte Überraschung. Netter, wirklich sehr netter Folkpop aus Piano und Streichquartett, ohne die geringsten Spuren der Morbidität ihrer früheren Arbeiten. Wie der Titel schon andeutet, ist die Melancholie hier nur ein fernes Echo, der Sommer ohne Ende und ohne Plan. Und das ist auch gut so. Oder?


Sóley – Never Cry Moon

Der multitalentierte Mathias Götz, der in zahlreichen Bands im Umfeld von The Notwist aktiv ist, etwa in der Jazz-Bigband Alien Ensemble, gehört eher zu den gutgelaunten, nur wenig melancholischen Charakteren der hiesigen Postrock/Electronica Szene. Sein Soloprojekt Le Millipede hat gerade ein Remix-Album namens Mirror Mirror (Alien Transistor) am Start, das einige bemerkenswerte Beiträge aufweisen kann, die das tendenziell undankbare Format Remix-Album ein wenig transzendieren können. Noch schöner ist allerdings sein neues Projekt mit dem bezaubernden Namen Lovebrain and Diskotäschchen. Das Debüt Lovebrain and Diskotäschchen (Gutfeeling) verknüpft sein bevorzugtes Instrument, die Posaune, mit einem Streichquartett zu unbeschwertem, vorwiegend akustischem Instrumentalfolkpop mit bayerischem Ländlerflair.


Lovebrain and Diskotäschchen – 10. Dezember 2006

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