Die ebenfalls in Tunesien aufgewachsene, in Frankreich lebende Amal al-Mathlouthi alias Emel wurde in den Wirren der tunesischen Jasmin-Revolution zu einer der wichtigsten politischen Stimmen der Popmusik der arabischen Welt. Ihr erstes transnational produziertes und veröffentlichtes Album Ensen (Partisan) übersetzt den emotional ausladenden Pop ihrer Heimat in digitalen Trip Hop mit einem gewissen Wave/Goth-Flair ohne den politisch-emanzipatorischen Anspruch ihrer Texte zurückzuschrauben. Die subtile Produktion von Sigur Rós‘ Pathosspezialist Valgeir Sigurðsson und dem Franzosen Amine Metani lässt Emels emotionsstarken Gesten viel Platz. Ihre sensationelle Stimme wird nur leicht digital verfremdet und mal deftig, mal eher ätherisch unterfüttert. Auch ihr Album ist ein starkes Statement gegen die postdigitale Müdigkeit und die Aufgabe aller Hoffnung.


Video: Emel – Ensen Dhaif

Die Berliner Produzentin Theresa Stroetgens alias Golden Diskó Ship hat ihren elektrifizierten Lo-Fi Indie-Pop auf Imaginary Boys (Karlrecords) mächtig aufpoliert, aber ihren höchst eigenwilligen Zugang zur dieser Art von eher herkömmlicher Klangorganisation nicht aufgegeben. So schwingt sich “Pacific Trash Vortex” zu beinahe Daft Punk-großer Pop-Euphorie mit Auto-Tune Vocals auf, nur um diese dann im nächsten Moment direkt wieder abzubremsen und in die Warteschleife zu legen. Ein interessanter Hybrid aus Mainstream-kompatiblen Trap-Elementen, einer Bedroom-R’n’B-Produktion und einer losen, Indie-folkigen Songstruktur. Zudem sind außereuropäische Tonskalen wichtige Bestandteile dieser Mischung – und ihr ins fremde gewendetes Hauptinstrument Bratsche, die sie eher so spielt wie eine mongolische Pferdekopfgeige denn als Bratsche. Entscheidend ist dabei nicht die technische Umsetzung. Ob es sich jeweils um ein Sample, ein gespieltes akustisches Instrument, oder ein Plugin handelt ist herzlich egal, diese Art der Authentizität ist lange hinfällig. Was ihre Musik so besonders macht, ist dass sie ähnlich Deena Abdelwahed die heimischen und die exotischen Quellen auf eine spielerisch experimentelle, ja „queere“ Art nutzt, und sich weder in der jeweiligen Tradition noch in der globalisierten Moderne so richtig heimisch fühlt.


Video: Golden Diskó Ship – Pacific Trash Vortex

Für das Münchner Duo 1115 sind die Grenzmarken der kulturellen Import-Export-Gerechtigkeit und das crosskulturelle Unbehagen, das an solchen Zäunen entsteht, politisches Programm, künstlerisches Basisrauschen, und alltägliche wie nervenzehrende Existenzweise. Auf ihrem Debütalbum Post-Europe (Alien Transistor, VÖ: 9. Juni) konfrontieren Fehler Kuti und Grey zickigen Lo-Fi Electro-Punk à la Suicide mit verwaschen krautigen Conga-Loops und schmutzigen Drones zu einem konzeptstarken Pop/Anti-Pop Album, das ihre jeweilige Verstricktheit mit den Umständen immer mitreflektiert, ohne deswegen auf ein fettes „Fuck You“ in Richtung Identitätsmief wie multikultureller Gleichgültigkeit verzichten zu wollen. „Afropessimismus“ nennen sie diese Art, (Kurz-)Schlüsse zu ziehen, Musik zu produzieren und zu leben.


Stream: 1115 – Gloom

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