Zusammenhalt ist dieser Tage wichtig, das lässt sich auch an den Office Charts der fünften Woche dieses verflixten Jahres 2017 sehen. Lediglich der ukrainische Starrhals Vakula geht seinen Weg alleine, sonst wird kollaboriert oder über die Genre- und Kulturgrenzen hinaus geremixt. Die Pole Position gehört selbstverständlich den zweien vom Wriezener Bahnhof, die auf ihrem ersten gemeinsamen Release seit rund einem Jahrzehnt so ambitioniert wie noch nie klingen.

5. Second Woman – E/P (Spectrum Spools)

Second Woman ist das gemeinsame Projekt von Joshua Eustis (of Telefon Tel Aviv fame) und Turk Dietrich. Dass ihre Musik auf dem formidablen Editions Mego-Sublabel Spectrum Spools erscheint, ergiebt total Sinn. Die zwei Tracks „I E/P“ und „II E/P“ beschwören den heiligen Geist der abstrakten, digitalen Elektronik-Ära wie Autechre und SND und sind bei all ihrem wahnwitzigen Percussion-Stottern und Beats-Schluckauf angenehmer weise nie ganz weg vom – zugegebenermaßen experimentierfreudigen – Dancefloor. Die Remixes von dem Footwork-Producer Jlin und dem Dubtechno-Act Fluxion nehmen beide das Tempo raus beziehungsweise begradigen das Ganze in einer dicken Wolke aus Hall. „II EP“ bleibt der Gewinner.

4. Vakula – A (Bandura)

Der ukrainische Producer Vakula lässt sich nicht auf ein bestimmtes Genre festnageln, er hat in der Vergangenheit überzeugend verschiedene Techno-, House- und Ambient-Formate veröffentlicht (wie zuletzt das Downtempo Album Cyclicality Between Procyon And Gomeisa auf Dekmantel). Bandura ist sein eigenes Label, auf dem er bisher auch ausschließlich selbst veröffentlicht hat. A ist scheinbar der Beginn einer ganzen EP-Reihe, B ist bereits für Mitte Februar angekündigt. Die vier Tracks auf A sind extrem bescheidene, auf den Punkt produzierte Dubtechno-Tracks, die den Geist früher Maurizio-Platten channeln. Man sollte sich diese Tracks auch anhören, wenn man bei diesem ausgereizten Genre ansonsten müde abwinkt.

3. Nackt – Night System (The Night Owl Dinner)

Nackt war das DJ- und Producer-Pseudonym von Johnny Igaz, er war einer von den 36 Menschen, die das Feuer im kalifornischen Club Ghost Ship Anfang Dezember vergangenen Jahres nicht überlebt haben. Mit The Night Owl Dinner hatte er noch vor seinem Tod die Veröffentlichung dieser EP geplant, die nun posthum herauskommt. Der Titel-Track ist zusammen mit dem Honey Soundsystem-DJ Jason Kendig, zwei andere mit dem 100% Silk Act CM-4 entstanden – es sind Acid-House-Tracks mit ordentlich Punch und für den direkten Club-Einsatz gemacht.

2. Nicola Cruz – Cantos de Vision (Multi Culti)

Das Label nimmt seinen Namen wirklich ernst. Nicola Cruz lebt in Tumbaco, Ecuador. Nach einem Album auf dem argentischen Label ZZK Records in 2015 und einer Split-EP auf Multi Culti 2016 erscheint mit „Cantos de Vision“ jetzt seine Debüt-12“. Cruz gehört zu einer jungen Generation an Producern, die selbstverständlich indigene Musik und Instrumente mit international gültigen Underground-Dancefloor-Produktionsstandarts mischt und damit etwas ziemlich Tolles kreiert. Die vier Stücke auf „Cantos de Vision“ bewegen sich alle im unteren bpm-Bereich, man hört Marimba-Samples und südamerikanisch anmutende Percussion- und Vocal-Sounds. Den ausgestellten Exotismus älterer Techhouse-Tracks sucht man hier jedoch zum Glück vergebens.

1. Dettmann / Klock – Phantom Studies (Ostgut Ton)

Die Pole Position unserer Charts macht Marcel Dettmann und Ben Klock in dieser Woche niemand streitig. Hier stimmt einfach alles. Zur einhundertsten Katalognummer von Ostgut Ton haben sich die zwei Techno-Posterboys aus der Großraumdiskothek am Wriezener Bahnhof wieder zusammengetan, elf Jahre nachdem sie bereits mit „Dawning“ die erste Platte und eine Genre-Klassiker auf dem Label veröffentlichten. Entgegen mancher Erwartungshaltung sind die sieben Tracks dieser Doppel-EP (oder Mini-Albums) nicht allesamt Peaktime-Tools, sondern mitunter reduzierte, sensible Tracks, die mit Glocken-Klängen, Acid-Texturen und Spoken Word Einlagen von Dettmann und Klock überraschen. So ambitioniert klingen nicht (mehr) viele Techno-DJs ihres Kalibers.

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