Illustration: Superquiet
Zuerst erschienen in Groove 161 (Juli/August 2016).
Um eines der am besten funktionierenden Genres im Techno ist es eigenartig still. Die Protagonisten geben wenig Geld für Marketing aus, verzichten auf Sponsoren und stecken ihr Geld eher in infantile Deko. Trotz dieser weitestgehend sympathischen Grundzüge möchte sich kaum einer mit ihnen auseinandersetzen. Warum?
Was ist das eigentlich für Musik, für die es keinen richtigen Namen gibt und deren Stars keine sind. Hinter der kein großer Konzern steckt und die jetzt im Sommer auf den ganzen Festivals gespielt wird – auf der Fusion, Wilde Möhre, Nation of Gondwana, Africa Burn, Symbiosis. Musik, die im Hellen besser funktioniert als im Dunkeln. Die keine Angst vor Melodien hat. Musik, zu der man früher Glitzer getragen hat, die dekoriert ist von Unrat, den andere weggeworfen haben: altes Spielzeug, Lampen aus den Siebzigern. Alles bunt, alles infantil, von allem viel, weil: Viel hilft viel.
Deep-, Tech- oder Slow-House – so sagt man wohl dazu. Aber diese Genrebezeichnungen decken eine derart große Bandbreite an Musik ab, dass sie nicht sonderlich genau sein können. Es ist die Musik, die bei Beatport oft Verkaufscharts anführt, die bei YouTube geklickt wird wie Sau, oft mit Fanvideos versehen, die nur ein Bild zeigen: eine Frau im Bikini vor Sonnenuntergang. Frau mit großen Brüsten und Kopfhörer. Irgendwie ätzende Kuschelrock-Romantik. Nichts für Connaisseure. Musik, von der man aber fairerweise sagen muss, dass sie oft nicht so einfach ist, wie ihre Konsumenten manchem erscheinen mögen. Es ist dennoch Musik, die weder in der Fach- noch in der Tagespresse vorkommt. Es ist Musik, die kein großes Aufsehen macht, weil die Labels, die Clubs, die Szene kein Geld für Anzeigen bei Resident Advisor ausgeben, sich keine (oder selten) Likes bei Facebook kaufen, sondern stattdessen ein Bällebad aufstellen oder ein Menschen-Katapult bauen oder unzählige Luftballons aufpusten. Da gibt es diesen verschleppten Slow-House, der gerade auf New Yorker Dächern so sehr angesagt ist. Der mit dem Anstieg von Keta-Konsum größer geworden ist. Satori, Chris Schwarzwälder und Mira oder Acid Pauli spielen ihn. Wohlhabende Menschen, die sich wie Obdachlose oder Nomaden kleiden, tanzen dann.
Falsche Stallbezeichnungen
Es gibt die humorvolleren dOP, Soukie & Windish, Andhim, Jake the Rapper, die ihre HipHop-Wurzeln nicht vergessen haben. Es gibt die DJs und Produzenten, die mit ihrem verspulteren, düsteren Sound Berlin-Mitte bis Leipzig-Ost glücklich machen. Britta Arnold, David Dorad, Luna City Express, Sascha Braemer, Oliver Koletzki, Empro. Bass raus, Bass rein. Break. Rave-Schraube. Tattoo und Tunnel-Ohrring. Es gibt die Disco-Aficionados Peak&Swift und Paramida. Es gibt die, die ganz unerschrocken Popsamples verwenden: Rampue, Dirty Döring, Kotelett&Zadak, Bebetta. Voll schön. All das sind Musiker, von denen einige sicherlich auch in der Panorama Bar gut ankämen, hätten sie nicht die falsche Stallbezeichnung: Sisyphos, Salon zur Wilden Renate, Bachstelzen, Katermukke, URSL, Laut und Luise (aus Berliner Sicht). Denn es gilt, sich voneinander abzugrenzen. Letztlich ist es ja immer eine Frage der Identität: Jeder muss sich durch Ausbildung ästhetischer Präferenzen in der Zugehörigkeit sozialer Gruppen definieren. Und je höher der Druck zur Distinktion, desto wichtiger ist die Ausdifferenzierung von mehr Genres. Dies hören, aber auf keinen Fall das. Jedes Label, das Jutebeutel-Merchandising rausbringt, ist zu meiden. Und es gilt, über die die Nase zu rümpfen, die nicht mit Vinyl spielen. Dabei hat sich durch Traktor und CDJs längst eine neue Art zu mixen entwickelt, die ganz andere Vorzüge, ganz andere Schwierigkeiten hat.
Fritz Windish, Mitbetreiber des Labels URSL und als DJ und Produzent bei Soukie & Windish aktiv, beschreibt die Musik so: „Es geht auf diesen Partys nicht als Erstes um die Musik, sondern um die Atmosphäre, die diese Musik kreieren kann, und mit ihr die Menschen. Ein Wohlfühl-Treibstoff, der bitte nicht fordernd und anstrengend sein darf, denn dann platzt die Blase.“ All die oben aufgezählten Musiker und DJs leben mehr oder weniger davon, Musik zu machen, aufzulegen. Sie agieren in einem System aus Musikern, Clubs und Festivals, das wirtschaftlich in sich, etwas abseits, funktioniert. Die Akteure machen sich und ihren Konsumenten den letztmöglichen Funken Unabhängigkeit vom Finanzsystem vor, indem sie auf Sponsoren und Leistungsoptimierung verzichten. Das wirkt auch deswegen glaubwürdig, weil sie oft selbst ihre eigenen Konsumenten sind. Und paradoxerweise ist gerade der vermeintliche Verzicht auf Profit die Bedingung für diesen.
Musik für den Holzboden
Und wann fing das mit dieser Musik und diesen Partys eigentlich an? Vielleicht als nach Dunkelheit immer Helligkeit kam, bis es wieder dunkel wurde. Auf Festivals wie der Nation of Gondwana, dem Biesenthaler Camp Tipsy, der Fusion, in Clubs wie der Bar25, wo es neben Stampftechno der sehr späten Neunziger immer auch Indie-Geklingel gab. Musik, die auf Holzboden besser klang, zu der man nackt in Seen springen konnte, auf alten Sperrmüll-Sofas fläzen. Als man noch LSD statt Ketamin nahm. Mit diesen Partys wurden Melodien und Vocals vollends in Techno integriert. Und Übertreibung zum Maß aller Dinge. Während auf dem Main-Floor Minimal wimmerte, wurde Mitte der Nullerjahre auf einem anderen Floor zur After-Hour vermehrt Pop gespielt. Oder eigentlich hieß es da schon Indie-Dance. Das war der schwache Endgegner. Musik, zu der einem seelig Konfetti ins Auge segelte, während man das Gesicht in die auf- und oft auch schon wieder untergehende Sonne reckte.
Man spielte Superpitcher, Black Strobe, Pilooski, Tiga, Prins Thomas. Oder irgendein Ethno-Zeug. Aber irgendwann wurden die Samples absehbarer. Von Nirvana zu Marvin Gaye und wieder zurück. Heute sehen viele Clubs in Münster, Freiburg oder Osnabrück genauso aus wie die Sperrmüllfestivals, so wie die Berliner Clubs. Überall Berliner Bohlen. Manchmal heißen sie sogar irgendwas mit Katze. Und es wird die gleiche Musik gespielt. Wahrscheinlich auch deswegen ist Deephouse jetzt ein Schimpfwort wie früher Psytrance. Nur dass es heute viel mehr Blogs gibt, die über diese Musik schreiben, sie immer weiter treiben und immer neue Festivals ploppen aus dem kargen Sand.
Ein Autor des US-Rolling Stone schrieb kürzlich über die Todesfälle im Frühjahr auf der TimeWarp in Buenos Aires. In dem Kontext bemängelte er auch, dass in der Region nur die großen Firmen Mega-Events veranstalten. Ohne zwischenmenschliche Strukturen, die ein gewisses Maß an sozialer Kontrolle ermöglichen. Die ein kollektives Lernen im Umgang mit Drogen ermöglichen. Es ist nicht alles supi im Tech-House-Lalaland, aber dass man nicht weiß, wie man die Musik eigentlich nennen soll, die da gespielt wird, zeigt schon ziemlich genau die Vorzüge und Verweigerungspotenziale dieser Blase.