Loco Dice by press_2

Fotos: Presse (Loco Dice)

Zuerst erschienen in Groove 157 (November/Dezember 2015)

Deine Vorab-Single „Get Comfy“ hat ja durchaus gemischte Kritiken bekommen. Hattest du damit gerechnet?
Ja, aber es war wichtig, dass das als Erstes rauskommt. Es trägt ja auch die Textzeile „Underground Sound Suicide“. Ich hatte Martin damals immer wieder „Simon Says“ von Pharoahe Monch vorgespielt. Und wir haben Prodigy gehört, vor allem wegen deren Videos. Ich musste auch an den Film Blade denken, wo Wesley Snipes in dieses Szenerio kommt und alles ist voller Blut – so sollte dieser Track klingen. Böse! Dann haben wir angefangen mit Lyrics und ich meinte: „Boah, wenn ich das jetzt spielen würde, die Leute würden durchdrehen.“ Im Moment redet jeder Pisser über Commerce, EDM und Underground. Ich habe das Gefühl, dass die Leute zu viel reden, anstatt Musik zu machen.

Gibt es nicht auch Leute, die nicht zu deinen Partys gehen, weil du für ein bestimmtes DJ-Star-System stehst?
Oder weil ich eben Loco Dice bin! Allein schon der Scheißname! Laut, Tattoos, große Fresse, HipHop-Wannabe, Käppi nach hinten. Wenn man mich hier im KaDeWe rumlaufen sieht, denken die doch auch: „Was ist das denn für einen Prolo? Und der macht nicht mal seine Beats alleine!“ Damit lebe ich aber schon mein Leben lang, das geht mir so am Arsch vorbei. Ich weiß, was ich mache und was ich drauf habe. Ich weiß, dass ich talentiert bin. Und ich habe diese Musik gewählt, weil sie Freiheit verspricht und man etwas kreieren kann.

Wie kam es eigentlich zu deinem Wechsel von HipHop zu House?
Ich hab es einfach nicht mehr abgekonnt! Früher wurde man als HipHop-DJ gebucht wegen seiner Collection. Du bist mit deiner Plattenkiste gekommen und hast den Laden weggerockt. Irgendwann wurde die Musik zugänglich für jedermann. Die Sache wurde vergewaltigt von Veranstaltern, die angefangen haben, Partys mit No-Name-DJs zu machen, die alles gerippt und gebootlegt haben. Das war traurig. Die Musik hat mir auch nichts mehr gegeben, das war nur noch Wischiwaschi, „Gangster’s Paradise“ auf MTV und Viva. Alles war im Radio, aber es gab eigentlich keine tolle Musik mehr. Das war der Hauptgrund: Ich konnte keine Platten mehr kaufen. Und dann spielst du ein Jahr den gleichen Scheiß und denkst: „Alter, wo sind die neuen Impulse?“

HipHop-Partys haben ja auch einen komplett anderen Vibe als eine House-Party.
Genau, es gab sehr oft Schlägereien. Das war nicht toll und auch nicht mehr meine Welt. Ich habe dann entdeckt, dass ich mit Housemusik wie von DJ Sneak und Armand van Helden etwas anfangen konnte – das war mein Ausstieg aus der HipHop-Welt. Und dann habe ich angefangen, Basic Channel zu hören, und dachte: „Moment, das geht ja noch ganz anders!“ Diese minimalistischen Sounds, da bin ich durchgedreht! Dann kamen die French Houser und alles hat für mich Sinn ergeben.

House war im Vergleich zu Techno durch die ganzen Funk- und Disco-Einflüsse vielleicht auch zugänglicher für dich.
Auf jeden Fall. Ich bin dann 1996 zur Miami Music Conference, noch als Hip-Hop-DJ. Dann mit nach Ibiza ins Space und was da so abgegangen ist, hat mir gefallen. Auch Talida [damalige Bookerin von Sven Väth; Anm. d. Red.] kam mal zu einer Party, wo ich aufgelegt hatte, als Sven zeitgleich im Tribehouse spielte, und so hatte ich, als ich das erste Mal zu einer Cocoon Party nach Ibiza kam, schon Leute, die ihre schützende Hand über mich gelegt haben:
Der ist cool, der macht keinen Stress! Marc Spoon hat mir dann fucking DC 10 gezeigt. Böse Kombi!


Video: Loco DiceGet Comfy (feat. Giggs)

Wenn du schaust, was du vor zehn Jahren aufgelegt hast im Vergleich zu heute: Was hat sich da bei dir musikalisch verändert?
Nicht viel! Ich lege immer noch H-Foundation auf, Mr. G und alte Siesta-Platten. Ich spiele immer noch Armand von Helden und habe immer noch diesen Percussion-Drive. Es gibt nur manchmal so Phasen, wo ich total auf Techno bin, und dann wieder Phasen, wo ich etwas verspielter auflege.

Wenn du, wie vor unserem Gespräch, acht Nächte hintereinander auflegst: Kannst du dann deine Musik überhaupt noch hören, fühlst du dich da jedes Mal noch inspiriert?
Ja, man variiert. Das ist das Geile an elektronischer Musik, man kann einer Platte eine andere Bedeutung schenken. Wenn du vorher nur zwei andere Tracks spielst, bereitet man eine ganz andere Stimmung vor und dann knallt diese Platte auch ganz anders. Man spielt vielleicht auch nur den Mittelteil, loopt dort mit einem Cycloop und bringt was ganz anderes drüber – das hält alles interessant! Würde ich immer nur den einen Track an den nächsten reihen, würde ich vielleicht in so einen Trott geraten. Ich mache es mir aber schon durchaus schwer und das haut auch nicht immer so hin, wie ich mir das wünsche.

Wie oft kommt es vor, dass du mixtechnisch auch mal daneben liegst?
Das passiert. Wo ich merke: „Ach, das war scheiße. Lass mal gucken, wie ich da wieder rauskomme!“ Aber das ist Musikmachen. Und viele Leute fühlen das, gerade die, die mich kennen. Aber das nimmt mir kaum einer übel. So richtig verkacken tu ich es ja auch nicht, wie zwei völlig gegensätzliche Harmonien aufeinanderlegen, so viel Profi bin ich dann schon. Aber man muss ja auch mal was riskieren und was versuchen.

Gibt es ein bestimmtes Setting, das du zum Auflegen brauchst?
Monitoring! Aber eigentlich ist das Publikum am wichtigsten für mich. Deswegen hörst du auch nicht so viele Mix-CDs oder Radiosets von mir. Das schaffe ich nicht. Deswegen kann ich auch nicht alleine produzieren. Ich brauche Leute um mich herum. Alleine kann ich Musik hören, aber Musik machen oder auflegen geht nicht.

Ist das der Grund, warum du immer jüngere DJs mit auf Tour nimmst?
Genau. Früher war das immer meine Desolat-Crew wie tINI, Yaya und Livio & Robby – das waren alles meine Begleiter. Heute ist das Caleb Calloway, den habe ich in Puerto Rico entdeckt und der hat mich mit seinem Sound einfach geschockt. So haben wir es mit all unseren DJs gemacht: Die machen das mal ein Jahr mit und gehen mit mir durch dick und dünn. Diese alte HipHop-Schule behalte ich mir.

 

„Mein größter Kritiker bin ich selbst. Ich bin happy, wenn die Leute happy sind.“

 

Seit 2009 machst du regelmäßig „Under 300“-Tourneen, auf denen du mehrere Wochen lang in Clubs mit einer Kapazität von höchstens 300 Leuten spielst. Was reizt dich daran?
In so einem intimen Environment hast du nicht den Druck wie in einer Location mit 3000 Leuten, die dann gucken und sagen: „Was machst du denn jetzt auf einmal?“ Ich habe heute manchmal Bock, mit Vinyl zu spielen, und das verstehen viele nicht. Aber in dem kleinen Rahmen weiß jeder, worum es geht. Let’s have a good time! Das ist dann eine musikalische Reise und das ist immer noch Vinylmusik für mich.

Spielst du ansonsten noch oft lange Sets?
Es kommt immer drauf an. Manchmal passiert es, dass man nach acht Stunden immer noch am Spielen ist. Bei manchen Clubs weiß man das, wie im Space in Miami: Hier kann es zehn oder auch fucking 21 Stunden gehen.

Wie bereitest du dich auf solch lange Sets vor?
Schlafen, austrainiert sein, fit sein! Deine Musik von A bis Z kennen. Und ich kann das auch nur in Clubs machen, bei denen ich den Sound kenne.

Trinkst du beim Auflegen?
Ja klar, Vollgas! Ich kann das für mich einschätzen, weil ich meinen Körper kenne und ja auch viel Sport treibe, ich weiß, wo meine Grenzen sind. Ich spiele aber auch manche Vier-Stunden-Sets nur mit Wasser. Ich plane so was aber nicht. Mein Umfeld ist jetzt aber auch nicht so, dass die sagen: Hey, trink doch mal was! Ich habe in all den Jahren versucht, mir ein gutes Umfeld aufzubauen. Ich habe kein Bock auf negative Energien.

Aber kritisieren lässt du dich schon?
Alter, ich werde nur kritisiert! Ob im eigenen Büro oder von Freunden. Das war kacke, das hat uns nicht gefallen – das muss ich mir jede Woche anhören! Aber mein größter Kritiker bin ich selbst. Ich bin happy, wenn die Leute happy sind.

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