Vorbei die Zeiten, als Düsseldorf noch Petrischale für aufregende und richtungsweisende Musik war. Oder? In Orson Hentschels Musik zumindest lebt den Spirit der Electri_city noch weiter. Der ausgebildete Pianist bezieht sich mit seinem Debütalbum Feed The Tape explizit auf die Tradition der klassischen Minimal Music, wie sie in den sechziger Jahren erfunden wurde und nicht zuletzt auch auf Techno einen entscheidenden Einfluss hatte. Anlässlich des Releases von Feed The Tape gastiert der Komponist auch bei der Berlin-Ausgabe der regelmäßigen Festivalreihe seines Labels Denovali, wo er am 02. April mit unter anderem Grouper und Wife auf der Bühne des Berliner Heimathafen Neuköllns stehen wird. Wie die beiden letztgenannten bezieht sich Hentschel nicht allein auf experimentelle Musikstile, sondern ist auch Pop nicht abgeneigt – wie der von ihm für uns aufgenommene Mix mit Stücken von unter anderem Savages und Anika, aber auch Philip Glass oder seiner musikalischen Inspiration Steve Reich beweist. Wir haben uns mit Hentschel über Steve Reich, das Verstörungspotenzial von Musik und seine Verwendung von Filmtonspuren unterhalten und verlosen überdies Tickets für das Denovali Swingfest in Berlin!
Als einen der Einflüsse für deine Musik nennst du Steve Reich, mit dem sich mittlerweile wieder Konzertsäle leer spielen lassen. Wie bist du auf seine Musik gestoßen, was hat dich daran fasziniert und wie äußert sich sein Einfluss direkt in deiner Musik?
Ich kannte zuerst Philip Glass, den ich zum ersten mal über dem Film Koyaanisqatsi gehört habe. Über ihn bin ich dann auf Steve Reich gestoßen. Was mich an Reich interessiert, sind zum einen die langsamen musikalischen Prozesse, die über eine lange Zeitebene stattfinden und den Hörer in einen anderen Bewusstseinsstand katapultieren. Zum Anderen faszinieren mich Reichs kompositorischen Ansätze wie das Looping, Versetzungen oder die Überlagerung von Klängen, die seinen Sound unverwechselbar machen. Ich versuche mit meiner Musik auch meinen eigene Klangsprache zu finden. Durch das Sampling und die Wiederholung von nicht immer besonders hochqualitativen Audioquellen entsteht ohnehin eine gewisse Unschärfe und Rauigkeit im Klang, die mir sehr gefällt. Ich greife teilweise auf die Kompositionsmethoden von Steve Reich zurück, allerdings stehen sie bei mir nicht im Mittelpunkt, sondern dienen als Teilelement der Gesamtstruktur.
Wo wir schon bei dem Steve Reich-Skandälchen sind: Bei dem handelt es sich wohl um einen Einzelfall, der medial etwas aufgebauscht wurde. Siehst du in der Musik Reichs oder gar deiner überhaupt noch ein Verstörungspotential? Oder anders: Denkst du, es gibt überhaupt noch Musik, die wirklich die Musikwelt noch in ihrem Kern erschüttern und verändern könnte – wenn ja, welche?
Nein, ich sehe weder in Reichs noch in meiner Musik Verstörungspotenzial, das in Köln hat weniger was mit der Musik zu tun – denke und hoffe ich mal. Es gibt eine Unmenge an Musik heutzutage und ich glaube so einfach kann man niemanden mehr schockieren. Wenn man sich über ein Stück aufregt, ist das glaube ich eher eine Sache des Geschmacks. Ob es eine Musik gibt, die die Musikwelt verändern wird? Hm, ich würde sagen, das hängt von der Entwicklung der Technologie ab, mit Stift und Papier ist jedenfalls das Beste schon gesagt worden oder?
Dein Album Feed The Tape verwendet Sounds und Samples, so heißt es im dazugehörigen Pressetext, “die bereits in einem musikalischen oder filmmusikalischen Kontext verarbeitet wurden”. Wieso konzentrierst du dich ausgerechnet auf diese, wo treibst du sie auf und was genau machst du dann mit ihnen in deiner Musik?
Ich experimentiere viel mit Sampling herum und habe irgendwann festgestellt, dass sich beispielsweise Filmtonspuren sehr gut eignen. Einfach dadurch, da Geräusche und Musik vorhanden sind – mal getrennt voneinander und mal überlappend. Ich scanne dann quasi die Tonspur ab und suche nach interessanten Ausschnitten, die ich dann herauspicke, sammle und entfremde. So mache ich das dann mit allen möglichen Audioquellen auch. Diese Methode ist für mich bei der Kompositionsarbeit sehr belebend, da ich nie weiß wo die Reise hingeht und ich vom Zufall überrascht werde.
Du wirst auch auf der kommenden Berlin-Ausgabe des Denovali Festivals performen. Wie genau setzt du deine Loop-basierten Kompositionen um? Ist es überhaupt möglich, dass du jemals zweimal dasselbe Set spielst?
Loops bilden ja nur einen Teil meiner Musik und es macht für mich wenig Sinn, zumindest die ewig repetierenden Loops live abzufeuern.
Was ich live mache, ist z.B. die Imitation des Loops durch verschieden synthetische Instrumente, teilweise mische ich auch Klangflächen live zusammen, die ich dann noch bearbeite. Ich versuche möglichst alles, was nicht Loop ist, live zu spielen.
Wo und wie hast du den Mix aufgenommen?
Bei mir zuhause am Rechner – per Drag and Drop in die Audiosoftware.
Wie hast du die Stücke für deinen Mix ausgesucht? Hattest du ein bestimmtes Konzept im Kopf? Du scheinst sehr bewusst Pop mit Minimal- und Ambient-Musik gemischt zu haben.
Die Tracks auf dem Mixtape sind alles Stücke, die ich persönlich einfach sehr gerne höre, deswegen ist es es musikalisch auch sehr durchmischt. Es sind Stücke dabei zum abschalten, zum bewussten Zuhören und zum Ausrasten!
Wir verlosen 1×2 Gästelistenplätze für das Denovali Festival Berlin mit Orson Hentschel, Grouper, Demdike Stare u.v.m.! Schickt uns zur Teilnahme am Gewinnspiel bitte bis spätestens bis Donnerstag, dem 31. März eine Mail mit dem Betreff Hentschel! Gebt bitte eure Wunschstadt an.
Download (MP3, 320 kBit/s, 56:51 Min., 120 MB)
1. A Silver Mt. Zion – 13 Angels Standing Guard ‘Round the Side of Your Bed
2. Xavier Jamaux – Bang! Bang! (You’re Dead) (Zend Avesta Mix)
3. Savages – Husbands
4. Goblin – Getting The Truck
5. John Adams – Shaker Loops III
6. Brian Eno – Bone Bomb
7. Molly Nilsson – Whisky Sour
8. Steve Reich – III City Life
9. Chinawoman – Where Goes The Night
10. Nick Cave & Warren Ellis – Song For Jesse
11. Philip Glass – Floe
12. Anika – I Go To Sleep“
Denovali Festival Berlin 2016
01. und 02. April 2016
Line-Up 01. April: Celeste, Demdike Stare, Esben and The Witch, Nadja, Subheim
Line-Up 02. April: Grouper, Orson Hentschel, Portico, Ricardo Donoso, Wife
Tickets: ab 30€
Heimathafen Neukölln
Karl-Marx-Straße 141
12043 Berlin