Foto: Pramudiya
Mit „Weisheit“, „Güte“, „Zivilisation“ und natürlich „Liebe“ hatte die elfte Ausgabe des winterlichen Ambientfestivals in der Kölner Kirche St. Aposteln gleich vier brandaktuelle wie umkämpfte Schlüsselbegriffe dieser Zeit im Titel. Die Bürde die diese Prinzipien mit den Wertvorstellungen, die sie zwangsläufig immer auch transportieren, der gespielten Musik aufbinden ist allerdings federleicht. Das Ambientfestival ist weder explizit politisch noch ausdrücklich christlich oder anderweitig religiös konnotiert. Das von E’De Cologne-Aktivist Dietmar Saxler gegründete und kuratierte Festival hat sich mit den Jahren emanzipiert. Von solchen externen Zuschreibungen wie auch von den immer etwas engen Kölner Musiker- und Label-Zusammenhängen, die die frühen Jahre dominierten. So waren die Liebe und die Weisheit, heuer eher so etwas wie ein niedrigschwelliges Hintergrundrauschen, eine Stimmungsangelegenheit der angenehmen Art, eher implizit als forciert. Sogar das Wetter zeigte sich da gnädig und hat den frostbeulenreichen Sitzmarathon der vergangenen Jahre ein wenig abgemildert. Das mittlerweile erreichte Niveau an Souveränität und Autonomie spiegelte sich auch im Programm wieder. Singuläre Großkünstler wie Charlemagne Palestine und Hans-Joachim Roedelius, bewährte, von früheren Ausgaben des Festivals bekannte Gesichter wie Simon Scott, und lokale Newcomer wie Max Würden und Mario Hammer zierten das im Vergleich zum Vorjahr wieder etwas gestraffte und konzentriertere Line-Up. Weniger schön, dass sich der sowieso schon sehr niedrige Anteil von gebuchten Künstlerinnen sich dieses Jahr auf exakt Null verringert hat. Musikalisch hat sich das Verständnis was als Ambient zählen darf dagegen kontinuierlich erweitert. Waren die ersten Ausgaben noch stark am samplebasierten Pop-Ambient der Kompakt-Schule orientiert kamen nach und nach auch Künstler aus anderen Genres dazu. Eine Öffnung hin zu populären Klängen wie Neoklassik, Filmscore und Postrock, aber auch zu minimaleren, intensiveres Zuhören erfordernden Musikgattungen wie Soundart und Field-Recording. In der aktuellen Ausgabe kam mit Charlemagne Palestine nun sogar ein Klassiker der Minimal Music dazu. Ein weiterer Aspekt der in den vergangenen Jahren immer wichtiger wurde sind die Visuals, die inzwischen den eindrucksvollen aber eher kargen Innenraum von St. Aposteln inzwischen komplett mit abstraktem buntem Bilderleben füllen und so zumindest visuell etwas anwärmen. Seit drei Jahren gehört auch ein Workshop zum Programm in welchem ausgewählte Teilnehmer (Rafael Anton Irisarri, Simon Scott) oder speziell eingeladene Musiker (Sonae, Markus Güntner) ihre Arbeitsweise erklären und ihr Wissen an Ambient-Interessierte weitergeben.
Der Donnerstag wurde von Modularsynthesizer-Nerd Mario Hammer eröffnet. Rhythmisierte, leicht krautige Analogsynthieklänge, ein wenig wie Dub-Techno ohne Beat. Simon Scott, schon so etwas wie ein Stammgast bei der Zivilisation der Liebe, hat seine Shoegaze-Band Slowdive zu Hause gelassen und demonstrierte sein Verständnis von Klangökologie und „Environmental Sound“. Eine Schule des Hörens. Der Münchner Denovali-Künstler Carlos Cipa stand dagegen für eingängige wie instrumental gekonnte Neoklassik auf dem Klavier. Mit dem kurzfristig für den verhinderten bvdub eingesprungenen Kölner House/Electronica Produzenten Martin Schmitz, den einschmeichelnd warmen Soundwellen des Berliner Vibraphonisten Masayoshi Fujita und dem bittersüßen Piano-Impressionismus mit Poesie-Intermezzo von Synthie-Kraut Altmeister Hans-Joachim Roedelius, bot auch der zweite Festivaltag ein gediegenes wie sorgfältig abgewogenes Programm aus milden Kontrasten. Der abschließende Samstag wurde vom Pop-Ambient Nachwuchs Max Würden eröffnet. Der nicht mehr wirklich „Nachwuchs“-junge Kölner Produzent, der vergangenes Jahr bei Kompakt debütierte ist tatsächlich schon seit über fünfzehn Jahren als Soundtrack-Komponist etabliert. So konnte er in seinem Live-Set aus einem breiten Soundrepertoire, von kosmischen Stöpselsynthsizerklängen bis zu bearbeiteten Field Recordings, eine Fülle gemütlicher bis erhebender, ambienter bis dubbiger Momente extrahieren. Der leicht melancholische und dabei uneingeschränkt liebliche Pianosound des Wahlberliners Federico Albanese, mit elektrischen Strings und digitalem Hall aufgepeppt, bewegte sich hart an der Grenze zum neoklassischen Gemütskitsch, überzeugte darin aber durch Haltung und Konsequenz. Albanese hat das Festivalmotto am explizitesten umgesetzt. Sein zentrales Stück „Migrants“ ist den (an diesem Abend allerdings nicht in größeren Mengen im Publikum vertretenen) Flüchtlingen in Deutschland und aller Welt gewidmet. Das uneingeschränkte Highlight des Festivals war dann erwartungsgemäß der Auftritt von Charlemagne Palestine. Der New Yorker Exzentriker Palestine, inzwischen Ein- oder Dreiundsiebzig (so genau weiß das niemand), hat in den neunzehnsechziger und -siebziger Jahren neben den wesentlich berühmteren La Monte Young, Tony Conrad und Phill Niblock die Drone-Variante der Minimal Music entscheidend mitdefiniert und tritt nicht mehr allzu häufig öffentlich auf. So war es dann eine besonders schöne Überraschung, dass er diesen Abend zum Anlass nahm eine neue Variante seines wohl entschiedensten Drone-Stücks „Schlingen Blängen“ zu einer Neuaufführung an der großen Orgel von St. Aposteln zu bringen. Schamanengesang als eröffnende atmosphärische Reinigung und dann fünfundvierzig Minuten eines einzigen markerschütternd mächtigen Cluster-Akkords, der im Wortsinne alle Register zieht, alle Möglichkeiten die eine Orgel bietet, den Klang, die Textur, die Obertöne, die Lautstärke und das Raumgefühl des Drones zu verändern erschöpfend ausspielt. Wie schon bei Albanese durfte man hierzu definitiv das eine oder andere Tränchen der Melancholieüberwältigung verdrücken (oder wie auch öfter im Publikum zu sehen: einschlafen) ob der schieren emotionalen Intensität des Klangs. Bleibt also zu hoffen, dass sich etwas von der Weisheit und Güte der fast durchgehend großartigen Klangwelten die das Ambientfestival bot, im Publikum festsetzen konnte. Zumindest ist das Festival eine der wenigen Gelegenheiten an denen ein paar Hundert Leute einen ganzen Abend lang ruhig zusammen in einem Raum sitzen können und zuhören, ohne zu quatschen, ohne ins Telefon starren oder sich anderweitig wichtig zu machen. Allein dafür schon bleibt die „Zivilisaton der Liebe“ wichtig und relevant.