burger
burger

Meine Stadt: Fetisch (Terranova) über Berlin

- Advertisement -
- Advertisement -

Erstmals erschienen in Groove 154 (Mai/Juni 2015).

„Ich wurde in Berlin geboren, aber als Kind war ich mit meinen Eltern auch in anderen Städten wie London, Nizza und Brüssel unterwegs. Als Erwachsener habe ich in London, New York und zuletzt Paris gelebt. Insofern war Berlin eine lange Zeit nicht meine Stadt, aber seit geraumer Zeit ist sie es wieder.

 

„Berlin ist ja keine schöne Stadt, wirklich nicht.“

 

Berlin ist ja keine schöne Stadt, wirklich nicht. Aber wenn man eine Idee vom ‚kosmopolitischen Leben’ hat, so wie es einem die Popkultur erzählt und verkauft, dann gehört sie zu den letzten Refugien weltweit. Der Rest ist entweder Spekulation oder sehr einengend, was die persönliche Freiheit betrifft. Dass es Musiker und Künstler gibt, junge Leute, die sich was aufbauen wollen, das findet so geballt nur noch hier statt. Auch wenn einem Berlin manchmal etwas dörflich vorkommt, aber hier passiert noch was im Herzen der Stadt. Man findet noch Räume und Orte in der Innenstadt und muss nicht zwei Stunden irgendwo hin gurken. London ist das schlimmste Beispiel, dort zentral zu leben: fast undenkbar. Das wird hier so schnell nicht passieren.

Natürlich wird hier zurzeit auch viel kaputt gemacht: Mitte war super, aber dann haben sie alles mit Hotels zugebaut, viel abgerissen und renoviert. Und plötzlich ist gar nichts mehr los. Ach, und die Leute, die man damit ansprechen will, wollen diesen Quatsch gar nicht. Die bewegen sich jetzt zwischen Friedrichshain und Neukölln. Aber es gibt natürlich immer noch tolle Orte in Mitte. Zum Beispiel die Bank vor dem Streetwar-Shop Civilist, auf der ich auf dem Foto zusammen mit meinem Terranova-Mitstreiter &ME sitze. Foley, den Mitinhaber, kenne ich schon ewig: Er hat die ersten Terranova-Pressefotos in den Neunzigern gemacht. Der Vintage-Klamottenladen Townes in der Linienstraße ist gut, der gehört meiner Freundin – deswegen gefällt er mir auch doppelt gut. Und der Plattenladen Rotation – die kennen mich, die wissen was ich mag.

Wenn es um Clubs geht, bin ich eher der falsche Ansprechpartner. Da wird es keine Überraschungen geben. Wobei, es gibt das Larry in der Chausseestraße, da sind im Schnitt nur fünf Gäste und superenthusiastische DJs drin – geiler Laden. Ansonsten, der King Size Club, aber der Laden soll ja bald auch raus, der hat noch die Patina von früher, nur leider dürfen die nicht mehr so laut machen. [Der King Size Club ist inzwischen geschlossen, d. Red.] Zum Essen ist das W mit seinen Currys und Naan-Gerichten auf der Kastanienallee toll. Der Typ, der das macht, war früher auf Raves und hat auch im Ex-Club Planet wild gekocht. Genauso wie die Typen, den japanischen Ramenladen machen: das Cocolo in der Gipsstraße. Draußen bin ich gerne am Planetarium am Insulaner oder im Tiergarten – das gefällt meinem Labrador Rocko besonders gut. Ebenso wie der Dorotheen-Friedhof. Viele Schauspieler und Schreiber liegen da. Ich mag Friedhöfe sowieso. Friedhöfe holen dich aus der Zeit. Ich muss oft gegen Hektik ankämpfen, dafür sind Friedhöfe gut geeignet.

Tja, Mitte. Ich fand ja neben der Musikszene auch immer die Kunstszene interessant. Nicht weil ich besonders kunstaffin bin, sondern weil ich die Leute drum herum spannend finde. Hier sind aber mittlerweile viele Familien, die ihre Fähnchen in die Hundehaufen stecken: ‚Heb mich auf!’ und so. Ich wohne zwar noch hier, aber ich warte stündlich auf Antwort vom zukünftigen Vermieter. Ich habe nämlich eine neue Lieblingsgegend – zwischen Potsdamer Straße, Kurfürstenstraße und Bülowbogen. Sehr international, in die sich aber keine Familien trauen wegen der Prostituierten und dieser alten Christiane-F.-Geschichte, die da noch herumspukt. Da ist Berlin so richtig Großstadt, da passiert eine Menge, wirklich tolle Leute ziehen da hin. Es gibt Galerien aus ganz Europa, tolle Lokale mit Mittagstisch für fünf Euro, riesige Wohnungen. Ich find’s da super, wie eine 2015-Version von Mitte.

Die Gefahr an Berlin ist, dass man stagniert und sich zurücklehnt mit dem, was man erreicht hat. Das geht ganz schnell. Aber wenn man hier in Bewegung bleibt, ist die Stadt ideal. Wie New York früher. Und das ist kein Klischee.“

 

Das Album Restless von Terranova ist bei Kompakt erschienen.

Mehr Texte aus der Rubrik „Meine Stadt“ gibt es hier.

 


Video: TerranovaTell Me Why feat. Stereo MCs

In diesem Text

Weiterlesen

Features

28 Fragen: Cio D’Or

Groove+ Nach einer Krebserkrankung arbeitet Cio D'Or erneut an Musik und verrät uns neben dem irdischen Glück auch ihr Lebensmotto.

Fentanyl: „Eine sichere Dosierung ist kaum möglich”

Das Thema Fentanyl ist mit bislang ungekannter Dringlichkeit in der Clubkultur angekommen. Wir haben nach den Gefahren der Droge gefragt.

Oliver Hafenbauer und sein Label Die Orakel: „Viele mögliche Zukünfte” 

Groove+ Der einstige Robert-Johnson-Booker Oliver Hafenbauer hat sich als DJ, EOS-Mitgründer und Die-Orakel-Betreiber ein Profil erarbeitet.