La Boum, die Fete. Passend das T-Shirt, das der Lyoneser DJ David Bolito trug. Nicht, dass der einstige Teenieschwarm Sophie Marceau unter den Gästen weilte (dafür ein gut gelaunt parlierender Richie Hawtin), aber entsprechend camp war Bonitos Introset eben schon. 27 Grad warm, vierzig Meter hoch über der Saône, mediterran das Ambiente auf der Terrasse des Clubs Le Sucre. La Boum, das passte auch so. Es wird Wumms gemacht bei den Nuits Sonores, dieser grossen Fete zum Himmelfahrts-Wochenende. Wumms von Qualität.
Jugendliche Glückshormonjäger de la région, ältere Clubsemester, Industrievertreter aus ganz Europa: Sie alle zieht es nach Lyon. Dieses Jahr zum dreizehnten Mal. Dank Unterstützung der Behörden: Der sozialistische Stadtpräsident Gérard Collomb schuf einen liberalen Nährboden, in dem sich der Großanlass zu einem der besten elektronischen Festivals Europas entwickeln konnte. Längst passé die Zeiten, als die Lyoneser Clubszene mit Polizeirazzien und konservativen Öffnungszeiten zu kämpfen hatte. 2015 ist das Renommé des Festivals so gut wie nie zuvor. Und dann war da noch diese Floating Points-Anekdote. Im Flugzeug nach Lyon soll Sam Shepherd letztes Jahr einen Track abgemischt und dem Publikum brühwarm serviert haben. Der Track, Ende 2014 veröffentlicht, hiess „Nuits Sonores“ und wurde zum Hit. Der Stoff, aus dem die PR-Träume jedes elektronischen Festivals sind.
Stream: Floating Points – Nuits Sonores
In der Haupthalle des charmant verlotterten Ancien Marché de Gros eröffnete Nils Frahm am Mittwoch mit seinem elektronischen Pianoreigen die diesjährigen Nächte. Mächtige Show, mächtiges Equipment, mächtiger Jubel. Einen ähnlichen Vibe versprach tags darauf die Darbietung von Steve Reichs „Music for 18 Musicians“. Das Konzert fand in La Sucrière statt – einer ehemaligen Zuckerfabrik. Grandios live zu sehen, wie das Lyoneser Ensemble Links die übereinander lappenden Minimal Music-Patterns um einen schier endlosen Höhepunkt herum mäandern liess. Die Zeit? Sie organisierte sich neu. Dass eine der Sängerinnen kurz im Abseits landete und Steve Reich persönlich abwesend war, war zu verschmerzen. Ben Klock, der den ersten Nuits Sonores-Day kuratierte, übernahm mit der elegischen Soma-Nummer „Sea Wall“ von Envoy. Überaus stimmig.
Aber vielleicht wäre eine Steve Reich-Darbietung in der Opéra von Lyon angemessener gewesen. Dort erwartete einen dafür eine Performance des Soundwalk Collective und Nan Goldin. Texte und Bilder des New Yorker Künstlers David Wojnarowicz galt es vorzutragen. A Memoir of Disintegration, das waren dann: Hahnenkämpfe, Wrestler, Zombies, zerschnittene Körperteile; zwischendurch lugte eine violett-schimmernde New Yorker Skyline hervor. Eine nicht in Topform weilende Goldin ließ der Show mit rauchigem Timbre einen einlullenden Sprechduktus angedeihen. Eine grimmige Hommage an die New Yorker Downtown-Szene der frühen 80er. Bonsoir Tristesse. Das Wetter war mittlerweile auf kühle 12 Grad runtergesackt. Draussen vor der Oper, auf der Place de la Comédie, regnete es Bindfäden.
Ein Bouquet an Zuversicht war Stunden später das Set des wie üblich ekzentrisch selektionierenden, aber zuverlässigst groovenden Holländers Young Marco. Das lockte einen tief in Marco Sterks Discodschungel. Wenig glücklich dagegen das Back-to-back-Bemühen von DJ Sprinkles und Hardrock Striker. Aus den Deep House-Elegien von Terre Thaemlitz und dem ruppigeren Bouncestil seines französischen Skylax-Kollaborateurs konnte man sich keinen Reim machen. Weiter ins Transbordeur, wo sich Gerd Janson bemühte, einem Bigroom einzuheizen. Souverän. Kaum jemand bekam mit, dass der Running Back-Chef mit einem desaströsen DJ-Setup zu kämpfen hatte.
Episch, trommelnd, gut
Improvisieren musste am nächsten Tag auch Alexander Berg alias Dorisburg, der ohne seinen erkrankten Genius of Time-Partner Nils Krogh anreiste und auf ein DJ-Set auswich. Der Schlusspunkt in La Sucrière: die Dorisburg-Nummer „Forest Protocol“, die demnächst auf Aniara Recordings erscheinen soll. Episch, trommelnd, gut. Joy Orbison ließ darauf ein funkelndes Set vom Stapel: der Engländer verschränkte Optimo-Ästhetik, Afrobeats, Discostreichertum und hochenergetische Bassware. Ein paar Stunden später im Le Sucre: Mehmet Aslan, der türkischstämmige Editschnipsler und DJ aus Basel, zurrte ein bezirzend orientalisches Club-Set fest. Eine tanzende Berlinerin resümierte: „Der Mann hat als DJ einfach eine bemerkenswerte Erdung.“
Samstag, beim Mini Sonore. Das Nebenfestival exklusiv für Kinder. Ich hätte draussen bleiben bleiben müssen, wäre da nicht mein Pressebändel gewesen. Bunte Gummibälle sprenkelten die Szenerie. Versatile-Mann Etienne Jaumet stand im weissen Laborantenkittel und blauer Mütze auf der Bühne und inspirierte Kinder mit Theremin, Vocoder, Drummachine und Keyboard herumzuspielen. Und siehe da: Ein Dreijähriger liess eine erstaunlich reife Basslinie gedeihen. „À chacun son style“, lächelte Jaumet ins Mikrofon. Jedem sein Stil. Zurück zu La Sucrière, die Sonne war zurück. Die Principals, drei Ostlondoner Freunde von Jamie XX, liessen draussen Platten kurven. Charles Drakeford legte DJ Natures „Everyone“ auf. Der perfekte Frühsommer-Track. Und dann mussten wir ins Flugzeug. Just, als es am schönsten war. La Boum!